Die Inschriften des Landkreises Holzminden

5. Die Schriftformen

Romanische Majuskel

Die romanische Majuskel ist gekennzeichnet durch ein wesentlich von Formen der Kapitalis bestimmtes Schriftbild, in das runde Formen – vor allem aus der Unzialis, aber auch aus anderen Schriftarten – neben eckigen Sonderformen (vor allem eckige C und G) integriert werden.64) Sie ist im allgemeinen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts im Gebrauch und wird um 1250 von der Gotischen Majuskel abgelöst.

Die Beispiele im vorliegenden Bestand beschränken sich auf eine nicht datierte Wandmalerei (Nr. 1, Abb. 1) und eine erhaben ausgehauene Inschrift auf einem Taufstein (Nr. 2, Abb. 47 u. 48). Die zuletzt genannte, ebenfalls undatierte Inschrift ist unproportioniert gehauen und weist den für diese Schrift typischen Wechsel von eckig-spitzen und runden Formen nur bei E und T auf. A und auffallenderweise auch T sind variantenreich gestaltet. Einzelne E zeigen die Tendenz zum Abschluß durch ausladende Sporen und in einem Fall durch einen ausgeprägten Abschlußstrich.

Gotische Majuskel

Bei der gotischen Majuskel handelt es sich um eine Mischschrift aus kapitalen und runden Buchstaben mit einem zunehmenden Anteil runder Formen. Charakteristisch sind keilförmige Verbreiterungen an den Enden von Schäften, Balken und Bögen sowie Bogenschwellungen. Hinzu kommt die Vergrößerung der Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden, die insbesondere bei E und C zu einem Abschlußstrich zusammenwachsen und damit den Buchstaben vollständig abschließen können. Die gotische Majuskel setzt sich ab dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts in den niedersächsischen Beständen allgemein durch – einzelne Inschriftengattungen wie Glasmalereien und Objekte der Goldschmiedekunst weisen diese Schriftart bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts auf. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts wird sie allmählich durch die gotische Minuskel abgelöst, nach 1400 tritt sie immer mehr zurück, bleibt aber für Versalien und sonstige Zierschriften im Gebrauch.

In den Inschriften des Landkreises Holzminden haben sich sieben Beispiele für die gotische Majuskel erhalten, davon sind sechs in Stein ausgeführt, die siebte als Glasmalerei der Chorfenster in Amelungsborn (Nr. 6, Abb. 2 u. 3). Die Glasmalerei-Inschrift präsentiert sich als klassische Ausprägung der gotischen Majuskel mit starken Schwellungen und einer ausgeprägten Tendenz zu runden, meist abgeschlossenen Formen.

Die wahrscheinlich älteste (2.–3. Viertel 13. Jahrhundert) gotische Majuskel in Stein (Nr. 3, Abb. 49–51) wurde auf der Piscine des Klosters Amelungsborn angebracht. Sie zeigt, wie bei den frühen Formen dieser Schrift häufig zu beobachten ist, einzelne E mit einem Abschlußstrich, während C offen ist. Die übrigen Beispiele für die gotische Majuskel finden sich sämtlich auf Kreuzsteinen,65) die in der 2. Hälfte des 14. bzw. zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstanden sind. Sicher datiert auf das Jahr 1404 ist nur der weitgehend zerstörte Scheibenkreuzstein aus Holzen (Nr. 13, Abb. 57 u. 58). So weit die Buchstaben der meist stark verwitterten Steine noch erkennbar (Nr. 5 u. Nr. 11 Abb. 52 u. 54) und nicht durch Restaurierung (Nr. 12, Abb. 56) überformt sind, zeigen die Inschriften der Kreuzsteine keine über das klassische Formeninventar der gotischen Majuskel hinausgehenden Besonderheiten. Im Einzelfall sind auch eckig-spitze Formen (F, V) mit Abschlußstrichen versehen (Nr. 5, Abb. 52).

