Die Inschriften des Altkreises Osterode

7. Die Sprache der Inschriften

Von den 221 Katalognummern sind 91 in deutscher und 83 in lateinischer Sprache verfasst. Auf 14 inschriftentragenden Objekten sind deutsche und lateinische Texte kombiniert. Namen, Zahlen, durch Einzelbuchstaben abgekürzte Inschriften sowie Kreuzestituli bleiben in dieser Zählung ebenso unberücksichtigt wie Anno domini, das sprachlich neutral verwendet wird.

Der relativ hohe Anteil lateinischer Inschriften, der noch ausgeprägter auch im Nachbarlandkreis Northeim festgestellt wurde,85) dürfte vor allem auf den Einfluss von Gelehrten im Umkreis der in Walkenried 1559 eingerichteten Schule zurückzuführen sein. Es wäre jedoch verfehlt, aus der relativ starken Präsenz des Lateinischen zu schließen, dass der Sprachwechsel, der normalerweise um die Mitte des 16. Jahrhunderts dem Deutschen eine Vorrangstellung verschaffte,86) nicht stattgefunden hätte. Vielmehr ist es offenbar dem Zufall der Überlieferung, vor allem aber drei großen Gruppen der Grabschriften (dazu s. u.) geschuldet, dass dieser Sprachwechsel im vorliegenden Bestand erst im 17. Jahrhundert klarer zu fassen ist.

Bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist der Vorrang des Lateinischen ungeschmälert; 35 Inschriften in Latein stehen sieben (zumeist sehr kurze) in Deutsch sowie zwei Objekte mit Inschriften in beiden Sprachen gegenüber. Dieser Vorrang gilt für alle Arten inschriftentragender Objekte: [Druckseite 36] Glocken, Kirchenausstattung, Denkmale des Totengedächtnisses, Vasa sacra; viele von ihnen gehören in liturgische Zusammenhänge. Die früheste deutschsprachige Inschrift aus dem Altkreis Osterode findet sich auf einem Bild mit Christus in der Vorhölle, das um 1420 als Außenbild eines Altarretabels entstanden ist (Nr. 22).87) Sie wurde dort angebracht, weil die Texte einem Osterspiel entnommen wurden, in dem es neben lateinischen auch deutschsprachige Passagen gab. Hier ist es der niederdeutsche Hilferuf eines Teufels: owe tho iodvthe.

Das erste datierte niederdeutsche Wort findet sich auf einer Glocke aus dem Jahr 1487 (Nr. 27). Es handelt sich dabei um die Selbstbezeichnung des Gießers als mester. Mehrmals kommt außerdem die stereotype, in ihrer hochdeutschen Form feststehende Anrufung got hilf bzw. hilf got vor: auf zwei Kelchen (Nr. 32, 48) und auf einer Glocke von 1513 (Nr. 38), auf der der zur Zeit des Gusses amtierende Pastor einerseits lateinisch als plebanus, andererseits aber mit dem deutschen Titel er (für „Herr“) bezeichnet wird. In einer Bauinschrift, entstanden um 1502 in Wulften, wird die Ehefrau des Stifters als anna si(ne) frauwe bezeichnet (Nr. 35). Auf drei der 15 Figuren des bald nach 1513 entstandenen Altarretabels von St. Marien in Osterode (Nr. 39) sind die Gewandsauminschriften mit Anrufungen der heiligen Anna und zweier Apostel auf Deutsch formuliert, alle übrigen sind lateinisch.

