Die Inschriften des Altkreises Osterode

8. Schriftarten

8.1. Romanische und gotische Majuskel

Die romanische Majuskel ist gekennzeichnet durch ein wesentlich von Formen der römischen Kapitalis bestimmtes Schriftbild, in das runde Formen – vor allem aus der Unzialis, aber auch aus anderen Schriftarten – integriert werden.89) Sie wird im Allgemeinen um 1250 von der gotischen Majuskel abgelöst.

Im Bestand findet sich nur ein Beispiel dieser Schriftart, die Glocke in Tettenborn (Nr. 1), die nach Form, Schmuck und der Schrift in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zu datieren ist. Ein Wechsel [Druckseite 38] von kapitalen und runden Formen kommt nur bei E vor, eine Tendenz zur Abschließung der Buchstaben fehlt noch vollständig.

Die gotische Majuskel ist eine Mischschrift aus kapitalen und runden Formen mit einem zunehmenden Anteil runder Buchstaben. Charakteristisch sind keilförmige Verbreiterungen an den Enden von Schäften, Balken und Bögen sowie Bogenschwellungen. Hinzu kommt die Vergrößerung der Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden, die insbesondere bei E und C zusammenwachsen und damit den Buchstaben vollständig abschließen können. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wird sie durch die gotische Minuskel abgelöst, nach 1400 tritt sie immer mehr zurück, bleibt aber für Versalien und sonstige Zierschriften im Gebrauch.

Der wichtigste Bestand mit Inschriften in gotischer Majuskel liegt mit den in Holz geschnitzten Resten des Pöhlder Chorgestühls aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts (Nr. 4) vor. Sechs Steininschriften stammen aus dem Kloster Walkenried (Nr. 3, 5, 6, 7, 8, 9), die alle nicht datiert sind, von denen aber zwei Adeligen zuzuordnen sind, die 1291 (Nr. 3) bzw. 1317 (Nr. 9) starben. Hinzu kommen zwei Glocken, darunter die älteste datierte von 1336 (Nr. 10); die andere dürfte um die Mitte des 14. Jahrhunderts gegossen worden sein (Nr. 15).

Die vermutlich in der zweiten Hälfte oder gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstandenen Inschriften aus Pöhlde (Nr. 4) und Walkenried (Nr. 3, 5, 6, 7, 8) zeigen sauber ausgeführte, formbewusste Varianten der gotischen Majuskel, bei denen der Wechsel von kapitalen und unzialen bzw. runden Formen regelmäßig stattfindet. Die Tendenz zur keilförmigen Verbreiterung der Enden von Schäften, Balken und Bögen nimmt zu, die Bögen zeigen Ansätze zu Schwellungen. Am Chorgestühl in Pöhlde (Nr. 4) und vor allem auf der Grabplatte des Werner Letgast (Nr. 3) sind diese Formen deutlicher ausgeprägt. Zu Abschlussstrichen vereinigt sind die Sporen durchgehend nur am unzialen oder runden E (Nr. 4, 5, 7). Unziale, links geschlossene M finden sich außerdem auf der Platte Nr. 6 sowie auf der Glocke Nr. 10. In einzelnen Fällen sind Nodi oder Halbnodi an Schäften (Nr. 3, 15) bzw. auf der Cauda des R (Nr. 10) zu beobachten. Eine stärkere Ausprägung der Bogenschwellungen, sonst allerdings bei einem Überwiegen der kapitalen Formen der Buchstaben, ist auf der vermutlich 1317 entstandenen Grabplatte des Dietrich von Honstein (Nr. 9) zu beobachten. Eine voll ausgeprägte, konturierte Art der gotischen Majuskel mit eckigen Buchstabenformen – bedingt durch die Herstellung (Ritzung) – beschließt auf einer Glocke in Herzberg in der Mitte des 14. Jahrhunderts das Normalvorkommen dieser Schriftart im Bestand (Nr. 15). Auf einem nicht datierten Kelch, vermutlich aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Nr. 24), wird die gotische Majuskel nur noch als Zierschrift auf den Rotuli des Knaufs verwendet. Die Zierformen – Perlsporen – schmücken auch einen Buchstaben der zweiten Inschrift in gotischer Minuskel auf diesem Kelch.