Gotische Minuskel

Die gotische Minuskel entspricht als epigraphische Schrift im Idealfall der Textualis der Buchschrift. Kennzeichen dieses Schrifttyps ist die Brechung der Schäfte und Bögen. Die im Mittelband stehenden Schäfte (z. B. von i, m, n, u, v etc.) werden an der Oberlinie des Mittelbandes und an der Grundlinie gebrochen, die Bögen durch stumpfwinklige Brechung oder spitzwinkliges Abknicken in senkrechte und schräge Bestandteile umgeformt. Die Umformung der Bögen in schräge und parallel ausgerichtete senkrechte Elemente gibt der Schrift vielfach einen von der Vertikalen dominierten, gleichförmigen Charakter, der den Eindruck einer gitterartigen Buchstabenfolge vermitteln kann. Typische Buchstabenformen für diese Schrift sind d mit nach links abgeknicktem Schaft und doppelstöckiges a (vgl. Abb. 59 anno und dni).

Im niedersächsischen Raum setzt die gotische Minuskel um die Mitte des 14. Jahrhunderts ein und wird bis ins 3. Viertel des 16. Jahrhunderts verwendet.66) Im vorliegenden Bestand bietet eine nur wenige Buchstaben umfassende Glasmalerei im Zisterzienserkloster Amelungsborn aus dem 3. Viertel des 14. Jahrhunderts (Nr. 7) den Erstbeleg für diese Schriftart. Das zeitlich nächstfolgende Beispiel aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts (Nr. 9, Abb. 53) stammt ebenfalls aus Amelungsborn und ist in die steinerne Rückwand des dortigen Levitenstuhls eingehauen. Eine erhabene Ausführung der gotischen Minuskel in klassischer Form zeigt die Tumbendeckplatte für Siegfried von Homburg aus dem Zeitraum von 1390 bis 1410 (Nr. 14, Abb. 59–62). In dieser Inschrift ist der rechte Schaft des u zur Unterscheidung von n ohne obere Brechung ausgeführt, das runde s ist mit einem Diagonalstrich versehen. Eine ähnlich qualitätvolle gotische Minuskel wurde auf der ebenfalls zum Homburger-Gedenken gehörenden Marienstatue (1400–1410) angebracht (Nr. 15, Abb. 4 u. 5). Keines dieser frühen Beispiele trägt ein exaktes Datum. Das älteste in seiner Entstehungszeit eindeutig festzulegende Beispiel bietet der 1429 entstandene Gedenkstein für Dietrich Busel in Bodenwerder (Nr. 18, Abb. 64) mit einer eingehauenen gotischen Minuskel in klassischen Formen. Auf einem Kelch von 1576 wurde diese Schriftart zum letzten Mal verwendet (Nr. 80: Kreuztitulus); eine später entstandene Hausinschrift aus Warbsen von 1591 (Nr. 123, Abb. 124 u. 125) zeigt lediglich einzelne Formen der gotischen Minuskel.

Die Hausinschriften des vorliegenden Bestands bieten wenig schriftgeschichtlich auswertbares Material für die gotische Minuskel. Ein besonders ausgeprägtes Beispiel, das aber nur aus einem Baudatum besteht, ist von einem Torsturz aus Bodenwerder überliefert (vgl. Anhang 1, 1484, Abb. 224). Alle übrigen (vgl. z. B. Nr. 71, Abb. 92) in Holz ausgeführten gotischen Minuskeln sind stark verwittert und infolgedessen mit einer neueren Farbfassung versehen worden, die den ursprünglichen Befund kaum noch erkennen läßt.

