Die Inschriften der Lüneburger Klöster Ebstorf, Isenhagen, Lüne, Medingen, Walsrode, Wienhausen

5. Schriftformen

Auf ein grundlegendes Problem in der Behandlung der Schriftformen dieses Bestands soll hier eingangs hingewiesen werden. Es besteht darin, daß von den 305 ganz oder teilweise im Original erhaltenen Inschriften fast die Hälfte – insgesamt 136 Inschriften verteilt über den gesamten Bearbeitungszeitraum – gemalt sind. Dies bedeutet, daß ihr heutiger Zustand in den meisten Fällen kaum mehr Aussagen über die ursprüngliche Schriftgestaltung zuläßt, weil sie im Laufe der Jahrhunderte zumeist mehrfach überarbeitet worden sind. Dies gilt nicht nur für die Ausführung der Buchstaben selbst, sondern auch für die im heutigen Zustand sichtbaren diakritischen Zeichen bzw. Umlaute in den Inschriften des 16. und 17. Jahrhunderts. Da Diakritika in den gemalten Inschriften des 16. und 17. Jahrhunderts die Regel sind, wird in den Inschriftenartikeln nicht jedesmal auf ihr Vorhandensein hingewiesen. Die gemalten Inschriften weisen zumeist diakritisch mit Häkchen bezeichnete u auf, die jedoch häufig von Restauratoren mißverstanden und als Umlaute wiedergegeben worden sind. Diese Fehler der Restauratoren im Umgang mit Diakritika bzw. Umlautbezeichnungen bleiben zumeist unerwähnt, da sie eher die Regel als die Ausnahme in restaurierten Texten sind und der Anmerkungsapparat durch ihre Wiedergabe jeweils unnötig groß würde. Neben den 136 gemalten Inschriften gibt es 24 gestickte, bei denen die Buchstabengestaltung in ganz besonderer Weise den Zwängen des Materials unterliegt und daher für eine schriftgeschichtliche Auswertung ebenfalls kaum etwas hergibt.

Abgesehen von alter Kapitalis und romanischer Majuskel finden sich in dem Inschriftenbestand der Lüneburger Klöster Beispiele für sämtliche in Norddeutschland auftretende epigraphische Schriften bis zum Jahr 1700, allerdings in sehr unterschiedlicher Gewichtung. Ab dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts dominiert die Kapitalis, daneben wird vor allem in den gemalten Inschriften die Fraktur häufig verwendet.

Gotische Majuskel

Die gotische Majuskel vereinigt kapitale und runde Buchstabenformen mit einer im Laufe der Zeit verstärkten Tendenz hin zu den runden Buchstabenformen. Allgemein charakteristisch für diese Schrift sind ausgeprägte keilförmige Verbreiterungen der Schaft- und Bogenenden sowie Bogenschwellungen. Die an Schaft-, Balken- und Bogenenden angesetzten Sporen werden besonders betont und können vor allem bei C und E zu einem durchgehenden Abschlußstrich zusammenwachsen.

Die älteste gotische Majuskel dieses Bestands auf der Glocke des Klosters Wienhausen aus den 20er Jahren des 13. Jahrhunderts (Nr. 1) besteht aus sehr einfach ausgeführten vertieften Buchstaben mit deutlich ausgeprägten Sporen, aber ohne weitere besondere Merkmale. Die zweitälteste gotische Majuskel ist knapp hundert Jahre jünger und ebenfalls in Metall ausgeführt; sie befindet sich auf der Taufe in Ebstorf und stammt aus dem Jahr 1310 (Nr. 2). Entsprechend zeigen die Buchstaben hier die Form der abgeschlossenen, voll ausgeprägten gotischen Majuskel mit Bogenschwellungen und vielen Zierformen, die besonders dadurch zur Geltung gebracht werden, daß die Buchstaben in leicht erhabener Kontur mit Binnenmusterung gestaltet sind. Die Serifen sind teilweise in Blättchen aufgelöst. Eine ganz außergewöhnlich ausgeführte gotische Majuskel trägt der aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts stammende Ebstorfer Kelch (Nr. 10): hier sind die einzelnen Buchstaben als Metallplättchen auf den Fuß aufgesetzt. Entsprechend sind die Buchstabenbestandteile sehr breit ausgeführt, um eine Stabilität zu gewährleisten. Feinere Zierformen der eingravierten Goldschmiedeinschriften fehlen. Stattdessen sind die Buchstaben aus sehr breiten [Druckseite 34] Hasten und aus Bögen zusammengesetzt, die durch spitz ausgezogene starke Bogenschwellungen auf Dreiecke reduziert sind. Die Schräghasten der V sind keilförmig verbreitert, ebenso die Balkensporen des T mit breiter Haste, an den Buchstabenenden jeweils beidseitig angesetzte Häkchen. Damit wirken die Buchstaben für sich genommen zwar massiv, durch die einheitliche Buchstabengestaltung erhält die Schrift aber ein sehr elegantes und ruhiges Schriftbild.

