Die Inschriften des Landkreises Schaumburg

7. Sprache der Inschriften

Von den Inschriften des vorliegenden Bestands sind 224 durchgängig auf Deutsch verfasst, 214 auf Latein. Auf 66 Inschriftenträgern werden Deutsch und Latein kombiniert, entweder, indem die [Druckseite 45] Sprache innerhalb eines Textes wechselt177) oder indem beispielsweise auf ein und demselben Grabdenkmal eine lateinische Grabschrift und ein deutsches Bibelzitat zu lesen sind. Hinzu kommen vereinzelt hebräische und griechische Inschriften sowie eine mittelniederländische Glockeninschrift (Nr. 18) und eine nicht genau datierbare lateinisch-italienische Bauinschrift (Nr. 657). Nicht berücksichtigt sind in dieser Zählung Inschriften, die nur aus Namen, Zahlen oder Kreuztituli bestehen. Auch das sprachlich indifferente Anno domini wurde nicht eigens als lateinischer Textbestandteil gewertet.

Im deutschsprachigen Raum ist bis zum Spätmittelalter das Lateinische so gut wie alleinige Inschriftensprache. Erst um 1300 dringt die deutsche Sprache allmählich in die Inschriftenüberlieferung ein, im Süden tendenziell etwas früher als im Norden Deutschlands.178) Im Gebiet des Landkreises Schaumburg fehlen allerdings im 14. und 15. Jahrhundert deutschsprachige Inschriften fast völlig. Dies hängt damit zusammen, dass die Inschriftenüberlieferung in dieser Zeit stark von kirchlichen Institutionen geprägt ist, für die das Lateinische die repräsentative Sprache war (und es auch in nachreformatorischer Zeit blieb). Es fehlen Inschriften aus dem Milieu der städtischen Handwerkerschichten, die sich, wie Beispiele etwa aus Göttingen oder Braunschweig zeigen, früh des Mittelniederdeutschen bedienten.179) Einzig ein undatierter Kelch ist hier zu nennen, den ein gewisser Hinrik Vischer zusammen mit seiner Frau Grete wohl um 1400 an die Stadthäger St. Martini-Kirche stiftete (Nr. 25). Auf dem Fuß des Kelchs läuft ein niederdeutsch formuliertes Fürbittgebet um: biddet god vor hinrik vischer vor sin vif grete(n) vor ere mome(n) vn(de) vor al crste(n) sel. Deutsche Inschriften sind früh auch auf Glocken zu erwarten, auf denen sich häufig die Gießer in der Volkssprache verewigten.180) Doch ist die Zahl der Glocken im vorliegenden Inschriftenbestand, wie in Kap. 6.4 bereits erwähnt, nicht sehr hoch, und auf den meisten der frühen Glocken fehlt eine Meisterinschrift. Ziemlich isoliert steht hier die Bad Nenndorfer Glocke aus dem Jahr 1397, die die niederländischen Meister Joris und Gillis von Haerlebeke mit einer mittelniederländischen Inschrift versehen haben, der frühesten nicht-lateinischen im Landkreis Schaumburg (Nr. 18). Die älteste deutschsprachige Glockeninschrift und zugleich die zweitälteste deutschsprachige des Bestands überhaupt bietet eine von Hermann Vogel gegossene Glocke in Lauenhagen aus dem Jahr 1493 (Nr. 52): mar(ia) maddalena is ghena(n)t mi(n) ghelvt is gade beq(ua)me de(n) leve(n)dige(n) rop ic de(n) dode(n) bescri ic hagel bixine donder brec ic m cccc xc iii harman(n)e vogel.

