Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 109 Osterode, St. Aegidien 1595

Beschreibung

Grabplatte für Herzog Wolfgang von Braunschweig-Grubenhagen. Stein (schwarzer Schiefer). Aufgestellt an der Nordostwand des Chors, links von der seiner Frau Dorothea (Nr. 88). Unter einem Rundbogen mit Schuppenfries die Darstellung des Verstorbenen in Prunkrüstung, den Oberkörper leicht nach links gedreht. Unter dem bärtigen Kopf eine dreifache Halskrause, darunter ein Tuch, das um die Schultern mit Schleifen geschlossen ist, und eine Kette. In der erhobenen linken Hand hält er einen Kommandostab, die rechte ist in die Hüfte gestützt. Hinter dem Körper der Degen, zwischen den ausgestellten Füßen der offene Helm; in den Zwickeln Beschlagwerk. Umlaufend die erhaben in vertiefter Zeile ausgeführte Inschrift A, die Kanten der Zeile von einer feinen Wellenlinie gesäumt. In den Winkeln befanden sich blütenartige Ornamente, am Ende ein Ornament als Füllzeichen.1) Unten rechts auf der Platte ein Vollwappen, darunter eine von Beschlagwerk gerahmte Tafel mit der Devise B, erhaben im vertieften Feld. Auf dem Unterhang der Tafel das eingehauene Monogramm C. Die Platte weist Abplatzungen auf, die in der oberen rechten Ecke und an der rechten Längsseite Buchstabenverluste zur Folge haben. Fast alle Worttrenner sind verloren und nach Kupferstichplatten ergänzt.

Die Grabplatte bedeckte das im Altarraum situierte Grab des Herzogs.2) Sie wurde im Jahr 1880 aufgenommen und zusammen mit der seiner Frau in einem profilierten Steinrahmen an der nordöstlichen Chorwand aufgestellt. Die bis dahin von einem Dielenboden geschützte Platte war seitdem aufsteigender Feuchtigkeit ausgesetzt. Bereits um 1927/28 wies sie Schäden auf.3) Bei einer Restaurierung im Jahr 1974, bei der Reste einer goldenen Fassung der Rüstung festgestellt wurden, wurde die Oberfläche mit Acrylharz überzogen und die Platte anschließend am alten Ort auf einem Betonsockel wieder aufgestellt.4) Die Dielenabdeckung war zuvor mindestens zweimal, wahrscheinlich 1727/285) und am 24. März 1819,6) zu einer Unterschung der Grabplatten aufgenommen worden.

Inschrift ergänzt nach Kupferstichplatten.

Maße: H.: 228 cm; B.: 120 cm; Bu.: 4,3 cm (A), 3,2 cm (B), 2,5 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien und Minuskel-e.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/9]

  1. A

    WO[LF]GANGVS · DEI · GRATIA · D[VX / BRV]NSVICENSIS · ET · [LVNEB]VRGENSIS · OBIIT · XIIII · MART[II]a) · / ANN(O) M · D · XCV · VIXIT · ANN(OS) / LXIII · MENS(ES) XI · DIES · XVII7) · CVIVS · ANIMA · REQVIESCAT · [I]N · PACE

  2. B

    FIDE · SED / CVI · [VI]DE8)

  3. C

    CWeb)9)

Übersetzung:

Wolfgang, von Gottes Gnaden Herzog von Braunschweig und Lüneburg, starb am 14. März im Jahr 1595. Er lebte 63 Jahre, 11 Monate und 17 Tage. Seine Seele ruhe in Frieden. (A)

Vertraue, aber schaue, wem. (B)

Wappen:
Braunschweig-Lüneburg10)