Auf Metall wurde die gotische Minuskel für vier Glockeninschriften (Nr. 28, 39, 40, 66) und sechs Inschriften auf Kelchen verwendet. Zwei der vier Glocken (Nr. 39 u. 40, Abb. 70–72) stammen aus der Werkstatt des Gießers Hans Arnemann. Es sind aber weniger die Buchstabenformen, die auf die gemeinsame Herkunft verweisen, als vielmehr der Ornamentfries aus Kreuzblumen. Die jüngste der vier Glocken (Nr. 66, Abb. 90) wurde wahrscheinlich von Cord Mente in Braunschweig im Jahr 1564 im Auftrag Herzog Heinrichs d. J. gegossen. Sie zeigt eine ornamentale Ausprägung der gotischen Minuskel mit differenzierter Gestaltung der Oberlängen. Zierstriche und -häkchen bis hin zu einer kleinen Blütenranke schmücken die Balken- und Bogenenden. Variantenreich gestaltete Worttrenner betonen außerdem die ornamentale Wirkung der Inschrift. Die gotischen Minuskeln der sieben Kelche sind ausführungstechnisch in zwei Gruppen zu teilen: zum einen die glatt erhaben vor bearbeitetem Hintergrund in einer typischen Goldschmiedeminuskel (Bandminuskel) gravierten Inschriften. Die vor den Schaft gelegten Brechungen, die noch durch Strichelung innerhalb der Kontur betont werden, lassen die Buchstaben leicht plastisch wirken (Nr. 34; Nr. 42, Abb. 81; Nr. 43). Die andere Gruppe (Nr. 29, 48, Abb. 7–11 u. 82) ist durch eingravierte, scharfzackig-spitze Formen charakterisiert, die sich besonders in den ausgeprägt spitz endenden Quadrangeln ausdrücken.

An Sonderformen sind innerhalb der gotischen Minuskel des vorliegenden Bestands einzelne Fälle von Kasten-a zu vermerken (Nr. 30, 1481; Nr. 48: Kelch, 1. Drittel 16. Jahrhundert, Abb. 82), auf einem Grabplattenfragment aus derselben Zeit (Nr. 47, Abb. 78) und in der 1591 entstandenen [Druckseite 37] Hausinschrift aus Warbsen. In letztgenanntem Beispiel ist der mittlere Balken des Kasten-a verdoppelt (Nr. 123, Abb. 124 u. 125). Auf dem genannten Kelch Nr. 48 aus Bodenwerder ist das Schluß-s in einer ungewöhnlichen Form ausgeführt: der untere Bogen ist rund und nicht gebrochen, der obere zu einem senkrechten Schaft mit Quadrangel reduziert. Bogen-r ist selten belegt (z. B. Nr. 47, Abb. 78; Nr. 55). Die Entwicklung der Versalien läßt sich wegen des spärlichen Befunds nicht nachzeichnen.

Frühhumanistische Kapitalis

Der Begriff „frühhumanistische Kapitalis“ bezeichnet eine Mischschrift, die auf das Formenrepertoire verschiedener Majuskelschriften zurückgreift und gelegentlich auch Buchstaben aus Minuskelalphabeten integriert. Dieser dekorative Formenwechsel wird durch Elemente wie Nodi an Schrägschäften und Balken (insbesondere bei H, I und N) und keilförmig verbreiterte Enden an Schäften und Balken gesteigert. In ihrer Idealform wurde diese Schriftart in den niedersächsischen Beständen vor allem für die besonders dekorativen, oft auf Goldgrund ausgeführten Inschriften der spätgotischen Altäre und auf Goldschmiedearbeiten vom Ende des 15. bis in das 1. Drittel des 16. Jahrhunderts verwendet.

Im vorliegenden Bestand ist die frühhumanistische Kapitalis äußerst spärlich vertreten, nicht zuletzt deshalb, weil die genannten typischen Träger dieser Schriftform im Bestand des Landkreises Holzminden weitgehend fehlen. Lediglich die auf den Rotuli am Nodus einzelner Kelche angebrachten Einzelbuchstaben IHESVS zeigen in der einschlägigen Zeit die charakteristischen Schmuckelemente wie epsilonförmiges E oder H mit Ausbuchtung am Querbalken.