Der schmale Bestand bestätigt, dass der Übergang zur gotischen Majuskel im südlichen Niedersachsen in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stattfindet – ähnlich wie im benachbarten Landkreis Northeim, wo sich dieser Übergang etwas genauer auf das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts eingrenzen lässt.90)

8.2. Gotische Minuskel

Die gotische Minuskel entspricht innerhalb der epigrafischen Schriften im Idealfall der Textualis der Buchschrift. Kennzeichen dieses Schrifttyps ist die Brechung der Schäfte und Bögen. Die im Mittelband stehenden Schäfte (von i, m, n, u, v etc.) werden an der Oberlinie des Mittelbandes und an der Grundlinie gebrochen, die Bögen durch stumpfwinklige Brechung oder spitzwinkliges Abknicken in senkrechte und schräge Bestandteile umgeformt. Die Umformung der Bögen in schräge und parallel ausgerichtete senkrechte Elemente gibt der Schrift einen von der Vertikalen dominierten, gleichförmigen Charakter, der in vielen Fällen den Eindruck einer gitterartigen Buchstabenfolge vermittelt.

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Im niedersächsischen Raum setzt die gotische Minuskel um die Mitte des 14. Jahrhunderts91) ein und ist bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts im Gebrauch. Das früheste Beispiel im Altkreis Osterode findet sich auf einem Kelch und stammt vermutlich aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Nr. 16).92) Aus dem Übergang zum 15. Jahrhundert dürften die Reste einer Inschrift stammen (Nr. 19), die Ritzzeichnungen im Chor der Klosterkirche Walkenried begleiten. Die Reste des um 1420 entstandenen Altarretabels von St. Jacobi in Osterode (Nr. 22) tragen die ersten längeren, gemalten Inschriften in dieser Schriftart, ein weiterer Kelch dürfte in die erste Hälfte des 15. Jahrhundert zu setzen sein (Nr. 24), zwei weitere in die zweite Hälfte des Jahrhunderts (Nr. 32, 33). Die beiden einzigen datierten Inschriften in gotischer Minuskel aus dem 15. Jahrhundert finden sich auf Glocken aus den Jahren 1439 und 1487 (Nr. 23, 27).

Während bis zum Jahr 1500 in den Inschriften die gotische Minuskel die fast ausschließlich verwendete Schrift ist, bleibt diese auch im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts mit zehn Nummern noch vorherrschend. Auf drei (Nr. 39, 43, 45) der vier Altarretabel (Nr. 44 ist im heutigen, stark überarbeiteten Zustand wenig aussagekräftig) und einem Kelch (Nr. 42) wird daneben die frühhumanistische Kapitalis verwendet. In gotischer Minuskel sind auf den Altarretabeln vor allem die Namen der dargestellten Heiligen auf den Sockeln ausgeführt. Auf zwei Glocken von 1506 und 1513 (Nr. 37, 38) findet sich die Schrift ebenso wie in zwei Bauinschriften von 1502 (Nr. 34, 35). Vier ältere Reliefs aus dem Kloster Pöhlde wurden nach der Mitte des 15. Jahrhunderts nachträglich in gotischer Minuskel beschriftet (Nr. 49).

In der Mitte des 16. Jahrhunderts finden sich noch vier Inschriften in gotischer Minuskel, zwei Grabdenkmale (Nr. 52, 55) und zwei Bauinschriften in Holz (Nr. 53) und Stein (Nr. 54). Danach folgen nur noch eine Bauinschrift und ein Baudatum aus den Jahren 1578 und 1579 an St. Aegidien in Osterode (Nr. 74, 75) sowie zwei sehr späte Beispiele auf Glocken aus den Jahren 1582 und 1595 (Nr. 80, 107).

Am runden s findet sich häufig ein durch den Buchstaben verlaufender Diagonalstrich (Nr. 22, 23, 34, 37, 39, 43). Hinzuweisen ist außerdem auf die Gestaltung des y mit senkrechtem Linksschaft und einem schrägen rechten Kurzschaft (Nr. 22) sowie auf das symmetrische x mit Mittelbalken (Nr. 23, 38). Kurz nach 1500 begegnet auf Stein wie auf zwei Glocken in Jahreszahlen ein c mit waagerecht umgebrochenem oberen Bogenabschnitt (Nr. 34, 37, 38); die Brechungen am unteren Schaftende sind reduziert. Auf der letzteren Glocke findet sich außerdem ein zweistöckiges z mit Mittelbalken. Das Kasten-a erscheint 1513 in gemalten Inschriften (Nr. 39), das Bogen-r noch später in einem Fall auf einem Grabplattenfragment, das vermutlich aus dem Jahr 1549 stammt (Nr. 52). Auf zwei späten Glocken von 1582 (Nr. 80) und 1595 (Nr. 107) sind die Regeln der gotischen Minuskel aufgeweicht; auf der ersteren findet sich ein langes s auch am Wortende, auf der letzteren fehlen weitgehend die Brechungen an den Schaftenden.

