Inschriftenkatalog: Landkreis Schaumburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 104: Landkreis Schaumburg (2018)

Nr. 358 Stadthagen, Altes Rathaus 1596, 1612

Beschreibung

Giebel der Utlucht an der Ostseite des Rathauses. Stein. Die Inschrift A befindet sich am linken Giebel in einer rundbogigen Nische, die von Säulen und Beschlagwerk begrenzt wird. Sie ist erhaben in vertieftem Feld ausgeführt. Inschrift B ist auf dem Gebälkfries erhaben ausgehauen. Im Giebel ein vollplastischer Kriegerkopf. Am rechten Giebel in einer hochrechteckigen Nische ein Wappenschild, auf dem Gebälkfries die erhaben ausgehauene Inschrift C.

Maße: Bu.: ca. 4–5 cm (A), ca. 6 cm (B), ca. 5 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis und schrägliegende Kapitalis mit Versalien (A).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Inga Finck) [1/2]

  1. A

    PSALMO : CXXVIIa) . / NISI DOMINVS AEDIF=/CAVERIT DOMVM IN VANVM / LABORANT QVI AEDIFI=/CANT EAM NISI DOMINVS / CVSTODIERIT CIVITATEM / FRVSTRA VIGILAT QVI / CVSTODIT EAM1) · / PROVERB : 8 · / CONSILIVM ET INTELLI=/GENTIA SVCCESSVS ET / EXECVTIO PROVENIVNT / A DOMINO ·2)

  2. B

    1·5·9·6·

  3. C

    16 12

Übersetzung:

Psalm 127: Wenn der Herr nicht das Haus baut, arbeiten diejenigen umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, wacht derjenige umsonst, der sie schützt. Sprüche 8: Rat und Einsicht, Erfolg und Ausführung kommen vom Herrn. (A)

Wappen:
Stadthagen3)

Kommentar

Die Bibelstellenangaben sind in gerader, die Zitate selbst in schrägliegender Kapitalis ausgeführt. Die Kapitalis gleicht derjenigen auf mehreren anderen Steinmetzarbeiten im Landkreis Schaumburg, die vermutlich alle derselben Werkstatt entstammen (s. Einleitung Kap. 8.4). Charakteristische Merkmale sind spitzovales O mit Schattenachse, R mit kleinem Bogen und geschwungener Cauda, eingerollte 6 und 9. Der Rechtsschrägschaft des X ist geschwungen. Der Mittelbalken beim E und F ist in der vorliegenden Inschrift keilförmig verbreitert. Beim Q entsteht ein plastischer Effekt, da die Cauda gewissermaßen innen hinter dem Bogen hervorkommt und dann nach rechts vor den Bogen gelegt ist (vgl. Nr. 337 u. 350). Das untere Bogenende des C leicht eingerollt; dieses Merkmal teilt die Inschrift lediglich mit der Sonnenuhr Nr. 356, die ursprünglich wohl ebenfalls für das Rathaus in Stadthagen bestimmt war, und dem Brunnenbecken Nr. 416. Die Kapitalis weist eine Verwandtschaft zu derjenigen Arend Robins auf (vgl. Einleitung Kap. 8.4). Allerdings ist im Unterschied zur Kapitalis des Arend Robin der Bogen des P relativ klein. Aus dem Bauausgabenbuch für das Rathaus geht hervor, dass die linke Giebelbekrönung von Johann Robin gefertigt wurde, vermutlich also auch die enthaltene Inschriftentafel.4)

Soenke vermutet, dass Johann Robin identisch ist mit Johann Robyn aus Ypern,5) der seit etwa 1578 in Mainz und bis 1590 in Würzburg arbeitete. Allerdings ist die Zuschreibung verschiedener Bildhauerarbeiten an Johann Robyn anhand stilkritischer Merkmale6) höchst unsicher; durch den epigraphischen Befund lässt sie sich nicht stützen.7)

Die 1612 entstandene rechte Giebelbekrönung stammt von Johann Schwartze,8) von dem möglicherweise auch ein Sturzstein am Haus Niedernstraße 8 (Nr. 473) herrührt.

Der zweite Teil der Inschrift A entspricht nicht wortwörtlich der angegebenen Bibelpassage, sondern kombiniert im Bibeltext genannte Begriffe zu einem neuen Sinnspruch,9) der auf die Funktion des Gebäudes als Rathaus Bezug nimmt.

Textkritischer Apparat

  1. PSALMO : CXXVII] PSALM DCXXVII Kdm.

Anmerkungen

  1. Ps 126,1 (Vulgata). Die Zählung in der Inschrift folgt der Lutherbibel.
  2. Vgl. Prv 8,12: ego sapientia habito in consilio et eruditis intersum cogitationibus; 8,14–18: Meum est consilium et aequitas, mea prudentia, mea est fortitudo. Per me reges regnant et legum conditores iusta decernunt. Per me principes imperant et potentes decernunt iustitiam. Ego diligentes me diligo et qui mane vigilant ad me invenient me. Mecum sunt divitiae et gloria opes superbae et iustitia.
  3. Wappen Stadthagen (Nesselblatt im Tor eines dreitürmigen Kastells); vgl. Siebmacher, Wappenbuch, Bd. 1, Abt. 4, S. 330 u. Tafel 317.
  4. StA Stadthagen, E 2 Nr. 6, fol. 21r u. 33r; vgl. Soenke, Johann Robyn, S. 132.
  5. Soenke, Johann Robyn, S. 128f. Allerdings vermengt Soenke Johann Robyn mit Jasper Robyn, dem Schöpfer des Tugendbrunnens (Nr. 168).
  6. Die einschlägige Arbeit stammt von Leo Bruhns, Würzburger Bildhauer der Renaissance und des werdenden Barock 1540–1650, München 1923, S. 140–165. Bereits Soenke kritisiert die Zuschreibungen von Bruhns als „gewagt“ (Soenke, Johann Robyn, S. 131). Allerdings sind auch seine eigenen Zuschreibungen von Mindener Bildhauerarbeiten an Johann Robyn spekulativ (Soenke, Johann Robyn, S. 134–140).
  7. Vgl. beispielsweise das Epitaph für die Familie von der Gablentz im Mainzer Dom (DI 2 (Mainz), Nr. 508), dessen Kapitalis keine Verwandtschaft mit der Kapitalis der vorliegenden Inschriftentafel aufweist.
  8. Soenke, Johann Robyn, S. 133; vgl. Masuch/Masuch, Rathaus, S. 42 u. 52.
  9. Vgl. Steinicke, Hausinschriften, S. 27.

Nachweise

  1. Kdm. Kreis Schaumburg-Lippe, S. 83 (Anfang von A, B).
  2. Hesse, Heimatkundliche Wahrzeichen, S. 205, Nr. 697 (A fragmentarisch u. C).
  3. Fromme Hausinschriften in und um Stadthagen, ohne Seitenzählung (A in deutscher Übersetzung).
  4. Breyer/Masuch, Rathaus, S. 46 (Abb.).
  5. Masuch/Masuch, Rathaus, S. 34 (Abb.).
  6. Kreft/Soenke, Weserrenaissance, Abb. 133.
  7. Steinicke, Hausinschriften, Nr. 10, S. 26 u. Bildtafel 10.

Zitierhinweis:
DI 104, Landkreis Schaumburg, Nr. 358 (Katharina Kagerer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di104g020k0035800.