Inschriftenkatalog: Landkreis Weissenfels

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 62: Weißenfels (Landkreis) (2005)

Nr. 107 Treben, Kirche um 1520

Beschreibung

Geschnitztes und gefaßtes Altarretabel mit schwenkbarem Flügelpaar, ursprünglich der Kirche des Klarissenklosters in Weißenfels gestiftet und über Dehlitz (Saale) an die Trebener Kirche gekommen.1) Im Mittelschrein Relief mit Kreuzigung und vollständig erneuertem Kreuztitulus (A); auf den Innenseiten der beiden Flügel je zwei Heilige mit kreisförmigen, in den Goldgrund trassierten, zweifach eingefaßten Nimben. Darin die Namensinitialen in Konturschrift eingeschrieben, partiell durch die Figuren überdeckt (B, C). Die Innenseiten von Schrein und Flügeln von je zwei durchsteckten Bögen und Rankenschleiern überfangen. Auf den bemalten Außenseiten der Flügel die Dornenkrönung (links) und die Kreuztragung (rechts). Hohe Nischenpredella mit leerer Expositur2) und zwei Wappen auf den seitlich ausschwingenden Wangen. Über dem Schrein befand sich noch 1903 ein halbkreisförmiges Tafelbild mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts und den Wappen derer von Plausigk (links) und von Liebenhayn (rechts).3) Das Bild heute verschollen.

Maße: H.: 266,7 cm; B.: 293,7 cm; Bu.: 4–6,5 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/3]

  1. A †

    I(HESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)4)

  2. B

    · S(ANCTVS) · F(RANCISCVS) · B · Ba) · // · K(LARA) · B(EATA) ·V(IRGO)b)

  3. C

    · S(ANKT) · I(OHANNES) · D(ER) · T(ÄVFER)c) // L(VDOVICVS) · B(EATVS)d) · V(IR)

Übersetzung:

A Jesus von Nazareth, König der Juden.

B Der heilige Franziskus B B // Klara, die selige Jungfrau.

C (…) // Ludwig, der selige Mann.

Wappen:
(verloren)5)(verloren)6)
Pfeffinger7)Hirschfeld8)

Kommentar

Die Buchstaben sind unregelmäßig gebildet, Schaft-, Bogen- und Balkenbreiten kaum differenziert. Die Bögen des B sind gebrochen; F hat einen auffällig kurzen Oberbalken. Dem Schaft des I ist auf Höhe der Mittellinie an jeder Seite ein kleiner Bogen angesetzt. Der obere Schrägbalken des K wird unterhalb des Schaftendes zum Schaft zurückgebogen; der untere Schrägbalken setzt am Schaft an und ist leicht nach innen gebogen. Die Schaft- und Balkenenden sind zumeist gekehlt und mit mehr oder minder stark ausgezogenen, mitunter kräftig gebogenen Sporen verziert. Als Worttrenner dienen Quadrangel mit weit ausgezogenen und kräftig gebogenen Spitzen; ihre Binnenflächen sind in Inschrift C kreuzförmig punktiert. Die Auflösung der Initialen B B ist unsicher. Sollte eine deutschsprachige Auflösung möglich sein,9) wäre die hier vorgeschlagene lateinische Auflösung der ersten beiden Initialen der Namensbeischrift des heiligen Franz zu überdenken. Es stehen keine Kürzungszeichen.

Auf dem „Jungfrauenchore“ – d. i. die Nonnenempore der Klosterkirche in Weißenfels – befanden sich vor der Reformation drei Altarretabel, von denen zwei 1593 und 1619 abgegeben wurden. Das „schönste“ (Zitate Büttner), das in der Mitte der Empore aufgestellt war, gelangte 1594 durch Verkauf an die Kirche in Dehlitz an der Saale.10) Vor Errichtung des noch heute erhaltenen barocken Altarbaus 173811) wird es wieder entfernt und 1739 in die renovierte Filialkirche nach Treben12) überführt worden sein. Die Kirchgemeinde Lösau-Treben ist seit 1594 nach Dehlitz eingepfarrt.13)

Auf den Flügelinnenseiten stehen links die Hll. Franziskus und Klara, rechts Johannes der Täufer und der franziskanische Ordensheilige Ludwig, Bischof von Toulouse. Bei der Darstellung des hl. Ludwig mit einem Fäßchen könnte es sich u. U. um eine ikonographische Besonderheit der mitteldeutschen Kunst handeln, ist doch das einzige im LCI genannte Beispiel für eine Darstellung des Heiligen mit diesem noch ungedeuteten Attribut der 1513 entstandene „Heilandsaltar“ aus der Franziskanerkirche in Kamenz (Oberlausitz).14) Das Altarretabel in Treben zeigt ein typisch franziskanisches Heiligenprogramm.

