Inschriftenkatalog: Gandersheim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DIO 2: Kanonissenstift Gandersheim (2011)
Nr. 36 Bad Gandersheim, Stiftskirche 1577
Für eine aktualisierte Fassung dieser Katalognummer, siehe DI96 G1 Nr. 36.
Beschreibung
Epitaph für die Äbtissinnen Margareta und Magdalena von Chlum. Holz, bemalt. Das Epitaph hing ursprünglich an einem Pfeiler in der Nähe des Begräbnisses der beiden Schwestern, bei dem Altar unter dem Predigtsthul.1) Das in der Art einer Ädikula aufgebaute Epitaph zeigt im mittleren Bild über einem Steinkasten in einem Wolkenkranz den auferstehenden Christus mit dem Vexillum, umgeben von geflügelten Engelsköpfen, über seinem Kopf der Heilige Geist in Gestalt einer Taube. Im Giebel Gottvater, die Weltkugel in der Linken, die Rechte segnend erhoben. In den oberen Zwickeln des Wolkenkranzes zwei Wappenschilde. Links und rechts unterhalb des Wolkenkranzes die beiden Äbtissinnen Margareta und Magdalena in Bethaltung, zwischen ihnen vier weitere Wappenschilde. In der Sockelzone die hell auf dunklen Grund gemalte Inschrift (A) in zwei Spalten, zwischen den Spalten das Datum (B).
Maße: H.: ca. 250 cm; B.: ca. 115 cm; Bu.: ca. 3 cm.
Schriftart(en): Fraktur.
- A
Zweÿ gschwestere aus Bhemer landt, /Margreta vnd Magdalena genant. /Von Clum, aus Edlem stamb geboren, /Albeid hie zur Ebtissin gekorn. /Vnd kam die Jüngste zum Regiment, /Ehe dan sichs auff die elsten wend. //Jhene hat auch Herse regirt, /Vnd Jst diese Wunstorff entwhert.2) /Magdalena starb Jm 1577. Jhar, /Darnach Margreta im. 89. zwhar. /Haben beid stand vnd stamb geend,a) /Gott verliehe Jhn ein frölig Vrständ.
- B
28 Ianu(arii) / 10 April(is)
Versmaß: Deutscher Reimvers.
Chlum3) | Burggrafen von Donin (heute zu Dohna)4) |
Stift Gandersheim5), | Stift (Neuen)heerse6), Stift Wunstorf7), Stift Gandersheim5) |
Textkritischer Apparat
- Über beiden e je ein Punkt.
Anmerkungen
- Vgl. Leuckfeld, Antiquitates Gandersheimenses, S. 283.
- Der Vers dürfte folgendermaßen zu übersetzen sein: „Jene (Margareta) hat auch Heerse regiert, diese aber (Magdalena) ist Wunstorfs ledig geworden.“ Das Deutsche Wörterbuch (Deutsches Wörterbuch, hrsg. von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32, Leipzig 1854–1960, hier Bd. 3, Sp. 648f.) bietet s.v. entwehren 1 „aus dem Besitz nehmen, jmd. etwas nehmen“ oder s.v. entwähren „jmd. etwas nicht leisten/verweigern“. entwhert dürfte also auf die Vertreibung Magdalenas aus Wunstorf im Jahr 1553 anspielen. Als Reimwort zu entwhert ist statt regirt niederdeutsch regert zu denken. Die heute sichtbare Inschrift entspricht wahrscheinlich auf Grund von Restaurierungsmaßnahmen nicht mehr in jedem Detail der ursprünglichen Graphie.
- Wappen Chlum (geteilt mit rechter Stufe). Vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 4, Abt. 9, S. 257, Tafel 117: geteilt mit linker Stufe.
- Wappen Burggrafen von Donin (heute zu Dohna): (zwei gekreuzte sechsendige Hirschstangen). Das Originalwappen der Burggrafen von Donin zeigt zwei fünfendige Hirschstangen, vgl. Johann Siebmachers Wappenbuch von 1605, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Horst Appuhn. München 1999, S. 39, Tafel 19. Die Abweichungen im Wappenbild sind wahrscheinlich der Restaurierung des Bildes geschuldet. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 338 bezeichnet das Wappen Donin/Dohna fälschlicherweise – wohl Kdm. Kreis Gandersheim, S. 157 folgend – als „väterliches Wappen“.
- Wappen Stift Gandersheim (schwarz und gold gespalten).
