Die Inschriften der Stadt Baden-Baden und des Landkreises Rastatt

Hinweis: Diese Einleitung enthält Abweichungen gegenüber der Druckfassung. Alle Von-Bis-Angaben bei Verweisen auf Katalognummern (z. B. Nr. 71–73) wurden aus Referenzierungsgründen zu kommaseparierten Listen aufgelöst.

5. Die Schriftformen

5.1. Romanische und Gotische Majuskel

Abgesehen von einzelnen Buchstaben und Buchstabenverbindungen, die sich als frühe Steinmetzzeichen interpretieren lassen (nrr. 3, 6), sind im gesamten Bearbeitungsgebiet nur drei Inschriften in Romanischer Majuskel559) erhalten geblieben (nrr. 1, 2, 5). Die wenigen und kurzen Belege zeichnen sich durch eine gleichbleibend schmale Strichführung aus, sind aber aufgrund der unterschiedlichen Entstehungszeiten und Herstellungsmethoden kaum vergleichbar. Während die in Stein gemeißelten Heiligennamen auf dem Steinbacher Tympanon (nr. 1, M. 12. Jh.) rechtwinklig angesetzte Sporen besitzen, haben diese auf dem Ebersteinburger Vortragekreuz (nr. 2, 2. H. 12. Jh.?) die Form langgestreckter konturierter Keile. An den mittels Wachsfäden gefertigten Buchstaben der Selbacher [Druckseite LXXV] Glocke fehlen sie gänzlich (nr. 5, 2. H. 13. Jh.). Hier ist das unziale E bereits abgeschlossen. Das O besitzt auf halber Höhe zwei Nodi. Am Steinbacher Bogenfeld ist indessen das N besonders hervorzuheben, dessen rechte Hälfte asymmetrisch nach oben verschoben ist, wodurch der Treffpunkt von Schrägschaft und rechtem Schaft deutlich über der Grundlinie sitzt. Das Vortragekreuz weist retrograde Buchstaben und überdies eine rückläufig angeordnete Inschrift auf. Der Bogen des R setzt dabei etwas unterhalb des oberen Schaftendes an, verschmilzt auf halber Zeilenhöhe mit der geradlinigen Cauda und ist am Ende nach innen eingebogen, ohne den Schaft zu berühren.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 1 - Steinbach (Stadt Baden-Baden), kath. Pfarrkirche St. Jakob d. Ä. - M. 12. Jh.

Steinbach, nr. 1

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 2 - Ebersteinburg (Stadt Baden-Baden), kath Pfarrkirche St. Antonius Eremita - 2. H. 12. Jh.?

Ebersteinburg, nr. 2

Die Entwicklung der Gotischen Majuskel560) läßt sich auf einer für die Umgebung vergleichweise breiten Materialbasis561) nachvollziehen. Sie kommt nahezu unvermischt auf 27 Inschriftenträgern vor (nrr. 4, 7, 12, 13, 16, 18, 21, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 32, 34, 35, 37, 38, 42, 44, 45, 47, 48, 49, 59) und ist daneben durch Versalien oder verstreute Einzelbuchstaben in vielen weiteren Inschriften präsent, mehrfach auch nach dem 14. Jahrhundert (nrr. 40, 46, 114, 208 u. a.). Zahlreiche Belege stammen aus der niemals gewaltsam zerstörten Grablege der Markgrafen von Baden im Kloster Lichtenthal, wo mehrere der älteren Grabmäler erhalten geblieben sind.562) Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, daß ein Teil der dort vorhandenen Grabschriften in Gotischer Majuskel erst um 1829/32 nach den Vorgaben Franz Josef Herrs von dem Weisenbacher Steinmetzen Johann Belzer563) bzw. seinen Mitarbeitern geschlagen wurde. Diese Texte sind zwar inhaltlich richtig, beruhen aber nicht auf einer älteren Kopialüberlieferung.564) Für einen anderen Teil steht die Originalität angesichts ungewöhnlicher Schreibungen, irritierender Fehler, unbeholfener Korrekturen oder auch einer merkwürdig qualitätlosen Ausführung durchaus in Frage (nrr. 8, 9, 10, 11, 17, 19). Diese Inschriften bilden somit eine Sondergruppe neben den 27 ursprünglichen Zeugnissen und werden aus der Gesamtauswertung ausgeklammert.

Um das für die Region charakteristische Formeninventar der Gotischen Majuskel genauer zu fassen, sollen im folgenden zunächst die prägnantesten Buchstaben dem Alphabet nach näher beschrieben werden. Dabei scheint es aufgrund der Belegverteilung ratsam, nur die Steininschriften zu berücksichtigen, da sie den größten Anteil (23) am Gesamtaufkommen haben. Sie bieten nicht nur ein relativ breites, sondern auch homogenes Material, das sich überdies nach Herkunft und Werkstatt näher differenzieren läßt. Die übrigen vier Inschriften können indessen nur knapp vorgestellt werden.

Der früheste Beleg für die Verwendung der Gotischen Majuskel auf Stein dürfte mit der Grabplatte für die 1260 verstorbene Klostergründerin Irmengard von Baden vorliegen (nr. 4).565) Hier ist noch ein trapezförmiges A mit beiderseits überstehendem Deckbalken verwendet worden. Diese Form nähert sich in den späteren Inschriften einem pseudounzialen A an, erreicht aber dessen Idealform nur selten. So wird der linke Schrägschaft zwar regelmäßig geschwungen ausgeführt, doch rückt der Deckbalken nur geringfügig oder gar nicht nach links (nrr. 18, 23, 24, 34, 37, 38 u. a.). Der Mittelbalken ist dabei überwiegend waagerecht oder rechtsschräg gestellt. In gebrochener Form kann er an den oberen Schaftenden ansetzen, läßt sich so aber erst nach der Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisen (nrr. 35, 37). Die Bögen des B sind bei besonders kunstvoll ausgeführten Inschriften aus dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts auf halber Zeilenhöhe nach innen eingerollt (nrr. 18, 24, 35). Das C besitzt bereits in manchen Belegen aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts einen Abschlußstrich (nrr. 12, 13, 18), wird aber auch noch 1366 offen wiedergegeben (nr. 37). Das D findet sich in unzialer Form lediglich auf einer Grabplatte von 1348 (nr. 26) und erscheint sonst immer als Kapitalisbuchstabe. Hingegen wurde das E stets unzial und geschlossen ausgeführt. Die Öffnung des runden G ist überwiegend auf ein Minimum reduziert und das obere Bogenende durch einen langen Sporn hervorgehoben (z. B. nrr. 12, 21, 23, 24, 29, 35, 38). Das H tritt nur als Unzialbuchstabe in Erscheinung. Das I kann auf halber Zeilenhöhe einen Nodus besitzen (nrr. 12, 13, 34, 49), doch läßt sich [Druckseite LXXVI] dessen Verwendung zeitlich nicht näher eingrenzen. J-longa ist fast regelmäßig am oberen Schaftende nach links umgebrochen (Ausnahme: nr. 28). Der Balken des L ist entweder keilförmig verbreitert (nrr. 13, 21, 25, 29, 45, 48) – ab der Mitte des 14. Jahrhunderts oft auch als Balkensporn ausgeführt (nrr. 23, 30, 42, 44, 47, 49) –, oder gewölbt und mit einer Schwellung versehen (nrr. 18, 23, 24, 25). Dann mündet das freie Ende meist in ein Zierhäkchen. Das Auftreten der gewölbten Form bleibt indessen auf qualitativ hochwertige Inschriften aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts beschränkt. Nur in einem Fall ist der Schaft schräggestellt bzw. nach rechts durchgebogen (nr. 34). Das M kommt fast ausschließlich in seiner unzialen Ausprägung vor, überwiegend in der links geschlossenen Form (nrr. 13, 18, 24, 30, 34, 35, 37, 42, 44, 45), seltener in der offenen (nrr. 12, 21, 23, 34, 48) oder beiderseits geschlossenen symmetrischen Variante (nrr. 24, 25, 32). Das N ist nahezu immer rund (Ausnahme nr. 13). Die überwiegend geschwungene Cauda des R verschmilzt in qualitativ besonders hochwertigen Inschriften mit dem nach innen eingerollten Bogen (nrr. 12, 23, 24, 25). Der Deckbalken des meist runden T (Ausnahme: nr. 49) besitzt ab dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts häufig eine aufgesetzte Schwellung, die bisweilen spitz ausgezogen ist (nrr. 21, 23, 29, 34, 35, 37). Von den zwei Schrägschäften des X ist hauptsächlich der Rechtsschrägschaft geschwungen und am unteren Ende zu einer umgebogenen Haarlinie ausgezogen (nrr. 12, 18, 23, 24, 26, 37). Als Worttrenner dienen kleine Kreise – seltener auch Punkte – auf halber Zeilenhöhe.

Einige der Steininschriften lassen sich aufgrund formaler Konstanten in Gruppen zusammenfassen und derselben Steinmetzhütte zuordnen. Als Kriterien können freilich nur solche Merkmale dienen, die nicht dem allgemeingültigen Formeninventar zuzurechnen sind, das die Gotische Majuskel überregional auszeichnet. Die Grenze zwischen den generellen Charakteristika einer Schrift und den hinzutretenden Besonderheiten einer Region oder Werkstatt ist allerdings nicht immer klar zu ziehen. Immerhin lassen sich innerhalb des Bearbeitungsgebietes einige Zierformen identifizieren, die sich in ihrer spezifischen Ausprägung im weiteren Umkreis – abgesehen von einem Zentrum – nicht oder nur sehr selten beobachten lassen. Dazu zählen vor allem jene langen, eingebogenen oder eingerollten Haarlinien, die an freien Enden von Buchstabenelementen bzw. an deren Sporen ansetzen. Besonders auffällig ist diese Verzierung am B, wo die Bogenenden auf halber Zeilenhöhe nicht auf den Schaft treffen, sondern nach einer kurzen Berührung oder auch nur Annäherung in dünne, spiegelbildlich voneinander abgekehrte Zierhäkchen ausgezogen sind (nrr. 18, 24, 35). Diese Gestaltungsvariante findet sich auch am R (nr. 18), doch ist hier häufiger noch eine Verschmelzung von Cauda und Bogen zu beobachten, so daß hier beide Buchstabenbestandteile gemeinsam in eine sich nach oben einrollende Haarlinie münden, wiederum ohne den Schaft zu berühren (nrr. 12, 23, 24, 25). Besonders aufschlußreich ist, daß sich diese anspruchsvolle Buchstabengestaltung auf dem Grabmal für die Klostergründerin Irmengard wahrnehmen läßt, das von dem Straßburger Bildhauer Wölflin von Rufach566) ausgeführt wurde (nr. 23).

Baden-Baden-Lichtental, nr. 23

Auch in Straßburg selbst trifft man mehrfach auf diese Verzierung, die offenbar für eine hier anzusiedelnde Tradition kennzeichnend ist. Diesbezüglich ist vor allem auf die Sterbevermerke für den Münsterbaumeister Erwin von Steinbach, seine Ehefrau Husa und seinen Sohn Johannes an einem Strebepfeiler der Kathedrale bei der Johanneskapelle zu verweisen.567) Während diese Inschriften zwischen 1317 und 1339 oder bald danach entstanden sein dürften, datiert die Grabbezeugung für den Werkmeister Werlin von Nordelahe, die das R in der gleichen Form enthält, wohl noch aus dem 13. Jahrhundert.568) Weitere Belege aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bieten die Grabplatten für Nikolaus Buller (gest. 1324), für einen Herrn Schoube gen. Zehe oder auch für einen Rudolf gen. [B?]ubenweg im Straßburger Musée de l’Œuvre Notre-Dame.569)

[Druckseite LXXVII]

Im Bearbeitungsgebiet lassen sich das B bzw. das R in den beschriebenen Formen außerdem auf den Grabmälern für Heinrich von Riegel (nr. 12) und die Markgrafen Friedrich II. (nr. 18), Rudolf IV. von Baden (nr. 25) sowie Konrad von Fürstenberg (nr. 24) nachweisen.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 23 - Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Fürstenkapelle - 1341–1344
Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 24 - Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Fürstenkapelle – 1346

Baden-Baden-Lichtental, nr. 24

Ob diese Inschriften nun in Straßburg selbst oder durch in Straßburg geschulte Steinmetzen vor Ort geschlagen wurden, läßt sich nicht entscheiden. In jedem Falle aber wird man davon ausgehen dürfen, daß sich in der spezifischen Ausformung dieser Inschriften der Einfluß einer bedeutenden Straßburger Steinmetzhütte dieser Zeit niedergeschlagen hat. Zu ihrem charakteristischen Buchstabeninventar gehören überdies ein annähernd pseudounzial gestaltetes A, während ein kapitales oder trapezförmiges A nirgends vorkommt. Das F ist indessen stets der Kapitalis entnommen, wenngleich der obere Balken bereits leicht gewölbt ist oder eine aufgesetzte Schwellung besitzt. Stark geschwungen ist der Balken des L, der links in ein nach oben umgebogenes Zierhäkchen mündet. Während der Linksschrägschaft des X annähernd gerade ist, wird die Schwingung des anderen Schrägschafts vor allem in der unteren Zeilenhälfte betont. Das untere Schaftende ist ebenfalls mit einem Zierhäkchen besetzt. Auf dieses Gestaltungselement ist in den Inschriften für Konrad von Fürstenberg (nr. 24) und Irmengard von Baden (nr. 23) besonders häufig zurückgegriffen worden. Es läßt sich hier nicht nur – wie oben beschrieben – an den Bogenenden von B und R, sondern auch an den Schäften von B und D sowie an den Bogenenden von C, E, G und S beobachten. Diese Besonderheit fällt ebenso am unzialen E in einer undatierten Inschrift auf der Burg Alt-Eberstein auf und dient mithin als wichtiges Datierungsindiz (nr. 29).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 25 - Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Fürstenkapelle - 1348

Baden-Baden-Lichtental, nr. 25

Am Wandgrabmal Markgraf Rudolfs IV. von Baden (nr. 25) hat man die Verwendung jener Zierlinien bereits stark eingeschränkt bzw. modifiziert. Die freien Bogenenden sind auf der Grundlinie zwar noch umgebogen, doch enden sie stumpf und stehen deutlich weiter vom Buchstaben ab. Diese Tendenz verstärkt sich ab der Mitte des 14. Jahrhunderts insofern, als die Zierhäkchen entweder wegfallen oder sich immer stärker entrollen, bis sie geschwungen oder geradlinig annähernd parallel zur Grundlinie verlaufen. Bisweilen tragen sie eine leichte aufgesetzte Schwellung. Zu dieser zweiten, etwas jüngeren Gruppe von Inschriften aus dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts gehören die Grabplatten für den Schwarzacher Abt Heinrich von Grostein (nr. 34), die Gräfin Adelheid von Eberstein (nr. 35) und einen sonst unbekannten Albert (nr. 37).

