Die Inschriften der Stadt Darmstadt und der Landkreise Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau

3. DIE QUELLEN DER NICHTORIGINALEN ÜBERLIEFERUNG

Unter den insgesamt 395 Nummern des Kataloges befinden sich lediglich 76 Nummern, in denen verlorene Inschriften nach einer nichtoriginalen Überlieferung ediert werden. Dieser Mangel an nichtoriginaler Überlieferung hat mehrere Ursachen. Das gesamte Bearbeitungsgebiet weist kein bedeutendes historisches Zentrum auf, das schon früh die Aufmerksamkeit von Inschriftensammlern auf sich ziehen oder selbst der Ausgangspunkt entsprechender Aktivitäten sein konnte. Außerdem war das Gebiet in mehrere Herrschaftsbereiche zersplittert, wodurch die Aktivität der Inschriftensammler behindert wurde. So bereiste der Mainzer Domvikar Georg Helwich keine im Besitz der Landgrafen von Hessen befindlichen Orte, Johann Franz Capellini, Reichsfreiherr von Wickenburg, sammelte im Bearbeitungsgebiet nur Inschriften im kurpfälzischen Umstadt, und die 1765 von Stephan Alexander Würdtwein veranlaßte Inschriftensammlung betraf nur das Gebiet des Erzstifts Mainz. Die übrigen Gewährsmänner, denen die Überlieferung von Inschriften zu verdanken ist, legten nicht wie Helwich, Wickenburg und Würdtwein systematische Inschriftensammlungen an, sondern nahmen Inschriften nur punktuell in ihre Werke auf, wenn diese für sie von besonderem historischen Interesse waren. In bezug auf die Wiedergabe der Inschriften bei den genannten Überlieferern ist festzuhalten, daß es ihnen nicht um den exakten Buchstabenbestand und das Aussehen der Inschriften, sondern vor allem um den Inhalt ging.

Die ältesten Quellen der nichtoriginalen Überlieferung sind für das Bearbeitungsgebiet das „Syntagma monumentorum et epitaphiorum” sowie das „Opus genealogicum” des Mainzer Domvikars Georg Helwich (1588–1632). Seine Inschriftensammlung war vom Interesse an den geistlichen Institutionen des Erzbistums Mainz und seiner Personalgeschichte bestimmt.108) Da Helwich nur in den [Druckseite XXIV] zum Mainzer Erzstift gehörenden Orten des Bearbeitungsgebiets Inschriften sammelte, beschränken sich seine Aufzeichnungen auf eine Inschrift aus Dieburg und sechs Inschriften aus Gernsheim. Von diesen ist heute keine mehr erhalten, so daß sich der Wert von Helwichs Überlieferung nicht durch Vergleiche mit erhaltenen Inschriften einschätzen läßt. Erfahrungen aus anderen Beständen zeigen aber, daß die von Helwich angefertigten Abschriften der Texte und die Nachzeichnungen der Wappen in der Regel zuverlässig sind, wenn man von einigen Verschreibungen bei den Inschriften und gelegentlichen Auslassungen bei den Wappen absieht.109)

Ebenfalls im 17. Jahrhundert arbeitete der 1620 in Gießen geborene oldenburgische und bremische Rat Johann Justus Winkelmann († 1699),110) der in seiner 1697 gedruckten Beschreibung der Fürstentümer Hessen und Hersfeld Inschriften mitteilt, die für ihn von historischem Interesse waren. Die Qualität seiner Abschriften ist schwer zu beurteilen, da im Bearbeitungsgebiet nur zwei der von ihm überlieferten Inschriften erhalten geblieben sind, die er allerdings zuverlässig wiedergibt.111)

In den Jahren 1738 und 1739 veröffentlichte Johann Friedrich Conrad Retter seine Sammlung „Hessische Nachrichten”. Die Angaben zur Geschichte einzelner Orte und Bauwerke ergänzte Retter in einigen Fällen durch die Wiedergabe von Inschriften, die er vermutlich selbst abgeschrieben hat. Der Vergleich seiner Abschriften mit den heute noch erhaltenen Inschriften zeigt, daß Retter den Wortlaut in der Regel zuverlässig wiedergibt.112)

Zwischen 1717 und 1723 legte der hessen-darmstädtische Archivrat Johann August Buchner eine Sammlung der Inschriften der Darmstädter Stadtkirche an, die er seiner „Sammlung von Chroniken und zugehörigen Aktenstücken zur Geschichte der Landgrafschaft Hessen” beifügte. Zwar ist diese Inschriftensammlung keineswegs vollständig, aber sie verzeichnet heute verlorene Inschriften und darf als zuverlässig gelten.

Sieben Inschriften für Groß-Umstadt sind in der 1744 von Johann Franz Capellini, Reichsfreiherr von Wickenburg genannt Stechinelli (1677–1751) angelegten Inschriftensammlung „Thesaurus Palatinus” überliefert.113) Die Inschriften dieser Sammlung hat Wickenburg vermutlich nicht alle selbst abgeschrieben, sondern zum Teil von verschiedenen Personen abschreiben lassen. Daraus erklärt sich das sehr unterschiedliche Überlieferungsniveau. Während die von Wickenburg für die Bergstraße mitgeteilten Inschriften häufig Ungenauigkeiten enthalten,114) erweisen sich seine Abschriften für Groß-Umstadt als zuverlässige Überlieferung.