Die älteste Verwendung dieser Schriftform deutet sich auf einem Inschriftenstein aus Allersheim (Nr. 41, Abb. 76) von 1516 an. In Holz hat sich die frühhumanistische Kapitalis an einem kleinen Bibelpult von 1583 (Anhang 1, 1583 Pegestorf, Abb. 226) und an einem Fachwerkhaus in Bodenwerder erhalten (Nr. 72, Abb. 40). Die auffallendsten Kennzeichen der letztgenannten Inschrift sind: offenes unziales D, das in Ligatur mit einem kapitalen E auftritt, und ein ungewöhnliches G, dessen rechtwinklige Cauda nicht mit dem Bogen verbunden ist.

Einzelne Elemente dieser Schrift wurden als ornamentale Formen innerhalb von Kapitalis-Inschriften verwendet, wie z. B. spiegelbildlich positionierte, offene D und G in einer Anfang des 17. Jahrhunderts entstandenen Stadtoldendorfer Hausinschrift (Nr. 186, Abb. 44–46), in einer Steininschrift von 1571 (Nr. 78, Abb. 94 im Wort GNADEN) und auch auf dem sog. Stuckenstein von 1585 (Nr. 96, Abb. 104). Ausbuchtungen und Nodi an Schrägschäften und Balken sind in zwei Glockeninschriften (Nr. 103, Abb. 105 u. 106; Nr. 179, Abb. 160 u. 161) zu beobachten.

Kapitalis

Die (Renaissance)-Kapitalis wird, abgesehen von drei früheren, aufgrund ihres geringen Buchstabenbestandes aber wenig aussagekräftigen Beispielen (Nr. 34; Nr. 44, Abb. 77; Nr. 45) in den Inschriften des Landkreises Holzminden – wie in den niedersächsischen Inschriftenbeständen allgemein üblich – ab der Mitte des 16. Jahrhunderts verwendet.67) Das früheste Beispiel für diese Schriftform findet sich auf dem Epitaph für Gordt Ketteler in Polle aus dem Jahr 1553 (Nr. 57, Abb. 87). Bis zum Ende des Erfassungszeitraums bleibt die Kapitalis auf sämtlichen Inschriftenträgern die dominierende Schriftform, wobei die auf Holz ausgeführten Beispiele, vor allem die Hausinschriften, durch starke Verwitterung und die dadurch bedingten mehrfachen Restaurierungen schriftgeschichtlich kaum noch auszuwerten sind (vgl. z. B. Nr. 79).

Die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandenen Kapitalisinschriften sind mit wenigen Ausnahmen erhaben in Stein ausgeführt. Sie lassen sich in zwei Gruppen gliedern: Die eine Gruppe ist charakterisiert durch breite, einheitliche Strichstärke ohne Ausprägung von Haar- und Schattenstrichen. Bögen, Schäfte und Balken enden meistens stumpf, seltener schräg abgeschnitten, [Druckseite 38] aber weitgehend ohne Sporen; lediglich die Bögen des S lassen hin und wieder Sporen erkennen. Als Schmuckformen werden Elemente der frühhumanistischen Kapitalis verwendet. Charakteristische Beispiele auf Stein bieten der Inschriftenstein an der Kirche in Lauenförde von 1569 (Nr. 76, Abb. 93), die Inschrift an der Kirche in Vahlbruch (Nr. 155, Abb. 141) und eine der Bauinschriften an der Luther-Kirche in Holzminden von 1577 (Nr. 82, Abb. 97). Die im Jahr 1588 entstandene Glocke in Holzen (Nr. 103, Abb. 105 u. 106) zeigt diesen Schrifttyp in der gegossenen Variante. Zwei weitere für Kinder der Familie von Grone gestiftete Grabdenkmäler (Nr. 105 u. 117, Abb. 113 u. 117) zeigen den Typ der schlichten Kapitalis in einem ausgewogenen Schriftbild mit leicht keilförmig verbreiterten Schäften.