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 34 - Schwarzach (Gde. Rheinmünster), kath. Pfarrkirche St. Peter und Paul (ehem. Abteikirche) - 1358

Schwarzach, nr. 34

Vor allem die letzteren zwei sind darüber hinaus in zahlreichen Schriftdetails eng verwandt, so daß sie wohl von derselben Hand stammen. Hier ist insbesondere auf das flachgedeckte A mit geschwungenem linken Schrägschaft zu verweisen, das über einen gebrochenen, an den oberen Schaftenden ansetzenden Balken verfügt. Die Schwellungen sind hier bereits überwiegend spitz ausgezogen. Das F ist rund und das freie Balkenende des L mit einem senkrechten spitzen Dorn versehen. Straßburger Einfluß ist weiterhin spürbar, so beispielsweise am B von EBERSTEIN, dessen Bogenenden immer noch in der typischen Form eingerollt sind.

[Druckseite LXXVIII]

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 35 - Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Klosterkirche - 1359

Baden-Baden-Lichtental, nr. 35

Unter den spätesten Belegen der Gotischen Majuskel lassen sich ferner die Grabplatte für Markgraf Bernhards I. Tochter Mechthild von Baden (nr. 48) und das sog. „Kellers Kreuz“ (nr. 47) in einen Werkstattzusammenhang stellen. Dafür sprechen die gleichen Buchstabenformen, der Nexus litterarum AR, vor allem aber die dünnstrichige und die Grundlinie durchschneidende R-Cauda. Länge und Öffnungsgrad der gekrümmten Zierlinien, die noch immer zu beobachten sind, haben sich hier weiter vergrößert.

Die Fragmente einer nur unvollständig beschrifteten Grabplatte für zwei Herren von Selbach (nr. 49) deuten darauf hin, daß zumindest zum Ende des 14. Jahrhunderts auch in der Stadt Baden eine auf hohem Niveau arbeitende Steinmetzhütte existierte, da man eine unfertige Arbeit wohl kaum von Straßburg hierher transportiert hätte.

Einen Sonderfall der Steininschriften bildet das überdurchschnittlich qualitätvoll gearbeitete Grabmal für den 1324 verstorbenen Johannes von Lichtenberg (nr. 13). Die Schriftkerben waren ursprünglich mit eingedübelten Metallbuchstaben ausgefüllt, weshalb sie etwas breiter geschlagen wurden und eine rauhe, rechtwinklige Kerbe aufweisen. Aufgrund der Herstellungstechnik fehlen hier die sonst üblichen feinen Zierlinien. Die freien Bogenenden weisen einen geringeren Krümmungsgrad auf und schließen stumpf ab.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 13 - Baden-Baden-Lichtental, Kloster Lichtenthal, Klosterkirche - 1324

Baden-Baden-Lichtental, nr. 13

Auf anderen Materialien haben sich nur vier Inschriften in Gotischer Majuskel erhalten (nrr. 7, 16, 27, 59). Die wohl kurz nach 1300 entstandenen Stifterscheiben aus der Klosterkirche Lichtenthal (nr. 7) wurden in einer Straßburger Werkstatt angefertigt, wie sich vor allem aus einem Vergleich mit der Mutziger Chorverglasung ergibt. Die offenbar unter Straßburger Einfluß entstandenen Formen der Steininschriften finden sich auch hier, doch ist das Buchstabeninventar umfangreicher; außerdem sind die Schwellungen bzw. keilförmigen Verdickungen schon viel stärker ausgeprägt. Gleiches gilt für das um 1330 in Speyer gefertigte Eucharistiekästchen (nr. 16), dessen gravierte und emaillierte Inschriften deutliche Innenschwellungen aufweisen. Die fremde Provenienz zeigt sich überdies an einigen im Bearbeitungsgebiet sonst nicht nachweisbaren Zierelementen, wie beispielsweise an einem einseitig nach rechts angesetzten Zierbalken bzw. -sporn am unteren Schaftende des P. Den letzten Beleg für die Verwendung einer reinen Gotischen Majuskel bietet die große Ottersweierer Glocke aus dem Jahre 1436 (nr. 59). Aufgrund der Schrift läßt sie sich dem Œuvre des Schaffhausener Meisters Heinrich Hafengiesser zuordnen.570)

5.2. Gotische Minuskel

Die Verwendung der Gotischen Minuskel läßt sich auf mehr als 100 Inschriftenträgern nachweisen.571) Ab dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts beginnt sie, die Gotische Majuskel im Bereich der Monumentalschrift abzulösen, und verdrängt diese im 15. Jahrhundert fast vollständig.572) Der früheste Beleg, der zugleich einer der qualitativ hochwertigsten ist, stammt offenbar bereits aus dem Jahre 1372, [Druckseite LXXIX] da bislang nichts für eine spätere Anfertigung des Tischgrabmals für Markgraf Rudolf VI. von Baden spricht (nr. 40). Die Versalien und verstreute Einzelbuchstaben gehören hier noch vollständig der Gotischen Majuskel an und deuten aufgrund der stark eingebogenen Zierlinien auf Straßburger Einfluß hin.573) Die Gemeinen sind in ein Zweilinienschema gezwängt und stehen unverbunden nebeneinander. Die relativ lockere Reihung der Buchstaben bleibt auch für die späteren Steininschriften, denen über die Hälfte der ermittelten Nachweise zuzurechnen ist und die deshalb zuerst einer Gesamtauswertung unterzogen werden sollen, bis auf wenige Ausnahmen prägend. Nur die qualitativ hochwertigen Schriften zeichnen sich durch eine Tendenz zu schmaleren Proportionen bei gleichzeitiger Verringerung der Buchstabenzwischenräume aus, wodurch sich ein relativ starrer Duktus ergibt. Ein prägnantes Beispiel dafür ist das Grabmal für Hans Adam Röder von Tiefenau (nr. 78). Hier berühren sich die Buchstaben überwiegend; das Zweilinienschema ist bereits durchbrochen. Die Inschrift wurde erhaben geschlagen und verfügt über Grate sowie dezente Dornen in Höhe der oberen Mittelbandbegrenzungslinie. Beide Zierelemente lassen sich auf Stein jeweils nur noch ein weiteres Mal beobachten. So weist auch die ebenfalls erhaben gehauene Grabschrift für Walter von Heimenhofen (?) Grate auf, doch sind hier die Buchstaben deutlich gedrungener ausgeführt (nr. 115). Unscheinbare Dornen lassen sich indessen nochmals am Epitaph für Kaspar Vogt (nr. 109) entdecken. Noch enger gestellt, aufgrund der schmaleren Proportionen aber immer noch unverbunden, sind die eingemeißelten Buchstaben auf dem Grabmal für Albrecht von Berwangen und seine Frau (nr. 104). Beide Inschriften verfügen über einige Merkmale, die auch auf anderen, etwa gleichzeitig entstandenen und wohl einer Werkstatt zuzuordnenden Grabmälern wiederkehren (nrr. 104, 109, 118, 125, 134). Dazu gehört neben den gleichbleibend schmalen Kerben, die lediglich auf dem Vogt-Epitaph (nr. 109) breiter ausgehoben sind, vor allem ein aus der Grundform der Minuskelbuchstaben entwickelter A-Versal, dessen unterer Bogen unten offen ist und dessen oberer Bogen als waagerechter, teilweise leicht durchgebogener Balken ausgeführt wurde. Daneben ist auf ein links geschlossenes unziales M zu verweisen, dessen Bögen mehrfach gebrochen sind und dessen rechtes Bogenende knapp unter der Grundlinie nach links umgebrochen ist. Andere Versalien sind bereits der Frühhumanistischen Kapitalis entnommen, wie beispielsweise das spitze A mit Deckbalken, das in Höhe der oberen Zeilenlinie gebrochene C oder das spitzovale O. Unter den Gemeinen hat das g einen nach rechts ausholenden unteren Bogen. Der sonst übliche Zierbalken am oberen Schaftabschnitt oder die nach rechts überragende Verlängerung des oberen Bogens fehlen hier. Die Kürzungsstriche sind überwiegend leicht gewölbt.

Baden-Baden, nr. 104

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 104 - Baden-Baden, kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau (ehem. Stiftskirche) - 1475–78

Baden-Baden, nr. 109

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 109 - Baden-Baden, kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau (ehem. Stiftskirche) - 1485?
Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 118 - Baden-Baden, Stadtmuseum (Lichtentaler Allee 10) - 1492

Baden-Baden, nr. 118

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 125 - Baden-Baden-Fremersberg, Kloster Fremersberg - 1495

Baden-Baden-Fremersberg, nr. 125

Offenbar aus einer anderen Werkstatt, aber von ähnlich hoher Qualität ist das Grabmal für den ersten Stiftspropst Bernhard von Baden (nr. 97). Auch hier ist das A aus der Grundform des Minuskelbuchstaben abgeleitet, doch weicht die genaue Ausführung von dem für die oben vorgestellte Gruppe typischen A ab. Eine Gemeinsamkeit besteht allerdings in einem kurzen, den linken Schaft begleitenden Zierstrich, der sich ebenfalls innerhalb des Sterbevermerks für Kaspar Vogt (nr. 109) nachweisen läßt. Der das Todesdatum am Bernhard-Epitaph (nr. 97) nachtragende Steinmetz versah außerdem den J-longa-Schaft mit einer Zackenkante, die sich auch später noch einige Male in Steininschriften nachweisen läßt (nrr. 124, 157, 183), jedoch nach 1515 nicht mehr zu beobachten ist. Zu diesen Belegen zählt auch die Gedenkinschrift für den Stiftspropst Johannes Horn (nr. 124), die zu den kunstvollsten Arbeiten in Gotischer Minuskel gehört. Stilistische und schriftkundliche Gründe weisen den in Straßburg wirkenden Bildhauer Conrat Seyfer574) als Urheber aus. Charakteristisch sind neben den sonst vollständig von den Quadrangeln verdrängten kreisförmigen Worttrennern vor allem die linken Schäfte von m, n und u, die am oberen Ende bisweilen nicht umgebrochen sind, sondern stumpf enden.

