Die Inschriften des Altkreises Witzenhausen

6. Nicht aufgenommene Inschriften

In Bad Sooden-Allendorf im Ortsteil Allendorf existieren einige Inschriften, die nach der auftretenden Jahreszahl dem 17. Jahrhundert anzugehören scheinen. In Wirklichkeit aber sind sie ein Produkt späterer Zeit. Sie erscheinen also nicht im Katalog, sollen aber hier genannt werden. Auf die keine Jahreszahl aufweisenden Spruchinschriften aus neuerer Zeit gehe ich nicht weiter ein.

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So können die Inschriften am Haus Kirchstraße 59 unmöglich ins Jahr 1637 datiert werden, auch wenn das Haus vielleicht aus diesem Jahr stammt.147) Auf dem Erker mit den zwei geschwungenen Giebelchen sind u. a. bei Ganßauge folgende Inschriften belegt: links „J. J. Schreiber“, rechts „1790 renov. 1898“. Diesen Stand zeigt z. B. auch das Foto von Hofmann auf S. 104. Es ist also klar zu erkennen, dass die Inschrift, die Ganßauge vorfand, durch die jetzige verdrängt wurde. Dabei wird man kaum annehmen wollen, dass die von Ganßauge zitierte Inschrift eine ältere verdrängt hat, die jetzt wiederhergestellt ist. Auch die durch Schnitzerei dargestellte 1637 über der Tür kann nicht aus diesem Jahr stammen. Das beweist ein Foto aus dem 19. Jahrhundert: Die Tür ist dort ohne Giebel, ihr Oberlicht zeigt Sprossenfenster.148) Der geschwungene Giebel der Türumrahmung ist erst auf einem späteren Foto zu erkennen, doch die geschnitzten Jahreszahlen sind noch nicht vorhanden.149) Sie sind wohl im 20. Jahrhundert angebracht worden.

Die Inschrift am Pfarrhaus Kirchplatz 6 kann Ganßauge noch nicht bekannt gewesen sein, sonst wäre er bei seiner abweichenden Datierung darauf eingegangen und hätte sich nicht lediglich mit dem Satz begnügt: „Das Haus wurde 1649/50 erbaut vom Zimmermeister Hans Schiebeler.“150) Also ist die Inschrift entweder, wenn sie aus 1639 stammt, erst nach Ganßauges Veröffentlichung zum Vorschein gekommen, oder sie ist überhaupt erst nach diesem Zeitpunkt entstanden. Nun hat Eckhardt G. Franz den Wiederaufbau der Stadt Allendorf anhand der Stadtrechnungen untersucht; er führt aus: „Das alte Pfarrhaus, das den Brand ... überstanden hatte, mußte 1647 wegen seiner Baufälligkeit abgebrochen werden, wurde jedoch noch im selben Jahr an der gleichen Stelle neu errichtet.“151) Das spricht entschieden gegen die Echtheit der Inschrift.

An den Häusern Schusterstraße 24 und Ackerstraße 78 sind die Inschriften nicht 1643 zur Zeit der Erbauung angebracht worden. Zu der Zeit war die Formulierung „erbaut (anno) ...“ noch lange nicht gebräuchlich. Aus diesem Grunde ist auch die Inschrift am Haus Stanford (Rathofpatz 5) trotz der Jahreszahl 1660 nicht aufgenommen.

Auch die Spruchinschrift am Haus Ackerstraße 14 ist modern, im Gegensatz zum Haus selbst. Dieses wurde nach 1637 von der Witwe des Bürgermeisters Christoph Hupfeld wiedererbaut. Es war dies das Grundstück, welches 1606/1610 im Besitz ihres Vaters Cornelius Ihring gewesen war.152) Die Inschrift stammt frühestens aus dem 19. Jh. Denn es existiert ein Foto, das das mittlere Giebelfeld in unbeschriftetem Zustand zeigt.153)

Schließlich ist auch die Inschrift über der Tür des Hochzeitshauses, das 1666–1668 wiedererrichtet wurde, nicht in den Katalog aufgenommen. Sie ist nicht eingeschnitzt, und Schrift und Ziffern sind anders ausgeführt als im 17. Jahrhundert üblich.

An der Kirche St. Crucis befand sich das Maß der Salzpfannen aus dem Jahr 1332 – das kann nur durch eine entsprechende Inschrift, deren Umfang und Wortlaut man aber nicht kennt, geschehen sein.154)

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In Witzenhausen stehen drei alte Fachwerkhäuser, die im Erfassungszeitraum entstanden und Inschriften mit Jahreszahlen aus dem Erfassungszeitraum aufweisen. Doch die Inschriften sind wesentlich jünger als die Häuser. So entstand die Inschrift am Haus Mittelburg 25 mit der Jahreszahl 1572 nach Auskunft eines Gewährsmannes erst im 20. Jahrhundert. Das Haus Kirchplatz 15/16 bekam seine überwiegend lateinische Inschrift, die das Jahr 1480 nennt, nach einer Renovierung im Jahr 2010, der Bearbeiter selbst ist Augenzeuge. Modern und daher nicht aufgenommen ist zuletzt die Inschrift Burgstraße 24, die angibt, dass das Haus zwischen 1607 und 1609 erbaut wurde. Zu dieser Zeit passen weder die Formulierung noch die Schrift noch die Technik der Ausführung.