Als eines der ältesten und bedeutendsten Beispiele für das eingangs geschilderte Problem im Umgang mit den gemalten und häufig restaurierten Inschriften können hier die Inschriften in gotischer Majuskel im Wienhäuser Nonnenchor aus der Zeit um 1335 angeführt werden (Nr. 8). Daß die sich dort heute dem Betrachter präsentierende gotische Majuskel lediglich die Umsetzung dessen ist, was man im 19. Jahrhundert unter einer mittelalterlichen gotischen Majuskel verstand, lassen einige Schriftbänder erkennen, auf denen unter der neuen Fassung noch die deutlich abweichende ursprüngliche Fassung zu sehen ist, die sehr viel schmalere Buchstabenproportionen aufweist. Ganz offensichtlich hat man sich bei der Neufassung der Inschriften nicht darum bemüht, die noch erkennbaren Buchstabenformen getreu zu übernehmen, sondern lediglich eine einigermaßen originalgetreue Bewahrung der Texte zum Ziel gehabt, die jedoch auch nicht an allen Stellen geglückt ist. Für eine Auswertung der gotischen Majuskel entfallen die Inschriften des Wienhäuser Nonnenchors ebenso wie die der Wandmalereien im Kreuzgang (Nr. 3) und in der Allerheiligenkapelle (Nr. 7).

Eine ganz andere Ausführungsart der gotischen Majuskel zeigen die Teppiche im Kloster Wienhausen und die Moses-Laken im Kloster Ebstorf aus dem 14. Jahrhundert. Hier kann man keine besonderen Formprinzipien in der Buchstabengestaltung erwarten, da die Buchstabenform ganz entscheidend vom Geschick der jeweiligen Stickerin abhing. Dementsprechend einfach sind auch die gotischen Majuskeln auf dem ältesten der Teppiche, dem Tristan-Teppich I aus dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts (Nr. 5), in dünner Fadenstärke und sehr uneinheitlich ausgeführt. Die späteren Wienhäuser Teppiche zeigen beginnend mit dem Tristan-Teppich II aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts (Nr. 21) mit dem Farbwechsel von Buchstabe zu Buchstabe ein größeres Bemühen um die Gestaltung der Inschriften, das sich im Fall des Tristan-Teppichs II auch in den sehr sorgfältig gestickten Details der späten gotischen Majuskel ausdrückt, wie A mit breitem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, dessen Hasten nach oben spitz zulaufen, oder I mit beidseitigen Nodi. Ein ähnliches Bemühen um eine detailreichere Buchstabengestaltung mit Zierformen zeigt der Propheten-Teppich (Nr. 23), auf dem der Farbwechsel zwischen den Buchstaben sogar innerhalb der PP-Ligatur und in dem verschränkten W durchgeführt ist.

Gotische Minuskel

Bei der gotischen Minuskel handelt es sich um eine aus der Buchschrift übernommene Schrift mit einem seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts allgemein und innerhalb kurzer Zeit verbreiteten Formenkanon, für den Bogenbrechungen und die daraus resultierende parallele, oft gitterartige Anordnung der senkrechten Buchstabenteile charakteristisch sind. Die im Mittelband stehenden Schäfte werden in der gotischen Minuskel an der Oberlinie des Mittelbands und an der Grundlinie gebrochen, Bögen durch stumpfwinklige Brechung oder durch spitzwinkliges Abknicken in senkrechte, waagerechte oder schräge Elemente umgewandelt.