[Druckseite LXXX]

Eine in Gotischer Minuskel ausgeführte Bildhauersignatur findet sich nur an dem Kruzifix von Nikolaus Gerhaerts von Leyden (nr. 84). Sie stammt aus dem Jahre 1467 und ähnelt im Schriftduktus der fünf Jahre älteren Signatur des Meisters am Grabmal für den Trierer Erzbischof Jakob von Sierck.575) In beiden Inschriften sind die oberen Buchstabenabschnitte stark nach links gekrümmt. Es mag der Verwendung der deutschen Sprache geschuldet sein, daß der Bildhauer bei dem Kruzifix auf eine sonst ungewöhnliche a-Form zurückgegriffen hat, die einer schleifenförmigen 4 entspricht. Auch münden hier die Oberlängen in Zierschlaufen. Während das Bildwerk selbst einen prägenden Einfluß auf die stilgeschichtliche Entwicklung des Kruzifixes ausübte,576) blieb die Schrift zumindest im Bearbeitungsgebiet offenbar ohne Nachahmung. Indessen läßt sich für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts eine zunehmende Variabilität in den verwendeten Versalien feststellen. Dabei pegelt sich die Qualität der Schriftausführung allerdings auf mittlerem Niveau ein. Aufwendige Zierelemente, wie Grate, Dornen und Zackenkanten finden nach dem ersten Jahrzehnt kaum noch Verwendung. Eine Bandminuskel, die auch zuvor nur in gravierten (nrr. 61, 139, 140) oder gegossenen Inschriften (nr. 102) bzw. in einem Rötelgraffito (nr. 127/B) ausgeführt wurde, kommt überhaupt nicht mehr vor. Ebensowenig existieren aus den Jahrzehnten nach 1500 noch Beispiele für die erhabene Ausführung der Gotischen Minuskel in Stein. Zu den hochwertigsten Schriftzeugnissen dieser Zeit sind zwei Ottersweierer Wappensteine zu rechnen, die jedoch in keinem nachweisbaren Werkstattzusammenhang stehen (nrr. 157, 189). Die Verwendung von kleinen Kreisen als Zifferntrenner (nr. 189) könnte auf eine Straßburger Herkunft hindeuten.577) Hingegen wird man für die Stadt Baden davon ausgehen dürfen, daß zunehmend einheimische Steinmetzen beauftragt wurden. Aufgrund eng verwandter Schriftformen läßt sich einer dieser namentlich unbekannten Werkstätten eine Gruppe von fünf Grabmälern zuordnen (nrr. 169, 194, 219, 221, 222). Offenbar stammen alle aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, datiert sind jedoch nur drei (nrr. 169, 194, 219). Auf den relativ großen zeitlichen Abstand ist es wohl zurückzuführen, daß der Zusammenhang der Platten nicht immer an denselben Buchstaben zu belegen ist, sondern daß bestimmte markante Übereinstimmungen in der Regel nur auf zwei bis vier der Inschriften zutreffen. Die Menge der Gemeinsamkeiten verteilt sich jedoch so, daß an derselben Herkunft kein Zweifel bestehen kann. Die auffälligsten Parallelen betreffen die Versalien: In den Inschriften nrr. 194, 219 und 221 ist das A aus der Grundform der Minuskel abgeleitet, in zwei davon ist der Schaft stark nach links durchgebogen, während der obere Abschnitt des unteren Bogens verlängert und stark nach rechts durchgebogen ist (nrr. 194, 221). Ähnlich stark gekrümmt ist der Schaft des B in den Grabbezeugungen für Heinrich von Amelungen und das Ehepaar vom Han (nrr. 221, 222). Charakteristischer noch ist das kapitale D, dessen oberes Bogenende den Schaft nicht berührt, die obere Zeilenbegrenzungslinie linksschräg durchschneidet und so etwas nach links überragt (nrr. 169, 194, 219). Das E erscheint zweimal mit einem eckigen oberen und einem separaten runden unteren Bogen (nrr. 169, 219). Unter den Gemeinen sind die Gemeinsamkeiten noch weitreichender. Die oberen Bogenabschnitte am c und am oberen Bogen des g verlaufen waagerecht. Das bevorzugt verwendete, sehr schmale Bogen-r besteht aus zwei gegenläufigen, übereinandergesetzten Bögen. Der linke und der mittlere Schaft des w sind parallel gestellt, beide stark eingebogen und in den Oberlängenbereich hinein verlängert.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 169 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1512

Baden-Baden, nr. 169

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 194 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1518

Baden-Baden, nr. 194

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 219 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1524

Baden-Baden, nr. 219

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 221 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1. V. 16. Jh.

Baden-Baden, nr. 221

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 222 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1. V. 16. Jh.

Baden-Baden, nr. 222

Daneben existieren weitere kleinere Gruppen an Grabmälern, die sich jeweils einer Hand zuweisen lassen. Aus dem Jahr 1515 stammen die Grabplatten für Reinhard von Remchingen und Wilhelm von Winterbach, die ganz offensichtlich von demselben Steinmetzen geschlagen wurden (nrr. 182, [Druckseite LXXXI] 183). Beide Inschriften verfügen über einen A-Versal, der wiederum aus der Minuskel-Grundform abgeleitet ist und am oberen Bogen mit Zacken bzw. Dornen besetzt ist. Der gebrochene obere Abschnitt des oberen g-Bogens ist als rechtsschräger Deckbalken ausgeführt, der im Schnittpunkt mit dem Schaft steiler nach unten umknickt. Der Bogen des h ist unter die Grundlinie verlängert und schwingt im Unterlängenbereich nach links aus.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 182 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1512

Baden-Baden, nr. 182

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 183 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1515

Baden-Baden, nr. 183

In ihrer Schrift eng verwandt sind ebenso die Grabplatten für Hans von Eyb und den Priester Hieronymus Sparbrot (nrr. 249, 270). Unter den Versalien, die vielfach in einzelne Schwellzüge aufgelöst sind, ist vor allem das unziale H hervorzuheben, dessen Bogen in beiden Inschriften etwa denselben Krümmungsgrad aufweist und in den Unterlängenbereich hineinreicht. Der obere Bogen des a ist vollkommen ausgerundet. Die Oberlängen von b und l sind gespalten. Der rechtsschräg geschnittene Balken des t wird genau in der Mitte vom Schaft durchschnitten. Der obere Abschnitt des gebrochenen oberen g-Bogens ist als linksschräg gestellter Deckbalken ausgeführt, der den Schaft durchschneidet und nach rechts überragt. Der untere g-Bogen holt nach rechts aus und endet in einer spitz zulaufenden Geraden, die leicht nach oben durchgebogen ist. Ganz ähnlich gestaltet sind die Endabschnitte der s-Bögen.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 249 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1540

Baden-Baden, nr. 249

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 270 - Schwarzach (Gde. Rheinmünster), kath. Pfarrkirche St. Peter und Paul (ehem. Abteikirche) - 1549

Schwarzach, nr. 270

Nur wenige Jahre später sind zwei weitere Grabplatten entstanden, die über ähnliche Buchstabenformen verfügen, aber in bestimmten Details auch deutlich abweichen (nrr. 295, 309). Hier wird die Gotische Minuskel bereits stärker von der Fraktur durchdrungen. Dies zeigt sich in der Aufspaltung der Versalien A, E, G und J in mehrere Bestandteile, aber auch in den Gemeinen f und s, deren Schäfte unter die Grundlinie ragen und bereits annähernd als Schwellschäfte ausgeführt sind. Weitere Gemeinsamkeiten bestehen in der Verwendung eines pseudounzialen A-Versals, eines g, dessen oberer Abschnitt des oberen Bogens als waagerechter, den Schaft durchschneidender Deckbalken gestaltet ist, und eines h, dessen oberer Schaftabschnitt stark nach rechts umgebogen ist, während das untere Bogenende unter der Grundlinie weit nach links verlängert wurde.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 295 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1540

Baden-Baden, nr. 295

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI 78, Nr. 309 - Altkath. Pfarrkirche St. Maria u. Vierzehn Nothelfer (ehem. Spitalkirche) - 1550–1559

Baden-Baden, nr. 309

Aus der gleichen Zeit datieren drei für die Kirche zu Ottersweier geschlagene Grabschriften, die noch eine deutlich konservativere Schrift aufweisen (nrr. 292, 293, 296). Als typisches Kennzeichen des damit beauftragten Steinmetzen darf ein A-Versal in der Minuskel-Grundform gelten, dessen unterer Bogen am oberen Ende im Kreisbogen weit nach links zurückgebogen und eingerollt ist. Ebenso charakteristisch ist das d, dessen Schaft erst oberhalb des Mittelbandes abknickt. Der linksschräg gestellte Abschnitt hat eine deutliche Überlänge. Der Bogen des h ist im unteren Bereich leicht geschwungen und unter die Grundlinie geführt.

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 292 - Ottersweier, kath. Pfarrhof - 1552

Ottersweier, nr. 292

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 293 - Ottersweier, kath. Pfarrhof - 1552

Ottersweier, nr. 293

Heidelberger Akademie der Wissenschaften | DI78, Nr. 296 - Ottersweier, kath. Pfarrkirche St. Johannes der Täufer - 1553, 1553 oder Später

Ottersweier, nr. 296

Den letzten Beleg für die Verwendung der Gotischen Minuskel im Bearbeitungsgebiet bietet das Grabmal für die 1580 verstorbene Witwe Anna Botzheim (nr. 372). Hier sind die Versalien fast vollständig dem Formeninventar der Fraktur entnommen, während jedoch die Gemeinen noch keine Vermischung erkennen lassen.

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Auf anderem Material ist die Gotische Minuskel viel seltener nachweisbar, so daß sich hier weder Entwicklungen nachvollziehen noch Werkstattzusammenhänge ermitteln lassen, sondern allenfalls Besonderheiten hervorgehoben werden können. Zu den frühesten gegossenen Belegen gehört eine Glocke vom Jahre 1420, deren Inschrift keine Versalien integriert (nr. 56). Unter den Gemeinen ist das g am oberen Schaftabschnitt mit einem waagerechten Zierbalken versehen, an dem zusätzlich eine senkrechte Haarlinie ansetzt. Ähnliche, unten hakenförmig umgebogene Zierlinien sind auch der Fahne des r oder dem t-Balken angefügt. Viel gröber gegossen ist der Herstellungsvermerk Jakob Stempfels auf einem Lichtenthaler Mörser (nr. 65). Die Schaftenden sind stark verbreitert und teilweise gespalten, Schwellungen an den Versalien nach Art der späten Gotischen Majuskel spitz ausgezogen. Von höchsten Qualitätsansprüchen zeugt indessen die Metallauflage der verlorenen Grabplatte für den 1497 verstorbenen Priester Johannes Gessel (nr. 129). Sie zeigt Versalien, die teils der Gotischen Majuskel, teils auch schon der Frühhumanistischen Kapitalis entnommen sind. Die hier ebenfalls zu beobachtenden Zierstriche und die schräg geschnittenen Ober- und Unterlängen münden in tropfen- bzw. knopfförmige Verdickungen.

Auch die in Gotischer Minuskel beschrifteten Goldschmiedearbeiten stammen allesamt aus dem 15. Jahrhundert (nrr. 61, 66, 91, 140). Ein von Herzogin Katharina von Österreich dem neu gegründeten Kollegiatstift zu Baden geschenkter Abendmahlskelch ist eine hochwertige Arbeit, die offenbar noch vor 1447 in ihrer Heimat angefertigt und vor der Übereignung an das Stift in Straßburg umgearbeitet wurde (nr. 61). Den Fuß umläuft eine durchbrochene und als Bandminuskel gestaltete Stifterinschrift. Besonders auffallend sind die schräg geschnittenen oberen Schaftenden von h und t, die rechts weit nach oben verlängert sind und in knopfartigen Verdickungen enden. Ecken und Brechungen sind generell durch dornartige Spitzen hervorgehoben. Diese Art der Verzierung läßt sich außerdem an zwei nur wenig später entstandenen Goldschmiedearbeiten beobachten. Die ältere davon ist ein Geschenk Kaiser Friedrichs III. an das Kollegiatstift zu Baden und wurde vermutlich wie der Kelch in Straßburg umgearbeitet (nr. 66). Hier sitzen die Dornen zusätzlich auf halber Höhe am Schaft-s, das auch am Wortende erscheint. Die Zierlinien sind lang und an den Enden stark eingerollt. Das untere Ende des p-Schaftes ist gespalten. Im Vergleich dazu verfügt die Stiftungsinschrift auf einer in der Abtei Lichtenthal aufbewahrten Paxtafel nur über reduzierte Dornen und Zierstriche (nr. 91). Aufgrund mundartlicher Indizien und der Herkunft der Stifterinnen dürfte die ausführende Goldschmiedewerkstatt in Konstanz zu suchen und vermutlich mit jener Stephan Maignows578) identisch sein. Während sowohl auf dem Kreuz als auch auf dem Pacificale die Inschriften gravur-positiv579) umgesetzt wurden, erscheinen die Nameninschriften auf einer Monstranz zu Niederbühl in Kontur vor kreuzschraffiertem Hintergrund (nr. 140). Der schmiedehandwerklichen Qualität entspricht die Ausführung der Inschrift als Bandminuskel. Da die Niederbühler Kirche jedoch noch 1683 keine Monstranz besaß,580) liegen Herkunft und ursprüngliche Zweckbestimmung auch dieses Gefäßes im Dunkeln.