Kommentar

Die Kapitalis zeichnet sich durch einen ausgeprägten Gestaltungswillen aus. Bogen- und Balkenenden sind nach links über den Schaft verlängert und leicht nach innen gebogen, die oberen offenen Balkenenden sind nach unten, die unteren nach oben gebogen. Die Schaftenden weisen ansonsten ausgeprägte Sporen auf. Zierelemente an mehreren Buchstaben reichen bei genügendem Raum nach oben und unten über die Zeile hinaus. Der Schrägschaft des N geht oben in einen weit ausgezogenen Zierbogen über, der über den davor stehenden Buchstaben hinausreicht; entsprechend sind der linke Schaft des V und der zweite linksschräge Schaft des verschränkten W gestaltet. Die Schrägschäfte des X sind in VIXIT nach außen verlängert und durchgebogen. Der zum Bogen verlängerte Balken des L reicht bis unter den nachfolgenden Buchstaben, ebenso die spitz zulaufende, geschwungene Cauda des R. An den oberen Bogenenden von C, S und G setzt ein nach links gerichteter Zierbogen an. An der senkrecht gestellten Cauda des G ist dieser unten nach links gerichtet. Der Mittelbalken von E und F ist zum Dreieck reduziert, an der rechten Schaftseite des I ist ein Halbnodus angesetzt. A weist einen geschwungenen linken Schrägschaft auf. Der linke Schaft des M ist zum oben verlängerten Bogen umgeformt. Als Versalien gestaltet sind das D in DEI und das M der Jahreszahl.

Die Grabplatte, die sich schon durch das Material, den selten für diesen Zweck verwendeten schwarzen Schiefer, auszeichnet, ist künstlerisch bedeutsam. Dem Steinmetzen ist es gelungen, die nur wenig erhaben reliefierte Figur und die prachtvolle Rüstung sehr plastisch wirken zu lassen. Diese Beobachtungen haben den Kunsthistoriker Siegfried Salzmann 1958 dazu veranlasst, einen der bedeutendsten Bildhauer des späten 16. Jahrhunderts in Niedersachsen, den Hildesheimer Ebert Wolf d. J., als Künstler anzunehmen.11) Dieses Urteil ist bisher unwidersprochen geblieben.12) Es erheben sich jedoch mehrere Zweifel. Die Haltung des Dargestellten, die auf den Grabplatten des Ebert Wolf d. J. charakteristisch angespannt ist, findet sich hier nicht. Abweichend sind außerdem die Platzierung und die Gestaltung der Wappen, des Bogens und des Schuppenfrieses, der bei Ebert Wolf d. J. und seiner Werkstatt keine Entsprechung hat. Die Gestaltung der Kapitalis weicht von der bei den Wolfs üblichen ab. Zudem hat die Signatur mit der EBW-Signatur Ebert Wolfs d. J. nichts gemein.13)

Außer auf den beiden Platten für Herzogin Clara (Nr. 110) und Herzog Philipp d. J. (Nr. 117) finden sich verwandte Schriftformen dagegen auf zwei hölzernen Tafeln im Duderstädter Rathaus aus dem Jahr 1592, für die der Duderstädter Meister Claus Wale als Ausführender belegt ist.14) Die Signatur (C) könnte dann als C(laus) W(al)e aufzulösen sein; vgl. Anm. b. Einzelne Merkmale der Schrift – vor allem die Zierbögen an S und G – finden sich auch auf der Grabplatte des 1591 gestorbenen Hans Georg von Minnigerode in Bartolfelde (Nr. 98). Der Ursprung könnte in der Übernahme von Formen schrägliegender Antiqua-Versalien aus dem Buchdruck liegen (vgl. die Einleitung, Kap. 8.4).

Der 1531 geborene Herzog Wolfgang, benannt nach Fürst Wolfgang von Anhalt-Köthen (1492–1566),15) mit dem sein Vater Philipp d. Ä. enge Verbindungen pflegte,16) nahm bereits 1546 zusammen mit seinem Vater und seinen Brüdern an dem Kriegszug der Schmalkaldener gegen Kaiser Karl V. teil, bei dem sein älterer Bruder Albrecht fiel (Nr. 72). Ab 1552 ist er in Diensten des Kurfürsten Moritz von Sachsen und seiner Nachfolger zu finden; in diesem Jahr nahm er an einem Zug nach Ungarn teil. In spanische Dienste trat er nur kurz, obwohl ihm König Philipp II. nach dem Tode seines Bruders Ernst 1567 (Nr. 63) entsprechende Angebote machte, die Wolfgang, zum Teil auch wegen konfessioneller Bedenken, ablehnte. 1593 zog er beim Aussterben der Grafen von Honstein die Ämter Lauterberg und Scharzfeld ein; mit St. Andreasberg erhielt das Territorium der Grubenhagener damit nach Clausthal einen zweiten Bergbaustandort. 1570 hatte der Herzog Dorothea von Sachsen-Lauenburg geheiratet, die 1586 starb (Nr. 88). Die Ehe blieb kinderlos, so dass Wolfgangs Bruder Philipp d. J. (Nr. 117) seine Nachfolge antrat. Der Herzog, der zumeist in Herzberg residierte, war seit Ende 1594 bettlägerig. Nach seinem Tod am 14. März 1595 wurde der Leichnam am 22. März nach Osterode gebracht und am 24. März 1595 in St. Aegidien beigesetzt.17)