In Wienhausen gibt es zwei recht frühe Beispiele der gotischen Minuskel, die allerdings beide gemalt sind und daher den oben bereits angeführten Einschränkungen in der Bewertung unterliegen. Dem Originalbefund einigermaßen entsprechen dürfte in den Wandmalereien des Nonnenchors die in einem aufgeschlagenen Buch in den Händen Jesu (Nr. 8,81, um 1335) ausgeführte gotische Minuskel – besonders die nicht durch Restaurierung übermalte rechte Buchseite –, die als früheste gotische Minuskel des Bestands angesehen werden kann, ihre Verwendung als „Buchschrift“ ist hier aber vom Thema her naheliegend. Die oben angesprochenen charakteristischen Brechungen zeigt diese Minuskel mit deutlichen Ober- und Unterlängen jedoch nur andeutungsweise. Vollkommen ausgeprägt sind sie dagegen bereits in den in einem Zweilinienschema stehenden Tituli der die Kreuzigung durch die Tugenden darstellenden Glasmalerei im Wienhäuser Kreuzgang (Nr. 18), die etwa zur selben Zeit – vielleicht etwas später – entstanden sein dürfte wie die Wandmalereien im Nonnenchor. Den Gittercharakter der gotischen Minuskel zeigen beide [Druckseite 35] Inschriften noch nicht. Dem entspricht schon eher die Inschrift auf einem auf das dritte Viertel des 14. Jahrhunderts zu datierenden Kelch in Ebstorf (Nr. 19), der eine typische mittelalterliche Goldschmiedeminuskel allerdings ohne besondere Zierformen trägt. Die Ober- und Unterlängen sind hier in der für diese Inschriften charakteristischen Weise über bzw. unter das den Hintergrund der glatten, leicht erhabenen Buchstaben bildende schraffierte Band hinausgeführt. Auf den Goldschmiedearbeiten der Klöster bleibt diese Goldschmiedeminuskel die Ausnahme, nur ein Medinger Kelch von 1494 (Nr. 57) zeigt ebenfalls eine glatte gravierte gotische Minuskel, allerdings nicht vor schraffiertem, sondern vor glattem Hintergrund, so daß die Gestaltung der Buchstaben nicht plastisch wirkt. Hier erscheinen die typischen Zierformen wie der durch den Schaft des t hindurchgesteckte Balken und der durch den Schaft des p hindurchgesteckte Bogen sowie gegabelte Oberlängen. Die anderen Goldschmiedearbeiten tragen alle eingravierte Minuskelinschriften, die grundsätzlich weniger aufwendige Zierformen aufweisen. Hier finden sich nur begleitende Zierstriche oder in Zierhäkchen ausgezogene Quadrangeln.

Der Gittercharakter läßt sich besonders gut demonstrieren an einer der wenigen erhaben in Stein ausgeführten gotischen Minuskeln dieses Bestands, der auf der Rahmenleiste der Grabplatte für den Isenhagener Propst Gerdener umlaufenden Inschrift (Nr. 50, 1471). Die Besonderheit dieser gotischen Minuskel liegt aber auch darin, daß hier die Zierformen der Goldschmiedeminuskel in Stein umgesetzt sind, ganz besonders in der Gestaltung der über die vertiefte Zeile hinausragenden Ober- und Unterlängen. So geht die in Kontur über der Zeile eingehauene Oberlänge des d in d(omi)nicam in den langen Kürzungsstrich über, der nach links umgebrochen ist und in einer Schleife über der Mitte endet. Sehr ähnlich ausgeführt ist eine erhaben in Stein gehauene Spätform der gotischen Minuskel – hier in Kombination mit Frakturversalien – auf einer sehr qualitätvollen Kindergrabplatte aus dem Jahr 1573 in Lüne (Nr. 129).

Es gibt auch gestickte gotische Minuskeln auf den Teppichen in Wienhausen aus dem letzten Viertel des 14. und aus dem 15. Jahrhundert. Während die Inschriften auf dem Thomas-Teppich aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts (Nr. 28) sehr einfach ausgeführt sind, so daß sich nur die Grundstruktur der Buchstaben erkennen läßt, bietet insbesondere der Heilsspiegel-Teppich (Nr. 39, vor 1433) durch die außergewöhnliche Größe der Schrift auf den Inschriftenleisten von acht bis zehn Zentimetern Buchstabenhöhe die Möglichkeit, auch Buchstabendetails zu gestalten. Die gotische Minuskel ist hier – anders als auf dem Thomas-Teppich, der geringe Ober- und Unterlängen zeigt – in ein Zweilinienschema gestellt, die Buchstaben weisen in dünner Fadenstärke gestickte Zierhäkchen und begleitende Zierstriche auf. Zierhäkchen und das Zweilinienschema finden sich auch in der gotischen Minuskel des Anna- und des Elisabeth-Teppichs (Nr. 78 u. 79, zweite Hälfte 15. Jahrhundert), die Brechungen und Quadrangeln sind deutlich gestickt. Während die gotische Minuskel des Thomas-Teppichs einheitlich mit rotem Faden gestickt ist, wird auf dem Heilsspiegel-Teppich wie auf dem Anna- und dem Elisabeth-Teppich die Buchstabenfarbe gewechselt, allerdings nicht wie in den Textilinschriften mit gotischer Majuskel von Buchstabe zu Buchstabe, sondern jetzt von Wort zu Wort.