Die Zahl an gemalten Inschriften in Gotischer Minuskel liegt zwar im Vergleich zu den gegossenen und gravierten Belegen etwas höher, doch kommt davon aufgrund erkennbarer oder bezeugter Überarbeitungen nur ein Teil für eine schriftkundliche Auswertung in Betracht. Angesichts des zu vernachlässigenden oder nicht mehr sicher zu identifizierenden Bestandes an originalen Buchstabenformen bleiben vor allem die Wandmalereien in den Kirchen zu Loffenau (nr. 98), Durmersheim-Bickesheim (Einl. Kap. 6. nr. *18) und Rastatt (nr. 141), außerdem eine Indulgenztafel im Kloster Lichtenthal (nr. 136) und einige Scheiben der Ottersweierer Chorverglasung (nr. 196) ausgeklammert. Völlig verfälscht wurde auch das Schriftband des hl. Petrus auf einer Scheibe in der Lichtenthaler Fürstenkapelle (nr. 106). Besser erhalten ist indessen das gleichzeitig gefertigte Pendant mit der Darstellung des hl. Andreas (nr. 107). Besonders auffällig ist hier die verstärkte Verwendung langer geradliniger Haarlinien, die als reduzierte Buchstabenbestandteile oder Zierelemente dienen. Die freien Schaftenden von b, t, und h sowie der untere Bogenabschnitt des h sind gespalten, wobei jeweils eine Seite stärker und länger ausgeführt wurde. Besonders charakteristisch sind die Trennzeichen in Form schräg geschnittener Balken, die von langen Haarlinien begrenzt werden. – Auch fast alle übrigen gemalten Inschriften sind für das Kloster Lichtenthal geschaffen oder später von der Abtei erworben worden. Von herausragender Qualität ist die metrisch verfaßte Devise auf dem 1496 gefertigten Nonnenchoraltar (nr. 127/O). Unter den Versalien ist das C bereits in Frühhumanistischer Kapitalis wiedergegeben, die übrigen entstammen noch der Gotischen Majuskel oder sind aus den [Druckseite LXXXIII] Gemeinen abgeleitet. Gespalten und teilweise zu schmalen Dornen ausgezogen sind die Schäfte von b, h und l, hingegen ist das obere Schaftende des t lediglich schräg geschnitten. Der untere Bogen des g holt nach rechts aus und verjüngt sich im Unterlängenbereich zu einer langgezogenen, nach oben gewölbten Spitze. Noch reichere Verzierungen weist der liturgische Gebetstext auf dem Schutzdeckel des Votivbildes mit der Darstellung des seligen Bernhard von Baden auf (nr. 155). Ins Auge fallen besonders die Rubrizierungen, die zahlreichen Musterungen der Binnenflächen, Schaftverdoppelungen oder auch die verschlungenen und rankenförmigen Zeilenfüllungen. Hier sind die Oberlängen nicht durchgängig gespalten; der überwiegende Teil davon endet stumpf. Die Schaftunterlänge des p ist stark nach links zurückgebogen, der untere Bogen des g hingegen wie am Altar ausgeführt. Diese Form läßt sich ein drittes Mal auf einem Gemälde mit der Beweinung Christi nachweisen (nr. 142). Ähnlich gemalt, in den wenigen verwendeten Buchstaben aber zu unspezifisch, sind die Nameninschriften auf einem Bild zu einer Legende um den hl. Nikolaus (nr. 137). Aus Gründen des Stils und der perspektivischen Täuschungen wird man jedoch dieselbe unbekannte Malschule annehmen dürfen, der auch der Maler der Flügel des Lichtenthaler Hochaltars (nr. 114) entstammte. Im Duktus schwerfälliger und in der Strichstärke breiter, in den Versalien jedoch auffallend variationsfreudig ist ein Lichtenthaler Bild mit den ganzfigurigen Abbildern der vier Kirchenväter (nr. 144). In den Schaftverdoppelungen und verflechtungen wird hier der Einfluß der Frühhumanistischen Kapitalis und der Fraktur spürbar. Letztere greift in den späteren Inschriften auch auf die Gemeinen über, so beispielsweise in den 1518 gemalten Schriftbändern auf den Scheiben der Ottersweierer Chorverglasung (nr. 196/A), wo sich die rechten Schäfte des w allmählich zu Schwellzügen entwickeln. Die an der Gotischen Minuskel mehrfach nachweisbaren Zackenkanten (nrr. 124, 129, 155, 157, 183) sitzen hier nicht direkt am Buchstaben an, sondern verzieren eine begleitende Haarlinie (nr. 196/F). Noch stärker sind die Inschriften auf dem sog. Votivbild des Sebastian Metzger von der Fraktur überformt (nr. 239). Hier sind die Bögen bereits vielfach ausgerundet und – vor allem am d – annähernd spitzoval. Das s wurde dabei am Wortende erstmals als geschlossene Schleife wiedergegeben.

An gestickten Inschriften lassen sich nur zwei anführen (nrr. 135, 208), von denen eine vermutlich erst im 18. Jahrhundert erstellt wurde (nr. 208). In jedem Falle authentisch ist die einzige geschnitzte Gotische Minuskel. Sie wurde 1512 von dem Pforzheimer Schreiner Hans Kern581) ausgeführt (nr. 170). Auch hier fallen besonders die dornartigen Schaftverzierungen sowie hakenförmig umgebogenen Haarlinien auf.

Zusammenfassend lassen sich für die Gotischen Minuskel im Bearbeitungsgebiet nur wenige markante regionalspezifische Merkmale herausarbeiten. In Bezug auf die Erscheinungsformen einzelner Buchstaben ist folgendes zu beobachten: Das c weist vor 1474 (nr. 94) nirgends einen waagerecht gestellten oberen Bogenabschnitt auf. Der Bogen des h durchschneidet erstmals 1495 (nr. 124) deutlich die Grundlinie; in älteren Inschriften ragt allenfalls eine Zierlinie in den Unterlängenbereich. Der obere Schaftabschnitt des h ist, abgesehen von einem Einzelfall (nr. 97), vor der Mitte des 16. Jahrhunderts nicht nach rechts gekrümmt und verlängert (nrr. 295, 299, 309). Eine Beugung des unteren Abschnitts des gebrochenen p-Bogens läßt sich vor 1500 (nr. 142) nirgends feststellen. Das Bogen-r erscheint als Variante zum Schaft-r erstmals 1475 (nr. 104), findet danach aber eine häufige Verwendung. Das brezelförmige s begegnet innerhalb der Gotischen Minuskel nur ein einziges Mal (nr. 239). Auf Versalien aus der Frühhumanistischen Kapitalis wurde bereits 1475/78 zurückgegriffen (nr. 104). Häufiger und variantenreicher sind sie aus den Gemeinen abgeleitet worden. Die größte Fülle an verschiedenen Buchstabenformen und Zierelementen entfaltete sich im letzten Viertel des 15. und im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Die Infiltrierung des Formeninventars mit Elementen aus der Fraktur setzt mit dem beginnenden 16. Jahrhundert ein (nrr. 156, 196, 249). Die Ausrundung der Brechungen läßt sich zunächst am d nachweisen und tritt verstärkt ab dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts auf (z. B. nrr. 239, 270, 372).

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5.3. Frühhumanistische Kapitalis

Die Auswertung der im Bearbeitungsgebiet verwendeten Frühhumanistischen Kapitalis582) kann sich auf 28 Belege stützen, die teilweise mehrere Einzelinschriften umfassen.583) Sie stammen überwiegend aus dem letzten Viertel des 15. und dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Die Frühhumanistische Kapitalis fand bevorzugt in kürzeren Inskriptionen Verwendung, die eher benennen, erinnern und verzieren als längere Zusammenhänge mitteilen sollen. Hierzu zählen vor allem Namen (nrr. 98/AV, AX, BA,127, 145/B, D, F, G, 147/C, E–G, 153, 154, 160, 164/A, 166, 176/C, E, F, 211), formelhafte Gebete bzw. Bitten um Fürbitte (nrr. 145/C, E, 147/A, D, 161/C, 164/D?, 176/A, B, D), Zitate aus der Bibel und liturgischen Texten (nrr. 114/B, 141/A, 164/B), Devisen (nrr. 60, 289) oder auch Reihen von Zierbuchstaben (nrr. 149, 161/B, D). Solche Inschriften füllen vielfach Heiligennimben, schmücken Gewandsäume oder dienen als Bildbeischriften in der Wand- und Tafelmalerei.

Der früheste Beleg findet sich auf zwei vermutlich bereits 1446 bezeugten Vorlegemessern, die aus dem Familienbesitz Herzogin Katharinas von Österreich nach Baden gekommen sind (nr. 60). Den nächstjüngeren Nachweis liefert die im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts vorgenommene Ausmalung des ehemaligen Chores der Loffenauer Pfarrkirche (nr. 98). Obgleich die zahlreichen hier ausgeführten Inschriften im Zuge einer jüngeren Renovierung vielfach verfälscht wurden, scheint die Bezeichnung FRATER als eines der wenigen noch erkennbaren Wörter in Frühhumanistischer Kapitalis in seinem Buchstabenbestand unverändert geblieben zu sein. Sollte es sich dabei um eine Signatur handeln, dürfte der Maler ein Mönch der Abtei Herrenalb gewesen sein. Es fällt auf, daß auch von den übrigen acht gemalten Belegen (nrr. 114, 141, 154, 155, 166, 196, 211, 232), die hier zunächst vorgestellt werden sollen, sieben für sakrale Räume bestimmt waren (Ausnahme nr. 232). Die Buchstabenformen sind starken Variationen unterworfen, doch läßt sich konstatieren, daß im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts fast nur noch ein kapitales E Verwendung findet, während in den wenigen früheren Inschriften auch das unziale oder epsilonförmige Pendant gewählt wurde (nrr. 98, 114, 154). Daneben ist festzuhalten, daß das M in den jüngeren Inschriften häufiger über senkrechte und gerade als über konisch gestellte und eingebogene Schäfte verfügt. Insofern hat sich durchaus eine allmähliche Annäherung an die Kapitalis vollzogen. Auf dem 1489 geschaffenen Hochaltar der Lichtenthaler Klosterkirche (nr. 114) ist der Anteil an neu entworfenen bzw. modifizierten Buchstabenformen noch relativ hoch. Dazu zählen ein A mit beiderseits überstehendem Deckbalken, dem der Mittelbalken entweder fehlt oder nur einseitig angefügt ist, ein kapitales D ohne Schaft, ein epsilonförmiges neben einem unzialen E und ein byzantinisches neben einem symmetrischen unzialen offenen M. Mehrfach finden sich aufgesetzte Tropfenschwellungen, die sich später nur noch in Stein (nr. 188) beobachten lassen. Ebenfalls relativ weit vom Formenkanon der Kapitalis entfernt ist ein Gemälde von 1503 mit der Darstellung der Muttergottes inmitten einer Gruppe von elf Heiligen (nr. 154). Besonders markant sind hier das A mit einem nur nach rechts überstehenden Deckbalken und ein breit proportioniertes S mit querovalen Bögen. Neben dem epsilonförmigen erscheint ein kapitales E, das auf dem spätestens zum gleichen Zeitpunkt erstellten Schutzdeckel vor einem Abbild des seligen Bernhard von Baden ausschließlich verwendet wird (nr. 155). Hier gibt es schon kaum noch Buchstabenneuerungen; die Zugehörigkeit zur Frühhumanistischen Kapitalis ergibt sich vielmehr aus der für sie typischen Behandlung der Buchstabenbestandteile, wie der keilförmigen Verbreiterung der freien Schaftenden oder der starken Schrägstellung bzw. Beugung der Schäfte. Dies trifft auch auf die späteren gemalten Zeugnisse zu. Bis zum Erlöschen dieser Schrift gehören die asymmetrische Wiedergabe des A, eine etwas reduzierte Größe des R-Bogens und eine veränderliche Strichstärke zu den bevorzugten Gestaltungsvarianten.

Mit acht Belegen läßt sich die Frühhumanistische Kapitalis in trassierten Inschriften nur geringfügig seltener als in der Malerei nachweisen (nrr. 127, 145, 147, 153, 160, 161, 164, 176). Sie stammen allesamt aus der Zeit zwischen 1496 und 1513. Überblickt man das Gesamtaufkommen ihrer Buchstabenformen, so fällt auf, daß wiederum das A der größten Varianz unterliegt. Es ist überwiegend spitz, selten trapezförmig und besitzt meist einen beiderseits überstehenden Deckbalken. Nur auf den Balger Heiligenfiguren ist dessen einseitige Ausrichtung belegt (nr. 147). Das D erscheint teils [Druckseite LXXXV] unzial, teils kapital, ist aber fast immer offen (Ausnahme nr. 164). Die seltener bezeugte Form eines kapitalen D ohne Schaft, die sich bereits in einer 1489 gemalten Inschrift nachweisen ließ (nr. 114), taucht nochmals in einem Heiligennimbus auf der Predella des 1496 gefertigten Nonnenchoraltares auf (nr. 127). Eine weitere Schriftgemeinsamkeit zwischen beiden Inschriftenträgern besteht in einem A, dessen Mittelbalken nur an einem der beiden Schrägschäfte ansetzt und den jeweils anderen nicht erreicht. Beide Buchstabenformen sind nach 1500 nicht mehr zu beobachten. Das E erscheint sowohl epsilonförmig als auch in unzialer Gestalt, im einsetzenden 16. Jahrhundert aber überwiegend als Kapitalisbuchstabe. Auf zwei Lichtenthaler Altartafeln begegnet die seltene Version eines F mit einem Zierbalken am unteren Schaftende (nr. 176). Die Schäfte des stets kapital ausgeführten M sind meist gerade gestellt. Das O ist durchweg spitzoval, einmal auch mit Zierpunkten im Binnenfeld ausgestattet (nr. 145). Häufiger wurde auf einen Nodus als Zierelement zurückgegriffen, vor allem am I (nrr. 127, 145, 161, 164). Die Verwendung von Doppelformen ist innerhalb von fünf Inschriften belegt (nrr. 127, 145, 147, 153, 164). Dabei unterliegen besonders A, D, E und M einem spielerischen Gestaltungswillen. Jedoch unterscheiden sich in der Konstruktion nur die Varianten von D und E, während die übrigen Buchstaben allein in der Anordnung bzw. Stellung ihrer Bestandteile differieren. Die retrograde Wiedergabe bleibt auf das N beschränkt; außerhalb der trassierten Inschriften betrifft sie zusätzlich das S.