Einen Sonderfall stellen die Inschriften in Bandminuskel dar, die sich seit dem späten 14. Jahrhundert vor allem auf Goldschmiedearbeiten finden. Bei dieser Schriftform werden Brechungen und Quadrangeln durch den Eindruck umgelegter Bänder erzeugt, Balken erscheinen – vor allem am t – wie durch den Schaft gesteckt. Bandminuskeln finden sich auf dem Kelch in Bad Sachsa (Nr. 32), teilweise auch auf dem in Bad Grund (Nr. 33).

8.3. Frühhumanistische Kapitalis

Bei der frühhumanistischen Kapitalis handelt es sich um eine Mischschrift, die mit bewusstem Gestaltungswillen auf das Formenrepertoire mehrerer Majuskelschriften zurückgreift. Die schon durch die verschiedenen Grundformen der Buchstaben erreichte dekorative Formenvielfalt wird [Druckseite 40] durch Nodi und Ausbuchtungen (insbesondere bei H, I und N), Schwellungen und keilförmig verbreiterte Enden an Schäften und Balken gesteigert. In ihrer Idealform wurde diese Schriftart in den niedersächsischen Beständen vor allem für die besonders dekorativen Inschriften der spätgotischen Altäre und Goldschmiedearbeiten vom Ende des 15. bis in das erste Drittel des 16. Jahrhunderts gewählt.

Diese Beobachtung bestätigt sich auch im Altkreis Osterode, wo drei spätgotische Retabel (Nr. 39, 43, 45) überwiegend Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis aufweisen. Weitere Beispiele der Schrift finden sich auf vier Kelchen (Nr. 30, 40, 41, 42), die zwischen 1495 und 1519 bzw. mutmaßlich im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts entstanden sind. Hinzu kommt der nur fotografisch überlieferte Rest einer Zimmervertäfelung aus Walkenried (Nr. 46).

Der früheste datierte Kelch von 1495 (Nr. 30) zeigt die Schrift in einer ausgeprägten Form. Auf dem ältesten von drei Kelchen, die dem Osteroder Goldschmied Tile Lentfert zuzuschreiben sind, gestaltet dieser 1514 die Buchstaben des Titulus INRI noch unter dem Eindruck der Formprinzipien der gotischen Minuskel mit Brechungen (Nr. 40); für die Rotuli-Inschriften auf seinen beiden anderen Kelchen (Nr. 41, 42) gilt dies nicht mehr.

Auf den Retabeln sind nur die wenigen Nimbeninschriften in frühhumanistischer Kapitalis (Nr. 43, 45) unverändert erhalten geblieben. Die zahlreichen Gewandsauminschriften des Retabels in St. Marien in Osterode (Nr. 39) sind dagegen überarbeitet; auch ursprünglich dürften sie aber Buchstaben aufgewiesen haben, die den kapitalen Formen recht nahestanden.

Außer den einleitend genannten Formmerkmalen sind häufig zu beobachten ein A mit Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, epsilonförmige E, retrograde N, spiegelbildlich gestaltete Buchstaben (D und G); die letzteren fehlen am Retabel in St. Marien. Der Mittelteil des M endet häufig weit über der Mittellinie. Auf dem Retabel in Gittelde (Nr. 45) gab es ein byzantinisches M.

8.4. Kapitalis

Die Kapitalis, eine Wiederaufnahme der römischen Monumentalschrift, wird im vorliegenden Bestand ab der Mitte des 16. Jahrhunderts verwendet. Die frühesten datierten Beispiele liegen aus den Jahren 1552 (Nr. 55, neben gotischer Minuskel) und 1561 (Nr. 60) vor. Ab der Mitte der 1560er Jahre ist die Kapitalis dann die vorherrschende Schriftart.

Über die Gemeinsamkeiten hinweg sind Unterschiede gerade bei dieser Schriftart durch die Ausführungstechnik bedingt. Unter den in Stein gehauenen Kapitalisinschriften machen die erhabenen die Mehrheit (22) gegenüber den vertieften (16) aus.