Frühhumanistische Kapitalis

Diese besonders dekorative Schrift, die Elemente verschiedener Schriftarten wie der gotischen Majuskel und der Kapitalis mit byzantinisch-griechischen Formen vereint und Schmuckelemente wie Ausbuchtungen, Nodi und keilförmig verbreiterte Hasten aufweist, wurde von den Meistern der spätgotischen Altäre ebenso gerne verwendet wie von den Goldschmieden im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. In den Lüneburger Klöstern finden sich nur wenige, aber von der Anbringungsart her sehr typische Beispiele für frühhumanistische Kapitalis, so auf dem Hintergrund des 1519 gefertigten Marienaltars im Wienhäuser Nonnenchor (Nr. 96), wo die Tituli der davor aufgestellten Heiligenfiguren plastisch im Goldgrund vor aufgerauhtem Hintergrund ausgeführt sind. Ebenfalls für Heiligentituli ist die frühhumanistische Kapitalis in den Glasmalereien eines Fensters im Ebstorfer Nonnenchor verwendet (Nr. 100, 1523), sowie – in gleicher Weise typisch – in Gewandsauminschriften von Heiligenfiguren ebenfalls in Glasmalereien der Lüner Kreuzgangfenster (Nr. 108, erstes Viertel 16. Jahrhundert). Eine ehemals sehr sorgfältig eingravierte Inschrift in frühhumanistischer Kapitalis auf einem Kelch in Wienhausen aus dem Jahr 1520 (Nr. 97) ist zwar größtenteils getilgt, läßt aber noch die typischen Elemente dieser Schrift wenigstens ansatzweise erkennen. Das [Druckseite 36] nicht getilgte Datum enthält A mit breitem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken ebenso wie oben offenes eingerolltes D, retrograde N mit ausgebuchtetem Schrägbalken, I mit beidseitigen Nodi und spitzovales O, alle Buchstabenenden gegabelt, die erkennbaren Reste der übrigen Buchstaben zeigen, daß die E epsilonförmig waren. Neben diesen Inschriften aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts gibt es in Wienhausen noch zwei Verwendungen der frühhumanistischen Kapitalis aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Ein Ziegelstein von 1549 (Nr. 118) trägt die Initialen der sonst oft als Hausinschrift vorkommenden protestantischen Devise V(ERBUM) D(OMINI) M(ANET) I(N) E(TERNUM) in dieser Schrift. Das schönste Beispiel für frühhumanistische Kapitalis – wenn man von der zerstörten Kelchinschrift absieht – ist zugleich das späteste: die in auch für einen Schwellbalken auffallend großen, erhaben geschnitzten Buchstaben von 18 Zentimetern Höhe ausgeführte Bauinschrift von 1550 am Ostflügel der Klostergebäude (Nr. 120). Hierfür wurde nach Ausweis der Baurechnung ein Meister gesondert bezahlt, der die Buchstaben entwarf und ausführte. Die Inschrift enthält eingerollte D, I mit beidseitigem Nodus, spitzovales O, ausgebuchteten Balken des H und ausgebuchtete Schräghaste des N sowie das für die ausgeprägteren Arten dieser Schrift charakteristische byzantinische M.