Beginnend mit einer Hausinschrift aus der Zeit nach 1545 in Osterode (Nr. 50) löst das Deutsche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Lateinische insgesamt in seiner Vorrangstellung ab. Es finden sich jetzt deutsche Inschriften auf allen Arten von Inschriftenträgern: auf einer Wappentafel am Schloss in Osterode von 1561 (Nr. 60), in Bauinschriften an Kirchen von 1578 (Nr. 74) und 1593 (Nr. 101, 102), auf Glocken von 1591 (Nr. 99) und 1595 (Nr. 107). 1568 hat selbst ein Pastor eine Stiftung mit einer deutschsprachigen Inschrift dokumentiert (Nr. 64). Wegen der sehr wenigen Hausinschriften (Kap. 6.7) ist außerdem nur noch ein Haus mit überwiegend deutschen Inschriften aus dem Jahr 1594 in Herzberg (Nr. 105) zu nennen. Später fällt auf, dass Stifterinschriften und Funktionszuschreibungen im kirchlichen Zusammenhang wieder lateinisch ausgedrückt werden, die Bibel dagegen (auch auf demselben Objekt) deutsch zitiert wird, wie auf dem Retabel von 1577 in Walkenried (Nr. 73). Auch eine Glocke von 1582 in dem früheren Kloster trägt eine lateinische Inschrift (Nr. 80). Auf dem Taufständer von 1589 in Osterode (Nr. 95) finden sich lateinische Bibelzitate, während die vier Evangelisten in ihre Bücher deutsch schreiben. Auf der Kanzel in Uehrde (Nr. 100) stehen dagegen nur deutschsprachige Bibelzitate. Insgesamt gibt es zwischen 1545 und 1600 25 Objekte mit lateinischen, 40 mit deutschen und fünf mit gemischtsprachigen Inschriften.

Bemerkenswert ist die Sprachverteilung bei den Inschriften auf den Denkmalen des Totengedächtnisses (Grabplatten, Epitaphien, Särge). Von 73 Objekten aus den Jahren 1549 bis 1650 sind 32 in lateinischer und 41 in deutscher Sprache beschriftet.

Bei den fürstlichen Grabdenkmalen in Osterode dominiert noch das Lateinische; nur eine Grabplatte für eine Frau (Nr. 88) ist deutsch beschriftet, die übrigen sind lateinisch, darunter auch zwei für Frauen (Nr. 66, 110, letztere mit deutscher Devise). Bei den Kindergrabmalen der Celler Linie in Herzberg stehen zwei lateinische Epitaphien (Nr. 161, 177) einer deutsch beschrifteten Grabplatte (Nr. 160) gegenüber. Anders sieht es bei der Grablege der Honsteiner Grafen in Walkenried aus, wo die lateinische Sprache auf sechs Grabdenkmalen Verwendung findet (darunter nur eins für eine Frau: Nr. 86), wohingegen 14 Denkmale mit deutschsprachigen Inschriften versehen wurden. Bei den letzteren handelt es sich mehrheitlich um solche für weibliche Personen, allerdings sind auch der Sarg (Nr. 103), die Grababdeckung (Nr. 104) und die Grabplatte (Nr. 119) des Grafen Ernst VII. deutsch beschriftet; nur sein Epitaph (Nr. 135) ist mit lateinischen Texten versehen. Die deutsche Sprache kommt auch hier vor allem durch Bibelzitate zum Zug. Die eine lateinisch beschriftete Grabplatte für eine Frau (Nr. 86) fällt nicht zufällig in die Zeit, in der der gelehrte Lorenz Rhodomann (1546–1606) Schulrektor in Walkenried war und anspruchsvolle lateinische Versgrabschriften verfasste (außerdem Nr. 85 u. 89).

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Grabdenkmale für die studierten Walkenrieder Prioren und Rektoren sowie ihre Angehörigen bilden dann auch die größte Gruppe von elf in Latein beschrifteten Grabdenkmalen. Auf der Grabplatte für den Rektor und Prior Heinrich Eckstorm (Nr. 169), der im Kloster eine Wand mit lateinischen und griechischen Texten hatte versehen lassen (Nr. 118), wird das Griechische auch für ein abgewandeltes Bibelzitat verwendet. Hintergrund für diese Form der Selbstdarstellung waren die reformatorischen Bildungsbemühungen, die vor allem durch Philipp Melanchthon betrieben worden waren.

