Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Anhang 1: Die baugebundenen Inschriften des Stadtgottesackers

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85 Anhang 1: Stadtgottesacker (2012)

A1, Nr. 56 Bogen 56 1568

Beschreibung

Epigramm (A), Stiftervermerk mit Widmung und Glaubensbekenntnis (C).1) Im Bogenscheitel ein Medaillon mit Vollwappen. An den Bogensegmenten2) und am Gebälk über Pfeiler3) und Bogen Steinmetzzeichen.4)

  1. A (†)

    Grana velut sulcis injecta putrescere primumExuere (et) formas qvas habuere, vides,Post ubi jam teneras sese exeruere per herbasHiberno rursus fracta rigere gelu,Donec vere novo rigor his suus (et) sua virtusExcita Phoebeae lampadis igne redit:Sic in putre solum qvoq(ve) nostra redire necesse estObruta qvae terrae corpora mole jacent,Dum Sol justitiae divino in lumine ChristusIlla suo irradians tempore tollet humo,Atqve his perpetuae reddet spiracula vitaeDonet (et) ulterius nescia membra mori,Efficiens, putridum qvod erat, putredinis expersClarius (et) Phoebi qvam jubar esse potest;Haec victrix mortis me spes tenet una, sepulchro,Cum coetu surgam dum qvoqve Christe tuo.

  2. C (†)

    Anno Domini 1568. hat der Hochgelehrte und Achtbahre Paulus Dolscius, der Ertzney Doctor zum Zeugnüß der frölichen Aufferstehung der Todten und des zukünfftigen ewigen Lebens, auch zum Gedächtnüs seines Geschlechts diesen 45. Bogen erbauet.

Übersetzung:

A Wie du siehst, daß die in die Furchen geworfenen Samenkörner zunächst verfaulen und die Gestalt, die sie hatten, ablegen und nachher, nachdem sie schon in zarten Halmen aufgegangen waren, wiederum durch winterliche Kälte gebrochen erstarren, bis tatsächlich ihre Kraft und ihre Tugend, hervorgerufen durch einen neuen Strahl des Sonnenscheins, in sie zurückkehren – so müssen auch unsere Körper, die vom Erdreich überschüttet darniederliegen, in den verwesenden Boden zurückkehren, bis Christus als Sonne der Gerechtigkeit in göttlichem Licht erstrahlend sie zu seiner Zeit aus jenem Erdreich auferstehen lassen und ihnen den Hauch des ewigen Lebens zurückgeben wird und Glieder schenkt, die fürderhin nicht zu sterben wissen, indem er das, was faul war, der Verwesung entledigt und heller macht, als der Schein der Sonne sein kann. Diese Hoffnung, die einzige Siegerin über den Tod, erhält mich, bis auch ich mich bei deiner Wiederkunft, Christus, aus dem Grab erheben werde.

Wappen:
Dolscius (?)5)

Kommentar

Die lateinische Dichtung greift das Gleichnis der Saat aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther (1 Ko 15,35–44) auf, das den irdischen Tod und die leibliche Auferstehung umschreibt, und schmückt es literarisch aus. Phoebea lampa, phöbische Fackel, meint das Licht des Sonnengottes Phöbus (d. i. Apollon), den Sonnenschein. Ein anderes Licht geht von Christus aus, der Sonne der Gerechtigkeit (Sol justitiae) genannt wird, weil er bei der Auferstehung alle gerecht machen wird, damit sie den Tod hinter sich lassen und ein neues, ewiges Leben beginnen.6)

In dieser Bogenkammer hat Paul Dolscius 1589 seine letzte Ruhe gefunden (s. Nr. 260).

Anmerkungen

  1. Über den Anbringungsort der Inschriften ist nichts überliefert. Analog ähnlichen Inschriften des Stadtgottesackers mit A und C bezeichnet.
  2. Siehe Anhang 2, Nr. 58.
  3. Ebd., Nr. 60.
  4. Ebd., Nr. 42, 58, 60.
  5. Nach MBH Ms 319, 2, o. S. (Nr. 56). Links eine Wolke, aus der ein rechter Arm ragt, eine Rose in der Hand; Hz.: wachsende Figur, in der rechten Hand eine Rose.
  6. Zu der Wendung Sol justitiae s. Nr. 314.

Zitierhinweis:
DI 85 Anhang 1, Stadtgottesacker, A1, Nr. 56 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004a1005607.