In Stein ist die Frühhumanistische Kapitalis im Bearbeitungsgebiet siebenmal nachweisbar (nrr. 133, 146?, 151, 175?, 179, 188, 289). Der früheste Beleg aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts besteht lediglich aus zwei unverzierten Namensinitialen, die offenbar beide retrograd gestellt sind (nr. 133). Das nächstjüngere im Original erhaltene Zeugnis ist eine inschriftliche Amtsträgernennung von 1502, die sehr dünnstrichig ausgehoben ist (nr. 151). Während C, G und H relativ breit proportioniert sind, bleiben die übrigen Buchstaben hier auffallend schmal. An einer Stelle ist eine Enklave zu beobachten. Den Nodus am I ersetzt eine nach rechts gerichtete Ausbuchtung. An Doppelformen ist lediglich das E zu nennen, das sowohl epsilonförmig als auch als Kapitalisbuchstabe vorkommt. Auf der zwölf Jahre später gefertigten Grabplatte für Dietrich Röder von Rodeck (nr. 179) variiert indessen nur das D, das neben dem b mehrfach der Humanistischen Minuskel entnommen ist, aber auch in unzialer Form und als überwiegend offener Kapitalisbuchstabe erscheint. Besonders markant ist außerdem das G, dessen Bogen von der Cauda getrennt und auf die obere Zeilenhälfte begrenzt ist. Während die Buchstaben hier keinerlei Zierelemente aufweisen, finden sich diese verstärkt auf einem nur zwei Jahre später erstellten Schlußstein der Kirche zu Steinmauern (nr. 188). Der eingemeißelte Stiftername zeigt mehrere aufgesetzte Tropfenschwellungen und Bogenaufspaltungen. Der letzte Nachweis setzt sich nur aus Initialen zusammen und ist mit Buchstaben der Gotischen Minuskel vermischt (nr. 289).

Inschriften auf anderem Material, wie etwa Holz oder Elfenbein, liegen nur in Einzelfällen vor. Von besonders hoher Qualität ist die vertieft eingeschnitzte Meistersignatur Nikolaus’ von Hagenau auf einem 1506 gefertigten Altar, die in der Strichstärke kunstvoll variiert sowie Buchstaben und Abstände ausgewogen proportioniert (nr. 161). Angesichts dieses hohen Schriftniveaus wird man im Urheber wohl doch den bekannten Bildhauer und nicht den gleichnamigen Kistner sehen dürfen.584) Ein Vergleich mit der etwa gleichzeitig geschnitzten, sogar erhaben ausgeführten, doch deutlich gröber gestalteten Sauminschrift an einer Lichtenthaler Figur der hl. Katharina (nr. 149) verleiht dieser Hypothese noch stärkeres Gewicht. Hier ist die Ausrichtung und die keilförmige Verbreiterung der Buchstabenbestandteile deutlichen Schwankungen unterworfen, wodurch die Inschrift eher ungelenk wirkt. Einen höheren Anspruch vertritt der in eine Elfenbeinplakette geritzte Bildtitel zu einem Relief der Muttergottes (nr. 148). Die Kerben waren hier offenbar emailliert. Das mit einem nach rechts überstehendem Deckbalken ausgestattete A und das konische M sind auffallend breit.

Aufgrund der erheblichen Schriftdifferenzen und der geringen Belegdichte lassen sich für die Frühhumanistische Kapitalis keine eindeutigen Werkstattzusammenhänge ermitteln. Allenfalls ist zu erwägen, ob die Balger Heiligenfiguren (nr. 147) und die schwer beschädigte Figur der Anna Selbdritt in Bischweier (nr. 160) einen gemeinsamen Urheber haben. Dafür sprechen vor allem stilistische Kriterien, aber auch die blütenförmigen Worttrenner ihrer Inschriften.

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5.4. Kapitalis

Die inschriftliche Verwendung der Kapitalis585) läßt sich insgesamt in 175 Katalogartikeln586) nachweisen. Davon können jedoch nur 152 in die allgemeine Schriftauswertung einbezogen werden, da die Buchstabenformen der restlichen 23 Inschriftenträger nicht verläßlich genug – also weder im Original noch durch photographische Aufnahmen – überliefert sind. Kritzelinschriften bleiben ebenfalls unberücksichtigt. Der weitaus größte Teil der in Kapitalis ausgeführten Inschriften wurde in Stein gemeißelt. Dafür liegen 97 Belege vor,587) an gemalten Texten indessen nur 17 (nrr. 174, 184, 236, 246, 253, 275, 284, 326, 332, 343, 374, 410, 452, 469, 496, 502, 532). In Metall oder Perlmutt wurden 12 Inschriften eingraviert (nrr. 224, 225, 354, 389, 402, 468, 481, 495, 497, 529, 533, 535), zwei in Stein geschnitten (nrr. 171, 539), jeweils sieben gestickt (nrr. 367, 368, 369, 398, 409, 505, 525) bzw. geschnitzt (nrr. 170, 226, 411, 474, 487, 507, 534). Nur sechsmal ist eine gegossene Kapitalis nachweisbar (nrr. 319, 349, 384, 386, 429, 500). Für in Leder gepreßte (nr. 414), in Metall gepunzte (nr. 495) oder in Lehm geritzte Inschriften (nr. 475) kann nur auf Einzelstücke verwiesen werden.

Grundsätzlich gilt für die Entwicklung der Kapitalis im Bearbeitungsgebiet, daß die Variabilität der Buchstabenformen über den gesamten Zeitraum von den Erstbelegen im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts (nrr. 170, 171, 174, 184, 187) bis zum Jahr 1650 konstant groß bleibt. So lassen sich nur wenige grundsätzliche Tendenzen aufzeigen, die nicht an eine Werkstatt gebunden sind. Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts ist die Schrift noch von zahlreichen Formen der Frühhumanistischen Kapitalis durchdrungen, so daß eine eindeutige Kategorisierung bisweilen kaum vorzunehmen ist. Typische Beispiele dafür sind die Grabmäler für Markgraf Friedrich IV. von Baden (nr. 213), Philipp von Wittstatt gen. Hagenbuch (nr. 206) oder auch das Auferstehungsrelief auf dem Lichtentaler Friedhof zu Baden-Baden (nr. 210). Auf den Einfluß frühhumanistischen Formenguts ist auch zurückzuführen, daß das offene D (nrr. 207, 210, 223) und das runde G (nrr. 206, 210, 223?, 225) zu dieser Zeit noch bevorzugt verwendet werden. Allerdings verebben diese Formen später nicht vollständig. Vor allem das offene D taucht in den Jahrzehnten um 1600 wieder mehrfach auf (nrr. 390, 391, 415, 422, 476). Um diese Zeit läßt sich auch für andere Buchstaben ein größerer Variantenreichtum konstatieren. So ist das T nur zwischen 1590 und 1610 mit einem eigenartig schräggestellten Schaft nachweisbar (nrr. 386, 390, 404, 423, 433, 434, 435, 458); außerdem läßt sich die Besonderheit, daß Bogen und Cauda des R am Schaft separat ansetzen, überwiegend zu Beginn des 17. Jahrhunderts beobachten (nrr. 427, 434, 442, 458). Hingegen findet die Zierausbuchtung am Balken des H eine nahezu kontinuierliche, wenn auch keine breite Umsetzung. Das konische M wird vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bevorzugt und ist in diesem Zeitraum etwa dreimal so oft wie das gerade nachzuweisen. Das spitzovale bzw. mandelförmige O bleibt in starker oder schwacher Ausprägung bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums vorherrschend. Deutlich seltener wurden das vollkommen ausgerundete Oval oder die kreisrunde Form verwendet.

Der relativ breite Variationsspielraum der Kapitalis bringt es mit sich, daß sich häufiger als in den übrigen Schriftarten charakteristische Gestaltungsmerkmale bestimmter Werkstätten oder Künstler ermitteln lassen. So können unter den 97 in Stein gemeißelten Inschriften einige namentlich bekannten Meistern zugewiesen werden. Ein größerer Teil gliedert sich zumindest in anonyme Gruppen. Unter den bekannten Bildhauern, die ihre Werke in das Bearbeitungsgebiet lieferten oder hier erstellten, ist Christoph von Urach der erste, der die zugehörigen Inschriften in Kapitalis schlug.588) Wie aus seiner Signatur hervorgeht, schuf er 1537 das in der Stiftskirche zu Baden-Baden befindliche Wandgrabmal für Markgraf Philipp I. von Baden (nr. 245). Seine Schrift orientiert sich stark an der klassischen Kapitalis. Sie hat quadratische, teilweise sogar querrechteckige Proportionen, weist deutliche Linksschrägen- und Bogenverstärkungen sowie eine regelmäßige Spationierung auf. Bemerkenswert ist die gleichzeitige Verwendung eines besonders breiten konischen und eines geraden M, die beide mit einem überwiegend tief endenden Mittelteil ausgestattet sind. Das O ist kreisrund und die Cauda des Q weit unter die Grundlinie geführt. Der Balken des A berührt bisweilen nur den rechten Schrägbalken und ist am freien Ende rechtsschräg geschnitten.

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Von ähnlich hoher Qualität sind die Inschriften Johanns von Trarbach, der jedoch die Buchstaben näher aneinanderrückt und ihre Sporen stärker betont.589) An dem um 1572/73 geschaffenen Wandgrabmal für Markgraf Philibert von Baden-Baden (nr. 344) ist nur noch das Bibelzitat am Rundbogen original. Abgesehen von einigen Namensinitialen (nr. 396, 399, 406, 432) ist dies die einzige erhaben gemeißelte Kapitalisinschrift im Bestand. Nach klassischem Vorbild liegt die Schattenachse innerhalb der Bögen etwas linksschräg, während die Balken durchweg rechtsschräg geschnitten sind.

Bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts lassen sich für keine weiteren Steininschriften der Stadt Baden die Urheber identifizieren. Gleichwohl existieren aber noch einige Arbeiten unbekannter Provenienz, die von einer ähnlich hohen Schriftbeherrschung zeugen. Dazu zählt vor allem das Epitaph für Hansjakob von Cammern gen. Knebler, dessen Inschrift ebenfalls antiken Konstruktionsprinzipien verpflichtet ist (nr. 244). Ungewöhnlich ist hier vor allem der an der Spitze des A nach rechts aufragende Dorn, der stark nach oben gebogene Sporn am unteren E-Balken sowie die verkürzte und oberhalb der Grundlinie am Bogen ansetzende Cauda des G. Die überwiegend stachelförmige Cauda des R verschmilzt weit vorn mit dem Bogen. Äußerst ähnlich sind die Buchstaben und Ziffern auf einer Wappentafel im Schloß Neueberstein ausgeführt (nr. 290), so daß trotz des zeitlichen Abstands von 15 Jahren ein Werkstattzusammenhang anzunehmen ist. Daneben sei auf einen Einzelbeleg verwiesen, dessen qualitätvolle Inschrift offenbar von Angehörigen jener Steinmetzhütte geschlagen wurde, die unter Baumeister Caspar Weinhart am Neubau des Neuen Schlosses mitwirkte.590) Dabei handelt es sich um das inschriftliche Bibelzitat am Portal der Schloßkapelle (nr. 357). Als besonderes Charakteristikum ist hier das E hervorzuheben, dessen oberer Balken stets geringfügig länger ist als der untere.

Außerhalb der Stadt Baden-Baden nimmt die Qualität der Inschriften spürbar ab. Aufgrund der geringeren Werkstattdichte und der bevorzugten Beauftragung einheimischer Steinmetzen finden sich in den dünner besiedelten Regionen jedoch mehr Belege, für die aufgrund der Schriftverwandtschaft dieselbe Herkunft anzunehmen ist. So ist beispielsweise um die Mitte des 16. Jahrhunderts auf einen unbekannten Meister mit dem Stz. nr. 25 zu verweisen, der in Gernsbach den Marktbrunnen (nr. 269) und zwei Portale am Katzschen Garten (nrr. 272, 282) mit Inschriften versehen hat. Charakteristisch für seine Schrift sind eine gleichbleibend schmale Kerbe und nahezu quadratische Proportionen bei den Buchstaben C, D, H, M und W. Die Cauda des G ist stets nach innen umgebrochen, das O trotz erkennbarer Tendenz zur Ausrundung noch mandelförmig oder spitzoval.