Die Skulpturen des Trebener Altars fertigte Steffan Hermsdorf, ein zwischen 1516 und 1526/29 in Leipzig nachweisbarer Bildschnitzer, der mit dem „Meister des Podelwitzer Altars“ identisch ist.15) Das namensgebende Hauptwerk, ein mehrflügeliges Altarretabel in der Dorfkirche zu Podelwitz, ist inschriftlich auf 1520 datiert und trägt wie einst auch der Trebener Altaraufsatz das Wappen derer von Plausigk.16) Die Annahme, daß das Trebener Retabel etwa zur gleichen Zeit wie das Podelwitzer entstanden ist, wird durch stilistische Gemeinsamkeiten17) und durch das Wappen eines gemeinsamen Auftraggebers bekräftigt. Auf die obersächsische Herkunft des Trebener Altarmalers verweist die Renaissancedekoration, die die Szene auf der Außenseite des linken Flügels bereichert. Die Dornenkrönung Christi ereignet sich in einem Raum, der von einem flachen Tonnengewölbe überdeckt wird. Im Gewölbe befinden sich drei kreisförmige, in perspektivischer Verkürzung abgebildete Öffnungen. Zwischen den beiden seitlichen ist eine Girlande aus Weinlaub und Reben gespannt; die mittlere Öffnung im Scheitel des Gewölbes ist leer. An den Zwickeln der Wand über dem Gewölbe sind zwei antikisierende medaillonförmige Porträtreliefs eingelassen. Ähnliche Fruchtgirlanden finden sich auf Altargemälden zweier Meister, die Anfang der zwanziger Jahre des 16. Jh. in Annaberg im Erzgebirge tätig waren.18) Kassettierte Tonnengewölbe mit Zwickelreliefs erscheinen auf zwei Flügelgemälden des Podelwitzer Altars; ihr Maler soll im obersächsischen Freiberg geschult worden sein.19) Auf Annaberger Vorbilder wiederum scheint der (verlorene) halbkreisförmige Aufsatz zurückzugehen, wenn der Zufall der Überlieferung nicht täuscht. Vier der sieben von Sandner in Sachsen nachgewiesenen Retabel mit derartigen Aufsätzen sind in Annaberger Werkstätten entstanden.20) Eine genauere künstlerische Zuordnung der naiv-derben figürlichen Malerei des Altarretabels in Treben ist bislang nicht gelungen; ihr Schöpfer ist aber nicht mit dem Maler des Podelwitzer Retabels gleichzusetzen.21)

Dem Zeugnis der vier aufgemalten Wappen zufolge waren Angehörige der Familien von Plausigk, von Liebenhayn, von Hirschfeld und Pfeffinger die Stifter des Altarretabels. Eufemia von Plausigk war zur mutmaßlichen Entstehungszeit des Retabels Äbtissin des Weißenfelser Klarissenklosters.22) Die Schwestern Elisabeth und Sophie von Liebenhayn gehörten zum Zeitpunkt der Visitation 1540 zu den ältesten Mitgliedern ihres Konvents und werden im Visitationsprotokoll, das alle achtzehn Konventualinnen nennt, zusammen an bevorzugter, d. h. an vierter Stelle erwähnt.23) Beziehungen der Familien von Hirschfeld und Pfeffinger zum Weißenfelser Klarissenkloster sind bislang nicht ersichtlich. Eine Frau aus der meißnischen, einst auch im Bistum Naumburg begüterten Familie von Hirschfeld24) könnte zur Entstehungszeit des Altarretabels dem Kloster angehört haben; im Visitationsprotokoll von 1540 wird aber keine diesem Geschlecht entstammende Nonne genannt.

Textkritischer Apparat

  1. B · B] Vom zweiten Buchstaben nur der untere Bogen teilweise sichtbar. Die Auflösung vielleicht B(ARFVESSER) B(RVDER); die Schreibung allerdings unklar.
  2. VIRGO] Die Spitze des Buchstabens durch die Schulter der Figur verdeckt. S K B Küstermann.
  3. Auflösung der Initialen in moderner Schreibweise.
  4. BEATVS] Lesung unsicher. Der Buchstabe größtenteils durch die Mitra des Bischofs verdeckt. Nur der obere Bogen (teilweise) und das obere Schaftende sichtbar.