Angesichts der Darstellung auf der Grabplatte überrascht die vom Herzberger Hofprediger Andreas Leopold (1548–1611, in Herzberg 1587–1596) berichtete Abneigung Herzog Wolfgangs gegen die Mode der spanischen Halskrause.18) Wieso wurde ausgerechnet er mit einer Halskrause, die voluminöser ausfällt als bei allen seinen Geschwistern und bedrohlich beengend wirkt, dargestellt?

1573 hatte Wolfgang in der Aegidien-Kirche ein großes Epitaph für seinen Vater und seine bereits verstorbenen Geschwister aufhängen lassen (Nr. 72). In der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig wurden 1559 drei Glasgemälde in ein Fenster eingesetzt, die nebeneinander die drei damals lebenden (und nacheinander regierenden) Söhne Philipps d. Ä. zeigten, jeweils mit einem lateinischen Distichon; darunter war auch ein Bild Herzog Wolfgangs.19) Ein Bild des Herzogs gab es auch in der Porträtsammlung des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel.20)

Textkritischer Apparat

  1. XIIII · MART[II]] Kupferstichplatten, Mithoff (nach Abzug von Kupferstichplatten), Steinmann (1885); XIV Martis Halliday, Steinmann (1866); XIV Martii Max (nach Halliday, verbessert). – Die übrigen Varianten der Lesung von Halliday und bei den von diesem mit kleinen Abweichungen abschreibenden Autoren (Max, Steinmann [1866]) beschränken sich auf Normalisierungen und hinzugefügte Interpunktionszeichen; sie werden nicht dokumentiert.
  2. CWe] Befund: W mit gebogenen äußeren Schrägschäften, der linke nach links ausgebuchtet mit einem nach innen offenen Halbkreis, der rechte ebenso spiegelverkehrt, aber innen geschlossen; aufzulösen als CWe oder CWb. EWb Salzmann (wie Anm. 11). Die Erweiterung des linken Schrägschaftes ist aber schwerlich als E aufzulösen.