Im Schloß Neuweier befindet sich ein Portal aus dem Jahre 1549, dessen Bogenfeld eine in ihren verfremdeten Buchstabenformen für die Region einzigartige Bauinschrift enthält (nr. 274). Nach bisheriger Überlieferung soll es sich bei dem Baumeister, der zu dieser Zeit mit dem Umbau des Schlosses beauftragt worden war, um den Tiroler Lux Rengolstein handeln. Sofern er nicht selbst als Urheber der Inschrift in Frage kommt, haben ihn nach Ausweis der singulären Schriftformen offenbar Handwerker fremder Herkunft begleitet. Der Duktus ist weder sonderlich ausgewogen, noch zeugt er von überragender Kunstfertigkeit; vielmehr schlägt sich darin vor allem der Wille zur Variation des Gewohnten und zur Erprobung des Neuen nieder. Dabei irritieren besonders das G, das einem Nexus litterarum aus C und B gleicht, und das I mit einem Halbnodus am Schaft, das aufgrund eines hinzugefügten Deckbalkens einem T ähnelt. In der dadurch erschwerten Lesbarkeit mag der Grund liegen, warum diese Schrift keine Nachahmung fand.

Im Jahre 1592 läßt sich erstmals eine Werkstatt fassen, die bis in das erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen hat. Die ihr zuzuordnenden acht Arbeiten sind überwiegend Grabmäler, die durch das große Bühler Friedhofskreuz ergänzt werden (nrr. 390, 404, 417, 422, 427, 434, 435, 458). Für fünf davon ist der Werkstattzusammenhang durch das gleiche Steinmetzzeichen nr. 50 gesichert (nrr. 404, 422, 427, 434, 435), die drei übrigen lassen sich der Gruppe aufgrund paläographischer und stilistischer Beobachtungen hinzufügen. Allerdings ist der Befund nicht so einheitlich, wie es das Steinmetzzeichen erwarten ließe. Vielmehr ergeben sich innerhalb der Werkstatt zwei kleinere Gruppen, die sich in bestimmten Aspekten markant unterscheiden. So verfügt die mit dem Stz. nr. 50 versehene Grabplatte der Lichtenthaler Äbtissin Barbara Veus (nr. 404) über eine Schrift, deren Charakteristika auch auf den Grabmälern für Bernhard Hauser (nr. 390) und Anna Alexandra von Fleckenstein (nr. 458) zu beobachten sind. Dazu zählen ein schmales trapezförmiges A mit kurzem Deckbalken, ein G mit eingestellter, nach innen umgebrochener Cauda, ein I mit i-Punkt, ein oben offenes P mit einem relativ kleinen, querovalen Bogen sowie ein T mit deutlich schräggestelltem Schaft. Hingegen tragen die Grabmäler für Georg Kentner (nr. 422), Johann [Druckseite LXXXVIII] Schlude (nr. 434), Friedrich Kraft von Delmensingen (nr. 435) und das Bühler Friedhofskreuz (nr. 427) zwar auch das Stz. nr. 50, doch weichen die entsprechenden Buchstabenformen deutlich ab: Das A ist spitz, die Cauda des G nicht umgebrochen, das I trägt keinen Punkt, das P ist geschlossen und der Schaft des T ist nur geringfügig oder gar nicht schräg gestellt. Folglich wird man diese zweite Gruppe, der aufgrund stilistischer Parallelen noch ein Bühler Grabmal für einen Unbekannten zuzuordnen ist (nr. 417), zwar derselben Werkstatt, jedoch nicht derselben Hand zuweisen.

Fast ebenso viele Belege stammen von dem etwa zur gleichen Zeit arbeitenden Bildhauer Thomas König.591) Sein Name und das von ihm verwendete Stz. nr. 59 sind an der Kanzel der Lichtenthaler Klosterkirche angebracht (nr. 436). Das gleiche Zeichen weist auch die Grabmäler für den Bühler Schneider Hans Acker (nr. 443), für einen 1609 verstorbenen Wirt des Bühler Gasthauses „Zum Ochsen“ (nr. 450), für Apollonia Tucher (nr. 461) und für die Niederadelige Anna Agatha von Baden (nr. 462) als Werke Königs aus. Seine typischen Buchstabenformen sind ein C mit nahezu kreisrundem Bogen, ein E mit relativ kurzem Mittelbalken und etwas verlängerten Balken am oberen und unteren Schaftende, ein konisches M mit kurzem Mittelteil, ein R mit gewölbter oder geschwungener, in jedem Fall aber ausgestellter Cauda sowie ein V mit einem diakritischen Punkt zwischen den freien Schrägschaftenden. Aufgrund dieser Schriftbesonderheiten läßt sich auch ein Bühler Epitaph mit dem Relief einer Familie in Anbetung des Kreuzes (nr. 441) dem Schaffen Königs zuordnen.

Für die Zeit um 1600 sind noch einige kleinere Werkstattgruppen vorzustellen. Eine davon betrifft den im Katzschen Garten zu Gernsbach aufgestellten Sockel mit dem Namen eines Hans Eberhart von Speyer (nr. 415). Offenbar ist das Werkstück um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert angefertigt worden, da die 1594 gefertigte Wappentafel Jakob Kasts in Hörden (nr. 391) über nah verwandte Buchstabenformen verfügt und anscheinend aus derselben Werkstatt stammt. So weisen beide Inschriften ein offenes D, ein I mit i-Punkt, ein konisches M, dessen Mittelteil auf halber Zeilenhöhe endet, ein spitzovales O sowie ein R mit geschwungener Cauda auf. Einige dieser Besonderheiten finden sich auch noch auf Gernsbacher Grabmälern aus der Zeit um 1630 (nrr. 513, 515, 521), so z. B. das spitzovale O bzw. Q oder das I mit einem i-Punkt. Ob sich darin die Tradition derselben Werkstatt niedergeschlagen hat, läßt sich bislang nur vermuten. In jedem Falle besteht ein Zusammenhang zwischen den Grabmälern für das Ehepaar Weiler (nr. 515) und für einen Unbekannten (nr. 513). Beide Platten sind zur Gänze mit Inschriften versehen, weisen die gleiche Rahmenprofilierung, das gleiche Bibelzitat und die gleiche Schrift auf. Besonders charakteristisch ist das G mit einer Cauda, die in den Unterlängenbereich hineinreicht und hier im Viertelkreisbogen nach links gekrümmt ist. Die gleiche Form erscheint nochmals auf einem 1635 entstandenen Epitaph (nr. 521). Obwohl die übrigen Schriftgemeinsamkeiten gering sind, wird man für einen relativ kleinen Ort wie Gernsbach auf dieselbe Werkstatt schließen dürfen, die offenbar mehrere Steinmetzen beschäftigte.

Auf dem Gernsbacher evangelischen Friedhof befinden sich vier weitere Grabmäler aus den Jahren um 1600, die sich aufgrund ihrer verwandten Schriftformen paarweise in Beziehung setzen lassen. Dazu gehören einerseits die Grabmäler für Johann Weiler (nr. 396) und Christoph Kast (nr. 399), die sich beide durch die gleiche Untergliederung in ein hochformatiges, unten sich konisch verjüngendes Schriftfeld und in ein querrechteckiges unteres Wappenfeld auszeichnen. Die Gemeinsamkeiten der Buchstaben bestehen weniger in typischen Besonderheiten als vielmehr in derselben unspezifischen Umsetzung der Kapitalis. Die Kerben sind gleichbleibend schmal, das obere Bogenende des G endet rechts oberhalb der senkrecht gestellten Cauda, der Mittelteil des konischen M bleibt auf die obere Zeilenhälfte beschränkt, und das O ist spitzoval. Ähnlichkeiten sind auch auf dem Grabmal für den Gernsbacher Bürgermeister Christoph Kast (nr. 433) zu erkennen. Daneben fällt hier allerdings eine deutliche Schrägstellung des T-Schafts auf. Eine Beziehung zu den Werken des Steinmetzen mit dem Stz. nr. 50, für den diese Besonderheit typisch ist, läßt sich jedoch mangels weiterer Gemeinsamkeiten nicht herstellen. Allerdings weist das H einen gebrochenen Balken auf, dessen Abschnitte leicht gewölbt sind. Diese durchaus seltene Form begegnet nochmals auf dem Grabmal für Bernhard Kast (nr. 432). Doch auch hier sind die übrigen Buchstaben abweichend gestaltet, so daß sich kein sicherer Werkstattzusammenhang ergibt.

Höhere Qualitätsansprüche erfüllen die Inschriften der großen Wandgrabmäler für die Markgrafen Philipp II. (nr. 484) und Eduard Fortunat von Baden-Baden (nr. 499). Der Schöpfer des wenige Jahre älteren Epitaphs ist bislang unbekannt (nr. 484). Besonders auffällig ist hier die Cauda des G, die nahezu parallel zum unteren Bogenabschnitt in den Unterlängenbereich geführt und nach links verlängert ist. Von dem um 1625 gefertigten Grabmal für Eduard Fortunat ist nur noch der Sockel [Druckseite LXXXIX] erhalten. Aus den Schriftformen geht jedoch die ausführende Werkstatt eindeutig hervor, deren Leiter der Stuttgarter Werkmeister Kaspar Kretzmaier war.592) Zu seinen typischen, auch anderweitig zu beobachtenden Buchstaben zählen ein A mit abgestumpfter Spitze, ein sichelförmiges C, ein E mit stark verlängerten Balken am oberen und unteren Schaftende, ein G, dessen Cauda sich im unteren Zeilenbereich vom unteren Bogenabschnitt abspreizt, ein Q mit langer geschwungener Cauda und ein T mit schräg geschnittenem Schaft.593)

Für den Bereich der Steininschriften sei abschließend noch auf einen bislang unbekannten Bischweierer Steinmetzen aus dem einsetzenden 17. Jahrhundert verwiesen, dessen Name an einem Kellerbogen neben dem Stz. nr. 60 überliefert ist (nr. 437): Gabriel Herdweg. Von ihm stammen außerdem die inschriftlichen Amtsbezeugungen am Rathaus (nr. 449) und an der Zehntscheuer (nr. 424) zu Bischweier; doch zeugen die ungelenken Schriftformen von nur geringer Handwerksbeherrschung.

Unter den gemalten Inschriften in Kapitalis sind nur wenige, die etwas umfangreichere Texte bieten (nrr. 343, 374, 469, 496). Da überdies mehrere teilweise überarbeitet wurden, bleiben für die Auswertung nur wenige verläßliche Befunde. Von besonderer Qualität sind die Bildbeischriften auf dem 1549 von Hans Besser594) gemalten Porträt des Markgrafen Philibert von Baden-Baden (nr. 275) und auf einem von unbekannter Hand gemalten Herrenbildnis von 1564, das sich im Unteren Schloß Neuweier befindet (nr. 326). Die Buchstaben sind auf beiden Bildern nach klassischem Vorbild mit mehr oder minder starken Linksschrägen- und Bogenverstärkungen ausgeführt; ihre Schattenachse liegt linksschräg. Bessers Schrift verfügt über annähernd quadratische Proportionen und nahezu klassische Serifen. Hingegen hat der unbekannte Meister des anderen Gemäldes seine deutlich schmaleren Buchstaben teilweise weiß umrandet, um eine plastische Schriftumsetzung vorzutäuschen. Ein ähnliches Niveau der Schriftbeherrschung spiegelt sich im Rest einer gemalten Bauinschrift in der Klosterkirche zu Schwarzach wider (nr. 343). Hier tendieren die Buchstaben ebenfalls zu quadratischen Proportionen. Die Bogen- und Linksschrägenverstärkungen sind noch stärker umgesetzt worden, während die Sporen im Verhältnis kleiner erscheinen. Vom klassischen Ideal weichen vor allem das X mit einem stark nach unten durchgebogenen Linksschrägschaft sowie das Z mit linksschrägen Balken ab. Von geringerer Schriftqualität ist ein kleines Lichtenthaler Altärchen, das vermutlich in einer Badener Werkstatt in Wismutmalerei ausgestaltet wurde (nr. 374). Die Strichstärke der Buchstabenbestandteile variiert unregelmäßig, ihre Ränder sind zerfasert und die Sporen recht unbeholfen in Form kurzer Striche angefügt. – Aus den letzten Jahren des 16. bzw. aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verdient an dieser Stelle nur noch ein Gemälde mit dem Brustbild des hl. Bernhard von Clairvaux (nr. 496) Erwähnung. Bogen- und Linksschrägenverstärkungen sowie die Stellung der Schattenachse entsprechen klassischen Vorbildern. Allerdings ist das M gerade ausgeführt und die Cauda des R unter die Grundlinie verlängert. Die Sporen sind überwiegend rechtwinklig und an den Schrägschäften waagerecht angesetzt.

