Die Inschriften des Odenwaldkreises
3. Die Quellen der nichtoriginalen Überlieferung
Von den insgesamt 312 Nummern des Katalogs enthalten nur 62 ausnahmslos verlorene Inschriften, die nach einer nichtoriginalen Überlieferung ediert werden. Diese geringe Zahl hat ihre Ursache darin, daß vor allem die Inschriften des Klosters Steinbach und der Stadtkirche zu Michelstadt als Grablegen der Grafen von Erbach das Interesse von Inschriftensammlern auf sich zogen. Aber gerade in diesen beiden Standorten blieben ungewöhnlich viele Inschriften erhalten.200) Die übrigen Standorte wurden von den Abschreibern des 17. und 18. Jahrhunderts entweder nur am Rande oder gar nicht berücksichtigt, so daß die im Laufe des 18. und des 19. Jahrhunderts zugrunde gegangenen Denkmäler nicht überliefert wurden. Hier setzt die Überlieferung in der Regel erst mit dem Kunstdenkmalinventar Schaefers von 1891 ein.201) Dadurch bleibt die Dichte der nichtoriginalen Überlieferung insgesamt gering. Sie besitzt allerdings auch eine gewisse Bedeutung für die Ergänzung erhaltener, aber stark beschädigter Inschriften.202)
Die älteste Quelle der nichtoriginalen Überlieferung sind die Aufzeichnungen des württembergischen Leibarztes und Hofhistoriographen Oswald Gabelkover (1539-1616), die von seinem Sohn Johann Jakob (1578-1635) fortgeführt und ergänzt wurden.203) Der Nachlaß Gabelkovers wird heute im Hauptstaatsarchiv und in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart aufbewahrt204) und wurde bisher außer von Steiger für die Überlieferung der Inschriften des Odenwaldkreises nicht herangezogen. Gabelkover sammelte und notierte auf seinen Reisen alles, was ihm historisch und genealogisch von Bedeutung schien.205) In Steinbach und Michelstadt, wo sich Gabelkover offenbar zwischen 1575 und 1578 aufgehalten hat,206) waren seine Aufzeichnungen vor allem von dem genealogischen Interesse an der Familie von Erbach bestimmt. Bei seinen in Steinbach angefertigten Abschriften hat Gabelkover nie die exakte Schreibweise der Inschriften übernommen. So gibt er römische Zahlzeichen in der Regel in arabischen Ziffern wieder und verwendet auch andere Kürzungen als die Inschriften. Allerdings hat er sich bemüht, den ganzen Wortlaut der Inschriften zu notieren, auch wenn ihm dabei einige Fehler unterliefen, die besonders die Jahreszahlen betreffen. Die Wappen der Grabdenkmäler hat Gabelkover ebenfalls vermerkt.207) In Michelstadt fertigte er dagegen fast ausschließlich regestenartige Abschriften an, die weder den Buchstabenbestand noch den Wortlaut der Inschriften wiedergeben und damit für die Inschriftenüberlieferung nur von nachrangiger Bedeutung sind.208) Da es Gabelkover um genealogische Fragen ging, hat er zudem nicht alle Denkmäler [Druckseite XXIX] verzeichnet, sondern für jede Person nur eine Inschrift vermerkt. Wenn es für eine Person eine Grabplatte und ein Epitaph gab, erscheint bei Gabelkover jeweils nur die Zusammenfassung der Inschrift des Epitaphs. Dies ist bei der Rekonstruktion der Grablege der Grafen von Erbach zu berücksichtigen.
Genau 120 Jahre nach dem Tode Oswald Gabelkovers erschien 1736 die „Vollständige Hoch-Gräflich-Erbachische Stamm-Tafel, Nebst deren Erklär- und Bewährungen, Oder Hoch-Gräflich-Erbachische Historie“ von Daniel Schneider. Der 1667 in Breslau geborene und als hochgebildet geltende Schneider wurde 1729 als Superintendent, Konsistorialrat und Oberpfarrer nach Michelstadt berufen, wo er 1748 starb.209) Schneider scheint unmittelbar nach seiner Ankunft in Michelstadt mit der Arbeit an seinem Buch über die Grafen von Erbach begonnen zu haben. Das Werk ist in drei Teile gegliedert. Der erste enthält die Genealogie des Hauses Erbach, der zweite eine Landesgeschichte der Grafschaft Erbach und der dritte die zugehörigen Urkunden. Zudem besitzt das Werk einen Tafelteil mit Stichen prominenter Grabdenkmäler aus Steinbach und Michelstadt.