Fraktur und humanistische Minuskel

Die humanistische Minuskel kommt als gesonderte Schrift in den Inschriften der Lüneburger Klöster nur ein einziges Mal auf einer Weinkanne des Klosters Wienhausen aus dem Jahr 1696 in einer Form mit kursiven Elementen vor (Nr. 227), sonst lediglich in Kombination mit der zweiten der beiden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts verwendeten Minuskelschriften, der Fraktur. Allgemein kennzeichnend für die humanistische Minuskel sind runde Bögen und ohne Brechung endende Schäfte, f, Schaft-s und h weisen in der Regel keine Unterlänge auf. Wie schon in anderen Beständen läßt sich auch hier eine Verwendung der humanistischen Minuskel für lateinische Bestandteile wie den Titel Domina innerhalb von sonst in deutscher Sprache formulierten Inschriftentexten konstatieren, allerdings auch dies nur in fünf Fällen (Nr. 162, 276, 277, 281, 299). Für eine Auswertung der Buchstabenformen ist die Materialbasis in den Lüneburger Klöstern viel zu gering.

Charakteristische Merkmale der Fraktur sind neben den aufwendig gestalteten Versalien Schwellzüge und Schwellschäfte sowie die spitzovale Form der gebrochenen Bögen, a ist in der Regel einstöckig ausgeführt, f, h und Schaft-s weisen oft Unterlängen auf. Die sonst für diese Schrift kennzeichnende Betonung der Ober- und Unterlängen durch Schleifenbildung oder andere ausgeprägte Zierformen ist allerdings in den norddeutschen Beständen eher die Ausnahme. Die Fraktur findet sich in diesem Bestand ganz überwiegend in gemalten Inschriften auf Holz und Glas und bietet damit einerseits aufgrund der oft eher nachlässigen Ausführungsart, andererseits aufgrund von Veränderungen durch Restaurierungen kaum Material für eine schriftgeschichtliche Auswertung. Die Verwendung dieser Schrift zeigt eine strenge Bindung an deutschsprachige Texte.

Als ältestes Beispiel für Fraktur in den Lüneburger Klöstern können die erhaben geschnitzten Inschriften auf den Schwellbalken des Lüner Klosterkrugs aus dem Jahr 1570 (Nr. 126) bezeichnet werden, auch wenn deren Frakturcharakter im wesentlichen durch die Versalien bestimmt wird, während in der vergleichsweise einfachen Gestaltung der Minuskelbuchstaben noch deutlich die Stilmerkmale der gotischen Minuskel vorhanden sind. Allerdings sind die Bogenbrechungen hier oft abgerundet, die b sind unten spitzoval, der geschwungene Bogen des h ist unter die Grundlinie verlängert und die Hasten von v und w sind ebenfalls geschwungen. Charakteristisch ist an den Inschriften des Klosterkrugs, daß die deutschen Texte in Fraktur ausgeführt sind, die lateinischen jedoch in Kapitalis. Dieselbe Kombination von Schriftart und Text findet sich auch auf der Grabplatte für Ursula Papendorf in Lüne (Nr. 135), wo der deutsche Sterbevermerk in erhaben gehauener Fraktur, die lateinische Sentenz in Kapitalis ausgeführt ist. Allerdings ist die Platte so stark abgetreten, daß sich zu den Schriftmerkmalen nichts mehr sagen läßt.

Das ebenfalls für Ursula Papendorf und ihren Ehemann Albert Roefsack bestimmte Epitaph in der Lüner Kirche (Nr. 134) zeigt in dem in Fraktur ausgeführten Sterbevermerk der Ehefrau von 1580 sehr aufwendig gestaltete Frakturversalien mit komplizierter Schleifenbildung und begleitenden Zierstrichen sowie Schleifen und Zierhäkchen auch an den Minuskelbuchstaben. Der zehn [Druckseite 37] Jahre später nachgetragene Sterbevermerk für den Ehemann ist in einer sehr viel einfacher gestalteten Fraktur ausgeführt und damit ebenso typisch für die gemalten Frakturinschriften in diesem Bestand wie die in Fraktur gemalten Verse auf dem Epitaph der Ebstorfer Domina Lucia von Appel (Nr. 162), die wohl 1596 ausgeführt wurden. Die Schrift zeigt eine sehr reduzierte Form von Schwellzügen und Schwellschäften in der Ausführung von Buchstaben mit Ober- und Unterlängen, die Unterlängen von Schaft-s und f sind spitz unter die Zeile ausgezogen, der unter die Zeile ausgezogene Bogen des h nach links umgebogen, die Frakturversalien sind vergleichsweise einfach gestaltet. Diese schlichte „norddeutsche“ Form der Fraktur ist charakteristisch für den Gesamtbestand. Interessant ist die unter der Versinschrift stehende Zeile, in der der Name der Domina und des Klosters in Kapitalis, der Titel Domina in humanistischer Minuskel und die Bezeichnung Des Closters in Fraktur ausgeführt sind.

