Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 113 Osterode, St. Aegidien 1596 od. früher

Beschreibung

Grabplatte für Herzog Philipp d. Ä. von Braunschweig-Grubenhagen, gestorben 1551. Stein. Aufgestellt an der nördlichen Chorwand, links von der Tür zur Sakristei und unterhalb des 1573 gestifteten Epitaphs für den Herzog (Nr. 72). In einer vertieften, von Säulen gerahmten Nische mit oberem Dreipassabschluss der Verstorbene im Hochrelief in voller Rüstung mit Schnurrbart und breitem Kinnbart, das senkrecht gestellte Schwert vor sich in den Händen, dessen Spitze von der Helmzier des zu seinen Füßen angebrachten Vollwappens verdeckt wird; daneben der offene Helm auf dem Boden. Die in zwei Zeilen verlaufende, erhabene Inschrift beginnt links neben dem Wappen an der unteren Schmalseite. Oben links und unten rechts in der äußeren Zeile jeweils eine Beeinträchtigung. Die Inschrift weist Interpunktionszeichen auf.

Die Grabplatte bedeckte das vor dem Altar situierte Grab des Herzogs.1) Sie wurde 1880 aufgenommen und im Folgejahr an der nördlichen Chorwand in einem profilierten Steinrahmen aufgestellt. Die bis dahin von einem Dielenboden geschützte Platte war seitdem aufsteigender Feuchtigkeit ausgesetzt, bis sie 1941 abgenommen und unter der südlichen Empore abgelegt wurde. Von der um 1927/28 festzustellenden schwarzen Bemalung der Platte, die diese an die beiden aus schwarzem Stein gefertigten Platten der Herzöge Wolfgang und Philipp d. J. (Nr. 109, 117) angleichen sollte, sind fleckenartige Verfärbungen des Steins zurückgeblieben. Ob die Bemalung ursprünglich war oder bei der Aufstellung 1881 vorgenommen wurde, muss offenbleiben.2) Bei der Restaurierung im Jahr 1974 wurde die Platte am heutigen Platz auf einem Betonsockel aufgestellt.3)

Maße: H.: 230 cm; B.: 118 cm; Bu.: 6 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/2]

  1. ANNO / DOMINI MILLESIMO QVINGENTESIMO QVINQVAG[E]/SIMO PRIMO, DIE VENERIS / QVARTA MENSIS SEPTEMBRIS, OBIIT ILLVSTRIS CLE/[ME]NTISSI//MVSa) ET / PACIFICVS PRINCEPS ET DOMINVS DOMINVS / PHILIPPVS DVX BRVN/SVVIENSISb) ET C(ETERA), CVIVS ANIMA REQVIESCAT IN PA/CE, A(MEN)

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1551 am Freitag, dem 4. September, verstarb der erlauchte, allergnädigste und friedliebende Fürst und Herr, Herr Philipp, Herzog von Braunschweig etc. Seine Seele ruhe in Frieden, Amen.

Wappen:
Braunschweig4)

Kommentar

Die Kapitalis zeichnet sich durch ausgeprägte Strichsporen sowie eine Linksschrägen- und Bogenverstärkung aus. Die Mittelachse des O und Q ist (mit Ausnahme des O in MILLESIMO) um etwa 45° nach links geneigt, so dass der Eindruck eines linksschrägen Buchstabens entsteht. Der Mittelteil des leicht konischen M reicht bis zur Mittellinie, der Kürzungsstrich über ETC weist eine Ausbuchtung nach oben aus. Bemerkenswert sind die Interpunktionszeichen, die der Form nach einem kleinen (spiegelverkehrten) unzialen E entsprechen.

Die Gestaltung der Platte und die regelkonforme, klassische Kapitalis deuten darauf hin, dass die Platte nicht in der Mitte des 16. Jahrhunderts angefertigt wurde, sondern erst sehr viel später.5) Es besteht auch keine stilistische Nähe zu den Grabplatten der drei Söhne des Verstorbenen (Nr. 63, 109, 117). Die statuarische Haltung mit dem senkrecht gestellten Schwert und eine fast identische Gestaltung der Nische und der seitlichen Säulen finden sich dagegen auf einer Grabplatte für den 1595 gestorbenen Burchard von Saldern in Equord (Lkr. Peine).6) Außer dieser Platte kommen als Vergleichsstücke zwei Standbilder des Fritz von der Schulenburg (1518–1589) in Schloss Hehlen (Lkr. Holzminden) in Betracht, die beide um 1597 entstanden sein dürften.7) In allen drei Fällen war vermutlich die Werkstatt des Hildesheimer Bildhauers Ebert Wolf d. J. tätig, wofür im Falle der Grabplatte des Burchard von Saldern die Fraktur mit den charakteristischen kleinen Dornen an den Oberlängen spricht. Auf der Grabplatte für Herzog Philipp d. Ä. liegt dagegen eine Kapitalis vor, die in ihren Formen der in Hehlen für Inschriften in lateinischer Sprache verwendeten ähnelt, wenn auch die besonderen Charakteristika der vorliegenden Schrift (O, Q mit geneigter Achse und die Interpunktionszeichen) dort fehlen. Insgesamt macht dies eine Anfertigung der Grabplatte erst in den Jahren 1595/96 wahrscheinlich. Möglicherweise wurde eine ältere Grababdeckung, die zu den seit 1567 entstandenen Platten nicht mehr passte, ersetzt.