In allen drei Teilen gibt Schneider zahlreiche Inschriften wieder, und so verdanken wir ihm mit 32 heute verlorenen Inschriften mehr als die Hälfte aller nichtoriginal überlieferten Inschriften des Odenwaldkreises. Im ersten sowie im dritten Teil seiner „Historie“ dienen die Inschriften als Personennachweise für die von Schneider aufgestellten Stammtafeln. Die Aufnahme zahlreicher Inschriften in den als Urkundenbuch angelegten dritten Teil zeigt, daß Schneider den Quellenwert der Inschriften mit jenem der Urkunden gleichsetzte. Während der erste und der dritte Teil im wesentlichen Grabinschriften enthalten, weist der zweite Teil aufgrund seiner landesgeschichtlichen Ausrichtung vor allem Bau-, Stiftungs- und Glockeninschriften auf, welche die Geschichte des gräflichen Territoriums illustrieren. Eine Bemühung um buchstabengetreue Wiedergabe läßt sich bei Schneider nur bei den Glockeninschriften der Erbacher Kirche und den Grabinschriften der Grafen zu Wertheim feststellen. Im Unterschied zu den übrigen Inschriften sind die Texte hier in Kapitalis, mit Worttrennern und ohne die Auflösung von Kürzungen wiedergegeben.210) Der Vergleich der Überlieferung Schneiders mit der erhaltenen Erbacher Glocke von 1357 (Nr. 18) und dem ebenfalls erhaltenen Epitaph Graf Michaels III. von Wertheim aus dem Jahr 1559 (Nr. 152) zeigt, daß beide Inschriften tatsächlich im wesentlichen buchstabengetreu wiedergegeben wurden. Im übrigen hat sich Schneider nur um die Wiedergabe des Wortlauts bemüht, doch zeigen sich hier deutliche Unterschiede in der Qualität seiner Überlieferung. Problematisch sind vor allem die Inschriftentexte des ersten Teils, die häufiger von dem auf den Stichen des Tafelteils lesbaren Wortlaut abweichen. Im Gegensatz dazu sind die im dritten Teil gebotenen Inschriftentexte zuverlässiger. Hier hat Schneider in der Regel auch die zu den Denkmälern gehörenden Wappen aufgeführt, die er im ersten Teil nur selten vermerkt. Allerdings sind ihm bei der Identifizierung einiger Wappen Irrtümer unterlaufen. Von besonderer Bedeutung sind die Abbildungen des Tafelteils, da sich der Stecher nicht nur um eine genaue Darstellung des ganzen Denkmals, sondern auch um eine exakte Wiedergabe der Buchstabenformen bemühte. Eine Ausnahme bilden lediglich die großen Epitaphien, da er hier die Schriftbesonderheiten aus Platzgründen nicht nachempfinden konnte. Wenn auch der Stecher bei den Minuskelinschriften in einigen Fällen weder den Text noch die Bildungsweise der Buchstaben genau verstanden hat, sind seine Stiche doch wertvoll für die Rekonstruktion beschädigter und die Überlieferung verlorener Inschriften. Schneider hat allerdings aufgrund seiner schnellen Arbeitsweise den Inschriftentext der Tafeln offenbar nicht mehr mit seinen eigenen Lesungen im ersten Teil der „Historie“ abgeglichen.
