Die Inschriften der Stadt Xanten

5. Die Schriftformen

5.1. Ältere Majuskelschriften (Kapitalis, romanische und gotische Majuskel)

Grundlage der epigraphischen Großbuchstabenschriften im europäischen Raum ist die antik-römische Kapitalis, eine Monumentalschrift, deren Erscheinungsbild durch harmonische Proportionen der Buchstaben, Schaft- und Bogenverstärkungen, den Wechsel von feinen Haar- und breiteren Schattenstrichen und die Verwendung von Serifen für die Gestaltung der Balken- und [Druckseite 56] Schaftenden geprägt ist.220) Bis ins Hochmittelalter hinein basieren die Inschriften ganz überwiegend auf der römischen Kapitalis, erreichen aber selten ihr Niveau.

Die älteste Inschrift im vorliegenden Band ist in den Grabstein des Batimodus eingehauen (Nr. 1), der genau genommen noch der Spätantike angehört, aber wegen seiner Bedeutung als frühester schriftlicher Beleg für die Verbreitung des Christentums im Xantener Raum Aufnahme in den Inschriftenkatalog gefunden hat. Die Datierung des Steins ins frühe 5. Jahrhundert basiert auf dem archäologischen Befund und wird durch die Schrift bestätigt: Die zeilenweise angeordnete Inschrift besteht aus Kapitalisbuchstaben, die überwiegend der Grundlinie folgen, allerdings unterschiedliche Breite und Höhe haben und teilweise leicht nach links geneigt sind. Auch zahlreiche Details wie die geraden Cauden von R und Q, das sehr schmale E und die offenen Bögen bei R entsprechen nicht dem antiken Vorbild. Andererseits sind Schaftverlängerungen und eckige Sonderformen, wie sie in merowingischer Zeit vorkommen,221) nicht zu beobachten.

Die karolingische Renaissance des 9. Jahrhunderts belebte das Schriftideal der römischen Kapitalis neu.222) Zwar reichten nur wenige herausragende Inschriften an dieses Vorbild heran; dennoch wirkte die Kapitalis noch im 11. Jahrhundert nach, auch wenn sich die epigraphische Schrift zunehmend von ihrem Formenideal entfernte. Diese Entwicklung ist auch an den Xantener Inschriften nachvollziehbar. Der Bestand enthält drei Inschriftenträger des 11. Jahrhunderts, deren Schrift im Hinblick auf die Buchstabenformen und die stilistische Ausgestaltung noch der Kapitalis zugeordnet werden kann (Nr. 79).223) Von bemerkenswert hoher Qualität ist die Schrift auf dem Memorienstein für den Subdiakon Hubertus (Nr. 8), die mit überwiegend ausgewogenen Proportionen, vereinzelten Serifen sowie Linksschrägenverstärkungen offensichtlich am karolingischen Ideal orientiert ist. Ungeschickter verteilt und mit annähernd gleichbleibender, dünner Strichstärke ausgeführt ist die Schrift auf dem Memorienstein für den Laien Volcart (Nr. 7). Typische Stilelemente hochrangiger karolingischer Inschriften fehlen: Bei V ist statt des linksschrägen der rechtsschräge Schaft verstärkt, das O ist abgeflacht und mit senkrechter Schattenachse ausgeführt. Die qualitative Spannbreite hochmittelalterlicher Kapitalisschriften zeigt ein Vergleich der ersten beiden Beispiele mit einem etwa zeitgleich entstandenen Grabsteinfragment (Nr. 9). Dort schwankt die Buchstabenhöhe erheblich, die Zeile fällt nach rechts deutlich ab und die Buchstaben reichen in den begrenzenden Rahmen hinein. Die Bögen sind unharmonisch und flach ausgeführt; schmales C und S stehen sehr breiten A, R und V gegenüber.

Ab dem 11. Jahrhundert wurden in steigendem Maße neue, meist runde, zuweilen aber auch eckige Buchstabenformen in die epigraphische Schrift aufgenommen. Im Zusammenwirken mit einer flächigeren Gestaltung der Buchstabenkörper, mit Buchstabenverbindungen (Nexus litterarum), Buchstabeneinstellungen (Enklaven), Verschränkungen und der Verwendung kleinerer Buchstaben entwickelte sich daraus ein Schriftbild, dessen Besonderheit das breite Spektrum gestalterischer Möglichkeiten ist. Diese so genannte romanische Majuskel und die karolingische Kapitalis wurden phasenweise parallel verwendet, ebenso wie die romanische und die jüngere so genannte gotische Majuskel. Tatsächlich sind die Grenzen zwischen den Schriftarten in vielen Fällen unscharf und nur schwer zu ziehen.

Einen aufschlussreichen Vergleich ermöglichen in dieser Hinsicht zwei Steine, die beide – mit unterschiedlichen Begründungen – ins zweite bis dritte Viertel des 11. Jahrhunderts datiert werden. Die Schrift des sog. Palmettensteins, eines Grabsteinfragments, von dem nur wenige Buchstaben erhalten sind (Nr. 5), ist hinsichtlich der recht sorgfältigen Ausführung, der Strichstärke, des T mit breitem Balken und des in C eingestellten A vergleichbar mit dem Grabstein für einen Engilbraht (Nr. 4). Beide Inschriften haben auch das gräzisierende M mit parallelen Außenschäften und kurzem Mittelteil. Die Engilbraht-Inschrift bietet darüber hinaus aber unziales E und rundes T sowie eine Vielzahl von Enklaven, untergestellten oder verschränkten Buchstaben. Sie zeigt erste Tendenzen zu einer Flächigkeit der Buchstaben und ist mit diesen fortschrittlichen Elementen ein Beispiel für die Entwicklung der epigraphischen Schrift von der Kapitalis zur romanischen [Druckseite 57] Majuskel. Ob auch der Palmettenstein vergleichbare Merkmale aufwies, kann anhand der wenigen erhaltenen Buchstaben letztendlich nicht mehr beurteilt werden.224)

Der Grabstein für Engilbraht ist das einzige original erhaltene Beispiel für eine in Stein gehauene romanische Majuskel in Xanten. Die übrigen Xantener Objekte mit Inschriften in romanischer Majuskel entstanden (mit einer Ausnahme) im 12. Jahrhundert, als der Schatz der St. Viktorkirche um mehrere wertvolle Reliquiare vermehrt wurde. Das Kreuzfußreliquiar (Nr. 11) ist aus Bronze gegossen und vergoldet, der Viktorschrein (Nr. 12), der Tragaltar (Nr. 13) und das ovale Reliquienkästchen (Nr. 14) bestehen aus Kupfer oder vergoldetem Silberblech über einem Holzkern. Sie alle tragen gravierte oder emaillierte Inschriften, deren Buchstabenhöhe nicht – wie bei den Steininschriften – mehrere Zentimeter, sondern nur wenige Millimeter beträgt. Die kleineren Dimensionen, die Materialbeschaffenheit und die technische Ausführung der Inschriften müssen bei der Beurteilung der Buchstabenproportionen und der stilistischen Gestaltung berücksichtigt werden. So erklärt sich die flächige Gestaltung der emaillierten Inschriften des Tragaltares (Nr. 13) bereits aus der verwendeten Emailtechnik und wird durch die sehr geringe Buchstabenhöhe noch betont. Hinzu kommen aber Bogenschwellungen, keilförmige Schaftverbreiterungen und ausgeprägte Sporen in Form rechtwinklig angesetzter Striche, die den flächigen Eindruck der Schrift verstärken. Dadurch kommen sich die Bogenenden bei C oder unzialem E in einigen Fällen schon recht nahe, ein Abschlussstrich, wie er bei der gotischen Majuskel üblich ist, ist allerdings nicht sichtbar. Bei A, E und M wird zwischen der kapitalen und der unzialen Form gewechselt, wobei für M zwei verschiedene Variationen des Unzialbuchstabens verwendet werden. Auch Q wird in zwei verschiedenen Formen gebraucht. Bemerkenswert ist hier die Kennzeichnung der Versanfänge durch Kreuzchen.