Ein Grenzstein an der Gemarkungsgrenze Quentel (Hessisch Lichtenau) und Günsterode (Stadt Melsungen, Schwalm-Eder-Kreis) (TK 4823 Melsungen, R: 3545680 H: 5672120) steht außerhalb des Werra-Meißner-Kreises.155) Der sogenannte Dreiförsterstein hat die Form eines geraden dreiseitigen Prismas und markierte die Grenze zwischen den Ämtern Reichenbach, Spangenberg und Melsungen. Der Grenzverlauf ist in die Oberseite des Steines eingehauen und zeigt die Stelle, wo die drei Gebiete aneinander stoßen. Sie waren auf den drei Seiten des Steines bezeichnet. Doch fehlt jetzt auf einer Seite die Beschriftung, wohl infolge einer Beschädigung des Steines, auf die eine fehlende Ecke hinweist: S(PANGENBERG)·// R(EICHENBACH)·// [M(ELSVNGEN)].156) Wann genau der Stein gesetzt wurde, ist unbekannt. Einen terminus ante gibt die Grenzbeschreibung des Amtes Lichtenau von 1594. Es ist darin der 38. Stein, denn die vorher beschriebenen Steine bilden die Grenze zwischen dem Amt Reichenbach und dem Amt Melsungen, die folgenden trennen die Ämter Reichenbach und Spangenberg.157) Es ist allerdings verwunderlich, dass im Text der Urkunde noch die alte Bezeichnung „Amt Reichenbach“ erscheint, wo doch um die Mitte des 16. Jahrhunderts das Amt Reichenbach in Amt Lichtenau umbenannt wurde.

Aus der keramischen Produktion in Witzenhausen kennt man einige Teller mit den Jahreszahlen 1603, 1605, 1606 und 1617.158) Die Ziffern wurden allerdings mit einem Pinsel nach schreibschriftlichen Usancen aufgebracht und gelten anders als sonstige Malereien nicht als Inschriften.

Zitationshinweis:

DI 87, Witzenhausen, Einleitung, 6. Nicht aufgenommene Inschriften (Edgar Siedschlag), in: inschriften.net,  urn:nbn:de:0238-di087mz13e001.

  1. Nach Ganßauge 83 wurde das Haus zwischen 1642 und 1649 erbaut. Hofmann 102: „erbaut 1640–42“. Zietz 113 datiert unter Bezugnahme auf die Inschrift auf 1637. »
  2. Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme Nr. 811951 u. 811949, aufgenommen 1869/1901; Aufnahme Nr. 811952 zeigt vor dem Sprossenfenster eine Schnitzerei. »
  3. Bildarchiv Foto Marburg, Negativ Nr. 420031, aufgenommen 1936/39. »
  4. s. Ganßauge 79. »
  5. s. Franz 91f. »
  6. Reccius 178 (zu S. 146a). »
  7. Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme Nr. 811967 (Aufn. 1869–1901). »
  8. Nach Bach, Kirchenstatistik 266 Anm. 16: „An der Kreuzkirche war im J. 1332 das Maas der Salzpfannen bemerkt“. »
  9. Auf den Stein hat mich Thomas Blumenstein, Quentel, hingewiesen, dem ich auch die Informationen über das Schicksal des Steines verdanke. »
  10. Krummel 120–122. »
  11. s. Krummel 120–122, Urkunde Nr. 6 (Grenzbeschreibung des Amtes Lichtenau von 1594). Darin heißt es: „obenn auff der höhe der 37. stein, stehet uff dem Gunßröder Berge ... an einem altenn wege und weist furter uff den 38. stein, derselbige stehet auf dem Bachstein des berges, und darauff ein zeichenn, wie vermelt. (Anm. d. Bearb.: Hier folgt eine Zeichnung, die Krummel in einer Anmerkung so beschreibt: „An dieser Stelle ein nach links offener rechter Winkel (waagerechter Schenkel nach oben)“) und scheidenn diße 17 steine das ampt Richenbach vom ampt Milsungen“ und auf S. 122: „... und scheidenn diese vorbeschriebenen steine vom 38. stein, so ufm Gönßroder Berge stehett, bis anhero das ambt Spangenbergk vom ampt Reichenbach.“ »
  12. Vgl. Hans-Georg Stephan, Witzenhausen – Archäologische Bemerkungen zur Frühgeschichte, zur materiellen Kultur und zur Renaissancetöpferei, in: Witzenhausen und Umgebung. Beiträge zur Geschichte und Naturkunde. Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Werratalvereins Witzenhausen 1883–1983. Hg. von Artur Künzel (Schriften des Werratalvereins Witzenhausen 7). Witzenhausen 1983, 36–54. »