Die Abschriften Gabelkovers und Schneiders besitzen nicht nur für die Überlieferung verlorener Inschriften, sondern auch für die Rekonstruktion der Michelstädter Grablege des Hauses Erbach ab dem 15. Jahrhundert erheblichen Wert. Gabelkover, der die Michelstädter Grablege um 1575 besuchte, ging es nicht um ein vollständiges Verzeichnis der Denkmäler, sondern der bestatteten Personen. Gegenüber Schneider fehlt bei ihm nur die Grabplatte der Cordula Schenkin von Erbach (Nr. 84). Dafür sah er die Grabplatte der Gräfin Brigitta von Erbach (Nr. 126) noch in Michelstadt, die sich zur Zeit Schneiders bereits in Fürstenau befand. Im übrigen benennt Schneider aber dieselben Angehörigen des Hauses Erbach wie Gabelkover und überliefert zugleich die Inschriften aller Denkmäler der einzelnen Personen, also sowohl der Grabplatten als auch der Epitaphien. Demnach [Druckseite XXX] hat es zwischen 1575 und 1736 offenbar kaum Denkmälerverlust in der Michelstädter Grablege des Hauses Erbach gegeben. Im 14. und 15. Jahrhundert bestand auch noch eine Grablege der Schenken von Erbach im Kloster Schönau, die ebenfalls gut dokumentiert ist.211) Zudem sind vor allem die geistlichen Mitglieder des Hauses Erbach in der Regel in ihren jeweiligen Kirchen bestattet worden. Nimmt man diese Befunde zusammen, so scheint die Grablege in Michelstadt ab dem 15. Jahrhundert fast vollständig überliefert zu sein.
Ebenfalls im 18. Jahrhundert erschienen der „Versuch einer Reformations- und Kirchen-Geschichte der Grafschaft Erbach und Herrschaft Breuberg“ (1772) und die „Historische Genealogie des reichsgräflichen Hauses Erbach“ (1786) von Johann Philipp Wilhelm Luck (1728-1791). Luck war wie Daniel Schneider Oberpfarrer in Michelstadt und besaß ein großes Interesse an der Genealogie des Hauses Erbach sowie an der Geschichte der Grafschaft.212) In seiner „Reformations- und Kirchengeschichte“ behandelt er im ersten Teil die Einführung der Reformation in Erbach und gibt im zweiten Teil einen Überblick über die Kirchen und Schulen sowie die Geistlichen und Lehrer der Grafschaft. In diesem Teil führt er als Belege für die Baugeschichte sowie für die Personennachweise neben Auszügen aus Urkunden, Briefen und Kirchenbüchern auch eine ganze Reihe von Inschriften an. Weitere Inschriften hat Luck in den letzten Teil „Zusätze und Erläuterungen“ eingefügt. Dies zeigt, wie sehr Luck die Inschriften als historische Quellen schätzte. Eine buchstabengetreue Wiedergabe der Inschriften ist bei ihm selten, doch hat er sich um einen genauen Wortlaut bemüht.
Dies gilt allerdings nicht in gleichem Maße für seine Inschriftenwiedergabe in der „Historischen Genealogie“, in der Luck zahlreiche Grabinschriften der Erbacher als Belege für die von ihm erstellten Stammtafeln anführt. Hier hat er sich in vielen Fällen an die Inschriftenwiedergabe bei Schneider angelehnt, auf den er zum Teil selbst verweist.213) In anderen Fällen läßt sich die Abhängigkeit dadurch nachweisen, daß die Texte bei Luck dieselben Fehler wie bei Schneider enthalten.214) Eigenständige Überlieferungen Lucks sind hier nur selten vorhanden.215)
Johann Friedrich Conrad Retter veröffentlichte im Jahr 1770 im zweiten Teil seiner Sammlung „Hessische Nachrichten“ einige Inschriften aus dem Odenwaldkreis, von denen eine nur bei ihm überliefert ist (Nr. 44). In anderen Fällen hat der Vergleich seiner Abschriften mit den heute noch erhaltenen Inschriften gezeigt, daß Retter den Wortlaut in der Regel zuverlässig wiedergibt.216)
Im Gegensatz zu Schneider und Luck spielen die Inschriften bei dem dritten großen Historiker der Grafen von Erbach, Gustav Simon (1811-1870),217) in seinem Werk „Die Geschichte der Dynasten und Grafen zu Erbach und ihres Landes“ kaum eine Rolle. Die wenigen bei ihm gedruckten Inschriften gehen bis auf jene der heute verlorenen Glocke aus der Friedhofskapelle in Zell (Nr. 104) alle auf die Abschriften Schneiders zurück.218)
Aus dem 19. Jahrhundert ist für die Inschriftenüberlieferung vor allem noch der 1891 von Georg Schaefer vorgelegte Kunstdenkmalinventarband für den Kreis Erbach von Bedeutung. Er bietet eine eigenständige Überlieferung zahlreicher Inschriften, die aber fast alle heute noch vorhanden sind. Nur vier der bei ihm aus der Zeit vor 1650 verzeichneten Inschriften sind verloren.219) Schaefer hat sich in der Regel um eine buchstabengetreue Wiedergabe der Inschriften bemüht, und seine Abschriften sind im wesentlichen zuverlässig.