Eine Grundkonstante der erhaben gehauenen Kapitalisinschriften, die sich auf Epitaphien, Grabplatten und Tafeln an Gebäuden finden, ist die keilförmige Verbreiterung der Schaft- und Balkenenden; die Bogenenden sind davon teilweise sehr ausgeprägt betroffen, teilweise aber auch nicht. Die Cauden von R und Q werden häufig variiert und sind zumeist spitz zulaufend. In frühen Beispielen sind die Buchstaben häufiger mit breitem Strich ausgeführt (Nr. 60, 70, 75).

Unter den Grabplatten lassen sich mehrere Gruppen ausmachen. Bemerkenswert sind zunächst die Platten der letzten Grubenhagener Herzöge und ihrer Frauen in St. Aegidien in Osterode. Die beiden früheren von 1567 und 1569 (Nr. 63, 66) zeigen eine mit schmaler Strichstärke ausgeführte Schrift, die in einem Fall (Nr. 63) schräggelegt ist. Die Balken von L und E sind verlängert und spornartig nach oben gezogen, der Mittelbalken des E ist verkürzt. Der Mittelbalken des H ist nach oben ausgebuchtet, C ist weit offen. Auf der Grabplatte der 1586 gestorbenen Herzogin Dorothea (Nr. 88) fallen die dreiecksförmigen Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden auf, die an den Balkenenden schräg abgeschnitten sind. Die Bögen von C und G sind weit ausgezogen. Einzelne Buchstaben zeigen Schmuckformen: weit ausgezogene, am Ende eingerollte Zierhäkchen, die teilweise bis in den benachbarten Buchstaben reichen. Davon nimmt die von einem ausgeprägten Gestaltungswillen bestimmte Schrift auf den Grabplatten der 1595 und 1596 gestorbenen Herzöge Wolfgang (Nr. 109) [Druckseite 41] und Philipp d. J. (Nr. 117) sowie der Herzogin Clara (Nr. 110) Elemente auf und entwickelt sie weiter. Ins Auge fallen vor allem die Verlängerung von Schrägschäften, des Balkens am L und der Cauda des R zu Zierbögen, die über bzw. unter die vorhergehenden oder folgenden Buchstaben reichen. Bei C, S und G setzt an den oberen Bogenenden ein nach hinten gerichteter Zierbogen an. Diese Formen finden sich ähnlich auch auf zwei hölzernen Tafeln im Duderstädter Rathaus aus dem Jahr 1592 (vgl. den Kommentar zu Nr. 109). Einzelne Merkmale der Schrift – vor allem die Zierbögen an S und G – werden etwa gleichzeitig auch auf der Grabplatte des 1591 gestorbenen Hans Georg von Minnigerode in Bartolfelde (Nr. 98) verwendet.

Ähnliche Schmuckformen zeigen wiederum die Inschriften auf den Grabplatten Nr. 160 und 177 sowie dem Epitaph Nr. 161 für zwei 1618 und 1630 jung gestorbene Prinzessinnen in Herzberg. Die Schrift zeichnet sich durch die anschwungartige Verlängerung von Buchstabenelementen aus, die über bzw. unter das Schriftband reichen; das überwiegend offene D ist spiegelbildlich zum G gestaltet, die Bogenenden von S und C sind mit ausgeprägten Zierhäkchen versehen. Ähnliche Formen lassen sich außerdem an dem Fragment einer Grabplatte für eine Frau beobachten, das in St. Jacobi in Osterode gefunden wurde (Nr. 217). Eine weitere Parallele besteht zu den gemalten Inschriften auf der Kanzel von 1608 in St. Marien in Osterode (Nr. 143).

Der Ursprung dieser bemerkenswerten Ausprägung der Kapitalis dürfte jeweils in der Übernahme von Formen schrägliegender Antiqua-Versalien aus dem Buchdruck liegen, wie sie z. B. die Helmstedter Buchdruckerfamilie Lucius verwendete und wie sie sich besonders an den Buchstaben M, N, und P zeigen.93)

Besonderheiten weist auch die vermutlich in der ersten Hälfte der 1590er Jahre angefertigte Platte für den 1551 gestorbenen Herzog Philipp d. Ä. (Nr. 113) auf, deren Schrift sich durch ausgeprägte Serifen sowie eine Linksschrägen- und Bogenverstärkung auszeichnet. Die Mittelachse von O und Q ist zumeist um etwa 45° nach links geneigt, so dass der Eindruck eines linksschrägen Buchstabens entsteht. Bemerkenswert sind die Interpunktionszeichen, die einem kleinen spiegelverkehrten unzialen E entsprechen.