Anmerkungen

  1. Näheres im Kommentar.
  2. Die (ursprünglichen?) Predellafiguren Laurentius und Michael z. Z. ausgelagert.
  3. Thormann 1995, S. 71 f. Das Retabel wurde 1903 umfassend restauriert (Thormann 1995, S. 64). Die Wappen ließen sich nach der Blasonierung bei BKD Prov. Sachsen 8, S. 235 identifizieren; vgl. Siebmacher VI, 6, Taf. 63 (Liebenhayn) und Taf. 80 (Plausigk). Der Aufsatz könnte auch später hinzugefügt worden sein (so Thormann 1995, S. 72), als das Retabel in den Besitz des Klosters überging.
  4. Nach Io 19, 19.
  5. Plausigk (vgl. Anm. 3).
  6. Liebenhayn (vgl. Anm. 3).
  7. Thormann 1995, S. 68; vgl. Jahn 1972, S. 413. Bei Thormann die Brackenrümpfe irrtümlich als Pferderümpfe bezeichnet.
  8. Siebmacher III, 2, 1, Taf. 220.
  9. Vgl. Anm. a).
  10. Büttner, Teil 2, S. 75; BKD Prov. Sachsen 3, S. 79.
  11. Dehio 1999, S. 115.
  12. BKD Prov. Sachsen 8, S. 233; Schmekel 1858, S. 281.
  13. Otto 1796, S. 419, 539; Schmekel 1858, S. 281; Küstermann 1889, S. 394.
  14. So bereits bei Braun 1943, Sp. 477–479 in Zusammenhang mit dem franziskanischen Gesamtprogramm identifiziert. Bei Dehio 1996, S. 474 jedoch als Willibrord bezeichnet, der sich aber anders als Ludwig von Toulouse nicht in das Skulpturenprogramm des Kamenzer Retabels einfügt. Dieses umfaßt heiliggesprochene Könige bzw. Königssöhne und Ordensangehörige. Ludwig, ein Sohn König Karls II. von Neapel, verzichtete 1296 auf die Thronfolge und trat dem Franziskanerorden bei. Seit der Heiligsprechung 1317 wird er als Ordenspatron verehrt (LCI 7, Sp. 442–446). Der hl. Ludwig von Toulouse kehrt auch auf dem nach 1520 von Hans Hesse begonnenen ehemaligen Hochaltar der Franziskanerkirche zu Annaberg im Erzgebirge wieder, hier allerdings ohne Fäßchen (Sandner 1993, S. 290–293). Die schwer deutbare Ikonographie verleitete zu irrtümlichen oder willkürlichen Deutungen der Trebener Altarfigur als Laurentius (Küstermann 1889, S. 395; Fuchs 1910, S. 114), Nikolaus (Kalliefe 1911, S. 53) oder Kilian (Kundt 1957, S. 87; Kunze 1957, S. 20) bzw. Medardus (Kundt 1957, S. 87).
  15. Thieme/Becker 16, 1923, S. 515; Kunze 1957, S. 18 f.; Sandner 1993, S. 146; Thormann 1995, S. 13–24 und Anhang I.
  16. BKD Sachsen 16, S. 102–104.
  17. Vgl. Thormann 1995, S. 149–158.
  18. Es handelt sich um Werke des Meisters des Pflockschen Altars und des Meisters des Münzeraltars (Sandner 1993, S. 242, 337 f., 363; Taf. 57, 59, 74 a).
  19. BKD Sachsen 16, Beilage XI; Sandner 1993, S. 140, 146.
  20. Vgl. die ikonographische Übersicht bei Sandner 1993, S. 337–366.
  21. Nach Thormann 1995, S. 99, 103 zeigt sich der Maler von der Cranach-Schule beeinflußt.
  22. Zur Biographie vgl. Nr. 74.
  23. Lepsius 2, 1854, S. 252–254.
  24. Kneschke 4, 1863, S. 384; Siebmacher III, 2, 1, S. 172.

Nachweise

  1. BKD Prov. Sachsen 8, S. 234 f. (unvollständig).
  2. Küstermann 1889, S. 394–396 (unvollständig).

Zitierhinweis:
DI 62, Weißenfels (Landkreis), Nr. 107 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di062l001k0010704.