Die Inschriften des Viktorschreins (Nr. 12) entstammen überwiegend dem Kapitalisalphabet. Sowohl die in Treibarbeit angefertigten Namensbeischriften zu den Aposteln an den Langseiten als auch die in Grubenschmelz gearbeiteten Versinschriften am Dach weisen aber auch (offenes) unziales E, vorne geschlossenes unziales M und eingerolltes G auf. Die Emailinschriften haben zudem das symmetrische unziale M sowie das unziale U. Sie wirken nicht nur durch die größere Formenvielfalt moderner als die getriebenen Inschriften, sondern auch durch stilistische Elemente: Bogenschwellungen (auch bei der Cauda des R), fein auslaufende und am Ende umgebogene Bögen beim symmetrischen unzialen M und an der Cauda des R, eine größere Flächigkeit durch keilförmig verbreiterte Schäfte, Balken und Bögen. Neben Punkten als Worttrennern werden als Verstrenner zwei nebeneinander gesetzte Punkte über einem mittig darunter gesetzten Komma verwendet.225) Einen ähnlichen Stand der Schriftentwicklung zeigen die gravierten Inschriften des Kreuzfußreliquiars (des sog. Kleinen Viktorschreins, Nr. 11): Zu den jeweiligen kapitalen Formen kommen das offene unziale E, das vorne geschlossene unziale M und das runde T mit geschwungenem Balken hinzu. Eine bemerkenswerte Sonderform ist die nur einmalig verwendete Variante des unzialen A: Am oberen Ende des senkrecht gestellten rechten Schaftes setzt der geschwungene linke Schaft an, der Mittelbalken ist leicht nach unten gebogen. Die Schaft-, Balken- und Bogenenden sind zu dreieckigen Sporen ausgeformt, was der Schrift im Zusammenwirken mit einer stellenweise breiten Strichführung eine gewisse Behäbigkeit verleiht. Eine Tendenz zum Abschluss der Buchstaben ist nicht erkennbar.

Die Inschriften des ovalen Reliquienkästchens (Nr. 14) sind in Kontur graviert und weisen daher ebenfalls eine deutliche Flächigkeit auf. Eine keilförmige Verbreiterung der Schäfte zu den Enden hin ist besonders bei N und V erkennbar. Ausgeprägte Sporen an den Schaft-, Balken- und Bogenenden sind vorhanden, nicht jedoch ein Abschlussstrich. Eine Verwendung zweier verschiedener Formen ist nur für das E festzustellen, das in einem Fall unzial (mit verkürztem mittleren Balken) ausgeführt ist. A kommt ausschließlich leicht trapezförmig mit Deckbalken, M nur in der vorn geschlossenen unzialen Form vor. Die Worttrennung erfolgt durch kleine gravierte Kreise. Die Schriftausführung ist nicht überall gelungen: Die Abstände zwischen den Buchstaben, ihre Höhe und die Zeile schwanken leicht.

Eine Sonderstellung innerhalb des Bestandes nimmt die so genannte Sapientia-Schale ein, eine runde, flache Schale mit einem umfangreichen Text-Bild-Programm (Nr. 15). Die mit zahlreichen Fehlern im Text behafteten Inschriften sind mit fast zeichnerischer Nachlässigkeit graviert und an vielen Stellen ungeschickt verteilt. Die Schrift ist mit Ausnahme des durchgängig [Druckseite 58] unzialen E und des leicht eingerollten G rein kapital bestimmt, weist aber dennoch vielfältige Varianten eines (kapitalen) Buchstabens auf. Spitzes und trapezförmiges A mit geradem oder gewelltem Deckbalken wechseln sich ab. R hat eine gerade, gebogene oder geschwungene Cauda, die am Schaft oder am Bogen ansetzt und diesen berührt oder auch nicht. S ist oft aus zwei gegenläufigen, ineinander geschobenen Bögen gebildet, die sich nicht berühren. Auch Wechsel zwischen Haar- und Schattenstrichen sind erkennbar, finden aber nicht immer an den richtigen Stellen statt. Im Unterschied zu den zuvor vorgestellten Objekten, die im Kontext der Messfeier bzw. der Reliquienverehrung entstanden, scheint die korrekte Ausführung der Schrift bei der Sapientia-Schale eine nachrangige Rolle gespielt zu haben.

Das späteste Beispiel für eine Inschrift in romanischer Majuskel im Xantener Inschriftenbestand war Teil einer nach 1228 ausgeführten, heute verlorenen Wandmalerei in der Dionysiuskapelle (Nr. 16). Die Schrift ist rein kapital geprägt, die Proportion der Buchstaben eher schmal. Es sind nur schwache Tendenzen zur Flächigkeit in Form von Bogenschwellungen und Sporen an den Bogenenden erkennbar. Das Beispiel belegt, dass gemalte Inschriften durchaus nicht, wie aufgrund ihrer Nähe zur Auszeichnungsschrift in den Codices lange angenommen, Vorreiter der epigraphischen Schriftentwicklung sein müssen, sondern sogar ausgesprochen konservative Züge tragen können.

Die inschriftliche Überlieferung in Xanten ist für die hochmittelalterliche Zeit also gering. Aus dem 11. Jahrhundert sind nur vier in Stein gehauene Inschriften des Totengedenkens erhalten, aus dem 12. Jahrhundert vier Reliquiare, dazu eine Schale. Wenn auch in sehr begrenztem Maße Vergleiche der Stücke untereinander möglich sind – gerade bei den vermutlich vor Ort entstandenen Inschriften auf Memorien- und Grabsteinen –, so kann der Beitrag des Xantener Inschriftenbestandes zur Entwicklung der epigraphischen Schrift von der Kapitalis zur romanischen Majuskel und weiter zur gotischen Majuskel nicht groß sein. Für das 13. Jahrhundert sind gar nur zwei Objekte mit (gemalten) Inschriften erhalten, von denen das eine, die bereits erwähnte Wandmalerei in der Dionysiuskapelle (Nr. 16), ungewöhnlich konservative Schrift trug, das andere, die Skulptur des Verkündigungsengels im Hochchor (Nr. 18), übermalt ist. Erst für das 14. Jahrhundert ist die Überlieferung etwas umfangreicher, sie umfasst einen kleinen Bestand von acht Inschriftenträgern mit gotischer Majuskel.226) Im Einzelnen handelt es sich um einen Grabstein, eine Glocke, die Silbermanschette an einer Tragestange für Vortragekreuze, ein Ziborium, eine Stola mit Manipel sowie drei Glasgemälde.

Mit der gotischen Majuskel wird die Loslösung vom Vorbild der antiken Kapitalis fortgesetzt und die epigraphische Schrift zu einem neuen Form- und Stilempfinden weiterentwickelt.227) Das drückt sich im höheren Anteil runder Formen bei reduzierter Formenvielfalt sowie durch eine gesteigerte Flächigkeit und Spannung der Buchstaben aus, die durch Bogenschwellungen, keilförmige Verbreiterungen der Schaft- und Balkenenden und die Verlängerung der Sporen ggf. bis zum Abschluss der Buchstaben (vor allem bei C, E, M, N oder U) erreicht wird. Diese Charakteristika sind im Xantener Inschriftenbestand des 14. Jahrhunderts unterschiedlich ausgeprägt. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die unzialen Formen bei E und H durchgesetzt haben. Auch das N ist meist rund, wobei der Bogen fast durchgängig am freien Ende nach rechts umgebogen ist. G ist eingerollt, A wird entweder pseudounzial oder trapezförmig mit Deckbalken gestaltet. In der Zusammensetzung der Formen und in der stilistischen Ausführung sind allerdings Unterschiede ersichtlich, die auch das Niveau der jeweiligen Inschrift widerspiegeln.