Bei den Grabdenkmalen des Landadels (14 Fälle ab Nr. 52) und der Bürger (acht Beispiele ab Nr. 58) überwiegt die deutsche Sprache deutlich. Zu Beginn der frühneuzeitlichen Periode hat ein Adeliger, Bernhard von Tettenborn, neben einer deutsch beschrifteten Grabplatte (Nr. 52) einen lateinisch beschrifteten Totenschild (Nr. 51) erhalten. An lateinischen Grabschriften liegen sonst nur zwei unvollständig überlieferte für Frauen von 1564 (Nr. 61) und aus der Mitte des 17. Jahrhunderts vor (Nr. 217). Außerdem erhielten nur zwei Osteroder Ratsmitglieder (Nr. 123) und der gelehrte Jurist Andreas Cludius lateinische Grabschriften (Nr. 171); das Epitaph des Letzteren trägt zudem zwei deutschsprachige Bibelzitate. Am Ende des in diesem Band abgedeckten Zeitraums kommen noch drei bruchstückhaft erhaltene Särge mit lateinischer (Nr. 212) und deutscher (Nr. 215, 216) Beschriftung hinzu.

Nach 1600 kommt das Lateinische vor allem im kirchlichen Zusammenhang vor, so als Inschrift an einem Pfarrhaus (Nr. 138), auf einem Pastorenbildnis (Nr. 188) und auf zwei Glocken von 1613 und 1646 (Nr. 155, 202), während andere Glocken, darunter auch eine große in Osterode (Nr. 167), deutschsprachige Inschriften aufweisen. Eine Weinkanne in Osterode von 1644 (Nr. 198) ist lateinisch, eine parallel angefertigte Oblatendose (Nr. 197) lateinisch und deutsch (darunter ein Bibelzitat) beschriftet. Die (kurze) lateinische Inschrift am Haus des Andreas Cludius (Nr. 158) ist wiederum Ausdruck seines Bildungsstandes.

Niederdeutsche Inschriften finden sich bis in die Jahre zwischen 1545 und 1550 in zwei Hausinschriften (Nr. 50, 53) und auf einem Grabplattenfragment (Nr. 52). Schon die durch Abzeichnung überlieferte Grabplatte des Grafen Ernst von Honstein von 1552 (Nr. 55) ist dagegen hochdeutsch beschriftet; dies gilt auch für die sich zeitlich anschließenden Objekte aller Genres mit deutschsprachigen Inschriften, wie die Wappentafel vom Schloss in Osterode von 1561 (Nr. 60) oder die Bauinschrift am Turm von St. Aegidien in Osterode von 1578 (Nr. 74). Anders als in anderen südniedersächsischen Beständen blieb das Niederdeutsche damit im Altkreis nicht neben dem Hochdeutschen bis zum Ende des Erfassungszeitraums präsent, was auch mit dem Mangel an Hausinschriften (Kap. 6.7) zusammenhängen dürfte, die das Niederdeutsche, zumindest in feststehenden Formeln, häufig länger bewahrten.88)

Eine Besonderheit stellt der 1595 in Dänemark volkssprachlich beschriftete Kelch (Nr. 108) dar, der vermutlich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges nach Gittelde gekommen ist.

Zitationshinweis:

DI 105, Altkreis Osterode, Einleitung, 7. Die Sprache der Inschriften (Jörg H. Lampe), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021e003.

  1. Vgl. DI 96 (Lkr. Northeim), S. 50»
  2. Vgl. DI 66 (Lkr. Göttingen), S. 24. DI 83 (Lkr. Holzminden), S. 33. DI 88 (Lkr. Hildesheim), S. 36»
  3. Das Fehlen einer früheren Inschrift weltlichen Ursprungs, wie der Bauinschrift am Muthaus in Hardegsen von 1324 [vgl. DI 96 (Lkr. Northeim), Nr. 14], ist eine Erklärung für das späte Vorkommen einer deutschsprachigen Inschrift. »
  4. Vgl. DI 83 (Lkr. Holzminden), S. 34. DI 96 (Lkr. Northeim), S. 51»