Erst ab der Wende zum 16. Jahrhundert sind für das Bearbeitungsgebiet vermehrt Inschriften in niederdeutscher Sprache überliefert, sie bleiben aber bis 1540 deutlich in der Unterzahl: 21 rein deutschsprachige Inschriften stehen in diesen vier Jahrzehnten 41 rein lateinischen gegenüber. Nach 1540 schlägt das Verhältnis um, so dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts rund 70 Prozent der Inschriften in der Volkssprache verfasst sind. Es ist zu beobachten, dass das Grafenhaus und der Landadel für repräsentative Zwecke nun zunehmend das Deutsche nutzten. Davon zeugen die Grabdenkmäler für Johann IV. von Holstein-Schaumburg und seine Ehefrau Cordula von Gemen (Nr. 133 u. 137), aber auch Bauinschriften auf der Schaumburg (Nr. 135 u. 154) und am Schloss Stadthagen (Nr. 157 u. 159) ebenso wie die Grabdenkmäler für Angehörige der Familien von Münchhausen, von Zerssen, von Reden, von Landsberg, von Rottorp u. a.181) Das heißt aber nicht, dass diese Schichten das Lateinische für sich völlig ausgeschlossen hätten: Ganz oder teilweise lateinisch sind die Grabdenkmäler für Statius Post (Nr. 163), Adelheid von Langen (Nr. 176), Johannes von Münchhausen (Nr. 179), Maria von Münchhausen (Nr. 181), Henning von Reden (Nr. 198), Börries von Münchhausen (Nr. 305), Hedwig von Oer (Nr. 315) und Otto von Mengersen (Nr. 370). Nicht zuletzt wurden für das Epitaph Graf Ottos IV. von Holstein-Schaumburg und seiner beiden Ehefrauen bei dem renommierten Dichter Nathan Chytraeus lateinische [Druckseite 46] Versgrabschriften in Auftrag gegeben (Nr. 284). Das Lateinische war aber in dieser Phase eher die Sprache der bürgerlichen Funktionseliten, wie beispielsweise an den Grabepigrammen auf den Epitaphien des Kanzlers Johann Gogreve (Nr. 241), des Vogts Melchior Steven (Nr. 253), des Stadthäger Bürgermeisters Jobst Lüdersen (Nr. 290) oder des gräflichen Rats Johannes Crusius (Nr. 313) ablesbar ist. Auch der schaumburgische Kanzler Anton von Wietersheim, der ursprünglich bürgerlichen Standes war, stellte seinen humanistisch geprägten Bildungsanspruch durch lateinische Inschriften zur Schau (Nr. 310, 335338, u. 382). In einer Phase verstärkter Bildungsbestrebungen unter reformatorisch-humanistischem Vorzeichen wurden auch Inschriften im schulischen Umfeld lateinisch formuliert, wie sich vor allem am Beispiel Möllenbecks eindrucksvoll zeigt (vgl. bes. Nr. 319, 359 u. 393 sowie Nr. 349). Doch tut dies der Dominanz des Deutschen im vorliegenden Inschriftenbestand in der Zeit von 1540 bis in die ersten Jahre nach 1600 keinen Abbruch. Ein wichtiger Grund dafür ist in der großen Zahl von überlieferten Hausinschriften zu suchen, die im Allgemeinen öfter in deutscher Sprache abgefasst sind und im vorliegenden Bestand zu 80 Prozent deutsch sind (vgl. oben Kap. 6.3).

Auffällig ist, dass sich das Verhältnis von lateinischen und deutschen Inschriften innerhalb des hier dokumentierten Inschriftenbestands 1608 nochmals umkehrt. Ein vergleichbarer späthumanistischer „Rückfall“ ins Lateinische ist auch für einige städtische Inschriftenbestände wie Hannover, Hildesheim, Einbeck und Hameln zu konstatieren, der allerdings meist schon vor 1600 beginnt.182) Im Landkreis Schaumburg beträgt von 1608 bis 1650 der Anteil der deutschsprachigen Inschriften am Gesamtbestand nur noch etwa 45 Prozent, zwischen 1608 und 1622, dem Todesjahr des Fürsten Ernst, sogar weniger als 40 Prozent. Über ein Drittel der lateinischen Inschriften aus dieser Zeitspanne bis 1622 entfällt auf Bückeburg; möglicherweise handelt es sich also um ein Phänomen, das im Fall des Landkreises Schaumburg von der Residenzstadt ausgeht.183) Ein Zusammenhang zwischen der Häufung lateinischer Inschriften und der kulturellen Blüte der Grafschaft Schaumburg unter Graf Ernst wird dadurch bestätigt, dass sich in dieser Phase auch die besonders sorgfältig gestalteten Kapitalisbuchstaben nach klassischem Vorbild häufen (vgl. unten Kap. 8.4). Die Dominanz des Lateinischen besteht nach Ernsts Tod fort. Unter den lateinischen Inschriften der Zeit zwischen 1620 und 1650 sticht besonders eine Gruppe von Bückeburger Grabplatten heraus, die elaborierte lateinische Prosagrabschriften tragen (vgl. oben Kap. 6.1).