Dass der Graveur der Stifterinschrift auf der Tragestange für Vortragekreuze (Nr. 21) Schwierigkeiten bei der Anbringung der Inschrift hatte, manifestiert sich bereits in der schwankenden Buchstabenhöhe, den Abweichungen der Schrift von der Grundlinie und der teils ungelenken Ausführung der Buchstaben. Die runden Formen beschränken sich hier auf E und H, auch das in den übrigen Inschriften rund ausgeführte N ist hier kapital. In diesem Punkt unterscheidet sich die Inschrift von einem Vergleichsstück, der Umschrift auf dem Thesaurarsiegel des Stifters, die möglicherweise als Vorlage diente oder aus derselben Werkstatt stammt. Auch bei der mit kräftigen Schäften und Bogenschwellungen ausgeführten Grabbezeugung für den Priester Peter von Wederich (Nr. 22) sind erhebliche Schwankungen der Buchstabenhöhe zu beobachten. Auffällig sind das D mit sehr kurzem Schaft und von diesem ausgehenden, waagerecht verlaufenden Bogenenden, [Druckseite 59] W aus zwei ligierten V mit gemeinsamem Rechtsschrägschaft sowie A mit parallelen Schäften und Deckbalken. Gegen Ende werden die Buchstaben zunehmend ungelenk, die Bögen eckiger. Dass ursprünglich die Ausführung der Inschrift als flächige Konturschrift mit dem systematischen Wechsel zwischen Haar- und Schattenstrichen geplant war, zeigt eine Vorzeichnung der ersten Zeile, die auf demselben Stein auf dem Kopf stehend erhalten ist.

Sehr viel qualitätvoller ist die Ausführung der gestickten Inschriften auf einer (verlorenen) Stola (Nr. 24). Das eingerollte G, unziales E, pseudounziales A, offenes R und rundes T sind wohlproportioniert. Die Bögen, die Cauda des R, der Schrägschaft des A und der geschwungene Balken des T tragen Schwellungen, die mit feinstrichigen Balken (bei A), Bogenenden und Abschlussstrichen (bei E) kontrastieren. Ein hohes Niveau weist auch die mit Hilfe von Modeln hergestellte Inschrift der Katharina-Glocke (Nr. 23) auf. Für sie wurde mit unzialen E, H und U, pseudounzialem A, runden N und T sowie eingerolltem G die ganze Palette runder Buchstabenformen verwendet,228) C, E und U sind abgeschlossen. Die Bögen tragen deutliche Schwellungen, ebenso der linke Schrägschaft des A und die senkrecht verlaufende Cauda des R. Die unteren Bogenenden von H, N und R sind nach rechts umgebogen und laufen in einem feinen Zierbogen aus. Bemerkenswert ist zudem die Verlängerung des I durch einen Zierstrich bis unter die Grundlinie. Buchstabenformen und -größe haben zusammen mit Dreipunktstäben als charakteristischen Worttrennern eine Zuordnung der Glocke zur Werkstatt des Kölner Gießers Heinrich von Oedt ermöglicht.229)

Ebenfalls von hoher Qualität sind die Inschriften der Glasgemälde.230) Zwei Scheiben im Hochchor zeigen die Geburt Christi und die Anbetung der Könige (Nr. 20). Die Bildbeischriften sind in einer flächigen, voll entwickelten gotischen Majuskel ausgeführt, die mit unzialem H, M und U sowie rundem N und T und pseudounzialem A annähernd durchgängig runde Formen aufweist. Neben E, U und symmetrischem unzialem M ist auch das kapitale F mit einem Abschlussstrich versehen. Ganz ähnlich zu beurteilen ist die Schrift auf dem von Everhard Hagedorn gestifteten Fenster (Nr. 25). Unziale E und U sowie C sind geschlossen. Auch H ist unzial, N und T sind rund ausgeführt. Beide Schrägbalken des trapezförmigen A sind leicht gebogen, wobei der rechte keilförmig verbreitert, der linke hingegen dünnstrichig ausgeführt ist. Die Flächigkeit der Buchstaben wird durch ausgeprägte Bogenschwellungen, teilweise bei gerader Innenkontur, betont. Der dünne Deckbalken des A, die sehr feinen Abschlussstriche und Sporen, ebenso die kleinen Zierbögen an den offen Enden von Bögen und Cauden sowie Nodi an einigen Schäften und Zierpunkte an den Sporenenden bilden dazu einen deutlichen Kontrast.

Eine Sonderstellung nehmen die Buchstaben auf den Roteln des Nodus an einem Turmziborium ein (Nr. 27). Die erhaben auf schraffiertem Grund gearbeiteten Buchstaben des Kreuztitulus haben eine in hohem Maße ornamentale Funktion, der die Sporen in Form pfeilförmiger Ansätze an die Schaftenden geschuldet sein dürften. Das N ist rund, R hat eine kräftige, z-förmige Cauda.

5.2. Gotische Minuskel

Mit der gotischen Minuskel fand im 14. Jahrhundert erstmals eine Kleinbuchstabenschrift für Inschriften Verwendung, die der Textura der Buchschrift entspricht.231) Kennzeichnend ist die Brechung der Schäfte und Bögen, die bei entsprechender Proportionierung der Schäfte ein gitterartiges Schriftbild erzeugen kann. Etwa ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts werden vereinzelte Wortanfänge als Versalien ausgeführt, die aus Majuskelschriften, meist der gotischen Majuskel, übernommen werden. In Xanten setzte sich die gotische Minuskel rasch durch und blieb, unabhängig vom Material der Inschriftenträger und von der Herstellungstechnik der Inschriften, bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts die dominierende Schrift. In diesem Zeitraum verändern sich die Gemeinen nur wenig und vor allem nicht linear. Zwar sind breiter und schmaler proportionierte Schriften überliefert, solche, die deutlich erkennbare gebrochene Bogenabschnitte und Schaftenden aufweisen, und andere, bei denen diese Elemente zu Quadrangeln reduziert sind. Eine generelle Entwicklung von einer besser lesbaren gotischen Minuskel mit klar unterscheidbaren Buchstaben hin zu einer schmalen, gitterartigen Schrift in der Spätphase ist jedoch im Xantener [Druckseite 60] Bestand nicht nachzuvollziehen. Vielmehr wird bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts kaum eine gitterartige Schrift verwendet. Ein Wandel ist eher bei der Wahl der Versalien festzustellen, bei der man im 16. Jahrhundert zuweilen neue Lösungen findet.

Da der Xantener Bestand zahlreiche Inschriften auf Objekten der Kirchenausstattung oder des Kirchenschatzes enthält, ist nicht verwunderlich, dass diese auch die frühesten Beispiele für die gotische Minuskel tragen. Die älteste Inschrift in gotischer Minuskel ist auf dem Wandgemälde des alten Katharinen- und Lambertusaltars überliefert, das in den Anfang des 14. Jahrhunderts datiert wird (Nr. 19). Es ist in sehr schlechtem Zustand erhalten, doch lassen Detailfotos Reste einer Bildbeischrift in einer gotischen Minuskel mit doppelstöckigem a und verhältnismäßig kurzen Oberlängen erkennen. In nennenswertem Umfang kennen wir Beispiele der gotischen Minuskel erst ab dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts. Die frühe Datierung der Malerei bedeutet, dass die Bildbeischrift – sofern sie gleichzeitig mit der Malerei angebracht wurde – ein sehr frühes Beispiel für eine gotische Minuskel darstellt, erklärbar vielleicht aus der technischen Nähe gemalter Inschriften zur Buchschrift.232) Anfang des 15. Jahrhunderts wurde das Wandgemälde des Dreikönigenaltars angebracht (Nr. 35). Die Zierelemente, die für die Namensbeischriften der heiligen Könige verwendet wurden, finden sich auch an den Stifterinschriften der 1435 bzw. 1437 errichteten Chorschranken (Nr. 39): feine Zierbögen, Quadrangel als Worttrenner sowie feine parallele Zierstriche zwischen den gebrochenen Bögen von m bzw. n. Darüber hinaus sind die Versalien aus der gotischen Majuskel an den Chorschranken durch eingestellte Zierstriche oder Rankenornament gefüllt.

