Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 95 Osterode, St. Aegidien 1589

Beschreibung

Taufständer. Holz. Reichgeschmückter, sechsseitiger Taufständer mit kronenartigem Deckel, der von der Decke herabhängt. Früher in der Kirche St. Johannis. Über dem schlichten, gestuften Fuß ein kurzer, bauchiger Schaft, beide vermutlich ersetzt. An dem großen Becken mit steiler Wandung an den Ecken Engel als Pilasterhermen. Auf jeder Seitenfläche eine Rundbogennische, auf der Wandung darunter rechteckige bzw. ovale Schrifttafeln. In zwei einander gegenüber liegenden Nischen auf von Rollwerk umgebenen hochrechteckigen Tafeln unter einem Putto das über beide Tafeln verlaufende Bibelzitat A. Auf der ovalen, von Rollwerk und Ohrmuschelwerk umgebenen Schrifttafel unter der ersten Nische die Jahreszahl B; die gleichgeartete Tafel unter der zweiten Nische ist leer. In den übrigen Nischen im Relief die vier Evangelisten mit ihren Attributen, schreibend. Auf den rechteckigen, von Rollwerk umgebenen Schrifttafeln unter den Darstellungen die Beischriften C, beginnend rechts von der Jahreszahl B. Auf den Schrifttafeln in den Händen der Evangelisten die schwarz gemalten, teilweise restaurierten Inschriften D1–D4. Am unteren Beckenrand auf drei Segmenten Inschrift E, beginnend unter Matthäus. Die Inschriften A–C und E erhaben im vertieften Feld, golden (A–C) bzw. schwarz (E) gefasst.

Der von der Decke hängende Deckel zeigt an der Zarge einen Ornamentfries mit Puttenköpfen und einem Zahnschnittfries am oberen Rand. Über einem vorspringenden Gesims der baldachinförmige Aufbau mit sechs geschwungenen Rippen. Am unteren Rand der mit Akanthusblattwerk und einer Halbkugel geschmückten, massiven zwölfeckigen Spitze die umlaufende, erhaben geschnitzte, golden gefasste Inschrift F.

Der Taufständer befand sich ursprünglich in der 1927 abgebrochenen St.-Johannis-Kirche, die seit der Reformation hauptsächlich als Begräbniskirche der Aegidien- und der mit dieser vereinigten Johannisgemeinde genutzt wurde. Vermutlich 1907 wurde er in die Aegidienkirche versetzt.1)

Maße: H.: 105 cm (Ständer), ca. 135 cm (Deckel); Dm.: 79 cm (Ständer oben), 72 cm (Deckel unten); Bu.: 2,4–3 cm (A), 4,2 cm (B), 3,1 cm (C), 0,2 cm (D), 1,9 cm (E), 3,3 cm (F).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis (A, C, F), Kapitalis (E), Minuskeln mit Versalien (D).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/12]

  1. A

    QVI CRE/DIDERIT / ET BAPTI/SATVS / FVERIT / SALVVS / ERIT // QVI VERO / NON CRE/DIDERIT / CONDEM/NABITVR2) / MARCI VL/TIMO

  2. B

    · 15·89 ·

  3. C

    S · MARCVS // S · LVCAS // S · MATTHES // S · IOHAN(N)ES

  4. D1

    Marci 1a) / vnd da geschach / [eine] Stimme [vom] / himmel [– – –] / lieber [s– – – ich]3)

  5. D2

    Luc[e …] / Vnd b[r– – –]4)

  6. D3

    Mathei 24 / Wer beharret bis ans / Ende der wirt seligk5)

  7. D4

    1 capit= / Im anfang war / Das wort vnd / Das wort war / b[ey] Got vndb)6)

  8. E

    ZACHARIAS / KONNI / M(E) · F(ECIT)

  9. F

    HIC · E(ST) · FILIVS · ME(VS) DILEC<TVS Ic)>N QVO MIHI COMPLACITV(M) EST IPSVM AVDITE7)

Übersetzung:

Wer glaubt und getauft wird, wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden. Markus im letzten (Kapitel). (A)

Zacharias König hat mich hergestellt. (E)

Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe; hört auf ihn. (F)

Kommentar

Formen der frühhumanistischen Kapitalis in den Inschriften A, C, F sind offenes D, I mit Nodus oder Ausbuchtung nach rechts, konisches M mit weit über der Mittellinie endendem Mittelteil, N mit ausgebuchtetem Schrägbalken, weit offenes C sowie das spitze O mit Einbuchtung in der linken Bogenhälfte in IOHAN(N)ES.

