Inschriftenkatalog: Landkreis Weissenfels

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 62: Weißenfels (Landkreis) (2005)

Nr. 136 Weißenfels, Große Burgstraße 22 1552

Beschreibung

Dreigeschossiger Putzbau, ehemals das Geleitshaus, mit annähernd mittig eingesetztem, rundbogigen Sitznischenportal,1) Eckerker und steilem Satteldach. Am Portalbogen und am mehrteiligen Portalaufsatz emblematische Reliefs, die die Bogenzwickel und die Felder des aus einem querrechteckigen Mittelteil, zwei seitlich anlaufenden Giebelsegmenten und einem abschließenden Lünettengiebelchen gebildeten Aufsatzes zieren. Emblematische Inschriften (Lemmata) an den Bogenzwikkeln (A) und an der Lünette (B). Am Mittelteil des Aufsatzes eine Devise (C). An der nördlichen Schmalseite des Erkers eine Jahreszahl (D), außerdem zwei Schilde mit szenischen Darstellungen an den Schmalseiten (Kruzifix und Jüngstes Gericht) und zwei Wappen an der Breitseite. Sämtliche Inschriften erhaben.

Maße: H. (Portal): ca. 500 cm; B. (Portal): ca. 390 cm; Bu.: 6–7 cm (A), 7–7,5 cm (B), ca. 5–6 cm (C), 8 cm (D).

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Franz Jäger) [1/4]

  1. A

    EX · BEL/LO PAX // EX · PAC[E] V/BERT/ASa)

  2. B

    15//52b) / IN // DEOc)

  3. C

    FID=/EI // SYMB=/OLVM / G(OTTES) · W(ORT) · B(LEIBT) · E(WIG)d) · 2)

  4. D

    MD//LII

Übersetzung:

A Aus dem Krieg (wird) Frieden; aus dem Frieden (kommt) Wohlstand.

B 1552 In Gott.

C Bekenntnis des Glaubens: Gottes Wort bleibt ewig.

Wappen:
Herzogtum Sachsen3)Königreich Dänemark4)

Kommentar

Die Buchstaben sind mit teilweise weit ausgezogenen Sporen verziert; als Worttrenner dienen Quadrangel. In C stehen je zwei übereinander gesetzte Quadrangel als Trennungszeichen zwischen den Silben der ersten beiden Worte.

Im abgelegten und gestürzten Helm, der im linken Bogenzwickel abgebildet ist, haben sich Bienen eingenistet. Der Helm als Bienenstock verspricht, durch der Bienen Einmütigkeit, Uneigennützigkeit und Gerechtigkeit5) – Tugenden, die einen Fürsten und seinen Kanzler auszeichnen sollten – die Süße des Friedens zu spenden ( EX BELLO PAX). Und nur in einem friedlichen Meer vermag der Eisvogel, der im Meer auf einem Felsen brütet, seine Jungen zu ernähren (EX PACE VBERTAS).6) Auf dem linken Giebelsegment erscheint ein Chamäleon als Zeichen der Schmeichelei (oder Wandelhaftigkeit), d. h. der Unaufrichtigkeit;7) auf dem rechten sind zwei Krähen mit einem Zepter, das sie in Eintracht verbindet.8) Die Wandelhaftigkeit des Chamäleons und die Streitsucht der Krähen aber bedrohen nicht nur die friedvolle Herrschaft, sondern jede Herrschaft, wie die erläuternden Texte der Emblemsammlungen, auf die am Portal verzichtet wurde, zum Ausdruck bringen. Das Relief mit C zeigt zwei weibliche Allegorien – links die nackte Veritas, rechts die purpurgewandete Honestas –, die einander zu dauerhafter Verbindung die Hände reichen.9) Ihre enge und reine Zuneigung verkörpert Amor; ihre Verbindung widersteht verderblicher Schmeichelei und Zwietracht. Bei Inschrift B ist der vom Adler des Zeus auf den Olymp entrückte Ganymed dargestellt.10) Der Vorgang symbolisiert, daß denjenigen, der gottgefällig ist, d. h. einen gottgefälligen Lebenswandel führt, Heil in Gott erwartet (IN DEO LAETANDVM). Die allegorischen Szenen verdichten sich zu der programmatischen Aussage, daß Friedfertige und Fromme ein auskömmliches Leben im Diesseits und Erlösung im Jenseits erwartet. Die inhaltliche Akzentuierung ist möglicherweise eine Reaktion auf die militärischen Auseinandersetzungen in der Mitte des 16. Jh.,11) doch bleibt die Ausdeutung der Emblemata problematisch, da subjektiv gewünschte oder zeitbedingte Akzentverschiebungen jederzeit neue, heute schwer nachvollziehbare Sinnzusammenhänge herstellen konnten. Die Sinnbilder stammen wohl hauptsächlich aus den 1531 und 1550 erschienenen emblematischen Werken des Andreas Alciatus, doch hat der Auftraggeber vermutlich auch aus anderen Quellen Anregungen bezogen. Merkwürdigerweise erscheinen drei Embleme (das Chamäleon, die Krähen und die Tugendpersonifikationen) ohne und ein viertes nur mit unvollständigem Lemma (B). Hier wurde wohl eine hohe Allgemeinverständlichkeit der Bilder vorausgesetzt. Der Bekenntnischarakter der in deutscher Sprache wiedergegebenen Devise der Protestanten (C) ist nachdrücklich herausgestellt. Sie läßt sich in den fünfziger Jahren des 16. Jh. an mehreren Weißenfelser Häusern nachweisen.12)