An einer etwa zwischen 1370 und 1380 angefertigten Hostienmonstranz wurden zwei Inschriften in gotischer Minuskel angebracht, die eine einfach, die andere in Konturschrift auf schraffiertem Grund graviert (Nr. 28). Stilistisch weisen sie deutliche Unterschiede auf. In der einfach gravierten Inschrift Ecce panis Angelorum, die auf die unmittelbar darüber ausgestellte Hostie hinweist,233) sind die gebrochenen Bogen- und Schaftenden auf ein Quadrangel reduziert, der Balken des e ist als steil rechtsschräg verlaufender, unten nach rechts umgebogener Strich ausgeführt. Bei den in Konturschrift ausgeführten Stifternamen hingegen ist der schmale Balken des e bis zum Schaft (eigentlich bis zum senkrechten Teil des gebrochenen Bogens) herangeführt und alle umgebrochenen Bogenabschnitte sind als solche gut erkennbar. Der Hymnenvers dürfte zur Grundausstattung der Monstranz gehört haben, während die Stifternamen und das Wappen individuell bestellt wurden.

Zu den gravierten Inschriften in gotischer Minuskel gehört auch der Titel auf dem Einband der Historia Xantensis (Nr. 38). Die Schrift zeigt noch keine Reduktion der gebrochenen Schaft- und Bogenenden zu Quadrangeln. Die schlicht ausgeführten Versalien C und E, die (im Unterschied zum X-Versal) kaum größer sind als die Gemeinen, sind nur durch einen in den Bogen eingestellten Zierstrich als Großbuchstaben erkennbar. Die Ligatur von ct, ci und st (mit Schaft-s) lässt Verbindungen zur Buchschrift erkennen.

Mit fetten Schäften und (gebrochenen) Bögen graviert ist der Herstellungsvermerk an dem 1501 in Maastricht gegossenen Leuchterbogen (Nr. 81). Der behäbige Duktus der breit proportionierten Schrift wird durch ihre Ausführung in Kontur verstärkt. Die kurzen Oberlängen sind – mit Ausnahme der Oberlänge des stumpf endenden, noch ins Mittelband gezwängten d – an den Enden zu schmalen, beidseitig leicht gebogenen Sporen geformt. Als Versal wird ein offenes unziales D verwendet.

Schlanker und eleganter präsentieren sich die Inschriften an den beiden 1509 gestifteten Standleuchtern (Nr. 84), obwohl auch diese in Konturschrift ausgeführt sind. Die Oberlängen ragen deutlich über das Mittelband hinaus, ebenso die Unterlänge des j und der Zierbogen bei h. Das Schluss-s ist als Bandminuskel ausgeführt.

Die älteste in Stein gehauene Inschrift in gotischer Minuskel im Xantener Bestand steht auf einem Basaltkreuz, das an einen Mord im Jahr 1414 erinnert (Nr. 36). Die Tat liefert den Terminus post quem, doch lässt die Schrift mit deutlichen, gespaltenen Oberlängen, Schaftverlängerungen bei v und w und symmetrischem unzialem M als Versal auch eine deutlich spätere Ausführung erst in der Mitte oder der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu. Indizien für eine engere zeitliche Eingrenzung fehlen jedoch.

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Für Kirche und Kreuzgang der ehemaligen Stiftskirche St. Viktor ist ein Bestand von 17 Grabplatten sowie 48 Epitaphen234) aus dem Bearbeitungszeitraum überliefert. Etwa ein Drittel trägt Inschriften, die erhaben aus dem eingetieften Grund herausgearbeitet sind. Innerhalb dieser Gruppe wiederum stechen die vier ältesten im Original erhaltenen Epitaphien aufgrund auffälliger Parallelen im Layout und in der Schriftgestaltung hervor, die auf dieselbe – vermutlich lokale – Werkstatt hinweisen.235) Alle vier Denkmäler tragen Sterbevermerke in einer erhaben herausgearbeiteten gotischen Minuskel. Die in Prosa abgefassten Sterbevermerke für Johannes Smeds (Nr. 49) und Arnold Bols und Margarete Saerbruggen (Nr. 56) sind in einer eher schlichten, leicht gedrungen wirkenden Schrift ausgeführt. Beide Inschriften ähneln sich im Duktus und in Details, zeigen etwa dieselbe Form des A-Versals aus der gotischen Majuskel und sehr ähnliche Zierbögen am m. Es sind aber auch Unterschiede feststellbar, etwa hinsichtlich der Verwendung des oben offenen doppelstöckigen und des kastenförmigen a oder der Ausprägung der Oberlängen, die allerdings auch dem zur Verfügung stehenden Raum in den unterschiedlich hohen Zeilen geschuldet sein mag. Bei den metrischen Inschriften für Gerhard Vaeck (Nr. 50) und Hermann Smacht (Nr. 51) legte man besonderen Wert auf die ornamentale Wirkung der Schrift. Dazu tragen vor allem aufwändig gestaltete, aus der gotischen Majuskel entwickelte Versalien am Zeilen- und Versbeginn bei, die mit Maßwerkornament gefüllt und mit Zierbögen versehen sind und Initialen der Buchmalerei nahestehen. Der genaue Vergleich dieser beiden Inschriften ergibt auch hier geringfügige Unterschiede in der Zahl und Gestaltung der Zierbögen und -ranken an den Gemeinen.

Die Versalien sind auch das markanteste Merkmal der mit schmaler Kerbe eingehauenen Schrift am Epitaph für Philipp Schoen (Nr. 57): Sie sind ebenfalls aus der Buchschrift übernommen, ihre Schäfte und Bögen durch Brechung aufgelöst und neu zusammengesetzt und durch Schleifen und Kontraschleifen ornamentiert. Es sei erwähnt, dass sich eine ähnliche Form auch an dem von Philipp Schoen gestifteten Antependium findet (Nr. 58).

Die Schriftplatte zum Epitaph für vier Mitglieder der Familie van Orsoy, die zwischen 1482 und 1543 verstorben waren (Nr. 126), wurde 1543 nach dem Tod des Priesters Lambert van Orsoy angefertigt. Sie zeigt eine für die späte Entstehungszeit altertümliche, mit tiefer dreieckiger Kerbe sorgfältig gehauene und dekorativ gestaltete, gut lesbare gotische Minuskel. Die ausgeprägten Oberlängen sind gespalten, ebenso die Unterlänge des p. Kastenförmiges und offenes doppelstöckiges a alternieren, Bogen-r wird gegenüber dem Schaft-r bevorzugt. Für die Versalien werden Formen der gotischen Majuskel verwendet: symmetrisches unziales M mit Abschlussstrich, eingerolltes G mit senkrechtem eingestelltem Zierstrich, I-longa mit links angesetzten Zierhäkchen und nach unten verlängert. Ebenfalls als Versal dürfte ein vergrößertes, besonders breit und tief gehauenes l zu verstehen sein, das durch einen Haarstrich mit angesetzten Zierhäkchen verdoppelt ist.