In diese erste Gruppe der ohne ausgeprägte Strichstärken-Varianz ausgeführten Kapitalis gehören auch zwei frühe Beispiele aus der Werkstatt des Weserrenaissance-Bildhauers Arend Robin: Das bereits als Erstbeleg der Kapitalis erwähnte Grabdenkmal für Gordt Ketteler (Nr. 57, Abb. 87) in Polle und das ebenfalls dort befindliche Grabdenkmal für Anna von Meschede (Nr. 77, Abb. 95). Beide Inschriften weisen zusätzlich zu den genannten Charakteristika der ersten Gruppe nach rechts durchgebogene Schäfte, u. a. bei W, E und F auf, und zwar besonders in solchen Fällen, wenn die Nachbarschaft zu einem Bogenbuchstaben – beispielsweise nach einem D – dies erfordert.

Die andere Gruppe der Kapitalisinschriften läßt sich bei wiederum überwiegend schmalen Proportionen durch einen Wechsel in der Strichstärke mit Haar- und Schattenstrichen, Linksschrägen- und Bogenverstärkungen definieren. Sie weist weiterhin ausgeprägte keilförmige Verbreiterung der Buchstabenenden und vielfach auch serifenartige Sporen auf. In besonders qualitätvoller Ausführung ist dieser Typ der Kapitalis auf dem 1588 von dem Mindener Bildhauer Johannes Barckhausen angefertigten Grabdenkmal für Abt Andreas Steinhauer in Amelungsborn verwirklicht (Nr. 101, Abb. 112). Auffällig ist an dieser Inschrift zudem die überwiegende Verwendung des runden U in vokalischer Position, während V konsequent den Konsonanten bezeichnet. In diesem Fall korrespondiert eine durchgebildete Form der Kapitalis mit einer inhaltlich und formal von Gelehrsamkeit geprägten Grabinschrift. Schlichter ausgeführte Beispiele für diesen zweiten Typus bieten die gegen Ende des 16. Jahrhunderts und später entstandenen Grabinschriften für Rab Otto de Wrede (Nr. 120, Abb. 118), das Epitaph für Wulbrand von Gülich von 1604 (Nr. 165, Abb. 31) sowie die Inschriften für Katharina Bickhaber (Nr. 127, Abb. 120) und Johann von Grone (Nr. 129, Abb. 121).

In die zweite Gruppe gehören auch drei Grabdenkmäler aus der Werkstatt des Hildesheimer Bildhauers Ebert Wolf d. J., unter denen die Wappenbeischriften auf zwei 1586 oder bald danach entstandenen Grabplatten in Ottenstein (Nr. 98 u. 99, Abb. 107 u. 108) zu den vor 1600 eher seltenen Beispielen für vertiefte Kapitalis zählen. Sie zeigen, wie auch die erhaben ausgehauenen Parallelbeispiele (Nr. 134 u. 144 D, Abb. 128 u. 137), die recht homogenen Buchstaben- und Zierformen der Wolf-Werkstatt: E mit sehr kurzem mittleren und langem, durch einen Sporn betonten unteren Balken sowie kleine Häkchen an den oberen Bögen von C, G und S.

Eine schon durch ihre Ausführung als Wandmalerei bedingte Sonderstellung kommt der durch die Verwendung von Haar- und Schattenstrichen ornamental gestalteten Kapitalis-Inschrift aus Derental zu (Nr. 83, Abb. 12).

In den nach der Wende zum 17. Jahrhundert entstandenen Inschriften nimmt die Zahl der mit Sporen und wechselnden Strichstärken gestalteten Inschriften erheblich zu; parallel dazu steigt auch der Anteil vertieft ausgeführter Inschriften. Typisch für die im vorliegenden Bestand verwendete Kapitalis der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts sind E mit kurzem Mittelbalken und einem ausgeprägten unteren Balken, der oft noch durch einen ausladenden Sporn betont wird; W besteht aus zwei verschränkten V, der Schrägschaft des N ist geschwungen und ragt geringfügig über die Schäfte hinaus; M ist vielfach in der konischen Form ausgeführt, der Mittelteil endet – auch bei geraden Schäften – oberhalb der Mittellinie.68) O hat normalerweise spitzovale Form.