Der Auftraggeber des Portals, Iuris Utriusque Doctor Hieronymus von Kiesewetter (1512–1586), hatte wohl eine akademische Laufbahn an der Universität Leipzig begonnen, bevor er 1544 als Kanzler in den Dienst Herzog Augusts von Sachsen trat.13) August, der seit 1548 mit seiner Gemahlin Anna von Dänemark in Weißenfels residierte,14) schenkte Kiesewetter das in Teilen spätgotische Haus, das 1552 umgebaut und mit den Wappen des herzoglichen Paares geschmückt wurde. 1555 veräußerte Kiesewetter das Haus, als er August nach Dresden folgte, der dort die Nachfolge seines Bruders als Kurfürst angetreten hatte. Als Kanzler stand er nunmehr der kursächsischen Hofkanzlei vor und war Mitglied des Hofrates, der im Rahmen seiner Kompetenzen fürstliche Regierungsangelegenheiten wahrnahm.15) Sein ehemaliges Wohnhaus diente dann als kursächsisches Geleitshaus und war seit dem 17. Jh. verschiedenartiger Nutzung unterworfen.16)

Textkritischer Apparat

  1. VBERTAS] Erster und letzter Buchstabe der Wortes beschädigt.
  2. 1552] Die letzte Ziffer spiegelverkehrt.
  3. IN DEO] Zu ergänzen ist wohl LAETANDUM.
  4. GOTTES WORT BLEIBT EWIG] In moderner Schreibweise ergänzt.

Anmerkungen

  1. Das Portal 1928 und 1996 restauriert. Die Jahreszahl 1928 ist an mehreren Teilen des Portals eingehauen.
  2. Paraphrase nach Jes 40, 8.
  3. Siebmacher I, 1, Taf. 24.
  4. Siebmacher I, 2, Taf. 105.
  5. Emblematische Darstellungen nach Alciatus 1531 (Henkel/Schöne 1996, Sp. 1489 f.). Zur allegorischen Bedeutung des Bienenstocks s. Henkel/Schöne 1996, Sp. 926.
  6. Emblematische Darstellung nach Alciatus 1531 (Henkel/Schöne 1996, Sp. 840).
  7. Emblematische Darstellung nach Alciatus 1550 (Henkel/Schöne 1996, Sp. 664).
  8. Emblematische Darstellung nach Alciatus 1531 (Henkel/Schöne 1996, Sp. 882 f.).
  9. Emblematische Darstellung nach Alciatus 1531 (Henkel/Schöne 1996, Sp. 1559 f.). Nach Henkel/Schöne eigentlich Honos oder Honor, der allerdings nach dem Genus Verbi durch einen Mann verkörpert werden müßte. Dagegen sind Ehrenhaftigkeit und äußerer Anstand (Honestas) durch eine Frau versinnbildlicht.
  10. Emblematische Darstellung mit verkürzter Inschrift nach Alciatus 1531 (Henkel/Schöne 1996, Sp. 1726 f.). Dort: IN DEO LAETANDUM, Freude in Gott.
  11. Vgl. Einleitung, S. XXI, XXVII.
  12. Vgl. Nr. 137–141. Zur Bedeutung vgl. Nr. 118.
  13. Matrikel Leipzig 1, S. 603; Matrikel Leipzig 2, S. 617, 635, 645; PKMS 1–5, passim, insbesondere 1, S. 747 und 3, S. 885; Uechtritz 3, 1792, S. 160 f.; Kluckhohn 1869.
  14. Vgl. Einleitung, S. XXVII f.
  15. Zum Amt des kursächsischen Kanzlers vgl. Jeserich/Pohl/von Unruh 1, 1983, S. 810 f.
  16. Büttner, Teil 2, S. 160 f. et al. Zur Baugeschichte vgl. a. Geleitshaus 1997, S. 17.

Nachweise

  1. Büttner, Teil 2, S. 160 f. (unvollständig).
  2. Otto 1796, S. 73 (unvollständig).
  3. Heydenreich 1840, S. 165 (unvollständig). -Weißenfelser Kreisblatt 1873, o. S. (unvollständig).
  4. Link 1935, o. S. (unvollständig).
  5. Bretschneider 1996, S. 87 (unvollständig).
  6. Reichel 1996, S. 12–15 (unvollständig).
  7. Geleitshaus 1997, S. 7 f. (unvollständig).

Zitierhinweis:
DI 62, Weißenfels (Landkreis), Nr. 136 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001k0013605.