Noch einige Jahre später (1558) entstand die Schrifttafel zum Epitaph für Gerhard van Haeffen und Everhard Maess (Nr. 162). Die schmalen Gemeinen weisen recht kurze, gespaltene Oberlängen auf. Die Versalien stammen aus der Kapitalis und sind kaum größer ausgeführt als die Gemeinen. A, F und M (mit parallelen Außenschäften und kurzem Mittelteil) sind schmal, offenes D, O und P hingegen mit großen Bögen breit proportioniert. Zweimal finden Kapitalisbuchstaben in gleicher Größe auch am Wortende Verwendung, darunter einmal das S, das somit am Wortende in drei Varianten vorkommt: als Kapitalisbuchstabe, als rundes und – gegen die Regel – als Schaft-s der gotischen Minuskel. Die Mischung der gotischen Minuskel mit runden Elementen – an der Unterlänge des g und bei den Versalien – ist bereits am Epitaph für Dietrich Born von 1545 (Nr. 128) zu beobachten.

Von den 17 Grabplatten aus St. Viktor, die für den Bearbeitungszeitraum überliefert sind, sind nur elf in einem Zustand erhalten, der Aussagen über die Schrift erlaubt. Sie stammen frühestens aus dem 16. Jahrhundert, und angesichts der späten Entstehungszeit dieser Platten überrascht es nicht, dass lediglich zwei von ihnen eine Umschrift in gotischer Minuskel, die übrigen neun hingegen Inschriften in Kapitalis tragen. Allerdings bezeugt der umfangreiche Bestand an Epitaphien, dass die gotische Minuskel in Xanten durchaus bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaus gerne als epigraphische Schrift verwendet wurde. Die beiden Grabplatten mit gotischer Minuskelschrift tragen qualitätvoll gearbeitete Umschriften. Auf der Grabplatte für Nikolaus Tzijl von 1519 (Nr. 89) erhält die erhabene Umschrift durch leicht nach innen gebogene gebrochene [Druckseite 62] Bogenabschnitte eine dynamische Note. In einigen Fällen sind die Schäfte zweier benachbarter Buchstaben aneinander gerückt und erscheinen als Schaft in doppelter Breite. Von herausragender Qualität ist die Schrift auf der Grabplatte für den 1540 verstorbenen Sibert von Riswick (Nr. 120). Sie verläuft umlaufend zwischen begrenzenden Friesen auf einer gegossenen Messingleiste und ist in einer kunstvollen Bandminuskel ausgeführt. Wo Schäfte, Balken und Bögen sich kreuzen, wirken sie wie ineinandergesteckt, wodurch der Eindruck von Dreidimensionalität entsteht. Die Gemeinen entsprechen dem Idealbild der gotischen Minuskel und sind durch gespaltene Oberlängen und Zierbögen zurückhaltend ornamentiert. Die Versalien aus der gotischen Majuskel sind in doppelten Linien ausgeführt und durch Bänder (bei M), Kontraschleifen und Gitterornament (bei A) oder eingestellte Schäfte (bei O) und Bögen (bei C) besonders hervorgehoben. Parallelen zu zwei Messingepitaphien in St. Maria im Kapitol in Köln236) legen die Vermutung nahe, dass die Messingeinlagen dort entstanden sind.237)

Zwischen dem Ende des 14. Jahrhunderts und 1537 wurden für Xantener Kirchen neun Glocken mit einer Inschrift in gotischer Minuskel gegossen,238) sechs davon für St. Viktor. Eine kleine Ave-Maria-Glocke vom Ende des 14. oder Beginn des 15. Jahrhunderts (Nr. 31) trägt eine Inschrift mit fetten Schäften und klar ausgeprägten umgebrochenen Schaft- und Bogenenden. Dass die Schrift noch dem Zweilinienschema verhaftet ist und nur schwach ausgeprägte Ober- und Unterlängen aufweist, ist angesichts der Einbettung des Schriftbandes zwischen begrenzende Stege nicht überraschend.

1450 wurden die Große Viktor- und die Johannes-Glocke gegossen. Als Gießer der Viktor-Glocke (Nr. 40) ist Wilhelm von Arnheim durch eine Meisterinschrift gesichert, für die Johannes-Glocke (Nr. 41), die keinen Namen, aber dasselbe Wappen trägt, dürfte dasselbe zutreffen. Auch die Inschriften dieser beiden Glocken sind in einer gotischen Minuskel mit kurzen Oberlängen ausgeführt, als Worttrenner dienen Quadrangel. Die Schriftqualität der Großen Viktor-Glocke leidet unter mehreren Gussfehlern. Von sehr viel höherer Qualität ist die Helena-Glocke des Gießers Wilhelm van Wou von 1461 (Nr. 46). Erwähnenswert sind links angesetzte Zacken an den langen Schäften (bei l und Schaft-s), ein charakteristisches l, das oben in einem Dreispitz mit umgebogener rechter Spitze endet, und ein Zierstrich an der Fahne des r, der in ein kleeblattähnliches Ornament übergeht. Die Glockeninschrift weist Parallelen auf zu der Schrift auf den Glocken von Wilhelms Sohn Gerhard van Wou – etwa die Verlängerung des linken und des mittleren Schafts beim w im Familiennamen –, ebenso jedoch Unterschiede im Detail. Es handelt sich also nicht um denselben Modelsatz. Auch Gerhard van Wou war für die Stiftskirche tätig, er goss 1495 die Anna- und Antonius-Glocke (Nr. 59). Sie wurde 1945 zerstört, doch lassen vier erhaltene Scherben und einige Abgüsse Rückschlüsse auf die Schrift zu, die auch für eine Glocke in St. Lamberti in Münster verwendet wurde.239) Die Oberlängen der schlanken Minuskel reichen deutlich über das Mittelband hinaus und enden gespalten. Der Balken des e ist zu einem geschwungenen, oben über den abgeknickten oberen Bogenabschnitt hinaus verlängerten Bogen umgearbeitet. Auch r und der gebrochene Bogen des h tragen Zierstriche bzw. -bögen. Die hervorragende Qualität der Schrift wie auch der Glocke insgesamt bestätigt Gerhard van Wous Ruf als herausragender Gießer des Mittelalters.

Vier der erhaltenen Xantener Glocken aus dem Bearbeitungszeitraum wurden nicht für den Dom, sondern für Kirchen in den 1969 eingemeindeten Ortsteilen Wardt und Vynen gegossen. St. Willibrordus in Wardt erhielt 1487 eine Marienglocke (Nr. 53) und eine Willibrordusglocke (Nr. 54), die beide von dem ansonsten bislang nicht nachgewiesenen Gießer Johann Kersten gegossen wurden. Bemerkenswert ist bei beiden Glocken die für eine Höhe von 86 bzw. 91 cm und einen Durchmesser von 106 bzw. 113 cm ungewöhnlich kleine, nur 1,5 cm hohe Schrift. Sehr breite Linien und teilweise stumpf endende, kurze Oberlängen sorgen für einen gedrungen wirkenden Duktus. Auffälligster Buchstabe auf der Willibrordusglocke ist das runde s, bei dem die senkrechten Bestandteile der gebrochenen Bögen in der Buchstabenmitte nicht umgebrochen sind; stattdessen sind die beiden Teile des oberen gebrochenen Bogenabschnitts durch einen Schrägbalken verbunden, der den unteren Bogen nicht berührt.

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In der Pfarrkirche St. Martinus in Vynen hängen zwei Glocken, die 1499 von einem unbekannten Gießer vermutlich für das Benediktinerinnenkloster Hagenbusch gegossen wurden. Die kleinen Glocken sind Maria (Nr. 60) bzw. dem hl. Servatius (Nr. 61) geweiht und tragen einzeilige Umschriften in kleinen, 1,5 cm hohen Buchstaben. Auch hier sind die Oberlängen sehr kurz, enden aber bei h und t gespalten und eingerollt. Typische Merkmale einer späten gotischen Minuskel sind das kastenförmige, unten offene a und lang ausgezogene Zierstriche an der Fahne des r sowie an den Balken von f und t. Obwohl neben der Inschrift Siegel, Medaillons und Trennzeichen verwendet werden, konnte der Gießer bislang nicht identifiziert werden.

