Inschriftenkatalog: Die Inschriften des Rhein-Hunsrück-Kreises II

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 79: Rhein-Hunsrück-Kreis II (2010)

Nr. 126† Kirchberg, Katholische Pfarrkirche St. Michael 2. Hälfte 16. Jh.?

Beschreibung

Bauinschrift. Ehemals an der Südwand des Chors angebracht1), wurde sie um 1765 in Nachzeichnung textlich überliefert und ist seit unbekannter Zeit verschollen. Der zuverlässigen Zeichnung zufolge handelte es sich um eine achtzeilige Inschrift.

Nach der Würdtweinschen Epitaphiensammlung.

Schriftart(en): Fraktur.

  1. Nach Christi geburth als man zehlet zwarTausend zweÿhundert achtzig Jahr /Erweitert ward diß Gottes Hausz,und ward gemacht ein Kirch darausz /Auf Sant Sophien Feirieina),wird hie gelegt der erste Stein /Dasz ist im maÿ der funfzehnde Tag,wie da zeiget dieses Calender sag /Johan Beÿer von Bopart wohlgeachthat diesen Bau zum Anfang bracht /Römischer Keÿser im selbigen iahrRudolf ein graff von Habsburgtb) war /Pfaltzgraff Ludwig sein Tochtermanc),auch dabeÿ die Chur bekamm /Dessen Sohn darnacher auch Keÿser wardLudtwig der funft genandt nach arth

Versmaß: Deutsche Reimverse.

Kommentar

Die undatierte Bauinschrift dürfte aufgrund der zuverlässig überlieferten Schriftart, der Verwendung der deutschen Sprache und der Stellung in der zeitgenössischen Reimchronistik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden sein2). Da für diesen Zeitraum keine größeren kirchlichen Restaurierungs- oder Baumaßnahmen überliefert sind, die Anlass zu einer bauhistorischen Reflexion gegeben hätten, bleibt der Grund für die Anfertigung dieser Inschrift offen. Nicht auszuschließen ist allerdings ihre Entstehung im Zusammenhang mit der seit 1557 in Kirchberg durchgeführten Reformation, die wohl auch in der Ausstattung der Kirche umfangreiche Veränderungen mit sich brachte.

Die Inschrift gliedert sich in einen lokalen bauhistorischen und in einen reichshistorischen genealogischen Teil. Zu Beginn wird mitgeteilt, dass am Sophientag, dem 15. Mai des Jahres 1280, in einem offensichtlich bereits bestehenden Gotteshaus (wohl einer Kapelle) der Grundstein zu einer Kirchenerweiterung gelegt worden sei; Stifter sei ein Johann Beyer von Boppard gewesen. Wenn sich auch dieser erste Teil der Inschrift nur vage mit den seit den Ausgrabungen von 1967/683) archäologisch und kunstgeschichtlich gewonnenen Daten in Übereinstimmung bringen lässt, so lassen sich für die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in zwei Phasen errichtete spätgotische Kirche immerhin zahlreiche Vorgängerbauten nachweisen, von denen – neben älteren Fundamenten – der im Laufe des 13. Jahrhunderts errichtete Westturm erhalten geblieben ist. Hinsichtlich der Person des als Stifter genannten Johann Beyer von Boppard lassen sich im 13. Jahrhundert keine, im 14. Jahrhundert jedoch mehrere Träger dieses Namens historisch nachweisen4), die aber sämtlich keine Beziehung zu Kirchberg gehabt haben dürften. Hier könnte eine Verwechslung mit dem 1491 verstorbenen und in Kirchberg begrabenen Ritter Johann Braun von Schmidtburg vorliegen, dessen markantes figürliches Grabdenkmal bis 1945 in der Kirche zu sehen war5) und dessen Name in der fragmentarischen Inschrift noch von Lehfeldt mit iohann beyer von schm. von ...6) wiedergegeben wurde. Dagegen beruht der zweite Teil der Inschrift wohl auf einer chronikalischen Quelle und liefert korrekte historische Angaben: Im Jahr 1280 regierte Rudolf von Habsburg das Reich, seine Tochter Mathilde war mit dem bayerischen Herzog Ludwig dem Strengen verheiratet, und deren gemeinsamer Sohn war der spätere römisch-deutsche Kaiser Ludwig der Bayer.

Textkritischer Apparat

  1. Auf Sanct Sophien Tag fein rein Müller-Dietrich (mit Berufung auf einen Eintrag im Kirchenbuch der kath. Pfarrgemeinde Kirchberg); Auf Sanct Josephien Tag fein rein Kdm. (nach Müller-Dietrich und mit Berufung auf das Kirchenbuch der evang. Gemeinde). – Bei dem Wort Feiriein dürfte es sich um eine aus reimtechnischen Gründen vorgenommene Verballhornung des lateinischen Wortes „feriae“ für Wochentag handeln.
  2. Sic!
  3. seine Tochter nahm Meyer (mit Berufung auf das katholische bzw. evangelische Kirchenbuch).

Anmerkungen

  1. „in Choro ex parte Epistolae ... inscriptio ad murum“, so die Würdtweinsche Epitaphiensammlung. – Ob die Inschrift direkt auf die Wand oder auf eine Tafel gemalt war, ist unklar; jedenfalls war sie nicht in Stein ausgeführt.
  2. Wenn auch in deutscher Sprache verfasste Reimchroniken ihrer Gattung nach dem späten Mittelalter zugehörig sind und im 16. Jh. fast ganz hinter die Prosachronistik zurücktreten (vgl. dazu Goedeke, Grundrisz 2, 323ff.), so scheint dies für den epigraphischen Bereich nur eingeschränkt zu gelten, da sich auch noch im 16. und frühen 17. Jh. entsprechende Beispiele finden lassen; vgl. etwa DI 34 (Lkrs. Bad Kreuznach) Nr. 291; DI 41 (Lkrs. Göppingen) Nr. 264; DI 54 (Lkrs. Mergentheim) Nr. 143; DI 56 (Stadt Braunschweig) Nr. 742; DI 57 (Stadt Pforzheim) Nr. 178; DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis 1) Nrn. 71, 380, 381.
  3. Vgl. dazu und zum Folgenden St. Michael in Kirchberg pass.
  4. Vgl. Europ. Stammtafeln NF 9 Taf. 4.
  5. Das Grabdenkmal wurde transloziert und befindet sich heute im Schloss zu Gemünden; vgl. Nr. 52.
  6. Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 662; vgl. auch Göhl mit der Lesung iohann beyer und ihm folgend Knebel, Kirchberg 69 johann beyer, verstorben 1412.

Nachweise

  1. Würdtweinsche Epitaphiensammlung fol.1.
  2. Würdtweinsches Epitaphienbuch 303f.
  3. Kirchenbuch der kath. Pfarrgemeinde Kirchberg 104 bzw. 194 (Pfarrarchiv Kirchberg).
  4. Hardt, Chronik 13 (teilw.).
  5. Meyer, Kirchberg 58 (teilw.).
  6. Göhl, Kirchberg 63 (teilw.).
  7. Müller-Dietrich, Vorgängerbauten 21.
  8. Kdm. Rhein-Hunsrück 1, 538.

Zitierhinweis:
DI 79, Rhein-Hunsrück-Kreis II, Nr. 126† (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di079mz12k0012600.