Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 117 Osterode, St. Aegidien 1596

Beschreibung

Grabplatte für Herzog Philipp d. J. von Braunschweig-Grubenhagen. Stein (schwarzer Schiefer). Aufgestellt an der Südostwand des Chors, links von der seiner Frau Clara (Nr. 110). Unter einem Rundbogen mit Schuppenfries die Darstellung des Verstorbenen in Prunkrüstung, den Kopf ganz leicht nach links geneigt. Unter dem bärtigen Kopf eine Halskrause, über den Oberkörper ein Tuch geschlungen, das über der linken Schulter mit einer Schleife geschlossen ist; über die rechte Schulter läuft eine Kette. In der erhobenen rechten Hand (wie die Nase nachträglich abgeplattet) hält er eine Streitaxt; die linke Hand ist in die Hüfte gestützt. Hinter dem Körper ist der Degen angedeutet. Rechts von dem ausgestellten linken Bein der geschlossene Helm. In den Zwickeln Beschlagwerk. Umlaufend die erhaben in vertiefter Zeile ausgeführte Inschrift A, die Ränder der Zeile von einer feinen Wellenlinie gesäumt. In den Winkeln befanden sich blattartige Ornamente, am Ende ein Ornament als Füllzeichen. Unten links auf der Platte ein Vollwappen, darunter eine von Beschlagwerk gerahmte Tafel mit der Devise B, erhaben im vertieften Feld. Die Platte weist Abplatzungen auf, die in der oberen rechten Ecke, an der unteren Schmalseite und in Teilen der Längsseiten Buchstabenverluste zur Folge haben. Noch 1927/28 beschränkten sich die Verluste auf die obere rechte Ecke, die übrigen Schäden zeichneten sich aber bereits ab.1)

Die Grabplatte bedeckte das im Altarraum situierte Grab des Herzogs.2) Sie wurde im Jahr 1880 aufgenommen und im Folgejahr zusammen mit der seiner Frau in einem profilierten Steinrahmen an der südöstlichen Chorwand aufgestellt. Die bis dahin von einem Dielenboden geschützte Platte war seitdem aufsteigender Feuchtigkeit ausgesetzt. Wegen der bereits um 1927/28 festzustellenden Schäden wurde sie 1941 unter der südlichen Empore abgelegt.3) Bei einer Restaurierung im Jahr 1974, bei der Reste einer goldenen Fassung der Rüstung festgestellt wurden, wurde die Oberfläche mit Acrylharz überzogen und die Platte anschließend auf einem Betonsockel wieder aufgestellt.4) Die Dielenabdeckung war zuvor mindestens zweimal, wahrscheinlich 1727/285) und am 24. März 1819,6) zu einer Untersuchung der Grabplatten im Chor aufgenommen worden.

Inschrift ergänzt nach Kupferstichplatten, Mende und Foto im NLD Hannover.

Maße: H.: 227 cm; B.: 125 cm; Bu.: 4 cm (A), 3 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/2]

  1. A

    PHILIPPVS DEI GRATIA [DVX] / [B]R[V]NSVICE[N]SIS [ET]
    [L]VNEBVRGENSIS · OBI[I]T [· IIII]a) · APRILIS / [ANN(O) ·
    M · D · XCVI ·] VIX[IT] / ANN(OS) · [L]X[II · MENS(ES) XI7) ·]
    CV[IV]S [AN]IMA REQVIESCAT IN PACE

  2. B

    DEVS DAT / DEVS [AVF/ERT]8) ·

Übersetzung:

Philipp, von Gottes Gnaden Herzog von Braunschweig und Lüneburg, starb am 4. April im Jahr 1596. Er lebte 62 Jahre und 11 Monate. Seine Seele ruhe in Frieden. (A)

Gott gibt, Gott nimmt. (B)

Wappen:
Braunschweig-Lüneburg9)