Auch die 1649 eröffnete evangelische Kirche in Xanten erhielt noch im selben Jahr eine kleine Glocke (Nr. 115), die 1537 von Segewin Hatiseren für ein Augustinerkloster (vermutlich Kloster Marienthal in Hamminkeln, Kreis Wesel) gegossen worden war. Die nur 1,5 cm hohen Gemeinen sind für das Gussjahr sehr konservativ, sie haben kurze Oberlängen, umgebrochene Schaft- und Bogenenden, die nicht zum Quadrangel reduziert sind, und das doppelstöckige a. Im Kontrast dazu stehen die sehr großen, mit Schleifen, Kontraschleifen und Flechtornament äußerst dekorativ gestalteten Versalien, die aus der gotischen Majuskel abgeleitet sind und Buchinitialen nahestehen.

5.3. Frühhumanistische Kapitalis

Als Mischschrift, die aus verschiedenen Majuskel- und zuweilen auch Minuskelschriften schöpft, ist die sogenannte frühhumanistische Kapitalis eine Schrift des Übergangs. Tatsächlich ist sie in Xanten auf einen vergleichsweise kurzen Zeitraum, nämlich in etwa auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, und auf eine kleine Zahl von acht überlieferten Beispielen beschränkt. In fünf Fällen sind die Inschriften gemalt (Nr. 73, 98, 105, 107, 112), auf drei Trägern sind sie am Gewandsaum dargestellter biblischer Personen angebracht (Nr. 73, 86, 105).240) Beides ist wohl der dekorativen Wirkung dieser Schrift geschuldet. Zu den typischen Buchstabenformen, die regelmäßig in frühhumanistischen Kapitalisschriften verwendet werden, gehören A mit breitem Deckbalken und meist gebrochenem Mittelbalken, offenes kapitales oder unziales D, epsilonförmiges (= zweibogiges) oder unziales E, M mit schrägen Außenschäften, retrogrades N und mandelförmiges O.

Auf der bemalten Innenseite des linken Annenflügels ist die frühhumanistische Kapitalis für eine Buchstabenreihe am Rahmen des Konvexspiegels an der Wand verwendet worden (Nr. 98). Bemerkenswert sind dort die bis über die Schäfte hinaus ragenden Mittelbalken von A und H, wobei der Balken des A gebrochen, der des H geschwungen und in der Mitte ausgebuchtet ist. Das A mit Deck- und gebrochenem Mittelbalken findet sich auch an einer Gewandsauminschrift auf einem Glasgemälde mit Heiligen, das wegen des geringen Buchstabenbestandes ansonsten wenig aussagekräftig ist (Nr. 105). Beide Malereien stammen aus den 1520er Jahren. Etwas jünger ist das Retabel des Matthiasaltars (Nr. 107, 1531) mit dem Gruß des Engels an Maria in frühhumanistischer Kapitalis. Neben dem typischen A tragen offenes kapitales D, epsilonförmiges E, M mit schrägen Außenschäften und mandelförmiges O mit Zierpunkten am Fuß- und am Scheitelpunkt zum markanten Schriftbild bei. Der Schaft des I und der Schrägschaft des N sind ausgebuchtet. Der Schaft des T ist in Form eines länglichen Dreispitzes geformt, dessen beide untere Spitzen nach oben eingerollt sind. Das sogenannte Passionsfenster von 1535 (Nr. 112) trägt am unteren Rand der Darstellung eine dekorativ gestaltete Stifterinschrift in frühhumanistischer Kapitalis. Der original erhaltene Teil zeigt epsilonförmiges E, dessen mittlere Bogenenden umgebogen sind, spitzovales O und einen ausgebuchteten Kürzungsstrich. Der Schaft des L ist über die Zeile verlängert und gespalten. Den als Haarstrich ausgeführten Schrägbalken des N durchschneiden zwei feine, parallele Striche. Schäfte und Bögen sind von parallel verlaufenden Haarstrichen begleitet.

Zwischen 1500 und 1509 entstanden die Skulpturen der Apostel Petrus, Paulus und Johannes Evangelist für das Südportal des Domes mit ihren Gewandsauminschriften sowie die dazugehörigen Figurensockel, darunter ein Sockel mit einem Sterbevermerk (Nr. 86). Im Unterschied zu den bislang erwähnten Inschriften in frühhumanistischer Kapitalis sind diese Texte nicht gemalt, sondern in Stein eingehauen. Die Inschriften bieten eine breite Palette charakteristischer Formen der frühhumanistischen Kapitalis, unter anderem halbunziales B, offenes D, N mit eingezogenem Schrägbalken (nur im Sterbevermerk); epsilonförmiges E, im Sterbevermerk mit einem Abschlussstrich; H mit gebrochenem Balken (im Sterbevermerk) bzw. mit ausgebuchtetem Balken (bei der Johannes-Inschrift); retrogrades N mit Haarstrich als Schrägbalken (nur in der Beischrift zum [Druckseite 64] Evangelisten Johannes); P mit sehr großem Bogen (bei der Petrus-Inschrift). Ein über die Zeile hinaus verlängerter Schaft des L wurde schon im Zusammenhang mit der Stifterinschrift des Passionsfensters (Nr. 112) erwähnt und findet sich auch bei der Gewandsauminschrift des Paulus. Besonders bemerkenswert sind zwei Buchstaben aus dem griechischen Majuskelalphabet, die in die Inschrift am Gewandsaum des Paulus eingearbeitet sind. P ist dort durch Π (Pi), C durch Γ (Gamma) ersetzt. Gamma steht vermutlich auch im Sterbevermerk, der an einem der Figurensockel des Portals angebracht ist, doch ist der Befund dort nicht sicher. Deutlich erkennbar ist der stilistische Unterschied zwischen dem mit gleichbleibend schmaler Kerbe gehauenen, statisch wirkenden Sterbevermerk aus einer Xantener Werkstatt einerseits und den Gewandsauminschriften andererseits, die mit kräftiger, zu den Schaft- und Balkenenden hin deutlich verbreiterter Kerbe gehauen und wohl – wie die Apostelfiguren selbst – einer Werkstatt in einem der regionalen Zentren zuzuschreiben sind.

Zwei weitere Inschriftenträger mit frühhumanistischer Kapitalis gehören streng genommen in den Bereich der Träger aus serieller Herstellung. Eine Beckenschlägerschüssel, deren Inschriften aus Negativen geschlagen wurden, dient heute als Deckel einer Taufschale (Nr. 143). Sie zeigt A mit breitem Deck- und gebrochenem Mittelbalken, das epsilonförmige E, I mit Nodus sowie retrogrades N. Unziales D sowie Nodi am Schaft des I und am Schrägbalken des N weist eine gusseiserne Ofenplatte auf (Nr. 160).