Die deutschen Inschriften im Bearbeitungsgebiet weisen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts niederdeutschen Lautstand auf. Berücksichtigt werden für die vorliegende Auswertung nur die Inschriften, die im Original erhalten oder fotografisch dokumentiert sind, da bei abschriftlicher Überlieferung häufig die Graphie normalisiert wurde, so dass keine zuverlässigen Aussagen über den ursprünglichen Sprachstand möglich sind. Der Landkreis Schaumburg gehört zum ostfälischen Dialektgebiet, grenzt aber unmittelbar an das westfälische, so dass mit westfälischen Einflüssen zu rechnen ist. Zu beobachten ist, dass die für das Ostfälische typischen Formen mik/dik deutlich seltener vertreten sind als die sonst üblichen Formen mi/di, das Personalpronomen „ihn“ ist sowohl in der Form en (Nr. 275, 460) zu finden als auch in der ostfälisch gerundeten Variante öne (Nr. 212, 248).184) Allerdings darf der Quellenwert von Inschriften für die Regionalsprache nicht zu hoch veranschlagt werden, da vielfältige überregionale Ausgleichstendenzen wirksam werden konnten, beispielsweise wenn einzelne Werkstätten ihre Arbeiten in ein größeres Gebiet lieferten oder wenn die Verfasser der Inschriften aus einer anderen Gegend zugezogen sind oder zumindest einen Teil [Druckseite 47] ihres Lebens andernorts verbracht hatten, etwa während des Studiums. Auch können gegebenenfalls verwendete Vorlagentexte den Sprachstand beeinflussen.185)

Hochdeutsche Formen sind im Landkreis Schaumburg zunächst nur sehr vereinzelt zu finden, wie hat statt heft in einer Hausinschrift aus dem Jahr 1539 (Nr. 153), zu statt to sowie der Diphthong in fleisch auf der 1559 entstandenen – allerdings stark restaurierten – Fürstenprieche in der Stadthäger St. Martini-Kirche (Nr. 185) oder die Form bauwen in einer 1565 entstandenen ansonsten niederdeutschen Hausinschrift (Nr. 212). Fast vollständig hochdeutsch sind die Inschriften auf dem Epitaph für Herzog Magnus I. von Sachsen-Lauenburg und seine 1563 verstorbene Ehefrau (Nr. 200); allerdings war dieses Epitaph sicherlich nicht für eine Aufstellung in Schaumburg bestimmt und ist daher für die Frage nach dem Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen im Bearbeitungsgebiet nicht aussagekräftig. Ab etwa 1575 dringen hochdeutsche Formen immer stärker ein, z. B. in die Herrschertitulaturen auf den Kaminen im Schloss Stadthagen aus dem Jahr 1576 (Nr. 266 u. 267) oder in das Epitaph für die Familie von Landsberg aus dem Jahr 1584 (Nr. 309). Vollständig hochdeutsch ist die in Verse gefasste Bibelparaphrase auf dem von Johann von Schaumburg gestifteten Taufstein in der St. Jacobi-Kirche in Rodenberg (Grove) aus dem Jahr 1579 (Nr. 279), fast vollständig hochdeutsch die Stifterinschrift des im selben Jahr gegossenen Taufbeckens in der Stadthäger St. Martini-Kirche (Nr. 280). Bereits ab den 1580er-Jahren dominiert das Hochdeutsche eindeutig in den Inschriften. Rein mittelniederdeutsche Inschriften sind kaum noch anzutreffen,186) aber einzelne mittelniederdeutsche Formen können noch bis zum Ende des Erfassungszeitraums in die hochdeutschen Texte eingestreut sein, wenn auch immer seltener. Charakteristisch sind für die Zeit um 1600 verschiedene Mischformen wie z. B. in einer Obernkirchener Hausinschrift aus dem Jahr 1590, deren Reimsilben noch niederdeutschen Lautstand zeigen: Wer Godt Vortrvwet Hadt Wol Gebvwet (Nr. 332). Auf einer 1597 entstandenen Glockeninschrift führt das Nebeneinander von hochdeutschen und niederdeutschen Formen zu einem unreinen Reim: ANNO 1597 MEISTER HANS BETHINCK ZV MINDEN HAT MIC GEGOSSEN IN GADES NAMEN GEFLATEN (Nr. 362). Symptomatisch für den erfolgten Sprachwechsel ist der Gießerspruch des Bückeburger Gießers Heine von Damme: Auf dem Taufbecken der Rintelner Nikolaikirche brachte er ihn 1582 noch in mittelniederdeutscher Form an: HERRE GODT GIF FREDE IN DINEM LANDDE GELVCKE VNDE HEIL THO ALLEN STANDE (Nr. 297). Daraus wurde 1603 auf der Glocke der Jetenburger Kirche: GOT GIB FRIEDE IN DEINEM LANDE GLVCK VND HEIL ZV ALLEM STANDE. Auffällig ist allerdings, dass noch bis 1615 wiederholt auf Grabdenkmälern mittelniederdeutsche Bibelzitate angebracht wurden, auch wenn die eigentliche Grabschrift hochdeutsch formuliert ist.187)