Kommentar

Die Schrift ähnelt sehr stark der auf der Grabplatte für den ein Jahr zuvor gestorbenen Herzog Wolfgang (Nr. 109). Bogen- und Balkenenden sind nach links über den Schaft verlängert und leicht nach innen gebogen, die oberen Balkenenden sind nach unten, die unteren nach oben gebogen. Die Schaftenden weisen ansonsten ausgeprägte Strichsporen auf. Zierelemente an mehreren Buchstaben reichen nach oben und unten über die Zeile hinaus. Der Schrägschaft des N ist oben und unten mit einem Zierhäkchen versehen, der in einen weit ausgezogenen Zierbogen übergeht; entsprechend ist der rechte Schaft des V gestaltet. Der zum Bogen verlängerte Balken des L und des E in DEI reicht unter den nachfolgenden Buchstaben, ebenso die spitz zulaufende, geschwungene Cauda des R. An den oberen Bogenenden von C, S und G setzt ein nach links gerichteter Zierbogen an. An der senkrecht gestellten Cauda des G ist dieser unten nach links gerichtet. Der Mittelbalken von E und F ist stark reduziert, an der rechten Schaftseite des I ist ein Halbnodus angesetzt. Der Mittelteil des konischen M reicht nicht bis zur Mittellinie, der linke Schrägbalken geht über den Schaft hinaus in ein Zierhäkchen über. A weist am Wortende oder -anfang teilweise einen verlängerten, durchgebogenen rechten bzw. linken Schrägschaft auf. In der ersten Zeile sind das erste und dritte P in PHILIPPVS sowie das D in DEI als Versalien gestaltet; ein unter die Linie gezogener Zierbogen verbindet die unteren Schaft- bzw. Bogenenden von P und S. Die geschwungene Cauda des Q beginnt im Inneren des Bogens.

Material, Gestaltung, Schrift und das Formular der Grabschrift A entsprechen denen auf der Grabplatte für den ein Jahr zuvor gestorbenen Bruder, Herzog Wolfgang (Nr. 109). Es kann keinen Zweifel an dem Werkstattzusammenhang geben, in den auch die Sandsteinplatte für die ebenfalls 1595 verstorbene Herzogin Clara (Nr. 110) gehört. Siegfried Salzmann, der die Platte für Wolfgang dem Hildesheimer Bildhauer Ebert Wolf d. J. zuschreiben wollte, billigte der vorliegenden Platte gegenüber der des älteren Bruders nur eine geringere Qualität zu und wollte sie daher nicht demselben Künstler zuschreiben.10) Dem muss widersprochen werden. Die Übereinstimmungen überwiegen bei weitem und auch ein Abfall der Qualität lässt sich bei der vorliegenden Platte nicht ausmachen; so ist z. B. die Ausführung der Halskrause wesentlich gelungener als bei Herzog Wolfgang, dessen Kopfhaltung eher unnatürlich anmutet.

Der 1533 geborene Philipp wurde, wie einige seiner älteren Brüder, zeitweise am kursächsischen Hof erzogen. 1544 wurde er an der Universität in Leipzig immatrikuliert.11) 1552 führte er ein Fähnlein Reiter unter Kurfürst Moritz von Sachsen nach Ungarn. 1557 nahm er unter Führung des regierenden Herzogs Ernst an dem Feldzug teil, bei dem ihr Bruder Johann (Nr. 72) getötet wurde; 1558 waren beide Brüder an der Schlacht von Gravelines (bei Calais) auf spanischer Seite beteiligt. Im selben Jahr überließ ihm Herzog Ernst das frühere Kloster Katlenburg als Sitz, was die Voraussetzung dafür war, dass er 1560 Clara von Braunschweig-Wolfenbüttel (Nr. 110), Tochter Herzog Heinrichs d. J., heiraten konnte. 1562 trat Philipp wie Herzog Ernst in Dienste des spanischen Königs Philipp II. 1565 erneuerte er den Vertrag und übernahm zwei Jahre später auch die Verpflichtungen seines verstorbenen Bruders Ernst gegenüber dem König. Finanziell erwies sich dieses Engagement allerdings als wenig ertragreich; noch 1579 waren erhebliche Forderungen an den spanischen König offen, die nie bedient wurden. 1593 lehnte er deshalb erneute Werbungen für Spanien ab. 1582 übernahm Philipp die vormundschaftliche Regierung für den für regierungsunfähig erklärten Herzog Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (1535–1592) in Celle, die aber faktisch in der Hand der einheimischen Statthalter und Räte lag. Seit dem Tod des Bruders Wolfgang im März 1595 vereinigte Philipp, der seinen Sitz nach Herzberg verlegte, das grubenhagensche Gebiet für ein Jahr in seiner Hand.12)