5.4. Neuzeitliche Kapitalis

Annähernd die Hälfte der Xantener Inschriftenträger ist mit Inschriften in (moderner) Kapitalis ausgestattet. Dieser Befund entspricht einerseits dem zahlenmäßigen Übergewicht neuzeitlicher – also ab etwa 1500 entstandener – Träger im Bestand, unterstreicht aber auch die Bedeutung der Kapitalis als epigraphischer Schrift seit dem 16. Jahrhundert. Neben einigen Bauinschriften und den Inschriften an den von Berendonck gestifteten Kreuzwegstationen (Nr. 114) sind es vor allem die Grabplatten und Epitaphien im Bereich des Domes241), die mit eingehauenen oder erhaben herausgehauenen242) Kapitalisinschriften ausgestattet sind. Die Technik des Heraushauens der Schrift aus dem leicht eingetieften Grund erzeugt zwangsläufig eine eher breite Strichführung und hat bei den Xantener Beispielen zu einer solide gearbeiteten, aber wenig eleganten Kapitalis geführt. Selbst die sprachlich anspruchsvolle und sorgfältig herausgehauene Versinschrift an der Kreuzigungsstation des Berendonckschen Kreuzwegs (Nr. 114) lässt Qualitätsmerkmale wie eine Unterscheidung von Haar- und Schattenstrichen, Bogen- und Linksschrägenverstärkungen vermissen. Typische Schriftmerkmale sowohl bei den erhabenen als auch bei den eingehauenen Inschriften sind das ganze 16. Jahrhundert hindurch das M mit schrägen Außenschäften und kurzem Mittelteil, R mit nach außen gebogener Cauda und annähernd gleich große Bögen bei B. Weit verbreitet sind Probleme mit der Buchstabensymmetrie bei A, M, V usw. Der Bogen des C ist vielfach nicht richtig ausgerundet, die Bogenabschnitte des S sind häufig verschoben. Eine ganze Reihe von Inschriften weist das nachmittelalterlich wenig gebräuchliche E mit drei gleich langen Balken auf.243)

Auch bei den Grab- und Gedenkinschriften lassen sich zwischen einzelnen Trägern Parallelen in der Schrift feststellen, die vielleicht auf bestimmte Steinmetze bzw. Steinmetzwerkstätten hindeuten. Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die Schrifttafeln häufig separat gefertigt und vielfach wohl nachträglich unter dem Bildepitaph angebracht wurden, wobei man für die Ausführung der Inschrift eher an lokale Werkstätten denken wird, während die Bildreliefs aus regionalen Werkstätten stammen dürften.244) Die Inschriften auf den Epitaphien für Martin Steenhoff (Nr. 129), Georg Hezeler (Nr. 130), Balthasar Vulturius (Nr. 136) und seinen Bruder Friedrich (Nr. 146) haben neben den erwähnten, vielfach belegten Formen von B, E und M auch H mit ausgebuchtetem Balken sowie A mit gebrochenem Mittelbalken gemeinsam. Während der Deckbalken des A beim Epitaph Hezeler beidseitig übersteht, ragt er bei den Epitaphien für die Brüder Vulturius nur zu einer Seite, die Inschrift für Steenhoff weist beide Varianten auf. Man wird hier an die Herstellung der vier Schrifttafeln in derselben (Xantener?) Werkstatt denken. Die Grabplatten für Johannes Viersen (Nr. 155) und Johann Hisfelt (Nr. 174) weisen hinsichtlich des [Druckseite 65] Materials, der Ornamentik und des Layouts der Schrift signifikante Übereinstimmungen auf. Die Schrift allerdings unterscheidet sich – obwohl in beiden Fällen erhaben herausgehauen – erkennbar voneinander: M mit schrägen Außenschäften sowie ausgerundeter Bogen des C (Viersen) stehen M mit parallelen Außenschäften und C und G mit seitlich abgeflachtem Bogen (Hisfelt) gegenüber. Auffällig hoch angesetzt ist der Mittelbalken des A bei der Viersen-Platte. Die Inschriften scheinen demnach nicht von derselben Hand gefertigt worden zu sein. Vergleichsmöglichkeiten zur Grabplatte für Johannes Viersen bietet auch sein Epitaph (Nr. 155). Es zeigt zwar ebenfalls das M mit schrägen Außenschäften, aber keine ovalen O und Q wie die Grabplatte, sondern kreisrunde, dazu einen tieferen Mittelbalken bei A und einen ausgebuchteten Kürzungsstrich. M mit parallelen Außenschäften und kurzem Mittelteil sowie schmale Bögen bei C und D finden sich hingegen im Setzungsvermerk am Epitaph für drei Mitglieder der Familie Platea (Nr. 123) und an den Epitaphien für Katharina Hagens (Nr. 196) und Theodor Hanen (Nr. 199) aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts.

Aus dem insgesamt recht einheitlichen Schriftbestand ragen einzelne Inschriften heraus, etwa die Inschrift am Epitaph für Gotfrida van Bemmel von 1554 (Nr. 157), die zu den qualitätvollsten Kapitalisinschriften des 16. Jahrhunderts in Xanten gehört. Mit Serifen, Bogen- und Linksschrägenverstärkungen, R mit stachelförmiger Cauda sowie M mit parallelen Außenschäften und bis zur Grundlinie reichendem Mittelteil lässt sie die Orientierung am klassischen Vorbild erkennen. Auch die Epitaphinschriften für Veronika Kloken (Nr. 175) sowie für Gerhard Keup und Rutger Speet (Nr. 165) zeigen Verstärkung der linksschrägen Schäfte (letztere auch Bogenverstärkungen), doch ist die Proportionierung der Buchstaben nicht in gleicher Weise gelungen wie beim Bemmel-Epitaph.

Ein ganz anderer, eigenwilliger Schriftstil manifestiert sich an den Inschriften, die im Auftrag des Propstes Johannes Ingenwinkel am Erweiterungsbau der Propstei (Nr. 96) bzw. an einem Kaminsturz aus demselben Gebäude (Nr. 97) angebracht wurden. Schmale Buchstaben mit Serifen an den Schäften und flächigen Dreispitzen an den Bogenenden des S, M mit parallelen Außenschäften, spitzovales O, weit hochgezogene Cauda des G und ein ausgebuchteter Kürzungsstrich erinnern an den Duktus der frühhumanistischen Kapitalis. Unterschiede im Detail, etwa der am Türsturz deutlich höher gesetzte mittlere Balken des E bzw. untere Balken des F, lassen trotz bestehender Ähnlichkeiten an einer Herstellung beider Inschriften durch denselben Steinmetz zweifeln.

An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert sind mit den Epitaphien für Paul Vonhoff (Nr. 198) und Gerhard Busaeus (Nr. 202) zwei Objekte entstanden, deren Inschriften hinsichtlich der Qualität ihrer Schrift und ihres auffälligen Layouts eine Sonderstellung einnehmen. Die sorgfältig gehauene Schrift weist sowohl Bogen- und Linksschrägenverstärkungen als auch Serifen auf. Auffällige Gemeinsamkeiten sind weit unter die Grundlinie gezogene Cauden bei Q und R und ein verlängerter unterer Bogenabschnitt bei C. Enklaven, Nexus litterarum, verkleinerte und vergrößerte Buchstaben prägen das Layout beider Inschriften, insbesondere jedoch das Epitaph für Busaeus. An der Herstellung in derselben Werkstatt ist wohl nicht zu zweifeln. Die beiden Inschriften stehen am Anfang einer Entwicklung der Xantener Kapitalis weg von der für die lokale Produktion des 16. Jahrhunderts typischen, eher behäbigen Variante hin zu einer Schrift, die dank routiniertem Gleichmaß in der Ausführung und einer deutlicheren (nicht aber ausschließlichen) Orientierung an der zeittypischen Formensprache eleganter und qualitätvoller wirkt. Ein Beispiel dafür ist die Schrift am Epitaph für Kaspar Bürvenich (Nr. 237); sie zeigt Serifen an den Schaft- und Balkenenden, M mit geraden Außenschäften, E mit verlängertem unterem Balken, außerdem Linksschrägenverstärkungen und perfekt ausgerundete Bögen. Auch die Bauinschrift, die 1624 am Gartenhaus des Dechanten Caspar van Ulft angebracht wurde, ist in diesem Zusammenhang zu nennen, während der darüber eingehauene Mahnspruch (Nr. 226) ebenso wie die ebenfalls von Caspar van Ulft in Auftrag gegebene Inschrift am Kaminsims desselben Hauses (Nr. 228) in der Ausführung Schwächen zeigt. Rundes U hat sich in den steinernen Kapitalisinschriften in Xanten bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums nicht durchgesetzt. Es findet sich im 16. Jahrhundert nur auf dem Epitaph für Gerhard Berendonck (Nr. 151) und auf der Engelsplakette an der von ihm gestifteten Kreuzigungsstation (Nr. 114 G), im 17. Jahrhundert auf dem Epitaph für Paul Vonhoff (Nr. 233) und am Gesims der Antoniuskapelle (Nr. 255).245)