In der Glasmalerei gibt es auch Beispiele für eine ausgeprägtere Fraktur mit deutlichen Schwellschäften und Schwellzügen wie auf den Wappenscheiben im Lüner Kreuzgang von 1609 (Nr. 184). Die Wappenbeischriften zeigen das für die Glasmalerei charakteristische Bogen-r, bestehend aus einem Kurzschaft und einem z-förmigen Oberteil, das aus einem oben mit einem Schrägbalken besetzten Schlängel gebildet ist. Diese Form des Bogen-r findet sich auch in den ansonsten noch sehr der gotischen Minuskel verhafteten Wappenbeischriften von 1595 im Lüner Kreuzgang (Nr. 160), die als weitere Besonderheit der Glasmalerei-Schriften die sehr betont nach allen Seiten ausgezogenen Quadrangeln zeigen.

Fraktur in Stein findet sich auf den Grabkreuzen des Ebstorfer Klosterfriedhofs von 1660 (Nr. 264) und 1688 (Nr. 316318). Während die Frakturinschriften auf dem Grabkreuz der Agnes von Appel von 1660 eingehauen sind, sind die Inschriften der drei anderen Kreuze erhaben ausgeführt. Die eingehauenen Inschriften sind sehr viel feiner ausgeführt und wirken mit den geschwungenen Ober- und Unterlängen sehr viel eleganter als die knapp dreißig Jahre später gehauenen erhabenen Frakturinschriften, deren weitgehend gleichbleibende Buchstabenstärke sie trotz geschwungener Buchstabenbestandteile ein wenig plump erscheinen läßt.

Kapitalis

Entsprechend der zeitlichen Verteilung der Inschriften der Lüneburger Klöster ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Renaissancekapitalis wie in den anderen bisher edierten norddeutschen Beständen auch hier die bei weitem vorherrschende Schriftform ist, die sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in allen Inschriftengruppen und Ausführungsarten durchsetzt. Der überwiegende Teil der in Holz und Stein ausgeführten Kapitalisinschriften ist erhaben geschnitzt oder gehauen, oft in vertiefter Zeile. Auch wenn viele dieser Inschriften regelmäßig gestaltet sind und durchgehende Stilmerkmale wie den Wechsel von Haar- und Schattenstrichen, Bogenverstärkungen und den Abschluß der Buchstabenbestandteile durch Serifen oder keilförmige Verstärkungen erkennen lassen, so orientieren sich doch die wenigsten an den klassischen Proportionen der Kapitalis, vielmehr sind die meisten Kapitalisinschriften eher schmal proportioniert.

Die älteste in Kapitalis ausgeführte Inschrift findet sich auf einer 1504 gegossenen Glocke in Ebstorf (Nr. 89), hier noch neben einem M der gotischen Majuskel in der Jahreszahl. Die erste in Stein gehauene erhabene Kapitalis des Bestands, die Inschrift auf der Grabplatte des 1534 verstorbenen Herzogs Heinrich des Mittleren in Wienhausen (Nr. 115), zeichnet sich durch eine qualitätvolle Ausführung und dementsprechend durch die oben bereits erwähnten Merkmale wie Bogenverstärkungen und den Wechsel von Haar- und Schattenstrichen sowie betonte Sporen an den Buchstabenenden aus, auffallend vor allem das M mit senkrechten Hasten und verstärktem linken und dünnerem rechten Mittelteil. Diese breit proportionierte Kapitalisinschrift bleibt jedoch die Ausnahme unter den in Stein gehauenen Inschriften der Klöster, die zumeist sehr einfach ausgeführt sind, unabhängig davon, ob sie eingehauen oder erhaben gehauen sind. Stellvertretend für den Großteil der Kapitalisinschriften kann die noch vergleichsweise sorgfältig gehauene erhabene Inschrift auf der Grabplatte des 1613 (Nr. 192) verstorbenen Amtmanns Balthasar von Eltz in Isenhagen erwähnt werden, die in zwar sehr regelmäßigen, aber äußerst flächigen Buchstaben ausgehauen ist, die weder Bogenverstärkungen noch Strichstärkenwechsel zeigen. Geradezu nachlässig eingehauen sind die Kapitalisinschriften auf den Grabplatten der Isenhagener Domina Judith von [Druckseite 38] Bülow (Nr. 133, 1580) und der Lüner Domina Dorothea von Meding (Nr. 140, 1587). Gerade in letzterem Fall verwundert die einfache Ausführung der Grabplatte, da sie zu Lebzeiten der Domina von ihr selbst in Auftrag gegeben wurde. Ein gewisses Bemühen um die Buchstabengestaltung zeigt nur noch die Grabplatte des Lüner Amtmanns Christian Wineke (Nr. 211, 1626) in der leicht rechtsgeneigten Kapitalis mit weit ausgezogenen Hasten, ganz besonders bei dem verschränkten W mit den beiden parallel nach links oben ausgezogenen Schräghasten.