Binnen Stunden nach Philipps Tod ergriffen Beauftragte des Wolfenbütteler Herzogs Heinrich Julius die Herrschaft im Fürstentum Grubenhagen, was einen über zwanzigjährigen Rechtsstreit mit der Celler Linie des Welfenhauses nach sich zog (vgl. die Einleitung, Kap. 2.1). Beim Begräbnis Herzog Philipps, dem seine Waffen und Insignien mit ins Grab gegeben wurden, ging Herzog Heinrich Julius der Trauerprozession zur Kirche St. Aegidien voran.13)

In der Stiftskirche St. Blasius (Dom) in Braunschweig wurden 1559 drei Glasgemälde in ein Fenster eingesetzt, die nebeneinander die drei zu diesem Zeitpunkt lebenden (und nacheinander regierenden) Söhne Philipps d. Ä. zeigten, jeweils mit einem lateinischen Distichon; darunter war auch ein Bild Herzog Philipps d. J.14) Ein Bild des Herzogs gab es auch in der Porträtsammlung des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel.15) Bei der Öffnung des Grabes von Herzog Philipp d. J. im April 1880 wurde ein Degen gefunden (Nr. 115).

Textkritischer Apparat

  1. IIII]] Wendt, Mithoff; IV Halliday, Max, Steinmann (1866), Steinmann (1885); fehlt (irrtümlich) bei M[eywerth]/S[pangenberg]. – Die übrigen Varianten der Lesungen von Wendt und Halliday und bei den von Halliday mit kleinen Abweichungen abschreibenden Autoren (Max, Steinmann [1866]) beschränken sich auf Normalisierungen und hinzugefügte Interpunktionszeichen; sie werden nicht dokumentiert.

