Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 110 Osterode, St. Aegidien 1595

Beschreibung

Grabplatte für Herzogin Clara von Braunschweig-Wolfenbüttel. Stein. Aufgestellt an der Südostwand des Chors, rechts von der ihres Mannes Herzog Philipp d. J. von Braunschweig-Grubenhagen (Nr. 117). Unter einem Dreipassbogen im Hochrelief die Darstellung der Verstorbenen im langen, unten ausgestellten Kleid mit Puffärmeln, Haube und Halskrause, auf der Brust ein Kreuz mit Kruzifix an einer Kette, darunter die über der Hüfte übereinandergelegten Hände. Der Bogen wird getragen von sich nach unten verjüngenden Pilastern, die mit Beschlagwerk geschmückt sind; auf den Kapitellen der Kopf eines Putto. Ein dritter Puttenkopf befand sich in der Position des Schlusssteins des Bogens. In den Zwickeln auf der Wölbung der Nische ruhende allegorische Figuren: links Fides (Glaube) mit einem Kreuz in der rechten Hand und einem Kelch mit Hostie in der zur Mitte ausgestreckten linken Hand, rechts Spes (Hoffnung) mit einem Anker in der Linken und einer Schale1) in der zur Mitte ausgestreckten rechten Hand; die zur Mitte weisenden Hände beider Figuren sind verloren. Umlaufend erhaben in vertiefter, von kleinen Wellen eingefasster Zeile Inschrift A. In den Ecken fand sich ein bogenförmiges Ornament.2) Unten rechts ein Vollwappen, unter diesem ein vertieftes Feld im Beschlagwerkrahmen mit der erhaben ausgeführten Devise B. Die obere Schmalseite der Platte ist vollständig, die untere weitgehend zerstört; weitere Textverluste an den Längsseiten oben und unten rechts sowie oben links.

Die Grabplatte bedeckte das im Altarraum situierte Grab der Herzogin.3) Sie wurde im Jahr 1880 aufgenommen, wobei sie offenbar teilweise zerstört wurde. Im Folgejahr wurde sie zusammen mit der ihres Mannes in einem profilierten Steinrahmen an der südöstlichen Chorwand aufgestellt. Um 1927/28 wies sie erhebliche Schäden auf, weswegen sie 1941 zusammen mit der Grabplatte ihres Mannes unter der südlichen Empore abgelegt wurde. Von der um 1927/28 festzustellenden schwarzen Bemalung der Platte, die diese an die beiden aus schwarzem Stein gefertigten Platten der Herzöge Wolfgang und Philipp d. J. (Nr. 109, 117) angleichen sollte, sind fleckenartige Verfärbungen und kleine Spuren zurückgeblieben.4) Nach einer Restaurierung im Jahr 1974 wurde die Platte am alten Ort auf einem Betonsockel wieder aufgestellt.5) Die Dielenabdeckung war zuvor mindestens zweimal, wahrscheinlich 1727/286) und am 24. März 1819,7) zu einer Untersuchung der Grabplatten im Chor aufgenommen worden.

Inschrift A ergänzt nach Kupferstichplatten.

Maße: H.: 228 cm; B.: 108 cm; Bu.: 4 cm (A), 2–2,5 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/5]

  1. A

    [ANNO · 1595 · 23a) · NOVEM/BRI]S · PIE IN CHRISTO OBIIT · ILLVS[TRISSIMA PRINCI]PISSAb) / [CLAR]A [· DVCISSA · BRVN(SVICENSIS) / ET L]VNEB(VRGENSIS) · VXOR ILLVST(RISSIMI) PRINC[IPI]S PHILI[PP]I

  2. B

    IN GOTTES / GEWALTc) · HAB ICH / ES GESTALT8)

Übersetzung:

Im Jahr 1595 am 23. November starb fromm in Christus die durchlauchtigste Fürstin Clara, Herzogin von Braunschweig und Lüneburg, Ehefrau des durchlauchtigsten Herzogs Philipp. (A)

Versmaß: Deutsche Reimverse (B).