In Walkenried liegen mit der Grablege der späten Honsteiner Grafen einige repräsentative Grabdenkmale vor. Das qualitätsvollste Stück ist die Grabplatte des 1580 gestorbenen vorletzten Grafen Volkmar Wolfgang (Nr. 79). Neben ausgeprägten keilförmigen Verbreiterungen der Schaft- und Bogenenden, die gelegentlich Serifenform annehmen können, fällt besonders die Tendenz zur Verschmelzung von Buchstabenelementen mit den Randleisten auf; benachbarte Schäfte und Bögen rücken sehr nah aneinander. Der am Ende leicht hochgezogene untere Balken von E und L ist verlängert, das R ist innerhalb der am Ideal des Quadrats orientierten Schrift relativ schmal und mit geschwungener Cauda versehen. Das Epitaph der Dorothea Elisabeth von Honstein von 1595 (Nr. 112) fällt demgegenüber zurück. Die Schrift wirkt unruhig und eng gedrängt, was darauf zurückzuführen ist, dass die schmal proportionierten Buchstaben teilweise leicht links- bzw. rechtsgeneigt sind; Wortabstände sind nicht auszumachen. Das obere Bogenende des G ist nach rechts über das untere hinaus verlängert. Erst Grabplatte und Epitaph für die 1607 gestorbene Witwe des letzten Grafen von Honstein, Magdalene von Regenstein-Blankenburg, zeigen bei der Schrift wieder eine erhöhte Qualität. Bemerkenswert auf dem Epitaph (Nr. 140) sind der ausgeprägte Wechsel von Haar- und Schattenstrichen sowie Bogenschwellungen. Der fast vollständig verkürzte mittlere Balken von E und F endet mit einem geschwungenen Sporn, das zweistöckige Z ist mit geschwungenem unteren Bogen versehen. Ähnlich fällt auch die Schrift auf der Grabplatte der Verstorbenen (Nr. 139) aus.

Zeitlich parallel zu diesen vier Grabdenkmalen mit erhabener Schrift gibt es in Walkenried eine Besonderheit: einen nicht unerheblichen Bestand an vertieften Inschriften in Kapitalis. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von fünf Grabplatten aus den Jahren 1584/86 bis 1590, deren einziger Schmuck in der Anordnung und Ausgestaltung der in Versen abgefassten Inschriften besteht. Die auffälligste Besonderheit der mit dünnem Strich gehauenen, insgesamt relativ schmalen Buchstaben sind die in das Zweilinienschema eingeordneten Minuskelbuchstaben b, d und q, deren Form sich an [Druckseite 42] senkrechten (b/d und p/q) bzw. waagerechten Achsen (d/q und b/p) spiegelt. Das X besteht aus zwei abgewandten Bögen, Sonderformen zeigen auch A und M. Alle Merkmale teilen drei Platten (Nr. 85, 86, 89). Auf den späteren Platten mit deutschen Reimversen sind die Minuskelformen reduziert auf das b (Nr. 93) bzw. fehlen ganz; auch die zunächst vorhandenen Serifen verschwinden (Nr. 96). Zwei weitere Platten aus den Jahren 1595 (Nr. 111) und 1596 (Nr. 119) zeigen ebenfalls vertiefte Inschriften, wobei die erstere auf alle Schmuckformen verzichtet. Die letztere Grabplatte, immerhin diejenige für den letzten Grafen von Honstein, trug zwar einen (seit dem 19. Jahrhundert verlorenen) Bronzeeinsatz, die Schrift auf dem Stein lässt aber die Strenge der älteren vermissen. In der Nachfolge dieser Grabplatte stehen drei weitere Platten, die in den Jahren 1600 bis 1602 für den Prior Liborius Hirsch (Nr. 127) und zwei Söhne des Rektors Heinrich Eckstorm (Nr. 132, 134) angefertigt wurden. Die Schrift weist als Merkmal einzelne geschwungene Schäfte, vor allem am X, auf; O und Q sind spitzoval, in einem Fall (Nr. 132) gibt es ein epsilonförmiges E.

