Inschriftenkatalog: Altkreis Osterode

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 105: Osterode (2019)

Nr. 63 Osterode, St. Aegidien 1567

Beschreibung

Grabplatte für Herzog Ernst von Braunschweig-Grubenhagen. Stein. Aufgestellt an der Nordwand des Chors, rechts von der Sakristeitür. Der Verstorbene ist unter einem Rundbogen mit rollwerkgeschmückten Zierkonsolen in reich geschmückter Rüstung dargestellt, das gesenkte Schwert in den Händen. Der gelockte Bart reicht spitz zulaufend bis auf die Brust. Der Dargestellte dreht sich leicht nach links, das linke Bein ist als Spielbein etwas ausgestellt. Hinter dem linken Bein der federbuschgeschmückte Helm. Links neben dem rechten Bein ein Vollwappen. Die Inschrift umlaufend, erhaben in vertiefter Zeile. Als Worttrenner dienen Hochpunkte mit nach oben und unten gerichteten Zierhäkchen. Die Kürzungsstriche vertieft auf dem Rahmen über der Zeile, teilweise nach oben ausgebuchtet. In den Bogenzwickeln Putten (Genien), die jeweils eine Posaune vorstrecken und einen Lorbeerkranz halten; auf dem Schlussstein des Bogens eine Fratze. An der unteren Schmalseite ein kleinerer, mit Füllmasse geschlossener Feuchtigkeitsschaden.

Die Grabplatte bedeckte das vor dem Altar situierte Grab des Herzogs.1) Sie wurde im Jahr 1880 aufgenommen und im Folgejahr zusammen mit der seiner Frau Margarete von Pommern (Nr. 66) in einem profilierten Steinrahmen an der nördlichen Chorwand aufgestellt. Die bis dahin von einem Dielenboden geschützte Platte war seitdem aufsteigender Feuchtigkeit ausgesetzt. Von der um 1927/28 festzustellenden schwarzen Bemalung der Platte, die diese an die beiden aus schwarzem Stein gefertigten Platten der Herzöge Wolfgang und Philipp (Nr. 109, 117) angleichen sollte, sind fleckenartige Verfärbungen des Steins zurückgeblieben.2) Bei einer Restaurierung im Jahr 1974 wurde sie am selben Platz auf einem Betonsockel wieder aufgestellt.3) Die Dielenabdeckung war zuvor mindestens zweimal, wahrscheinlich 1727/284) und am 24. März 1819,5) zu einer Untersuchung der Grabplatten im Chor aufgenommen worden.

Maße: H.: 221 cm; B.: 116 cm; Bu.: 6,5 cm.

Schriftart(en): Schrägliegende Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Jörg H. Lampe) [1/3]

  1. AN(N)O · 1567 · 2a) · DIE · APRILIS / · INTER · 4 · ET · 5 · HORA(M) · POST · MERIDIE(M)b) · ERNEST(VS) · DVX · BRVNS/VICE(N)SIS · ET · LV(N)EBVRGE/(N)SISc) · LAVDABILI · FI(N)E · IM(M)ORTALE(M) · VITA(M) · CONSECVT(VS) · EST ·

Übersetzung:

Im Jahr 1567 am 2. April zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags hat Ernst, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, in löblichem Sterben das unsterbliche Leben erlangt.

Wappen:
Braunschweig-Lüneburg6)

Kommentar

Die schrägliegende Kapitalis ist mit schmaler Strichstärke ausgeführt; bei S findet sich überwiegend eine Bogenverstärkung im Mittelteil, die Bogenenden des S sind gespalten. Die Cauda des R ist geschwungen, die senkrechte Cauda des G knickt im rechten Winkel nach links ab. Die unteren Balken von L und E sind verlängert und spornartig nach oben gezogen, der Mittelbalken des E ist verkürzt. Der Mittelbalken des H ist nach oben ausgebuchtet. C ist weit offen, nur das obere Bogenende ist gespalten. Die bogenförmige 1 läuft wie der gebogene Schaft der 7 unten spitz zu, der abgeknickte Balken der 5 ist keilförmig verbreitert; der Balken der 7 ist nach unten geknickt.