Wappen:
Braunschweig-Lüneburg9)

Kommentar

Die mit schmalem Strich ausgeführte Kapitalis zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus. Obere Balkenenden sind im Allgemeinen nach unten, untere nach oben gebogen. Die Bogenenden sind bei P und B nach links über den Schaft verlängert und leicht nach innen gebogen. Die Schaftenden weisen ausgeprägte Sporen auf, die beim P die Form eines nach links verlängerten (und am Ende nach unten gebogenen) Zierstrichs annehmen können. Spiegelbildlich dazu ist in PIE der verlängerte untere Balken des E am Ende ebenfalls nach unten umgebogen. Weitere Zierelemente reichen nach oben und unten über die Zeile hinaus: Der Schrägschaft des N geht oben in einen weit ausgezogenen Zierbogen über, der über den davorstehenden Buchstaben hinausreicht; entsprechend ist der linke Schaft des V gestaltet. Der Rechtsschrägschaft des X ist unten nach links verlängert und durchgebogen. Bei doppeltem L ist der zum Bogen verlängerte Balken des ersten L unter den des zweiten gezogen. Ebenso reicht auch die spitz zulaufende, geschwungene Cauda des R, die unterhalb des oberen Bogens am Schaft ansetzt, unter den nachfolgenden Buchstaben. An S und G setzt oben ein nach links gerichteter Zierbogen an; das untere Gegenstück am S fällt bei Platzmangel weg. Der obere Bogen des B ist kleiner als der untere. Der Mittelbalken des E ist zum Punkt reduziert, der sich von dem Halbnodus an der rechten Schaftseite der meisten I nicht unterscheidet. Die Wiedergabe bei Seeländer (Kupferstichplatten) deutet darauf hin, dass die Buchstaben der ersten Zeile an der oberen Schmalseite die dargestellten Besonderheiten in verstärktem Maß aufwiesen; so war der linke Schaft des M demzufolge dort als Bogen gestaltet, den der gleichfalls gebogene linke Schrägbalken schnitt.

Die Grabplatte teilt einzelne Gestaltungselemente mit vier der herzoglichen Platten in St. Aegidien. Der dreipassförmige Bogen entspricht dem auf der vermutlich erst in den 1590er Jahren angefertigten Platte für Herzog Philipp d. Ä. (Nr. 113), die Figuren in den Zwickeln (Fides, Spes) finden sich sehr ähnlich auf der Platte für die 1569 gestorbene Herzogin Margarete (Nr. 66), die säulenartigen Kämpfer entsprechen denen auf der Platte für Herzogin Dorothea (Nr. 88). Die Position und Ausführung des Wappens über einer Tafel zur Aufnahme der Devise ist von der Grabplatte für den wenige Monate zuvor gestorbenen Herzog Wolfgang (Nr. 109) übernommen. Auch die Schrift (und die wellenförmige Einfassung der Zeile) nimmt Elemente von der letzteren Platte auf; sie ist allerdings mit feinerem Strich ausgeführt, was der leichter zu bearbeitende Sandstein der vorliegenden Platte ermöglichte.

Clara (1532–1595), Tochter von Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel, wurde 1539 zur Äbtissin von Gandersheim gewählt, verzichtete aber auf die Würde im Jahr 1547. Im Juli 1560 heiratete sie in Wolfenbüttel Herzog Philipp d. J. (1533–1596), der zuvor seinem ältesten Bruder Ernst eine selbständige Hofhaltung in Katlenburg abgehandelt hatte. Sie starb in Herzberg am 23. November und wurde am 1. Dezember in Osterode beigesetzt. In Katlenburg unterhielt die Herzogin, wie viele adelige Frauen in der Zeit, eine Apotheke zu Gunsten der Untertanen. Die Devise auf der Grabplatte war die ihres 1568 gestorbenen Vaters.10)