Anmerkungen

  1. Vgl. das Foto im NLD Hannover, IFDN KB 136/E4 (um 1927/28). Der noch bessere Erhaltungszustand um 1900 bei Mende, Das monumentale Osterode, Tafel 8, vor S. 535.
  2. Die ursprüngliche Lage der Grabplatte wird seit dem späten 19. Jahrhundert durch eine kleine, in den Holzboden des Altarraums eingelassene Messingtafel markiert.
  3. Zur Aufstellung 1881 vgl. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 175. Den Zustand um 1927/28 zeigt ein Foto der „Staatlichen Bildstelle Berlin“ im NLD Hannover (IFDN KB 136/E4); auch: https://www.bildindex.de/document/obj20687526?medium= mi08557g13 (27.04.2017); ebd. zwei weitere Fotos (mi08557g12, mi08557g14). Zur Datierung des erstgenannten Fotos vgl. die Einleitung, Kap. 5.
  4. Martin Granzin, Die Grabmäler wurden restauriert, in: Göttinger Tageblatt vom 16./17.02.1974.
  5. Der Zweck war die Anfertigung von Abzeichnungen, auf deren Grundlage Nikolaus Seeländer Platten stach, was vermutlich zwischen 1727 und 1729 geschah; Kupferstichplatten, S. 77 (Liste 1729d, Nr. 59); Kat. Nr. K 902, S. 347, eine Abbildung nur auf der beiliegenden CD (cup. 4012).
  6. Halliday, House of Guelph, S. 408 (Bericht des Superintendenten J. F. H. Effler, Pastor an St. Jacobi).
  7. Der Text bis hier ebenso auf den Sterbetalern für Herzog Philipp, auf dem Revers (OBIIT … MENS(ES) XI) mit identischen Kürzungen; vgl. Fiala, Münzen und Medaillen, Tl. [3], S. 45f. u. Tafel Grubenhagen 2, Nr. 13; Welter, Münzen der Welfen, Nr. 689, 691. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 569 (Tab. III, Nr. 8).
  8. In der deutschen Form · GOT · GIBT · GOT · NIMBT · auch als Aufschrift auf Münzen des Herzogs; vgl. Fiala, Münzen und Medaillen, Tl. [3], S. 42–45 u. Tafel Grubenhagen 2, Nr. 9–12; Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 584 u. S. 569 (Tab. III, Nr. 6). Vgl. Dat deus et recipit sepe, quod ipse dedit (Gott gibt und nimmt oft, was er selbst gegeben hat); Walther, Proverbia, Bd. 1, S. 607, Nr. 4973. Grundlage ist Iob 1,21: Dominus dedit Dominus abstulit sit nomen domini benedictum.
  9. Wappen Braunschweig-Lüneburg, erweitert um Lauterberg (quadriert mit Schildfuß: 1. zwei Löwen übereinander [Braunschweig], 2. Löwe im mit Herzen bestreuten Feld [Lüneburg], 3. gekrönter Löwe [Everstein], 4. Löwe im gestückten Bord [Homburg]), 5. geteilt, oben Löwe, unten siebenmal geteilt [Lauterberg]); das Wappen weist zwei Helmzieren für Braunschweig-Lüneburg und Lauterberg (Pfauenstoß) auf; vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 1, 4. Teil, S. 47 u. Tafeln 38 u. 39; Rüggeberg, Die welfischen Wappen zwischen 1582 und 1640, S. 226f., mit Fig. 4, nach S. 240. Das Wappen ebenso auch bei Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 106r; Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 584.
  10. Siegfried Salzmann, Ein unbekanntes Grabmal von Ebert Wolff d. J. in Osterode, in: Göttinger Jahrbuch 1958, S. 117–122, bes. S. 120.
  11. Matrikel Leipzig, Bd. 1, S. 649: Philippus dux Brunsvicensis etc. ad Grubenhagen.
  12. Aufgebauer, Herzog Philipp II., S. 56–69. Römer, Wolfgang und Philipp d. J. von Grubenhagen, S. 16–27. Mittendorff, Verbindung, bes. S. 243–256. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 386–393. Zimmermann, Haus Braunschweig-Grubenhagen, S. 63–66. Zeitgenössisch: Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 103v–107r. Mit einigen Zusätzen erneut bei: Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 579–586.
  13. Aufgebauer, Herzog Philipp II., S. 69–72. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 393f. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 586–589.
  14. DI 56 (Stadt Braunschweig 2), Nr. 482 (B). Überliefert bei Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 105v; Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 583.
  15. Vgl. Schwindrazheim, Porträtsammlung, S. 284 (Nr. 27), mit Tafel III.

Nachweise

  1. Kupferstichplatten (cup. 4012 auf CD); Abzug in: GWLB Hannover Ms. XXIII, 38b, Bl. 59; Ms. XXIII, 444, Bl. 1 u. 2.
  2. Wendt, Geschichte, S. 169.
  3. M[eywerth]/S[pangenberg], Beschreibung, Sp. 186 (nach Wendt).
  4. Halliday, House of Guelph, S. 411.
  5. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 394 (nach Halliday).
  6. Steinmann, Grabstätten (1866), S. 356 (nach Halliday).
  7. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 169 (nach Abzug von Kupferstichplatten).
  8. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 175 (nach Mithoff).
  9. Mende, Das monumentale Osterode, Tafel 8, vor S. 535.
  10. Foto im NLD Hannover, IFDN KB 136/E4 (um 1927/28).
  11. Mühlefeld, Osteroder Kirchen von innen, S. 18 (in Übersetzung).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 117 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0011704.