Herzog Ernst wurde 1518 geboren, 1527 wurde er an den kursächsischen Hof zur höfischen Erziehung geschickt. Im Mai 1530 ließ ihn sein Vater Philipp d. Ä. als Propst des Stiftes St. Alexandri in Einbeck einführen. 1537 und 1538 nahm er an Versammlungen des Schmalkaldischen Bundes teil, 1545 erfocht er im Dienst des sächsischen Kurfürsten bei Kalefeld (Lkr. Northeim) einen Sieg über Herzog Heinrich d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel. Im Jahr darauf nahm er zusammen mit seinem Vater und zweien seiner Brüder an dem Kriegszug der Schmalkaldener gegen Kaiser Karl V. teil, in dem sein jüngerer Bruder Albrecht bei Nördlingen tödlich verwundet wurde (Nr. 72). Im April 1547 bei Mühlberg gefangen genommen, wurde Herzog Ernst bald darauf ausgetauscht. Seine bereits 1546 vom sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich vermittelte Heirat mit Margarete von Pommern-Wolgast (1518–1569, Nr. 66) wurde 1547 geschlossen, die Ehefrau aber erst 1549 heimgeführt. Das Paar lebte zunächst in Salzderhelden (Lkr. Northeim), nach dem Tod des Vaters, Philipps d. Ä., wechselte die Residenz zwischen Herzberg und dem von Herzog Ernst seit 1558 umgebauten früheren Kloster St. Jacobi in Osterode (vgl. Nr. 60). Das einzige Kind des Herzogs, die Tochter Elisabeth (1550–1586), heiratete 1567 Herzog Johann von Schleswig-Holstein-Sonderburg.

Im November 1556 schloss Herzog Ernst mit König Philipp II. von Spanien für sechs Jahre einen Dienstvertrag,7) der den Herzog im darauffolgenden Jahr zusammen mit seinen Brüdern Johann und Philipp d. J. an der Spitze von 1000 von ihm geworbenen „Schwarzen Reitern“ in die Niederlande führte, wo Johann im August 1557 in Kämpfen bei St. Quentin fiel (Nr. 72). Im Juli 1558 kämpfte Herzog Ernst in der Schlacht von Gravelines mit. Das Dienstverhältnis brachte es mit sich, dass er Gesandte des spanischen Königs und der Statthalterin der Niederlande, Margarete von Parma, in Herzberg oder Osterode empfing; darunter war Anfang 1561 auch der spätere Anführer des Aufstandes der Niederlande, Wilhelm von Oranien. Der Dienstvertrag wurde zweimal um jeweils drei Jahre verlängert, wobei Herzog Ernst sich ausbedungen hat, nicht gegen Lutheraner kämpfen zu müssen. Herzog Ernst starb am 2. April 1567 in Herzberg. Sein Leichnam wurde zwei Tage später nach Osterode gebracht und in der Aegidienkirche beigesetzt.8)

1555 hat Herzog Ernst im Namen aller Brüder die Prägung von Talermünzen aufgenommen.9) Die Erträge der Münze, vor allem aber das spanische Engagement, das zu seinen Lebzeiten vertragsgemäß, wenn auch mitunter verspätet, bezahlt wurde, ermöglichte den gleichzeitigen Ausbau der früheren Klöster in Osterode und in Katlenburg zu Residenzen für Ernst und seinen jüngeren Bruder Philipp ab 1558.10)

In der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig wurden 1559 drei Glasgemälde in ein Fenster eingesetzt, die die drei damals lebenden (und nacheinander regierenden) Söhne Philipps d. Ä. zeigten, darunter Herzog Ernst.11) Ein Bild des Herzogs, möglicherweise nach einer Vorlage von Lukas Cranach, gab es in der Porträtsammlung des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel.12)

Textkritischer Apparat

  1. 2] secundo Halliday, Steinmann (1866).
  2. POST · MERIDIE(M)] POMERIDIANAM Wendt u. danach M[eywerth]/S[pangenberg]. – Die Varianten der früheren Lesungen (Wendt, Halliday) und bei den von diesen jeweils mit kleinen Abweichungen abschreibenden Autoren (M[eywerth]/S[pangenberg], Max und Steinmann [1866]) beschränken sich ansonsten auf Normalisierungen, stillschweigende Auflösung der Kürzungen und eine hinzugefügte Interpunktion; sie werden im Folgenden nicht dokumentiert.
  3. LV(N)EBVRGE/(N)SIS] Der Kürzungsstrich für das zweite N am unteren Ende der linken Längsseite; zwischen V und E eine ausgefüllte Bruchstelle, an deren Stelle sich der Kürzungsstrich befand; vgl. Kupferstichplatten.