Gravuren wurden auf verschiedenen Materialien erstellt. In der Regel ist der Beschreibstoff jedoch wertvoller als Sandstein, Glas oder Leinwand, wodurch Versehen im Zuge der Herstellung einen beträchtlichen Verlust bedeuten konnten. Umso stärker war das Bestreben, dieses Risiko so gering wie möglich zu halten. Darin mag ein Grund liegen, warum gravierte Inschriften im untersuchten Bestand von längerer Übung und größerer Kunstfertigkeit ihrer Urheber zeugen als beispielsweise gemeißelte. Eine Zwischenstellung nehmen die in weicheren Stein geschnittenen Inschriften ein, die im Bearbeitungsgebiet für die Zeit bis 1650 nur zweimal nachweisbar sind (nrr. 171, 539). Der ältere Beleg ist ein Kalksteinmedaillon mit dem reliefierten Brustbild Markgräfin Elisabeths von Baden, geb. von Brandenburg-Ansbach, gefertigt im Jahre 1512 von dem Nürnberger Künstler Ludwig Krug595) (nr. 171). Die erhaben gearbeitete Umschrift ist in einer nahezu klassischen Kapitalis ausgeführt, die in ihrer Qualität zu dieser Zeit im Bearbeitungsgebiet noch ungewöhnlich ist. Stark ausgeprägt sind die Sporen, die an den freien Balkenenden in Höhe der Grund- bzw. Oberlinie relativ weit in die Zeilenmitte hineinragen. – In Perlmutt geschnittene Kapitalis-Inschriften sind ebenfalls nur zweimal nachweisbar (nrr. 224, 225). Beide Belege stammen aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts und befinden sich im Besitz des Klosters Lichtenthal. Die aufwendigere Arbeit ist eine Kreuzigungsszene, die in den Schrein eines Altärchens eingelassen ist (nr. 224). Der Kreuztitulus enthält ein R, dessen Bogen und Cauda ineinander übergehen, ohne den Schaft zu berühren. Auf der etwa gleichzeitig zu [Druckseite XC] datierenden Plakette mit der Verkündigung und dem Englischen Gruß hat derselbe Buchstabe eine ausgestellte gewölbte Cauda, die mit dem Bogen am Schaft ansetzt (nr. 225). Bemerkenswert ist hier das noch dem frühhumanistischen Formeninventar verpflichtete A, dessen Balken nur mit dem linken Schrägschaft verbunden ist.

In Silber eingravierte Inschriften sind zwar häufiger nachweisbar, enthalten aber selten umfangreichere Texte (nr. 354, 365, 389, 402, 468, 481, 495, 497, 529, 533, 535). Seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert griffen die Silberschmiede mehrfach auf die Möglichkeit zurück, die Bogenschwellungen und den Wechsel von Haar- und Schattenstrichen durch eine Teilkonturierung der Buchstaben zu verdeutlichen (nr. 389, 468, 495, 497, 529). Nur auf besonders hochwertigen Stücken, wie beispielsweise auf einer dem Kloster Lichtenthal von Markgraf Ernst Friedrich von Baden-Durlach gestifteten Doppelscheuer (nr. 402) oder auf einem ehemals dem Kloster Schwarzach gehörenden Kelch (nr. 533), entspricht die variierende Strichstärke der Breite der ausgehobenen Kerben. Die konturierten Binnenflächen wurden teils durch Schraffur (nr. 495), teils durch Emailfarben (nr. 529) hervorgehoben. In den Einbandmedaillons des Stammbuches Markgraf Philipps II. von Baden-Baden (nr. 365) umfließt hingegen der Schmelz kontrastierend die Namensinitialen, die als entsprechend geformte Stege aufgelötet sind. Eine seltener angewendete Verzierungsmethode läßt sich am Fuß eines Lichtenthaler Weihrauchfäßchens beobachten (nr. 468). Hier werden die gravierten Umrißlinien bzw. Bestandteile der teilkonturierten Buchstaben zusätzlich von gepunzten Perlreihen überlagert.

Nur in Ausnahmefällen sind die ausführenden Goldschmiede bekannt. Eine Marke verweist auf ein Mitglied der Schwäbisch Gmünder Goldschmiedfamilie Rauscher, das den Lichtenthaler Äbtissinnenstab zwischen 1597 und 1625 umgestaltete (nr. 495). An den hochrechteckig proportionierten Buchstaben lassen sich zahlreiche kleine Ungenauigkeiten entdecken, die von einer nur mittelmäßigen Befähigung des Stechers zeugen.

Unter den gegossenen Inschriften ist die von Hans Kloss in Straßburg signierte Glocke von 1562 die älteste (nr. 319). Die Schrift unterliegt nur entfernt klassischen Konstruktionsprinzipien. Die Strichstärke wechselt ohne strenges Prinzip, und die Sporen fielen etwas zu kräftig aus. Im Gegensatz zum antiken Vorbild markieren sie auch die untere Spitze des M-Mittelteils und den Treffpunkt von Schrägschaft und rechtem Schaft am N. Während die Schriftproportionen hier annähernd quadratisch sind, beträgt die Höhe der Buchstaben auf einer 1574 gegossenen Ofenplatte fast das Doppelte ihrer Breite (nr. 349). Den entsprechenden Formschnitt schuf Philipp Soldan596) sicher noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, da die Schrift frühhumanistische Züge aufweist. Dazu tragen insbesondere das schmale A mit einem beiderseits überstehenden Deckbalken, das E mit drei kurzen, gleich langen Balken und das runde G bei. Zwei andere Ofenplatten von 1590 (nr. 386/I, II) stammen allem Anschein nach aus der Gießerei Löhnberg (Lkr. Limburg-Weilburg). Eine von ihnen zeigt die Hochzeit zu Kana und bietet mit der entsprechenden Bibelstellenangabe den einzigen Nachweis für eine schrägliegende Kapitalis (nr. 386/I). Die um 1625 entstandene Wappenauflage von der Grabplatte Markgraf Eduard Fortunats von Baden-Baden (nr. 500) stellt das letzte gegossene Zeugnis der Kapitalis dar. Weder der Formschneider noch die Gießerei sind überliefert. Die Namensinitialen zeichnen sich durch leicht verstärkte Schäfte und Linksschrägschäfte aus.

Die Analyse der geschnitzten Kapitalis kann sich auf wenige Aussagen beschränken. Der früheste Nachweis ist zugleich von besonders hoher Qualität: Die inschriftliche Datierung auf dem für die Stiftskirche der Stadt Baden bestimmten Chorgestühl (nr. 170), das 1512 in der Pforzheimer Werkstatt des Meisters Hans Kern597) gefertigt wurde, ist sowohl in Gotischer Minuskel als auch in einer fast reinen Kapitalis ausgeführt. Lediglich die geringfügige Beugung der Schrägschäfte des A mit abgestumpfter Spitze erinnert an frühhumanistische Formen. Die Strichstärke ist nahezu konstant, und die Sporen sind in angemessener Größe ausgebildet. Vorbildlich geschnitzte Inschriften finden sich danach erst wieder im 17. Jahrhundert. Dazu zählen ein Fachwerkständer mit den Namensinitialen des Bauherrn und seiner Ehefrau (nr. 474) und ein 1624 gezimmerter Schrank mit den in Flachschnitzerei wiedergegebenen Initialen der Äbtissin Margareta Stülzer (nr. 487).

Schließlich sind einige in Anlegetechnik gestickte Inschriften aufzuführen, bei deren Urheber es sich um den ehemals in markgräflich badischen Diensten stehenden Sticker Albrecht Wörl handelt.598) Er führte in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts auch Applikationen auf liturgischen Gewändern des Klosters Lichtenthal aus (nrr. 367369, 398). Anscheinend sind ein dreisprachiger Kreuztitulus (nr. 367) und die Namensinitialen Markgraf Philipps II. von Baden-Baden (nrr. 367, 368, 369), [Druckseite XCI] die in Schriftbändern dessen Wappen überfangen, noch original erhalten geblieben. Wörl stattete seine Buchstaben mit serifenähnlichen Sporen aus. Der Balken des H hat stets eine nach unten gerichtete Ausbuchtung und das Z einen linksschräg geschnittenen Mittelbalken. Der Mittelteil des konischen, teilweise leicht nach rechts aus der Achse verschobenen M reicht bis auf halbe Zeilenhöhe herab. An jüngeren Stickereien lassen sich zwei Jesusmonogramme anführen, die aber in der Ausführung nicht an die Qualität Wörls heranreichen (nrr. 409, 505).

5.5. Fraktur

Im Verhältnis zur Gotischen Minuskel und Kapitalis ließen sich für die Verwendung der Fraktur nur wenige Belege ermitteln.599) Sie liegen in 20 Katalognummern vor, von denen 14 in Stein gemeißelte (nrr. 64, 254, 317, 345, 356, 373, 375, 388, 395, 419, 432, 456, 478, 479) und fünf gemalte Inschriften behandeln (nrr. 196/V, 277, 465, 492, 512). In geschnitzter Ausführung ist die Fraktur bis 1650 lediglich ein einziges Mal nachweisbar (nr. 474). Grundsätzlich ist festzuhalten, daß diese Schriftart im Bearbeitungsgebiet ausschließlich deutschsprachigen Texten vorbehalten blieb. Der früheste Beleg findet sich auf einer 1518 bemalten Stifterscheibe aus der ehemaligen Chorverglasung der Ottersweierer Pfarrkirche (nr. 196/V). Allerdings sind die entsprechenden Scheibenstücke nachträglich ersetzt worden, so daß es sich bei der Inschrift allenfalls um eine originalgetreue Kopie handeln kann. Im Vergleich zu den übrigen Frakturbelegen scheint die Zeitstellung jedoch ungewöhnlich früh. Daher ist anzunehmen, daß die ursprüngliche Schriftart erst im Zuge der Erneuerung zugunsten der Fraktur abgeändert wurde. Die ersten zuverlässigen Zeugnisse stammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Hier ist zunächst die Grabplatte für Matthäus Schäppler (gest. 1542?) zu nennen (nr. 254), deren Schrift nur noch in manchen Ausführungen des m und n, teils auch des zweistöckigen a an die Gotische Minuskel erinnert. Die Bögen sind fast durchgängig spitzoval gestaltet, und f und Schaft-s haben deutliche Unterlängen. Innerhalb der Gruppe der aus Stein gefertigten Inschriftenträger stammt der nächstjüngere Nachweis von 1562. Es handelt sich um das Doppelgrabmal für Graf Wilhelm IV. von Eberstein und seine Gemahlin Johanna Gräfin von Hanau-Lichtenberg in der Jakobskirche zu Gernsbach (nr. 317). Die Schrift ist von vorzüglicher Qualität; auf den unbekannten Bildhauer verweist allerdings nur das Steinmetzzeichen. Zahlreiche Haarlinien begleiten oder durchkreuzen die Bestandteile der Versalien. Das G ist von einer senkrechten Geraden durchstrichen, die im unteren Bereich mitunter von zwei Quadrangeln flankiert wird. Die Enden der Oberlängen sind überwiegend mit kurzen, nach unten herabschwingenden Zierlinien ausgestattet. Der Bogen des h ragt in den Unterlängenbereich und ist hier weit nach links verlängert. Am Wortende steht fast regelmäßig ein Schleifen-s. Eine ähnlich hohe handwerkliche Begabung verrät das von unbekannter Hand geschaffene Epitaph für den Grafen Hans Bernhart von Eberstein (gest. 1574) in der Liebfrauenkirche zu Gernsbach (nr. 345). Dessen Grabschrift weist jedoch fast keine Zierlinien auf; auch sind die Schwellschäfte nur geringfügig entwickelt. Während die meisten Oberlängen nach rechts gekrümmt sind und spitz auslaufen, endet der im Oberlängenbereich nach links umknickende Schaft des d stumpf. Das etwa gleichzeitig entstandene Wandgrabmal für Markgraf Bernhard III. von Baden-Baden läßt sich der Werkstatt Johanns von Trarbach zuweisen (nr. 356).600) Seine Fraktur ist reich an Zierlinien und -schleifen, die vor allem die Versalien prägen. Unter den Gemeinen fallen leichte Einschnürungen an den linken Bogenabschnitten von d, g und o auf. Als Zeilenfüller dienen ausgreifende Linienspiele. – Frühestens 1580 entstand ein ebenfalls hochwertiges Epitaph für vier Kinder des markgräflich badischen Hofmeisters Nikasius Magensreiter (nr. 373). Der unbekannte Steinmetz versah die Versalien mit zahlreichen Zierlinien. Auch die Oberlängen mancher Gemeinen werden von ihnen überwölbt. Besonders markant ist der leicht rechtsschräg gestellte und sich unter der Grundlinie dornartig verjüngende Schaft des p.