Zacharias König (die Namensform schwankt: Konigk, Konig, Koning, Koningk, Konni) wird seit 1577 im Osteroder Wachtgeldregister genannt; zunächst in der Neustadt ansässig, erscheint er im Februar 1582 erstmals als Bewohner des Kornmarktreviers. Bereits 1582 ließ er in St. Aegidien einen Sohn Henningus taufen, 1588 wurden zwei seiner Kinder begraben. Am 10. November 1588 heiratete er in St. Aegidien in zweiter Ehe Mechtild (Mechelt) Segelke. Zacharias König wurde am 16. April 1630 begraben, seine Witwe am 5. November 1635.8) Diese Lebensdaten ermöglichen es, den Schnitzer Z K, der 1622 eine Kanzel mit Schalldeckel für die ehemalige Klosterkirche in Riddagshausen bei Braunschweig gefertigt hat,9) mit Zacharias König zu identifizieren. Der Lettner, der Taufdeckel und das Gitter um das Taufbecken in Riddagshausen, die etwas früher als die Kanzel entstanden zu sein scheinen,10) zeigen eine stilistische Verwandtschaft vor allem der Gitterformen mit denen am Osteroder Taufdeckel.11) Auch die Rahmen der Schriftkartuschen fallen sehr ähnlich aus. Möglicherweise ist König in Osterode auch das Epitaph Nr. 156 von 1613 zuzurechnen.

Textkritischer Apparat

  1. Gebogene 1, die zu einer 9 verrestauriert wurde.
  2. war b[ey] Got vnd] Buchstaben blasser; bei der Restaurierung nicht nachgezogen.
  3. Buchstaben nachgeformt. Vgl. das Foto Nr. 4 aus der Restaurierungsakte von 2001/02 im NLD Hannover.

Anmerkungen

  1. Vgl. Ungewitter, Baugeschichte, S. 17: „an der Nordwestecke des Chors, wo jetzt der aus dem Jahre 1598 [recte: 1589] stammende Taufstein aus der St. Johanniskirche seine Aufstellung gefunden hat“. Martins geht von einer Umsetzung erst im Zusammenhang mit dem Abbruch der Johanniskirche aus; Martins, Bau- und Kunstgeschichte, S. 77. Den Zustand des Taufständers und des Deckels um 1927/28 zeigen Fotos der „Staatlichen Bildstelle Berlin“ im Landesdenkmalamt Hannover (Fotokartei, C 4755); auch: https://www.bildindex.de/document/ obj20330536?medium=mi08557f03 (27.04.2017). Zur Datierung des Fotos vgl. die Einleitung, Kap. 5.
  2. Mc. 16,16.
  3. Mk. 1,11: Vnd da geschach eine stimme vom Himel, Du bist mein lieber Son, An dem ich wolgefallen habe. (Luther 1545).
  4. Nach Lk. 3,21?: … vnd betet, Das sich der Himel auffthet (Luther 1545).
  5. Mt. 24,13; nach Wer ist gegenüber dem Luthertext aber ausgefallen.
  6. Jh. 1,1.
  7. Nach Mt. 17,5: … in quo mihi bene conplacuit ipsum audite. Der von der Vulgata leicht abweichende Text folgt einer Tradition, die ihren Niederschlag auch in der Konkordienformel gefunden hat; vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 132010, S. 1062, Abs. 65, Z. 18f.
  8. Vgl. StadtA Osterode, Nachlass Schimpf, Nr. 13: Schreiben vom 14. März 1985. Danach Schimpf, Bildschnitzer Andreas Gröber, S. 44. Zur Heirat vgl. Schubert, Trauregister, Bd. 1,10, S. 935 (Nr. 99).
  9. Zur Kanzel vgl. Kdm. Kreis Braunschweig, S. 154–157 (mit Abb. 61): Z K · M(E) F(ECIT).
  10. Vgl. ebd., S. 154 u. 160f.
  11. So Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler: Bremen, Niedersachsen, bearb. von Gerd Weiß u. a., München/Berlin 1992, S. 1123. Danach Reinitzer, Tapetum Concordiae, A 70, S. 113.

Nachweise

  1. Mühlefeld, Osteroder Kirchen von innen, S. 16 (A, F in Übersetzung).
  2. Mathies, Taufbecken, S. 142 u. Abb. 208/209, S. 245.

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 95 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0009501.