Da der Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen zwischen etwa 1580 und 1600 verhältnismäßig rasch und durchgreifend vonstattengegangen zu sein scheint, lässt sich kaum eine sprachsoziologische Auswertung vornehmen: Ob sich etwa in den Inschriften bestimmter sozialer Schichten das Niederdeutsche länger halten konnte als in denen anderer, lässt sich anhand der vorliegenden Überlieferungslage nicht zuverlässig beurteilen, zumal ohnehin die Zahl der deutschsprachigen Inschriften nach 1608 nicht mehr so hoch ist wie zuvor: Wer etwas auf sich hielt, scheint Latein bevorzugt zu haben. Immerhin ist zu beobachten, dass das schaumburgische Grafenhaus bei seinen deutschsprachigen Inschriften verhältnismäßig früh und konsequent das Hochdeutsche verwendet hat. Schließlich holte Graf Ernst 1604 mit dem aus Marburg stammenden Pastor Johann Jakob Bernhardi einen Sprecher des Hochdeutschen an die Stadthäger St. Martini-[Druckseite 48]Kirche, so dass ab dieser Zeit auch die Gottesdienste in Hochdeutsch gefeiert wurden. Eberhard David Hauber, der davon in seinen 1728 erschienenen Primitiae Schauenburgicae berichtet, meint, der Graf habe am Beginn des neuen Jahrhunderts his aliisque modis culturam populi sui fördern wollen.188)

Zitationshinweis:

DI 104, Landkreis Schaumburg, Einleitung, 7. Sprache der Inschriften (Katharina Kagerer), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020e008.

  1. Z. B. Nr. 61: Anno d(omi)ni M ccccc D(omi)n(v)s Conradvs de svlbeke pl(e)b(a)n(vs) in decber reneke kaerbri(n)c joha(n) krvl herme(n) scrvckmeiger olderlvde»
  2. Vgl. Wulf, Versuch einer Typologie, S. 131; Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache in Bau- und Künstlerinschriften, S. 74. »
  3. Vgl. Wulf, Wann und warum sind Inschriften niederdeutsch?, S. 64. »
  4. Wulf, Versuch einer Typologie, S. 133f. »
  5. Nr. 109, 143, 145, 156, 164, 170, 188, 189 u. a. »
  6. Vgl. DI 36 (Stadt Hannover), Einleitung S. XXIVf.; DI 58 (Stadt Hildesheim), Einleitung S. 56f.; DI 42 (Stadt Einbeck), Einleitung S. XX; DI 28 (Stadt Hameln), Einleitung S. XXIVf. »
  7. Ob es in den genannten Jahren zu einer Ausstrahlung auf die gesamte Grafschaft Schaumburg gekommen ist, müsste noch an der jetzt im Lkr. Hameln-Pyrmont liegenden Stadt Hess. Oldendorf und den umliegenden Dörfern überprüft werden. Auch die Bearbeitung der Inschriften weiterer niedersächsischer Residenzstädte wie Wolfenbüttel, Osterode oder Harburg lässt zusätzliche Aufschlüsse erhoffen. »
  8. Vgl. dazu Dieter Stellmacher, Niederdeutsche Sprache. Eine Einführung, Bern u. a. 1990, S. 43f.; Schröder, Niederdeutsche Inschriften, S. 109f. »
  9. Vgl. Wulf, Wann und warum sind Inschriften niederdeutsch?, S. 67f.; Schröder, Niederdeutsche Inschriften, S. 101f. Anm. 3 u. S. 110. »
  10. Die Objekte Nr. 351, 613 u. 642 sind unsicherer Provenienz und sind daher für Fragen des Sprachwechsels zu vernachlässigen. »
  11. Nr. 334, 377, 391, 437 u. 485. Eines der Bibelzitate auf dem Epitaph Nr. 391 beginnt hochdeutsch und wird zunehmend niederdeutsch: ICH BIN DE AVF(F)ERSTEHNG VND DAS LEBEN WER AN MI GLAVBET DER WERDT LEBEN OB ER GLEICK STVRBE VND WOL DAR LEVET VND LOVET AN MI DE WERT NVMMER STERVEN. Das zweite Bibelzitat auf dem Epitaph ist vollständig niederdeutsch. »
  12. Hauber, Primitiae Schauenburgicae, S. 166. »