Anmerkungen

  1. Die ursprüngliche Lage der Grabplatte wird seit dem späten 19. Jahrhundert durch eine kleine, in den Holzboden eingelassene Messingtafel markiert.
  2. Zur Aufstellung 1881 vgl. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 175. Den Zustand um 1927/28 dokumentiert ein Foto der „Staatlichen Bildstelle Berlin“ in der Fotokartei des NLD Hannover; wegen der schwarzen Bemalung mit der Materialbezeichnung „Schieferstein“; auch: https://www.bildindex.de/document/obj20687521?medium=mi08557f14 (27.04.2017); dort noch zwei weitere Fotos (mi08557f13, mi08557g01). Zur Datierung des erstgenannten Fotos vgl. die Einleitung, Kap. 5.
  3. Martin Granzin, Die Grabmäler wurden restauriert, in: Göttinger Tageblatt vom 16./17.02.1974.
  4. Der Zweck war die Anfertigung von Abzeichnungen, auf deren Grundlage Nikolaus Seeländer Platten stach, was vermutlich zwischen 1727 und 1729 geschah; Kupferstichplatten, S. 77 (Liste 1729d, Nr. 55); Kat. Nr. K 895, S. 346; Abb. 87, S. 447 (cup. 4054).
  5. Halliday, House of Guelph, S. 408 (Bericht des Superintendenten J. F. H. Effler, Pastor an St. Jacobi).
  6. Wappen Braunschweig-Lüneburg (quadriert, 1. zwei Löwen übereinander [Braunschweig], 2. Löwe im mit Herzen bestreuten Feld [Lüneburg], 3. bekrönter Löwe [Everstein], 4. Löwe im gestückten Bord [Homburg]). Seit der Aufnahme in die Gesamtbelehnung des Welfenhauses durch einen Vertrag vom 13. März 1566 führten auch die Grubenhagener Herzöge das im 15. Jahrhundert entstandene vierfeldrige Wappen der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg; Rüggeberg, Die welfischen Wappen zwischen 1582 und 1640, S. 212–215, mit Fig. 1, nach S. 240.
  7. Vgl. allgemein Friedrich Edelmeyer, Söldner und Pensionäre. Das Netzwerk Philipps II. im Heiligen Römischen Reich, Wien/München 2002 (Studien zur Geschichte und Kultur der iberischen und iberoamerikanischen Länder, Bd. 7), hier S. 175, 187–202 (zu Erich d. J.); die Grubenhagener Herzöge kommen in dem Band nicht vor.
  8. Zimmermann, Haus Braunschweig-Grubenhagen, S. 56–59. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 347–369. Zum militärischen Engagement: Mittendorff, Verbindung, bes. S. 202–242. Römer, Wolfgang und Philipp d. J. von Grubenhagen, S. 12–16. Vgl. insgesamt bereits Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 95v–97v. Weitgehend nach Letzner: Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 570–573.
  9. Fiala, Münzen und Medaillen Tl. [3], S. 27–46 u. die Tafeln Grubenhagen 1 u. 2; Welter, Münzen der Welfen, Nr. 488–493, 520–524, 526–546. Vgl. bereits Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 570f., mit Tafel III, S. 569.
  10. Römer, Wolfgang und Philipp d. J. von Grubenhagen, S. 13. Vgl. Mittendorff, Verbindung, bes. S. 219–225, 230–232 u. 236.
  11. DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 482 (B). Überliefert auch bei Letzner, Dasselische Chronik, III. Buch, Bl. 97v; Rehtmeier, Braunschweig-Lüneburgische Chronica, Thl. I, S. 573.
  12. Vgl. Schwindrazheim, Porträtsammlung, S. 284 (Nr. 25), mit Tafel III.

Nachweise

  1. Kupferstichplatten, Abb. 87, S. 447 (cup. 4054); Abzüge in: GWLB Hannover Ms. XXIII, 38b, Bl. 55; Ms. XXIII, 413, Bl. 2 u. 5.
  2. Wendt, Geschichte, S. 164f. (Bl. 219).
  3. M[eywerth]/S[pangenberg], Beschreibung, Sp. 185 (nach Wendt).
  4. Halliday, House of Guelph, S. 409.
  5. Max, Grubenhagen, Bd. 1, S. 365 (nach Halliday u. Wendt).
  6. Steinmann, Grabstätten (1866), S. 354 (nach Halliday).
  7. Mithoff, Kdm. Göttingen und Grubenhagen, S. 168 (nach Abzug von Kupferstichplatten).
  8. Steinmann, Grabstätten (1885), S. 170 (nach Mithoff).
  9. Mühlefeld, Osteroder Kirchen von innen, S. 17 (Übersetzung).

Zitierhinweis:
DI 105, Osterode, Nr. 63 (Jörg H. Lampe), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di105g021k0006301.