Für die bis 1803 zum Mainzer Erzstift gehörenden Orte Dieburg, Gernsheim und Mosbach sind Inschriften in einer Sammlung überliefert, die im 18. Jahrhundert auf Initiative von Stephan Alexander Würdtwein (1722–1796) angelegt wurde. Der Theologe Würdtwein, der 1783 Weihbischof von Worms wurde, befaßte sich intensiv mit Kirchengeschichte, Kirchenrecht und den historischen Hilfswissenschaften. Wohl auf seine Veranlassung hin ließ der Mainzer Erzbischof 1765 durch das Generalvikariat in Mainz einen Aufruf veröffentlichen, in dem allen Vorstehern von Kirchen und Klöstern im Erzstift befohlen wurde, die in oder bei ihren Kirchen vorhandenen Epitaphien und Grabsteine mit ihren Wappen und Inschriften aufzunehmen und abzuzeichnen und diese Aufzeichnungen dann an das Generalvikariat in Mainz zu schicken. Diese Sammlung befand sich später im Besitz Würdtweins, der daraus einen 394 Seiten umfassenden Auszug anfertigte, das sogenannte Würdtweinsche Epitaphienbuch, das sich heute im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden befindet.115) Bei der Anfertigung des Epitaphienbuches übernahm Würdtwein nicht immer den exakten Wortlaut seiner Vorlagen und hielt sich auch nicht an deren Schreibweise, so daß aus seinen Schreibweisen keine Rückschlüsse auf den Buchstabenbestand des Originals gezogen werden können.116)

Im Gegensatz dazu dürfen die Abschriften des hessen-darmstädtischen Topographen und Historikers Johann Wilhelm Christian Steiner (1785–1870), von einigen Verschreibungen vor allem bei den Jahreszahlen abgesehen, als zuverlässig gelten. Der eigentlich als Advokat in Seligenstadt tätige Steiner legte in der Zeit von 1821 bis 1829 die drei Bände seiner Geschichte des Bachgaus vor, deren Entstehung [Druckseite XXV] durch den Großherzog Ludwig I. von Hessen gefördert wurde.117) Bei der Auswahl der von ihm mitgeteilten Inschriften ließ sich Steiner von seinem jeweiligen historischen Interesse leiten.

Von der neueren Literatur sind für die Inschriftenüberlieferung vor allem die drei Kunstdenkmalinventarbände für den Kreis Bensheim, den Landkreis Dieburg sowie die Stadt Darmstadt relevant. Der von Walter H. Dammann bearbeitete Band „Die Kunstdenkmäler des Kreises Bensheim” erschien bereits 1914. Die von ihm erfaßten Inschriften edierte Dammann in der Regel buchstabengetreu ohne sinnentstellende Fehler. Anders ist dies im Fall des von Max Herchenröder in den Jahren 1936 bis 1939 bearbeiteten und 1941 erschienenen Bandes „Die Kunstdenkmäler des Kreises Dieburg”. Zwar bemühte sich auch Herchenröder um eine buchstabengetreue Wiedergabe der Inschriften, doch unterliefen ihm vor allem bei Inschriften in gotischer Minuskel und bei Jahreszahlen schwerwiegende Lesefehler, die in den einzelnen Katalognummern vermerkt sind.

Das Inventar der „Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Darmstadt” wurde von Georg Haupt bereits 1944 im wesentlichen abgeschlossen, konnte aber erst in den Jahren 1952 und 1954 erscheinen. Die Qualität der von Haupt erstellten Lesungen läßt sich kaum beurteilen, da fast alle von ihm wiedergegebenen Inschriften bereits in älteren, zuverlässigen und ihm bekannten Abschriften vorlagen.118) Es ist zwar unzweifelhaft, daß Haupt die Denkmäler selbst autopsierte, doch bleibt fraglich, wieweit er seine Lesungen mit Hilfe der älteren Literatur korrigierte.

Zum Schluß sei noch die Inschriftenüberlieferung in der heimatkundlichen Literatur erwähnt, deren Qualität sich aufgrund der geringen Überlieferungsdichte kaum beurteilen läßt. Eine Ausnahme bilden hier der Beitrag von Friedrich Mössinger über die Starkenburger Hausinschriften sowie die Beiträge von Wilhelm Sturmfels in „Die liebe Heimat”, deren Inschriftenwiedergabe als zuverlässig angesehen werden kann.

Zitationshinweis:

DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Einleitung, 3. Die Quellen der nichtoriginalen Überlieferung (Sebastian Scholz), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06e001.

  1. Zu Helwich vgl. Fuchs, Helwich passim. »
  2. Fuchs, Helwich 76 f. und 81–83; DI 29 (Worms) LIIf.; DI 34 (Lkr. Bad Kreuznach) XXII f.; DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) XXXIV f. »
  3. Bonnet, Männer 107. »
  4. Vgl. Nrr. 247, 328»
  5. Vgl. etwa Nrr. 86, 157, 180, 181, 182, 216»
  6. Zur Person vgl. Huffschmid, Johann Franz Capellini 32 ff. »
  7. Vgl. DI 38 (Lkr. Bergstraße) XXII. »
  8. Vgl. Arens in DI 2 (Mainz) 23 f. und Brück, Stephan Alexander Würdtwein 193–216. »
  9. Vgl. Monsees in DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) XXXVIII. »
  10. Vgl. zur Person G. Winter, Steiner: Johann Wilhelm Christian, in: Allgemeine Deutsche Biographie 35 (1893) 703–705. »
  11. Lediglich Teile von Nr. 334 und Nr. 369 sind nur bei Haupt überliefert. »