In den letzten beiden Jahrzehnten des 16. und im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts scheint das Bedürfnis nach besonders reichen Buchstabenverzierungen etwas abgeklungen zu sein. Auch fällt die Schriftqualität hinter das Niveau der Vorjahre zurück. Innerhalb dieser jüngeren Gruppe weisen die Grabschriften für Margaretha Veus (nr. 375) und den Fremersberger Klostervorsteher Franz Braun (nr. 395) ein hinreichendes Maß an Gemeinsamkeiten auf, um sie derselben Werkstatt zuzuweisen. Besonders auffällig sind die identisch geschlagenen Ziffern, vor allem die gedrungene 2 mit verlängertem[Druckseite XCII] Balken sowie die 5 mit schräggestelltem Schaft und nach unten durchgebogenem Balken. Das F ist überwiegend sehr schmal und mündet am unteren Schaftende in eine Schleife. Der Steinmetz verwendete im Wortinneren stets das Schaft-r, am Ende hingegen ein Bogen-r, das aus zwei gegenläufigen, übereinandergesetzten Bögen besteht. Der Balken des t sitzt verhältnismäßig tief. Zahlreiche Buchstaben sind aufgrund ihrer Bogenbrechungen noch ganz der Gotischen Minuskel verpflichtet, vor allem d, m und n. Einige sind in ähnlicher Ausführung auf einer heute in der Burg Altwindeck vermauerten Tafel mit den Wappen und den Namen der Familien von Bach und von Sickingen zu beobachten (nr. 64). Dazu zählen das B, dessen unterer Bogen in eine Zierlinie übergeht, die unter der Grundlinie umgebogen und nach vorn gerichtet ist. Auch findet sich der hier verwendete, nach dem Vorbild des Schleifen-s gestaltete S-Versal im Bearbeitungsgebiet nur noch auf dem Grabmal für Franz Braun. Man wird die Wappentafel deshalb mit einiger Sicherheit in das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts datieren dürfen. Den innerhalb des Berichtszeitraums letzten Nachweis für die inschriftliche Verwendung der Fraktur, der sich einer bekannten Steinmetzwerkstatt zuweisen läßt, liefert das Kinderepitaph für Ursula Dorothea von Höfingen (nr. 478). Während die bildnerische Gestaltung offenbar auf Jeremias Schwartz selbst zurückgeht, dürfte die Inschrift von einem seiner Mitarbeiter ausgeführt worden sein.601) Charakteristisch ist ein rundes T, das von einem Zierstrich schräg durchstrichen ist, sowie eine runde 2, deren Balken linksschräg gestellt ist.

Sowohl für die übrigen gemeißelten als auch für die gemalten und geschnitzten Frakturschriften kann auf die Katalognummern verwiesen werden, da sie aufgrund ihres schlechten Erhaltungszustandes (nrr. 277, 432, 456, 465, 512), ihrer Kürze (nr. 419), Singularität (nr. 474) oder auch geringen Qualität (nr. 479) zu einer paläographischen Gesamtauswertung kaum etwas beitragen. Eine Ausnahme unter den gemalten Inschriften stellen die Bildbeischriften auf drei Porträts eines ehemals wohl umfangreicheren Äbtissinnenzyklus dar (nr. 492). Sie stammen eindeutig von demselben Maler. Als auffälliges Charakteristikum ist zu beobachten, daß die meisten Oberlängen am Ende nach rechts umbrechen und in einen langen, spitzen Dorn münden.

5.6. Humanistische Minuskel

Inschriften in Humanistischer Minuskel sind im Bearbeitungsgebiet nur in sehr geringer Zahl vorhanden bzw. überliefert.602) Rechnet man jene Textbelege mit hinzu, die aus vermischten Schriftarten bestehen, so ergeben sich insgesamt 15 Nachweise (nrr. 177, 273, 452, 477, 478, 492, 494, 496, 502, 512, 514, 518, 519, 520, 526), von denen jedoch einer erst im Jahre 1656 entstand (nr. 177). Innerhalb dieses Bestandes lassen sich lediglich zwei gemeißelte (nrr. 494, 514) und fünf gemalte Inschriften (nrr. 492, 502, 518, 519, 520) einer paläographischen Auswertung unterziehen. Die übrigen beruhen entweder auf einer nicht hinreichend zuverlässigen Kopialüberlieferung (nrr. 477, 526), bestehen lediglich aus wenigen Buchstaben (nrr. 273, 478, 496, 512) oder sind nachträglich überarbeitet worden (nr. 452). Die Verwendung der Humanistischen Minuskel setzt erst im 17. Jahrhundert ein. Sie taucht das erste Mal auf einem Porträt Philipp Knebels von Katzenelnbogen aus dem Jahre 1609 auf, dessen Bildtitel von jüngeren Farbschichten befreit, aber unsachgemäß nachgezogen wurde (nr. 452). Innerhalb der gemalten Inschriften verdienen letztlich nur die spätesten Zeugnisse aus dem Jahre 1633 besondere Beachtung, die als Namen- und Altersangaben die von Willem Panneels stammenden Bildnisse der Kinder Markgraf Wilhelms I. von Baden identifizieren (nrr. 518, 519, 520).603) Der Künstler, von dem bisher hauptsächlich Zeichnungen bekannt sind,604) setzte die Gestaltungsprinzipien der Antiqua detailgetreu um und gab die Versalien nach dem Vorbild der klassischen Kapitalis mit deutlichen Linksschrägen- und Bogenverstärkungen wieder. Auffällig ist der lange, nach unten umgebogene Sporn am oberen Ende des linken M-Schafts. Die freien Enden der äußeren E-Balken sind nach innen eingebogen, die Oberlängen der Gemeinen in der Regel rechtsschräg geschnitten und mit einem nach links unten vorkragenden Sporn versehen.

Unter den wenigen Steininschriften ist die Todesmahnung Memento mori an einer Giebelbekrönung noch am sorgfältigsten ausgeführt, obwohl hier Versal und Gemeine dieselbe Höhe einnehmen (nr. 494). Von deutlich unsicherer Hand stammt der inschriftliche Sterbevermerk für Salome Colbin [Druckseite XCIII] in der Lichtenthaler Fürstenkapelle (nr. 514). Angesichts der seltenen Verwendung der Humanistischen Minuskel, die überdies nur in Einzelfällen höheren Qualitätsansprüchen genügt, bleibt diese Schriftart im Bearbeitungsgebiet bis 1650 von marginaler Bedeutung.

Zitationshinweis:

DI 78, Baden-Baden und Raststatt (Landkreis), Einleitung, 5. Die Schriftformen (Ilas Bartusch), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di078h017e001.

  1. Zu den Kennzeichen und zur allgemeinen Entwicklung der Romanischen Majuskel in Mitteleuropa vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 148–168, 201–216; Terminologie 28f.; Kloos, Einführung 123–129. Zu den regionalspezifischen Ausprägungen sämtlicher epigraphischer Schriften siehe die entsprechenden Einleitungskapitel der bisher erschienenen DI-Bände (vgl. die Auflistung im Anhang). »
  2. Zur Gotischen Majuskel innerhalb der allgemeinen epigraphischen Schriftentwicklung in Mitteleuropa vgl. Koch, Inschriftenpaläographie 201–216; Terminologie 28f.; Kloos, Einführung 129–134. »
  3. Vgl. zur Belegdichte der Nachbarkreise DI 20 (Karlsruhe) XXVIII (12 Nachweise), DI 22 (Enzkreis) XXIV (24 Nachweise), DI 30 (Calw) XXV–XXVIII (28 Nachweise). »
  4. Vgl. zum Kloster Lichtenthal Einl. Kap. 2.1, XXIII–XXVII»
  5. Zu Johann Belzer vgl. AKL, Bd. 8, 570; 750 Jahre Lichtenthal 396 nr. 276; Herr, Kloster Lichtenthal 31. »
  6. Vgl. Einl. Kap. 6. nrr. *62, *63, *64, *65, *66, *67, *68, *69, *70, *71»
  7. Zur Frage nach ihrer Originalität siehe den Kommentar der Katalognummer. »
  8. Vgl. die Literaturangaben in nr. 23 Anm. 10. »
  9. Vgl. Clauss, Münster (1905) 24 nr. 21 (Abb.). »
  10. Vgl. ebd. nr. 20 (Abb.). »
  11. Abbildungen der Grabplatten für Nikolaus Buller und jenen Herrn Schoube gen. Zehe siehe in Denkmäler XIII, Taf. XI A/3 u. XI B/1. Sämtliche Platten sind heute im Garten des Museums ausgestellt. »
  12. Vgl. die Verweise auf die 99 Katalogartikel in Register 9. Schriftarten. »
  13. Zur allgemeingültigen Charakteristik und Entwicklung der Gotischen Minuskel vgl. Terminologie 46f.; Kloos, Einführung 134–138; DI 37 (Rems-Murr-Kreis) XLVIf»
  14. Vgl. dazu Einl. Kap. 5.1, LXXVIf»
  15. Vgl. die Literaturangaben in nr. 124 Anm. 10. »
  16. Vgl. DI 70 (Stadt Trier I) nr. 272»
  17. Vgl. dazu Mechthild Ohnmacht, Das Kruzifix des Niclaus Gerhaert von Leyden in Baden-Baden von 1467. Typus-Stil, Herkunft-Nachfolge, Bern 1973, passim. »
  18. Vgl. zu den kreisförmigen Worttrennern die offenbar von Straßburger Bildhauern gefertigten Grabmäler nr. 18, 23, 25, 124 u. a. »
  19. Zu Stephan Maignow siehe nr. 91 Anm. 11. »
  20. Zum Begriff vgl. Bayer, Versuch 97. »
  21. Vgl. das Speyerer Kirchenvisitationsprotokoll von 1683, abgedr. in Trenkle, Beiträge (1878) 42: „Monstrantia nulla“. »
  22. Zu Hans Kern vgl. nr. 170 Anm. 13. »
  23. Zu den überregionalen Merkmalen und Entwicklungstendenzen der Frühhumanistischen Kapitalis vgl. Terminologie 30; DI 37 (Rems-Murr-Kreis) L; Kloos, Einführung 153–156; Walter Koch, Zur sogenannten frühhumanistischen Kapitalis, in: Epigraphik 1988, 337–347; Renate Neumüllers-Klauser, Epigraphische Schriften zwischen Mittelalter und Neuzeit, in: Epigraphik 1988, 315–328. »
  24. Vgl. die entsprechenden Verweise in Register 9. Schriftarten. Unberücksichtigt bleibt die verfremdete Schrift in nr. 504»
  25. Siehe dazu den Kommentar in nr. 161»
  26. Zur Herkunft, überregionalen Entwicklung und zu den Kennzeichen der Renaissance-Kapitalis in Inschriften vgl. Terminologie 26f.; Kloos, Einführung 158–160; s. a. Muess, Das römische Alphabet, passim; Bischoff, Paläographie 73–79. »
  27. Vgl. die Verweise in Register 9. Schriftarten. »
  28. Vgl. nrr. 37, 75, 187, 206, 207, 210, 213, 223, 230, 244, 245, 269, 272, 273, 274, 282, 286, 290, 300, 304, 307, 308, 316, 318, 322, 329, 334, 335, 337, 344, 345, 347, 351, 353, 357, 360, 366, 370, 372, 373, 379, 380, 387, 388, 390, 391, 394, 396, 399, 404, 406, 407, 408, 412, 415, 416, 417, 420, 422, 423, 424, 427, 432, 433, 434, 435, 436, 441, 442, 443, 447, 449, 450, 453, 458, 461, 462, 463, 466, 472, 473, 476, 478, 480, 484, 488, 489, 491, 493, 499, 506, 513, 515, 521, 528, 538, 541»
  29. Zu Christoph von Urach vgl. nr. 245 Anm. 6. »
  30. Zu Johann von Trarbach vgl. nr. 344 Anm. 36. »
  31. Zu Caspar Weinhart vgl. nr. 357 Anm. 2. »
  32. Eine Synopse zum Schaffen des Bildhauers Thomas König ist bislang ein Desiderat. »
  33. Zu Kaspar Kretzmaier vgl. nr. 499 Anm. 7. »
  34. Zu den allgemeinen Schriftmerkmalen der Werkstatt Kaspar Kretzmaiers vgl. Bartusch, Grabmäler 158–161. »
  35. Zu Hans Besser vgl. AKL, Bd. 10, 208f. »
  36. Zu Ludwig Krug vgl. nr. 171 Anm. 9. »
  37. Zu Philipp Soldan vgl. nr. 349 Anm. 5. »
  38. Zu Hans Kern vgl. nr. 170 Anm. 13. »
  39. Zu Albrecht Wörl vgl. Rott, Kunst 47 Anm. 3. »
  40. Zu den allgemeinen Kennzeichen der Fraktur und ihrer Entwicklungsgeschichte vgl. Terminologie 48; DI 37 (Rems-Murr-Kreis) LIIIf. mit Anm. 158; Kloos, Einführung 141–143; Bischoff, Paläographie 191–195. »
  41. Vgl. die Verweise auf eng verwandte Fraktur-Inschriften, die nachweislich in der Werkstatt Johanns von Trarbach geschlagen wurden, in nr. 356 Anm. 4–6. »
  42. Zu Jeremias Schwartz und der mit „Leonberg II“ bezeichneten Nachfolgewerkstatt vgl. nr. 478 mit Anm. 5. »
  43. Vgl. zu den Merkmalen der Humanistischen Minuskel und zu ihrer allgemeinen Entwicklung Terminologie 48; DI 37 (Rems-Murr-Kreis) LVI; Kloos, Einführung 143–153; Bischoff, Paläographie 195–201. »
  44. Zu Willem Panneels vgl. nrr. 37, 517»
  45. Vgl. Rubens Cantoor. The drawings of Willem Panneels. A critical catalogue by Jan Garff and Eva de la Fuente Pedersen with an introduction by Jan Garff, Copenhagen 1988, vol. 1/2, passim. »