Inschriftenkatalog: Gandersheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 2: Kanonissenstift Gandersheim (2011)

Nr. 8† Bad Gandersheim, Stiftskirche 2. H. 12. Jh.

Für eine aktualisierte Fassung dieser Katalognummer, siehe DI96 G1 Nr. 8.

Beschreibung

Wandmalerei. Das als Freskomalerei ausgeführte Text-Bild-Programm wurde nach Steinacker, der den Bericht Brakebuschs auswertete, in den Jahren 1848/50 zerstört.1) Dargestellt waren nach Vermutung Steinackers wahrscheinlich die Apostel mit den einzelnen Artikeln des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, denen vermutlich inschriftlich bezeichnete alttestamentliche Propheten zugeordnet waren. Die den Propheten beigegebenen Inschriften A zitieren Texte aus dem Alten Testament, die den Aposteln zugehörigen Inschriften B zitieren einzelne Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses.

Auf der Südseite zwischen dem ersten und dem zweiten Fenster die Inschriften A1 und A2, zwischen dem zweiten und dritten Fenster Petrus mit der Inschrift B1, zwischen dem vierten und fünften Fenster Jakobus der Ältere mit B2 und Jesaja mit A3. Zwischen dem fünften und dem sechsten Fenster Johannes mit Inschrift B3, zwischen dem sechsten und siebten Fenster Thomas mit B4. Zwischen dem siebten und achten Fenster Inschrift A4.

Auf der Nordseite zwischen dem ersten und dem zweiten Fenster ein Prophet (Haggai?) mit den Inschriften A5 und A6. Zwischen dem zweiten und dem dritten Fenster die Inschrift B5, die Steinacker Bartholomäus zuordnet, zwischen dem fünften und dem sechsten Fenster A7.

Inschriften nach Kdm.

  1. Südseite

  2. A1

    Mors tua o mors ero morsvs t[vvs ero inf]ernea)2)

  3. A2

    Vivicabit nos post dvos dies in die tercia svscitabit nos3)

  4. B1

    [Credo in] devm patrem omnipotentem creatorem celi et terre4)

  5. B2

    [Qui con]ceptvs est de sancto spiritv natvs ex Maria virgine4)

  6. A3

    E(c)ce virgo co[ncipiet] et pariet filivm [et] vocabitvr nomen eivs Emmanvhel5)

  7. B3

    Passvs [svb Pontio Pilato crvci]fixvs mortvvs et sepvltvs4)

  8. B4

    Descendit ad infer[osb) tercia die] resvrrexit a mortvis4)

  9. A4

    [...]atione et dixit d(omi)n(u)s d(omi)no meo Sede a dextris meis6)Nordseite

  10. A5

    Ego svscitabo om(ne)s gentes7)

  11. A6

    [Consvrgant e]t ascendant (gentes) in vallem Josaphat [Qvia ibi] sedebo vt ivdic[em omnes gentes in circvitv]8)

  12. B5

    [Cr]edo [i]n spi[ritvm] sanctvm4)

  13. A7

    Ecce ego a[periam tvmvlos vestros et educam] vos de sepvl[chris vestris popvlvs mevs et in]dvcam vos in terram [Israel]9)

Übersetzung:

Dein Tod werde ich sein, o Tod, dein Biß werde ich sein, Hölle. (Hosea, A1)

Er wird uns lebendig machen nach zwei Tagen, am dritten Tag wird er uns auferwecken. (Hosea, A2)

Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde. (Credo, B1)

Der empfangen ist durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria. (Credo, B2)

Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sein Name wird genannt werden Immanuel. (Jesaja, A3)

Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben. (Credo, B3)

Er ist hinabgestiegen in die Hölle, am dritten Tag ist er auferstanden von den Toten. (Credo, B4)

[ … ] und der Herr hat zu meinem Herrn gesagt: Setz dich zu meiner Rechten. (Psalter Davids, A4)