Textkritischer Apparat

  1. 23] Kupferstichplatten, Mithoff; 13 Halliday, Max, Steinmann (1866). – Die übrigen Varianten der Lesung von Halliday und bei den von diesem mit kleinen Abweichungen abschreibenden Autoren (Max, Steinmann [1866]) beschränken sich auf Normalisierungen und hinzugefügte Interpunktionszeichen; sie werden nicht dokumentiert.
  2. In der Lücke sind Schatten von Buchstaben zu erkennen (vor allem ein S); offenbar erfolgte die Befestigung von abgeplatzten Teilen oder die Nachformung vermuteter Buchstaben an unpassender Stelle.
  3. Befund: kleineres E in Ligatur mit der Cauda des G.

Anmerkungen

  1. Möglicherweise befand sich in der Hand aber auch eine Taube, die der Abzeichner bzw. Stecher Seeländer missverstanden hat, wie dies ein Vergleich mit der Taube in der Hand der Spes auf der Grabplatte der Margarete von Pommern nahelegt; vgl. Abb. 83.
  2. Beschreibung der zerstörten Partien der Grabplatte nach Kupferstichplatten (wie Quellenzeile).
  3. Die ursprüngliche Lage der Grabplatte wird seit dem späten 19. Jahrhundert durch eine kleine, in den Holzboden des Altarraums eingelassene Messingtafel markiert.
  4. Zur Aufstellung 1881 vgl. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 175. Den Zustand um 1927/28 dokumentiert ein Foto der „Staatlichen Bildstelle Berlin“ im NLD Hannover (IFDN KB 136/E3), wegen der schwarzen Bemalung mit der Materialbezeichnung „Schieferstein“; auch: https://www.bildindex.de/document/obj20687525?medium=mi08557g10 (27.04.2017); ebd. drei weitere Aufnahmen (mi08557g08, mi08557g09, mi08557g11). Zur Datierung des erstgenannten Fotos vgl. die Einleitung, Kap. 5.
  5. Martin Granzin, Die Grabmäler wurden restauriert, in: Göttinger Tageblatt vom 16./17.02.1974.
  6. Der Zweck war die Anfertigung von Abzeichnungen, auf deren Grundlage Nikolaus Seeländer Platten stach, was vermutlich zwischen 1727 und 1729 geschah; Kupferstichplatten, S. 77 (Liste 1729d, Nr. 57); Kat. Nr. K 900, S. 347, eine Abbildung nur auf der beiliegenden CD (cup. 4067).
  7. Halliday, House of Guelph, S. 408 (Bericht des Superintendenten J. F. H. Effler, Pastor an St. Jacobi).
  8. Devise Herzog Heinrichs d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel; Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 148.
  9. Wappen Braunschweig-Lüneburg (quadriert, 1. zwei Löwen übereinander [Braunschweig], 2. Löwe im mit Herzen bestreuten Feld [Lüneburg], 3. gekrönter Löwe [Everstein], 4. Löwe im gestückten Bord [Homburg]); vgl. Rüggeberg, Die welfischen Wappen zwischen 1582 und 1640, S. 212–215, mit Fig. 1, nach S. 240.
  10. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 386–388 u. 390–392. Zimmermann, Haus Braunschweig-Grubenhagen, S. 64. Zeitgenössisch: Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 106v–108r. Danach Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 585f.

Nachweise

  1. Kupferstichplatten (cup. 4067 auf CD); Abzug in: GWLB Hannover Ms. XXIII, 38b, Bl. 60.
  2. Halliday, House of Guelph, S. 412.
  3. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 392 (nach Halliday).
  4. Steinmann, Grabstätten (1866), S. 355 (nach Halliday).
  5. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 169 (nach Abzug von Kupferstichplatten).
  6. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 172 (nach Mithoff).
  7. Mühlefeld, Osteroder Kirchen von innen, S. 18 (B in Übersetzung).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 110 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0011005.