Die kunstvoller gestaltete Grabplatte für den 1612 gestorbenen Prior Sebastian Bolemann (Nr. 153) zeigt wieder eine erhabene Schrift mit ausgeprägten keilförmigen Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden. A ist mit einem nach unten geknickten Querbalken versehen. U besteht aus zwei Schäften mit Verbindungsbogen; einmal auch ein unziales U mit einem Anstrich am Bogen. O ist leicht spitzoval.

Eine Grabplatte in Osterode aus dem Jahr 1622 für Jobst von Berckefeldt (Nr. 168) steht in Verbindung zu einer weiter westlich (im Osten des heutigen Landkreises Northeim und Süden des Landkreises Hildesheim) tätigen Werkstatt.94) Die mit breitem Strich gestaltete Schrift zeichnet sich durch senkrecht gestellte Schrägschäfte aus. Der geschwungene untere Balken des Z ist schräggestellt. Die Grabplatte für die 1633 gestorbene Anna Klencke in St. Marien in Osterode (Nr. 179) mit einer unruhigeren, von leicht durchgebogenen Schäften bestimmten Schrift, lässt dagegen eine Verwandtschaft mit einer Platte in Düderode (Lkr. Northeim) erkennen.95) Eine besonders schöne und anspruchsvolle Ausprägung der Kapitalis zeigt schließlich die Grabplatte für die 1639 gestorbene Anna Sabina von Berckefeldt (Nr. 187). Die Buchstaben weisen einen Wechsel von Haar- und Schattenstrich sowie Bogen- und Linksschrägenverstärkung auf. Die spitze Cauda des R ist unter die Linie ausgezogen, ebenso wie die Cauda des G. Bemerkenswert sind das Z mit gebogenem Schrägschaft sowie geschwungenen Balken; beim X ist der linksschräge Schaft geschwungen.

Den erhabenen Kapitalisinschriften mit anspruchsvoller Gestaltung ist schließlich noch ein kurzes ANNO auf einem Türgewände in St. Jacobi in Osterode von 1646 zuzurechnen (Nr. 203). Zu den qualitätsvollen vertieften Inschriften gehört ein Wappenstein aus Osterode aus dem Jahr 1600 (Nr. 125), auf dem sich Verstärkungen an Bögen und Schrägschäften finden.

Die relativ geringe Dichte des Belegmaterials im Altkreis Osterode lässt allgemeinere Aussagen über Einzelfälle bzw. Kleingruppen von Werken in Stein kaum zu. In der Zusammenschau mit den Ergebnissen aus den Nachbarlandkreisen Göttingen und Northeim bestätigt sich folgender Befund: Ende des 16. Jahrhunderts hat sich die Erscheinungsform der erhabenen Kapitalis verfestigt. Die wesentlichen Merkmale sind deutlich ausgeprägt. Charakteristisch sind die schräg abgeschnittenen Enden der verlängerten Balken an L und E, die teilweise am Ende als Sporn nach oben gezogen sind; die Mittelbalken sind (häufig zum Dreieck) reduziert. X und besonders Z lockern häufiger durch gebogene oder geschwungene Elemente die geradlinige Strenge der Kapitalis auf; dasselbe gilt für die Cauden von R und G.

Von den 15 in Holz geschnitzten Inschriften sind nur zwei vertieft geschnitzt, acht sind erhaben und zwei Inschriftenträger zeigen beide Herstellungsarten; drei (auf Särgen) sind vertieft und ursprünglich mit einer hellen Masse ausgelegt gewesen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die vertieften Inschriften wesentlich unprofessioneller ausgeführt sind und Besonderheiten weitgehend vermissen lassen (vgl. bes. Nr. 105 u. 152). Die erhaben geschnitzten nähern sich dagegen dem Formenkanon der Kapitalis an; dennoch ist die Schrift in Holz zumeist (insbesondere an Häusern) schlichter [Druckseite 43] ausgeführt. Die Inschrift auf einem Torbogen von 1635 (Nr. 180) enthält Minuskelbuchstaben (t und l ). Die in schrägliegender Kapitalis ausgeführten Inschriftenreste, vermutlich von einer Orgel aus der Mitte der 1640er Jahre (Nr. 200, 201), orientieren sich an dem Formenkanon der Kapitalis. Ähnliches gilt auch für die nur fragmentarisch erhaltenen vertieften und ausgefüllten Sarginschriften (Nr. 212, 215, 216).