Anmerkungen

  1. Nach Kupferstichplatten (cup. 4068).
  2. Die ursprüngliche Lage der Grabplatte wird seit dem späten 19. Jahrhundert durch eine kleine, in den Holzboden des Altarraums eingelassene Messingtafel markiert.
  3. Zur Aufstellung der Platte 1881 vgl. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 175. Den Zustand um 1927/28 dokumentiert ein Foto der „Staatlichen Bildstelle Berlin“ im NLD Hannover (D 14056); auch: https://www.bildindex.de/document/obj20687522?part=0&medium=mi08557g03 (27.04.2017). Zur Datierung des Fotos vgl. die Einleitung, Kap. 5.
  4. Martin Granzin, Die Grabmäler wurden restauriert, in: Göttinger Tageblatt vom 16./17.02.1974.
  5. Der Zweck war die Anfertigung von Abzeichnungen, auf deren Grundlage Nikolaus Seeländer Platten stach, was vermutlich zwischen 1727 und 1729 geschah; Kupferstichplatten, S. 77 (Liste 1729d, Nr. 60); Kat. Nr. K 901, S. 347, eine Abbildung nur auf der beiliegenden CD (cup. 4068).
  6. Halliday, House of Guelph, S. 408 (Bericht des Superintendenten J. F. H. Effler, Pastor an St. Jacobi).
  7. Der Text bis hier ebenso auf den Sterbetalern für Herzog Wolfgang, auf dem Revers (OBIIT … DIES XVII) mit fast identischen Kürzungen; vgl. Fiala, Münzen und Medaillen, Tl. [3], S. 41 u. Tafel Grubenhagen 2, Nr. 7; Welter, Münzen der Welfen, Nr. 680–683. Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 569 (Tafel III).
  8. Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 104; vgl. auch ebd., S. 332 u. 350.
  9. Für Claus Wale? Vgl. den Kommentar.
  10. Wappen Braunschweig-Lüneburg (quadriert, 1. zwei Löwen übereinander [Braunschweig], 2. Löwe im mit Herzen bestreuten Feld [Lüneburg], 3. gekrönter Löwe [Everstein], 4. Löwe im gestückten Bord [Homburg]); vgl. Rüggeberg, Die welfischen Wappen zwischen 1582 und 1640, S. 212–215, mit Fig. 1, nach S. 240.
  11. Siegfried Salzmann, Ein unbekanntes Grabmal von Ebert Wolff d. J. in Osterode, in: Göttinger Jahrbuch 1958, S. 117–122.
  12. Vgl. z. B.: Martin Granzin, Die Grabmäler wurden restauriert, in: Göttinger Tageblatt vom 16./17.02.1974.
  13. Vgl. DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 99 u. 100 (1586 od. später); DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 624 (1589).
  14. DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 217. Auf Grund der Schrift vermutlich demselben Meister zuzuschreiben ist der Rest eines Retabels aus dem Jahr 1603, das ursprünglich in der Kirche von Kerstlingerode aufgestellt war; ebd., Nr. 268. Die dort vorliegende Schrift treibt die Manierismen der über die Ober- und Unterlängen ausgezogenen Schaftenden noch weiter.
  15. Vgl. ADB 44, 1898, S. 68–72 (F. Kindscher).
  16. Fürst Wolfgang gehörte 1537/38 zu den Vermittlern, die zwischen dem Herzog, der Stadt Einbeck und dem Stift St. Alexandri einen Ausgleich über die Einführung der Reformation herbeiführten; Max, Grubenhagen, Bd. 2, S. 191f. An dem von Fürst Wolfgang 1538/39 errichteten Schlossflügel in Bernburg gibt es ein Steinbild Herzogs Philipps d. Ä.; Irene Roch-Lemmer, Die Fürstenbildnisse am Wolfgangbau des Schlosses Bernburg und ihr künstlerisches Umfeld, in: Das Bernburger Schloss. Aktuelle bau- und kunsthistorische Erkenntnisse, Halle 2008 (Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts, H. 47), S. 46–64, hier S. 48f. (mit Abb.).
  17. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 370–386. Zimmermann, Haus Braunschweig-Grubenhagen, S. 61–63. Mittendorff, Verbindung, bes. S. 244. Zur Ablehnung spanischer Dienste nach 1567 vgl. bes. Römer, Wolfgang und Philipp d. J. von Grubenhagen, S. 16–27. Vgl. insgesamt bereits Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 98v–103r; der Abschnitt enthält ein Trauergedicht Letzners von fünfeinhalb Seiten auf den Herzog; ebd., Bl. 99r–102r. Letzner folgt, ohne das Gedicht, Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 575–579.
  18. Vgl. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 385.
  19. DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 482 (B). Überliefert auch von Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 103r; Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 579.
  20. Vgl. Schwindrazheim, Porträtsammlung, S. 284 (Nr. 26), mit Tafel III.

Nachweise

  1. Kupferstichplatten (cup. 4068 auf CD); Abzug in: GWLB Hannover Ms. XXIII, 38b, Bl. 57; Ms. XXIII, 452, Bl. 2f.
  2. Halliday, House of Guelph, S. 410.
  3. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 386.
  4. Steinmann, Grabstätten (1866), S. 354 (nach Halliday).
  5. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 169 (nach Abzug von Kupferstichplatten).
  6. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 171 (nach Mithoff).
  7. Mende, Das monumentale Osterode, Tafel 7, vor S. 535.
  8. Mühlefeld, Osteroder Kirchen von innen, S. 17 (B).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 109 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0010909.