Die einfache Ausführungsart überwiegt auch in den wenigen in Holz geschnitzten und den zahlreichen gemalten Kapitalisinschriften. Die erhaben geschnitzten Kapitalisinschriften auf den Schwellbalken am Lüner Klosterkrug (Nr. 126) zeigen eine breite, ausgewogene Buchstabengestaltung mit leichten Bogenverstärkungen und als Besonderheit P mit unten am Schaftende angesetztem Balken. Sehr viel schmaler ist die erhabene Kapitalis auf dem Schwellbalken an der Vorderseite des Gästehauses des Klosters Isenhagen gehauen (Nr. 159, 1595), die A hier teilweise mit gebrochenem Balken, die O spitzoval, die Hasten an den Enden leicht keilförmig verbreitert. Als besonderes Detail sind hier die getreppten Kürzungsstriche zu erwähnen, für die die vertiefte Zeile entsprechend getreppt ausgeschnitten ist. Die Inschrift auf dem Schwellbalken der Hausrückseite ist sehr viel einfacher ausgeführt. Ganz im Kontrast zum anspruchsvollen Inhalt der Inschrift steht die nachlässig ausgeführte Kapitalis auf dem Schwellbalken des Amtszinskorngebäudes in Ebstorf (Nr. 206, 1622), die jedes Bemühen um eine besondere Buchstabengestaltung vermissen läßt und geradezu als formlos zu bezeichnen ist.

Unter den gemalten Kapitalisinschriften zeichnen sich die Inschriften auf zwei wohl gleichzeitig angefertigten Epitaphien für zwei Ebstorfer Dominae durch eine besondere Qualität aus, die sich jedoch nur noch ansatzweise erkennen läßt, da beide Grabdenkmäler stark zerstört sind (Nr. 156 u. 157, 1595). Der betonte Wechsel von Haar- und Schattenstrichen und Bogenverstärkungen finden sich hier ebenso wie stark betonte Sporen. Die R weisen weit ausgezogene Cauden auf, der Mittelbalken des E ist jeweils auf einen Sporn reduziert, die Serife am Ende des unteren Balkens weit ausgezogen. Die Inschriften des Epitaphs Nr. 156 lassen noch erkennen, daß die in Gold ausgeführten Buchstaben mit schwarzen Begleitstrichen versehen sind, die die Schrift plastisch hervortreten lassen. Auch andere gemalte Kapitalisinschriften zeigen Strichstärkenwechsel oder Sporen an den Buchstabenenden, ohne sich dabei allerdings durch besondere Qualität auszuzeichnen. Als Beispiele seien hier die Inschrift auf dem Porträt der Lüner Domina Dorothea von Meding (Nr. 145, 1590) genannt und die Inschriften unter den Gemälden des Lüner Gestühls im Raum vor dem Nonnenchor (Nr. 292, wohl drittes Viertel 17. Jahrhundert).

Insgesamt lassen sich an den Kapitalisinschriften der Lüneburger Klöster bis zum Ende des Bearbeitungszeitraums keine nennenswerten Entwicklungen in der Buchstabengestaltung beobachten. Lediglich eine im Laufe des 17. Jahrhunderts zunehmende U-Schreibung statt der bis dahin üblichen V-Schreibung für den Vokal u läßt sich konstatieren, setzt sich aber nicht vollständig durch, wie es die konsequente V-Schreibung in den gemalten Inschriften des Lüner Gestühls (Nr. 292) zeigt, das wohl auf das dritte Viertel des 17. Jahrhunderts zu datieren ist. Die Kapitalis wird gleichermaßen für lateinische und deutsche Inschriften verwendet.

Zitationshinweis:

DI 76, Lüneburger Klöster, Einleitung, 5. Schriftformen (Sabine Wehking), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di076g013e004.