Auf Glocken liegen nur fünf Kapitalisinschriften vor. Die Ausgestaltung der Schrift hängt ganz maßgeblich von dem technischen Können des Gießers ab. So zeigen zwei Glocken (Nr. 170, 172) schlichte Formen aus mit breitem Strich auf die Form aufgesetzten Buchstaben. Qualitätsvoller ist die Ausführung der Schrift auf der von dem Lothringer Wandergießer Thomas Simon hergestellten Glocke in Osterode von 1621 (Nr. 167), die an Besonderheiten ein oben spitzes Z sowie Brechungen an den Balken von A und H aufweist. Die 1646 von Heinrich Borstelmann in Braunschweig gegossene Glocke in Marke (Nr. 202) bietet wenig Bemerkenswertes. Von hoher Qualität ist dagegen das Werk des Hannoveraners Ludolf Siegfried in Eisdorf von 1648 (Nr. 207) mit seiner klaren, distinkten Schrift, der unten nach rechts ausgestellten Cauda des G und einer offenen 4.

Die 16 gravierten Kapitalisinschriften auf Kelchen und anderen Vasa sacra zeichnen sich fast ausnahmslos durch ausgeprägte Serifen oder Sporen aus. Die bei den gravierten Inschriften leichter auszuführenden Schmuckelemente wie Zierhäkchen, konturierte Buchstabenelemente, geschwungene Cauden am R und geschwungene Schrägschäfte am K sind bereits im späten 16. Jahrhundert angelegt (Nr. 108, 175), zeigen sich besonders deutlich aber erst in den Inschriften der 1630er (Nr. 33 C, 181, 185) und 1640er Jahre (Nr. 191, 197, 198, 204). Die drei zuletzt genannten entstammen (zusammen mit dem Deckelpokal Nr. 209) der Werkstatt des Osteroder Goldschmieds Christoph Uder, der besondere Schmuckformen (über den Schaft hinaus verlängerte Balken und Bögen, Anstriche, Zierschleifen und eine nach links zurückgebogene Cauda des G ) verwendete.

Bei den elf gemalten Inschriften in Kapitalis machen sich vielfach die Folgen von Restaurierungen bemerkbar (Nr. 73, 106, 131). Bei den besser erhaltenen Inschriften – an der Kanzel in Uehrde von 1591 (Nr. 100), dem Abendmahlsbild in Badenhausen von 1598 (Nr. 122), einer Emporenbrüstung in Tettenborn (Nr. 147) sowie auf einer Truhe in Osterode von 1620 (Nr. 166) – sind ausgeprägte serifenartige Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden, teilweise auch der Wechsel von Haar- und Schattenstrichen zu konstatieren. Auch die oben dargelegten Charakteristika von E, L und K finden sich. Dies gilt auch für die einzige erhaltene Glasmalerei des Bestandes in Tettenborn aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts (Nr. 174). Die möglicherweise stark überarbeitete Kanzel in St. Marien von 1608 (Nr. 143) weist dagegen Eigentümlichkeiten – Anstriche am Mittelteil des M und den oberen Bogenenden von C und S – auf, die sich sonst in Steininschriften feststellen lassen.

8.5. Minuskeln und Fraktur

Auch in der Zeit der Dominanz der Kapitalis gab es Inschriften, in denen einzelne oder mehrere Minuskelbuchstaben verwendet wurden. Einige Inschriften sind vollkommen oder überwiegend in Minuskeln ausgeführt. Die Buchstaben zeigen häufig wenig Spezifika, anhand derer man sie bestimmten Minuskelschriften zuordnen könnte.

