Inschriftenkatalog: Stadt Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 86: Halberstadt (Stadt) (2014)

Nr. 24 Liebfrauen um 1400

Beschreibung

Glocke; Südwestturm, Glockengeschoß, im westl. Glockenstuhl nach Süden; Bronze; Ausbrüche an der Schärfe, Kronenplatte durchbohrt, sonst gut erhalten; Krone mit sechs abgerundeten, auf der Schauseite mit sechsblättrigen Blüten belegten Henkeln um Mittelöse, Kronenplatte abgesetzt, Haube gewölbt und leicht abfallend, Übergang gerundet, an der Schulter zwei aufgelegte Schnurstege, am Wolm drei zur Mitte gestufte Rundstege, am unteren Rand einzeilig umlaufend erhaben der Anfang der Antiphon bzw. des Responsoriums Ave Maria (A). An der Flanke ein Medaillon mit einem Kruzifixus, in der Mitte zu beiden Seiten des Corpus einzeilig erhaben der Kreuztitulus (B). Gewicht: 170 kg, Ton: g2.1)

Maße: H. 54 cm (Krone ohne Öse 14 cm), D. 63,6 cm, Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Hans Fuhrmann/Marion Gronemann) [1/1]

  1. A

    + AVEa) · MARIA · GRACIA · PLENA · DOMINVS TECVMb) · BENEDICTA · TV · IN MVLIERIBVS · ET · BENEDICTUSc) 2)

  2. B

    I(HESVS) N(AZARENVS) // I(VDEORVM) R(EX)3)

Übersetzung:

A: Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit [ist die Frucht deines Leibes]. B: Jesus der Nazarener, der Juden König.

Kommentar

Die Schrift ist unsicher und etwas wackelig angebracht worden. Die Schaftenden der Buchstaben sind stark verbreitert. An den Bögen sind meist Bogenschwellungen nach außen bei meist geradem Innenkontur. Die durch Abschlußstriche begrenzten Buchstaben C und unziales E zeigen auch Bogeninnenschwellungen. Zum Teil treten kräftige Sporen an Schaft-, Balken- und Bogenenden auf. Als Worttrenner wurden sechsblättrige Blüten benutzt. Außergewöhnlichster Buchstabe ist das kapitale M, dessen Mittelteil bis fast zur Grundlinie geführt wird und dessen schräggestellte Seitenhasten an den Außenseiten nach innen hin leicht durchgebogen sind. S wurde stets seitenverkehrt angebracht. Das ausschließlich kapital vorkommende V – auch für U – wird nur einmal, im Wort BENEDICTUS, durch ein rundes, kopfständiges U ersetzt, das wie ein rundes N wirkt, dessen Model wohl auch verwendet worden war.

Die Anbringung der Schrift auf dem Schlagring – unter Verwendung von Modeln, ohne rahmende Stege frei gestaltet und deshalb teilweise ein wenig wackelig – ist für die Entstehungszeit der Glocke ungewöhnlich.4) Ähnliche Schriftformen findet man auf den sämtlich um 1400 entstandenen Glocken aus Altendorf bei Jena, Dahnsdorf bei Belzig und Kleinbodungen bei Nordhausen.5) Auch eine Glocke in der Bartholomäuskirche in Zerbst hat, nach der Abzeichnung bei Schubart, der sie um 1330 datiert, zu schließen, ähnliche Buchstabenformen.6)

Textkritischer Apparat

  1. AVE] Das Kreuz vor dem ersten Buchstaben und die Worttrenner fehlen Nebe, BKD, Hartmann, Glocken der Heimat.
  2. TECVM] tedum Hartmann; TEDUM Glocken der Heimat.
  3. BENEDICTUS] Das U ist kopfständig und seitenverkehrt, es sieht hier wie ein rundes N aus. Folgt ein retrogrades S.

Anmerkungen

  1. Vgl. zu dieser Glocke auch Peter 2003/2004, S. 7, 14, 16.
  2. Zum Ave Maria siehe CAO Vol. III, Nr. 1539 und IV, Nr. 6155 f. nach Lc 1,28.
  3. Sic! Io 19,19.
  4. Peter 2003/2004, S. 16.
  5. Schilling 1988, S. 148 mit Abb. 290–292.
  6. Schubart 1896, S. 498 f. mit Abb. 249.

Nachweise

  1. Nebe 1876, S. 294.
  2. BKD, S. 341.
  3. Hartmann 1964, S. 208.
  4. Glocken der Heimat 1996, S. 8.
  5. Peter 2003/2004, S. 16 mit Abb. 9, 10.

Zitierhinweis:
DI 86, Halberstadt (Stadt), Nr. 24 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di086l005k0002408.