Ich werde alle Völker auferwecken. (Haggai, A5)

Es werden aufstehen und hinaufsteigen die Völker in das Tal Josaphat, weil ich dort sitzen und über alle Völker im Umkreis richten werde. (Joel, A6)

Ich glaube an den Heiligen Geist. (Credo, B5)

Siehe, ich werde eure Grabstätten öffnen und euch hinausführen aus euren Gräbern, mein Volk, und werde euch führen in das Land Israel. (Ezechiel, A7)

Kommentar

Die in den Wandmalereien zu beobachtende Verbindung von alttestamentlichen Propheten und Aposteln lassen sich vielfach nachweisen: Auf dem vor 1160 zu datierenden Eilbertus-Altar im Welfenschatz sind auf der Wandung die alttestamentlichen Propheten mit ihren Weissagungen dargestellt und auf der Deckplatte die Apostel mit den Artikeln des Apostolischen Glaubensbekenntnisses.10) Spätmittelalterliche Beispiele für dieses typologische Programm aus dem niedersächsischen Raum bieten u. a. der 1420 entstandene Radleuchter aus St. Alexandri in Einbeck und die Predella des Altars aus der St. Marienkirche in Osnabrück vom Anfang des 15. Jahrhunderts.11)

Die Verbindung der Apostel mit den Artikeln des Glaubensbekenntnisses geht auf Rufinus zurück und ist wesentlich durch zwei pseudoaugustinische Predigten verbreitet worden, denen zufolge die Apostel vor ihrer Aussendung jeweils einen Satz des Credo gesprochen haben, um die Einheit der Lehre Christi zu wahren.12) Den Aposteln als tatsächlichen Zeugen des Wirkens Christi auf Erden werden in einer typologischen Beziehung die Propheten, die das Kommen des Messias vorhergesagt haben, an die Seite gestellt. Die Verkünder des Neuen Bundes beglaubigen auf diese Weise die Weissagung des Alten Bundes.

Die Reihenfolge der Apostel und ihre Zuordnung zu den einzelnen Artikeln des Credo variiert in den einzelnen Inschriftenprogrammen, und auch für die Verbindung der Propheten mit den Aposteln lassen sich mehrere Grundtypen rekonstruieren, so daß eine über Steinacker hinausgehende Ergänzung des Bild-Text-Programms der Gandersheimer Wandmalerei nicht möglich ist.

Textkritischer Apparat

  1. Sämtliche Klammern so in Kdm.
  2. infer[os]] infer[na] Kdm.

Anmerkungen

  1. Brakebusch hat „gelegentlich von Reinigungsarbeiten 1848/50 über die damals endgültig zerstörte romanische Wanddekoration“ berichtet, so Steinacker in Kdm. Kreis Gandersheim, S. 130.
  2. Os. 13,14.
  3. Os. 6,3.
  4. Einzelne Artikel aus dem Credo.
  5. Is. 7,14.
  6. dixit ... meis Ps. (G) 109,1.
  7. Agg. 2,7: et movebo omnes gentes.
  8. Ioel 3,12.
  9. Ez. 37,12.
  10. DI 35 (Stadt Braunschweig I), Nr. 11.
  11. DI 42 (Stadt Einbeck), Nr. 9; DI 26 (Stadt Osnabrück), Nr. 32. Die Artikel jeweils mit weiterführender Literatur und mit ausführlichen Kommentaren zum Propheten-Apostel-Programm.
  12. Vgl. Rufinus, Commentarius in symbolum apostolorum (Patrologia latina 21, Sp. 335–386); (Ps.)Augustinus, Sermo 240/241 (Patrologia latina 39, Sp. 2188–2191); s. a. LCI 1, S. 461–466 s. v. Credo.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Gandersheim, S. 130.

Zitierhinweis:
DIO 2, Kanonissenstift Gandersheim, Nr. 8† (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio002g001k0000808.