5.5. Humanistische Minuskel und Mischminuskel

In Xanten hat die Fraktur, die in anderen Gegenden im 16. Jahrhundert als Kleinbuchstabenschrift in unterschiedlichem Umfang verwendet wurde, keinerlei Rolle gespielt – kein einziges Beispiel für eine Inschrift in Fraktur ist bekannt. Hingegen ist die humanistische Minuskel in Verbindung mit der Kapitalis an einigen wenigen Trägern überliefert. Am 1556 angefertigten Epitaph für Nikolaus Ruter (Nr. 158) beginnt der Text in Kapitalis, um in der zweiten Zeile in humanistische Minuskel überzugehen, die nur von einzelnen Wörtern in Kapitalis unterbrochen wird. Dieses Layout orientiert sich offensichtlich an den Usancen zeitgenössischer Drucke. An den wenige Jahre jüngeren Epitaphien für Otto und Heinrich Ingenwinkel (Nr. 163, 1559) und Veronika Kloken (Nr. 175, 1565) ist nur das Bibelzitat in humanistischer Minuskel ausgeführt. In allen Fällen ist die Schrift sehr sorgfältig mit kreisrunden Bögen bei b, c, d, o und q gearbeitet. In einigen Fällen verbinden sich die Formen der humanistischen Minuskel mit kursiven Elementen. Am Epitaph für Jakob Hezeler (Nr. 95, 1522) ergänzen die geschwungenen Schäfte des x und des unter die Grundlinie verlängerten Lang-s sowie das einstöckige, spitzovale a die Formen der humanistischen Minuskel. Bei der Inschrift am Epitaph des Johannes Noster (Nr. 145, 1552) kommen leicht gebogene Schäfte von i, l, m, n und t sowie tropfenförmige Bögen bei e und p hinzu. Am Epitaph Backer (Nr. 154, 1554) findet nach wenigen Buchstaben ein Schriftwechsel von der humanistischen Minuskel zu einer schmalen Kursiven statt, die es erlaubt, den vorgesehenen Text auf dem zur Verfügung stehenden Platz unterzubringen. Ausgeprägte Eigenschaften einer humanistischen Kursivschrift trägt ein Bibelzitat am Epitaph für einen unbekannten Verstorbenen (Nr. 173, 1563?). Dazu trägt vor allem die Ausführung von n, m und u bei, deren Schäfte durch einen kurzen Rechtsschrägschaft anstelle des Bogens verbunden sind.

Dem Bereich der Alltagsschrift sind einige Inschriften zuzuordnen, die kleinformatig in gotischer Kursive bzw. in einer Mischminuskel mit kursiven Elementen ausgeführt wurden. Sie erheben keinen repräsentativen Anspruch, sondern sind im Gegenteil an versteckter Stelle eingeritzt oder eingeschnitten worden. Neben einem Herstellungsvermerk, der in gotischer Kursive an der Unterseite eines Kelches schwach eingeritzt ist (Nr. 47, 1461), gehören dazu zahlreiche Graffiti auf der Galerie der Westchorhalle (Nr. 259) und am Chorgestühl (Nr. 260).

Zitationshinweis:

DI 92, Stadt Xanten, Einleitung, 5. Die Schriftformen (Helga Giersiepen), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di092d009e004.

  1. Koch, Inschriftenpaläographie (2007), S. 30–35. Zur Begrifflichkeit der Schriftbeschreibungen siehe Deutsche Inschriften – Terminologie (1999). Die dort vorgestellte paläographische Terminologie liegt allen paläographischen Ausführungen in diesem Band zugrunde. »
  2. Koch, Inschriftenpaläographie (2007), S. 59. »
  3. Ebd., S. 101–113. »
  4. Hinzu kommen die Bildbeischriften zu einer (verlorenen) Wandmalerei in der Dionysiuskapelle des Domes (Nr. 6), die als gemalte Inschriften paläographisch allerdings nur bedingt mit Steininschriften vergleichbar sind. »
  5. Dieser Befund verdeutlicht, in welchem Maße inschriftenpaläographische Untersuchungen vom Zufall der Überlieferung abhängig sind. »
  6. Vgl. zu Parallelbeispielen aus dem 10. und 11. Jh. DI 81 (Essen) (2011), Nr. 5»
  7. Berücksichtigt wird zudem eine Siegelumschrift auf einer 1499 gegossenen Glocke in Xanten-Vynen (Nr. 61). Im Allgemeinen werden Siegelumschriften nicht in die Edition aufgenommen, vgl. Kap. 1 der Einleitung. Nicht in die Schriftauswertung einbezogen wurden ein Kreuztitulus, dessen Schrift nicht sicher als gotische Majuskel (oder Kapitalis) bestimmt werden kann (Nr. 65), und ein einzelnes M auf einem Kerzenhalter (Nr. 101). »
  8. Deutsche Inschriften – Terminologie (1999), S. 28. »
  9. Der Buchstabe M kommt im Text nicht vor. »
  10. Siehe dazu den Katalog, Nr. 23»
  11. Das Apostelfenster (Nr. 26) bietet für die paläographische Auswertung im Detail keine hinreichend sichere Grundlage, da die Schrift modern überarbeitet wurde. »
  12. Deutsche Inschriften – Terminologie (1999), S. 46. »
  13. Verbindungen zur Buchschrift sind gelegentlich auch bei gravierten Inschriften feststellbar (Nr. 38). Darüber hinaus sind einzelne Inschriften komplett in gotischer Buchminuskel ausgeführt, vgl. Nr. 24 (Stola mit auf Stoff gemalten Namensbeischriften) und Nr. 43 (Skulptur mit gemaltem Jesusmonogramm). »
  14. Zu weiteren Beispielen vgl. DI 58 (Hildesheim) (2003), Nr. 165»
  15. Acht Epitaphe tragen Inschriften in gotischer Minuskel (Nr. 49, 50, 51, 56, 57, 126, 128, 162), fünf davon gehören noch dem 15. Jh. an. »
  16. Zu ihren Bildreliefs s. Kap. 4.1.4.4. der Einleitung. »
  17. Es handelt sich um die Epitaphien für die Kanoniker Johannes Junghe (1506) und Heinrich von Berchem (1508) in St. Maria im Kapitol. Vgl. dazu demnächst Die Inschriften der Stadt Köln, Bd. 1 (in Vorbereitung). »
  18. Ähnliche Zierelemente finden sich auch auf dem Türsturz der Pfarrkirche St. Willibrordus in Wardt (Nr. 141). »
  19. Eine 1537 gegossene Glocke mit einer Inschrift in gotischer Minuskel wurde erst 1649 für die evangelische Kirche in Xanten angeschafft (Nr. 115). »
  20. Bund/Poettgen, Wilhelm van Wou (1999/2000), S. 162. »
  21. Da nicht beurteilt werden kann, ob die Gewandsauminschrift am Antoniusaltar (Nr. 72) überarbeitet ist, wird diese Inschrift – die ohnehin nur vier verschiedene Buchstaben bietet – hier nicht berücksichtigt. »
  22. Zu ihnen siehe oben Kap. 4.1.3. und 4.1.4. der Einleitung. »
  23. Siehe Nr. 49, 50, 51, 56, 89, 125, 130, 148, 155, 165, 168, 174, 175, 210, 211, 233, 240»
  24. Siehe Nr. 125, 129, 136, 146, 147, 151, 154, 161»
  25. S. dazu Kap. 4.1.4. der Einleitung. Die Anfertigung eines Epitaphs noch zu Lebzeiten wird in Nr. 123 ausdrücklich erwähnt. »
  26. Zudem wird es in den gemalten Inschriften auf dem Porträt des Stephanus Pighius (Nr. 206) und am Katharinenaltar (Nr. 236) verwendet. »