Herzog Philipp d. Ä. (ca. 1476–1551), dessen Vater Albrecht bereits 1485 gestorben war, regierte das Fürstentum Grubenhagen seit 1494. Seine Hauptresidenz war Herzberg. Philipp d. Ä. war der letzte Herzog von Grubenhagen, der ohne Kanzlei und Hofgericht auskam. Die „Landesverwaltung“ versah er noch selbst, lediglich unterstützt durch wechselnde Räte und einen Schreiber, der seit den 1530er Jahren den Titel eines Kanzlers trug. 1517 heiratete Philipp d. Ä. Katharina von Mansfeld (gest. 1535), mit der er neun Kinder hatte;8) vgl. Nr. 72. Drei Söhne, Ernst, Wolfgang und Philipp d. J., folgten ihm nacheinander als Herzöge im Fürstentum Grubenhagen: Nr. 63, 109, 117.

Textkritischer Apparat

  1. CLE/[ME]NTISSI//MVS] Das letzte Wort der äußeren Zeile wird nach dem Wappen in zweiter, innerer Zeile fortgesetzt. Die Bestimmung des Zeilenendes in der beschädigten unteren rechten Ecke nach Kupferstichplatten.
  2. BRVN/SVVIENSIS] BRVNSWIENSIS Mithoff (nach Abzug von Kupferstichplatten); Brunswicensis Halliday, Brunsvicensis Max; Halliday u. (nach ihm) Max haben danach et Luneburgensis. Max hat die Platte, die zu seinen Lebzeiten noch von einem Holzboden verdeckt war, wahrscheinlich nicht gesehen. Das folgende ET C(ETERA) deutet allerdings die erst ab 1566 von den Herzögen vorgenommene Titelerweiterung an.

Anmerkungen

  1. Die ursprüngliche Lage der Grabplatte wird seit dem späten 19. Jahrhundert durch eine kleine, in den Holzboden eingelassene Messingtafel markiert. Diese weicht leicht ab von dem Lageplan der herzoglichen Gräber bei Halliday, House of Guelph, S. 408.
  2. Zur Aufstellung 1881 vgl. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 175. Den Zustand um 1927/28 dokumentiert ein Foto der „Staatlichen Bildstelle Berlin“ im NLD Hannover (IFDN BS 20365), wegen der schwarzen Bemalung mit der Materialbezeichnung „Schieferstein“; auch: https://www.bildindex.de/document/obj20687524?medium=mi08557g07 (27.04.2017); ebd. noch eine weitere Aufnahme (mi08557g06). Zur Datierung des erstgenannten Fotos vgl. die Einleitung, Kap. 5. Der bessere Erhaltungszustand um 1900 mit nur einem kleinen Schaden an der oberen Schmalseite bei Mende, Das monumentale Osterode, Tafel 6, vor S. 535.
  3. Martin Granzin, Die Grabmäler wurden restauriert, in: Göttinger Tageblatt vom 16./17.02.1974.
  4. Wappen Braunschweig (zwei Löwen übereinander). Die Linie Grubenhagen führte bis zur Aufnahme in die Gesamtbelehnung des Welfenhauses 1567 das im 13. Jahrhundert entstandene Wappen des Herzogtums Braunschweig; vgl. Rüggeberg, Die welfischen Wappen zwischen 1582 und 1640, S. 213.
  5. Max hat dies bereits angenommen, allerdings abgeleitet aus der (von Halliday irrtümlich hinzugefügten) Ergänzung et Luneburgensis (vgl. Anm. b), die die Grubenhagener Herzöge erst ab 1566/68 im Titel führten; Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 344; zur Titeländerung vgl. ebd., S. 8f. Dazu vgl auch Pfannkuche, Patrimonium, S. 445f.
  6. Vgl. Kdm. Kreis Peine, S. 52 (mit Abb. Tafel 21b). Neukirch, Adelskultur, S. 140 (mit Abb. 43).
  7. DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 143 (datiert 1597) u. 144 (Schlosshof).
  8. Vgl. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 320–344. Zimmermann, Haus Braunschweig-Grubenhagen, S. 52–54. Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 93r–95.

Nachweise

  1. Kupferstichplatten, Abb. 86, S. 446 (cup. 4065).
  2. Halliday, House of Guelph, S. 409.
  3. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 344.
  4. Steinmann, Grabstätten (1866), S. 354 (nach Halliday).
  5. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 168 (nach Abzug von Kupferstichplatten [cup. 4065]).
  6. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 169 (nach Mithoff).
  7. Mende, Das monumentale Osterode, Tafel 6, vor S. 535.
  8. Mühlefeld, Osteroder Kirchen von innen, S. 16f. (in Übersetzung).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 113 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0011306.