Unter den vertieften Inschriften aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts ist die bestandstypische Kapitalis in einer besonders ästhetisch durchgebildeten Form in der im Jahr 1604 für den Stadtschreiber [Druckseite 39] in Bodenwerder, Franz Rust, angefertigten Grabinschrift (Nr. 163, Abb. 152) repräsentiert. Eine ähnlich klare Ausformung des Schrifttyps zeigen auch die Inschriften aus dem Umkreis der Familie von Campe (Nr. 161 u. 169, Abb. 148–150 u. 158). In erhabener Ausführungstechnik sind zwei für Bürgermeister gestiftete Grabplatten aus Bodenwerder (Nr. 203 u. 210, Abb. 182 u. 183) in vergleichsweise hoher Qualität geschaffen. Ihre figürliche Gestaltung korrespondiert mit der sorgfältigen Ausführung der Inschriften. Eine ähnlich ausgeprägte Kapitalis hat der renommierte Gießer Dietrich Mente auf einer Glocke in Arholzen verwendet (Nr. 181, Abb. 164 u. 165).

Häufige Sonderformen innerhalb der Kapitalis sind G mit eingestellter Cauda (z. B. Nr. 217, 211 u. 224, Abb. 32, 184 u. 194), A mit gebrochenem Mittelbalken (z. B. Nr. 164, Abb. 151) und epsilonförmiges E. Gegen Ende des Erfassungszeitraums werden hin und wieder einzelne Minuskeln in Kapitalis-Inschriften integriert (z. B. Nr. 164, 198 u. 261, Abb. 151, 198 u. 34). Eine durch zahlreiche Sonderformen auffallende Kapitalis ist auf drei Grabplatten aus Meinbrexen zu beobachten (Nr. 183, 233 u. 235, Abb. 166, 201 u. 203): epsilonförmiges E steht neben der kapitalen Form, hervorzuheben ist das eckige U mit breitem, spitz gebrochenen Verbindungsbogen neben spitzem V; außerdem finden sich retrograde N. In einer von diesen Inschriften (Nr. 183) sind – als einzige Beispiele im Bestand – neulateinische Zahlzeichen verwendet worden.

Fraktur und humanistische Minuskel

Charakteristisch für die Fraktur sind Schwellzüge und Schwellschäfte sowie die spitzovale Grundform der geschlossenen Bögen, a ist im Unterschied zum zweistöckigen a der gotischen Minuskel in der Regel einstöckig ausgeführt. Die Schäfte von f und langem s reichen deutlich bis unter die Grundlinie, die Oberlängen sind häufig in Zierschleifen ausgezogen. Den Schrifteindruck der Fraktur prägen neben den Gemeinen vor allem die in viele einzelne Schwellzüge oder Brechungen aufgelösten Versalien (z. B. Nr. 228, Abb. 199).