- Wappen Stift (Neuen)heerse (weibliche Figur, Kirchenpatronin Saturnina?). Die bei Gemmeke abgebildeten Siegel der Äbtissinnen von Neuenheerse zeigen die Kirchenpatronin Saturnina mit Nimbus und Beil, vgl. Gemmeke, Damenstift Neuenheerse, S. 187, S. 229 u. ö. Die Einzelheiten des Wappenbildes sind wahrscheinlich auf dem Gandersheimer Epitaph im Zuge von Restaurierungen verlorengegangen.
- Wappen Stift Wunstorf (Stiftspatrone Cosmas und Damian). Vgl. Heinrich Ohlendorf, Geschichte der Stadt Wunstorf. Wunstorf 1957, S. 111 (Merian-Stich). Erkennbar sind auf dem Gandersheimer Epitaph lediglich zwei Ganzfiguren in langen Gewändern.
- Biographische Daten nach Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 336–342 mit Quellenangaben und weiteren Nachweisen. Weiteres zur Biographie s. Heilmann, Aus Heiltum wird Geschichte, S. 37–41; Gemmeke, Damenstift Neuenheerse, S. 214.
- Zu Elisabeth zu Braunschweig-Wolfenbüttel und zu Margarete von Warberg vgl. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 342f.; S. 343f. u. S. 131.
- Vgl. Goetting, Kanonissenstift Gandersheim, S. 339–342 mit Quellenangaben.
- Leuckfeld, Antiquitates Gandersheimenses, S. 263; Letzner, 3. Buch der Braunschweigisch-Lüneburgischen und Göttingischen Chronik (Göttingen, SUB, Ms. Hist. 248), S. 451.
Nachweise
- Kdm. Kreis Gandersheim, S. 157f.
- Gemmeke, Damenstift Neuenheerse, S. 249.
Zitierhinweis:
DIO 2, Kanonissenstift Gandersheim, Nr. 36 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio002g001k0003604.
Kommentar
Die beiden aus böhmischem Adel stammenden Schwestern Margareta und Magdalena von Chlum wurden 1531 in das verwaiste Stift Gandersheim aufgenommen.8) Die Eltern der beiden waren Sigismund von Chlum auf Chlum bei Neprevázka und Anna, geborene Burggräfin von Donin. Margareta, die ältere der beiden Töchter, erhielt 1531 das Dekanat in Gandersheim und übernahm 1534 zusätzlich die Leitung des Stifts Neuenheerse. Die jüngere Schwester Magdalena blieb zunächst als einzige Stiftsdame in Gandersheim und ist dort 1538 als Pröpstin und 1541 auch als Küsterin nachgewiesen. 1547 wurde sie zur Äbtissin gewählt. Nachdem Herzog Erich II. von Calenberg die von seiner Mutter Elisabeth eingeführte Reformation wieder rückgängig gemacht hatte, übernahm Magdalena auch das Amt der Äbtissin in Wunstorf, das sie zeitlebens beanspruchte, obwohl sie bereits im Jahr 1553 aus diesem Amt wieder vertrieben wurde. 1571 wurde ihre seit 1534 als Äbtissin von Neuenheerse amtierende Schwester, die Dekanin Margareta, als Koadjutrix und potentielle Nachfolgerin berufen. Seit Juli 1576 hielt sich Magdalena in Clus auf, wo sie – abweichend vom Datum in Inschrift B – am 29. Januar 1577 starb. Am 4. Februar wurde sie nach Gandersheim überführt und in der Stiftskirche begraben.
Das Kapitel wählte bereits einen Tag nach dem Tod Magdalenas deren Schwester Margareta zur Äbtissin. Sie wurde sofort in ihr Amt eingeführt, mußte aber zunächst von Neuenheerse aus mit Hilfe des Kaisers und des Papstes gegen den evangelischen Herzog Julius zu Braunschweig-Lüneburg sowie gegen die von ihm eingesetzte Gegenäbtissin Elisabeth zu Braunschweig-Wolfenbüttel und deren Nachfolgerin Margarete von Warberg vorgehen.9) Erst 1588 übernahm die rechtmäßig gewählte Äbtissin Margareta von Chlum ihr Amt, starb aber bald darauf am 10. April 1589 (Inschrift B) und wurde in der Stiftskirche neben ihrer Schwester begraben.10)
Letzner und Leuckfeld überliefern,11) daß die Äbtissin Magdalena von Chlum der Alchimie und der Goldmacherkunst sehr ergeben gewesen sei und dem Stift auf diese Weise Schaden zugefügt habe. Als Warnung habe ihr jemand folgende Inschrift an die Tür geschrieben: Alchimia est spes longa & lepus qvem nemo apprehendere potest ‚Die Alchimie bedeutet lange (vergebliche) Hoffnung und (ist) ein Hase, den niemand fangen kann‘. Ob dieser Text tatsächlich inschriftlich ausgeführt war, ist zweifelhaft.