Nach vier frühen Beispielen aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, zwei geritzten Herstellervermerken auf Kelchen (Nr. 40, 41)96) und zwei kleinen, gemalten Spruchbändern auf Gemälden an den Außenseiten von Altarretabeln (Nr. 39, 43), liegen weitere Beispiele ab den 1570er Jahren bis zum Ende des Erfassungszeitraums vor. Von den 22 verbleibenden Inschriften lässt sich die Hälfte der Fraktur zuordnen. Die übrigen elf zeigen ebenfalls Versalien, im Einzelfall auch Ansätze zu Brechungen (Nr. 95, 105, 204), ohne dass damit die Charakteristika der Fraktur erfüllt wären. Eine Tendenz zu Frakturformen zeigt die Rahmeninschrift auf dem Luther-Bildnis in Bad Grund aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (Nr. 214). Die Buchstaben entlehnen sonst Formen der Antiqua des Buchdrucks [Druckseite 44] mit runden Bögen und ohne Brechung endenden Schäften (vgl. bes. Nr. 122). Für eine reiner ausgeprägte humanistische Minuskel fehlt es an dem notwendigen Stilwillen. Auch die Inschriften auf dem Epitaph für Ernst VII. von Honstein aus dem Jahr 1602 (Nr. 135) weisen neben runden Formen an c, d, e und rundem s Buchstaben mit Brechungen (i, m, n, p, r) auf. Eine dieser Schrift ähnliche, schrägliegende Form wurde auf dem Epitaph für Prinzessin Magdalena von Braunschweig-Lüneburg in Herzberg von 1618 verwendet (Nr. 161). Die klarste Form der Übernahme von Antiquabuchstaben stellt die kurze Bibelstellenangabe auf der Grabplatte für Anna Sabina von Berckefeldt von 1639 dar (Nr. 187), die ansonsten eine sehr klare, gleichfalls formbewusste Kapitalis aufweist; das Bibelzitat selbst ist in Fraktur ausgeführt.

Charakteristisch für die Fraktur, die Prinzipien der gotischen Minuskel wie Brechungen weiterführt, sind Schwellzüge und Schwellschäfte sowie spitzovale Grundformen der geschlossenen Bögen, a ist in der Regel einstöckig ausgeführt. Die Schäfte von f und Schaft-s reichen deutlich unter die Grundlinie, die Oberlängen sind häufig in Zierschleifen ausgezogen. Den Schrifteindruck der Fraktur prägen daneben vor allem die in Einzelelemente und Schwellzüge aufgelösten Versalien. Dafür liegen im Bestand elf (gemalte) Beispiele vor. Zum ersten Mal wurde die Fraktur 1573 auf dem Epitaph für Herzog Philipp d. Ä. (Nr. 72) verwendet (überliefert als Kupferstich), dann auf dem Retabel in Walkenried von 1577 (Nr. 73). Voll ausgeprägt sind die Formen auf dem Retabel in Bad Sachsa von 1595 (Nr. 106) – das als einziges auch hebräische Buchstaben (für den Gottesnamen) aufweist – sowie auf den Epitaphien für Heinrich Hattorf (Nr. 156) und Andreas Cludius (Nr. 171).

Die Fraktur wird ausschließlich für deutschsprachige Inschriften verwendet. Ganze Inschriften oder einzelne Wörter in Latein werden auf denselben Objekten in Kapitalis wiedergegeben. Bemerkenswert ist die im Dialog gemäß der Sprechrichtung spiegelverkehrt gemalte Inschrift auf dem Retabel in Sieber (Nr. 220).

Der Erstbeleg für arabische Ziffern liegt in dem kleinen Bestand erst 1550 in einer Hausinschrift (Nr. 53) vor. Auch die übrigen Hausinschriften sind, mit zwei Ausnahmen, mit arabischen Ziffern gestaltet. Bei den Ausnahmen handelt es sich um ein Chronogramm (Nr. 138) und eine nur unsicher überlieferte Inschrift (Nr. 158).

Zitationshinweis:

DI 105, Altkreis Osterode, Einleitung, 8. Schriftarten (Jörg H. Lampe), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021e003.

  1. Zu den Charakteristika der einzelnen Schriftarten vgl. Deutsche Inschriften. Terminologie zur Schriftbeschreibung, Wiesbaden 1999. »
  2. Vgl. DI 96 (Lkr. Northeim), S. 51f. »
  3. Erstbeleg DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 9 (1342). »
  4. Auch in anderen Beständen der Region ist abseits der größeren Städte ein eher spätes Einsetzen dieser Schriftart zu beobachten. In den Landkreisen Hildesheim und Northeim liegen die frühesten Beispiele aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts vor: DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 12; DI 96 (Lkr. Northeim, Nr. 20 u. 21). »
  5. Vgl. z. B. Eckstorm, Chronicon (1617). »
  6. Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim), Nr. 338; DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 251 u. 254»
  7. Vgl. DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 309»
  8. Auf den beiden Kelchen finden sich auch die einzigen Beispiele für das aus Handschriften übernommene cc-a»