Das früheste Beispiel für die Verwendung der Fraktur ist eine erhabene Fraktur in Stein auf der 1581 entstandenen Grabplatte für Elisabeth von Helversen (Nr. 93, Abb. 103). Wenige Jahre später sind die von der Familie von Steinberg in Auftrag gegebenen drei Grabplatten (Nr. 98, 99, 100, Abb. 107–109) entstanden, die durch die charakteristische Signatur EBW (Abb. 110f.) der Werkstatt des Hildesheimer Bildhauers Ebert Wolf d. J. zugewiesen werden können. Wie bereits in Braunschweig und Hildesheim zu beobachten war, zeichnet sich die erhabene Fraktur dieser Werkstatt durch eine spezifische, einheitliche Buchstabengestaltung aus, die von schmalen Strichen über u und kleinen dreieckigen Dornen am Schaft von s, l, h und b charakterisiert ist.69) Bei den von der Familie von der Schulenburg in Hehlen in Auftrag gegebenen eingehauenen Fraktur-Inschriften fehlen die kleinen Dorne an den Schäften, gleichwohl sprechen die figürlichen Darstellungen wie auch die aufwendig gestalteten, in einzelne Schwellzüge aufgelösten Versalien (Nr. 143 u. 144, Abb. 28–30 u. 137) für eine Herkunft aus dieser Werkstatt. Die ältesten gemalten Fraktur-Inschriften sind 1588/89 in Meinbrexen als Wandmalerei, auf einem Altarretabel und einem Kanzelkorb entstanden (Nr. 108, 109, 110, Abb. 14, 15, 17, 19, 20 u. 115). Wie die meisten gemalten Fraktur-Inschriften sind auch diese im Laufe der Jahrhunderte mehrfach durch Restaurierungen überformt worden, so daß die Beobachtung der Einzelformen kaum für schriftgeschichtliche Erkenntnisse zu nutzen ist.70) Wie auch in anderen Beständen zu beobachten ist, bleibt die Verwendung der Fraktur an deutschsprachige Texte gebunden. Evident wird diese Sprachbindung an einem Kanzelaltar aus den Jahren vor 1646 (Nr. 257, Abb. 35–38). Dort sind die lateinischen Inschriften in Kapitalis ausgeführt, hingegen wurde für die deutschsprachigen Bibelzitate die Fraktur verwendet.

Die humanistische Minuskel, die wie die Fraktur in Inschriften allgemein seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Verwendung findet, kommt im Landkreis Holzminden nur in vier Beispielen vor. Generelle Merkmale dieser Schrift, die der Antiqua der Buchschrift entspricht, sind runde Bögen und ohne Brechung endende Schäfte. Das runde g, f und Schaft-s sowie h enden in der Regel auf der Grundlinie, d wird mit senkrechtem Schaft ausgeführt. Das früheste Beispiel für diese Schriftart sind die lateinischen Textteile innerhalb der Meinbrexener Wandmalerei-Inschriften von 1588/89 (Nr. 108). Wie auch andernorts zu beobachten, wird diese Schriftart vorwiegend für lateinische [Druckseite 40] Inschriften verwendet, wie z. B. in dem Grabgedicht auf dem Epitaph des Wulbrand von Gulich von 1604 (Nr. 165, Abb. 31) und in der versifizierten Inschrift am Thesmar-Haus von 1609 (Nr. 172, Abb. 155).71)

Zitationshinweis:

DI 83, Landkreis Holzminden, Einleitung, 5. Schriftformen (Jörg H. Lampe, Meike Willing), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di083g015e003.

  1. Zu den Charakteristika der einzelnen Schriftformen vgl. Deutsche Inschriften. Terminologie, S. 28.  »
  2. Vgl. Nr. 5, Abb. 52; Nr. 11, Abb. 54 u. 55; Nr. 12, Abb. 56; Nr. 13, Abb. 57 u. 58; Nr. 17, Abb. 63.  »
  3. Erstbeleg DI 66 (Lk Göttingen), Nr. 9 (Hann. Münden, Hochwasserinschrift von 1342). »
  4. Vgl. DI 66 (Landkreis Göttingen), Einleitung S. 29 mit einzelnen Beispielen aus der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das älteste Beispiel für die Verwendung der Kapitalis im Landkreis Hildesheim bietet die im Jahr 1550 für Siverd von Steinberg gestiftete Grabplatte in Lamspringe. Vgl. DI 88 (Lkr. Hildesheim; in Vorbereitung). »
  5. Vgl. DI 56 (Stadt Braunschweig II), S. XXXIX. DI 58 (Stadt Hildesheim), S. 68»
  6. Zur Restaurierungsproblematik der gemalten Fraktur-Inschriften vgl. DI 76 (Lüneburger Klöster), S. 36»