Eine Besonderheit im Bestand bilden die Grabdenkmäler in der Stadtkirche zu Michelstadt, deren Inschriften in den Jahren 1861 bis 1862 sowie 1875 erneuert wurden.220) Die heute vorhandenen Texte können nur anhand der Überlieferung von Schneider kontrolliert werden, die jedoch nur minimale Abweichungen aufweist. [Druckseite XXXI]
Einzelne Inschriften sind durch Verzeichnisse in den Archiven, wie etwa eine Glocke aus Michelstadt von 1486 (Nr. 60), oder durch die heimatkundliche Literatur bekannt, wie die Glocke der Erbacher Friedhofskapelle (Nr. 81). Von einigen Inschriften haben sich auch Abgüsse oder Photographien erhalten.221)
Zitationshinweis:
DI 63, Odenwaldkreis, Einleitung, 3. Die Quellen der nichtoriginalen Überlieferung (Sebastian Scholz), in: inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di063mz09e004.
- So enthält das im Stadtarchiv Michelstadt aufbewahrte Manuskript von Philipp Buxbaum über die Stadtkirche und die Friedhöfe in Michelstadt aus dem Jahr 1954 nur Inschriften, die auch heute noch vorhanden sind. »
- Für Fränkisch-Crumbach verzeichnet Stocker, Gemmingen II,3 113-128 in seinem 1881 erschienen Werk eine Reihe von Inschriften, die heute alle noch vorhanden sind; der Text der 1800 von dem Denkmal für Philipp von Rodenstein (Nr. 198) entfernten Inschriftentafeln ließ sich hingegen nirgends nachweisen. »
- Vgl. Nrr. 11, 23, 24, 152, 180, 288. »
- Zur Person vgl. Stälin, Gabelkover, in: Allgemeine Deutsche Biographie 8 (1878) 290f. »
- Klein, Handschriften passim. »
- Zur Arbeitsweise Gabelkovers vgl. DI 41 (Göppingen) XXVf. »
- Dieser Zeitraum ergibt sich daraus, daß Gabelkover die Grabdenkmäler der im Jahr 1574 verstorbenen Angehörigen des Hauses Erbach noch verzeichnet, die Grabplatte für die im April 1576 verstorbene Gräfin Margareta von Erbach und alle späteren Grabdenkmäler aber nicht mehr erwähnt; da es nicht sicher ist, wie lange es dauerte, bis die Grabplatte Margaretas an ihrem Platz niedergelegt wurde, kann der Besuch Gabelkovers aber auch noch einige Zeit nach 1576 stattgefunden haben. »
- Gabelkover, Kollektaneen 447-449. »
- Gabelkover, HStA Stuttgart J1 Nr. 154/27, Umschlag 556, 1r-1v. »
- Zur Person vgl. Höreth, Daniel Schneider und Debor, Daniel Schneider. »
- Schneider, Historie 351f. und Urk. Nr. 45.3, 579f. »
- Vgl. die Nachweise in Anm. 174. »
- Zu seiner Person vgl. Höreth, Johann Philipp Wilhelm Luck. »
- Vgl. etwa Luck, Historische Genealogie 12, Nr. 49 (e) und Nr. 51. »
- Vgl. etwa Nrr. 13, 14, 25, 46, 84, 300. »
- Nrr. 6, 16, 19, 298. »
- Vgl. DI 49 (Darmstadt, Lkr. Darmstadt-Dieburg und Groß-Gerau) XXIV. »
- Zur Person Simons vgl. Höreth, Johann Philipp Wilhelm Luck. »
- Vgl. Nrr. 46, 39, 94, 114. »
- Nrr. 20, 79, 119, 292. »
- Vgl. Gräflich-Erbach-Fürstenauisches Archiv, Akten der Gräflich-Erbach-Fürstenauischen Rentkammer, Titel 1, Vol. 26, Fasc. 11 und dazu Nrr. 167, 172, 206, 216, 250, 299, 300. »
- Nrr. 72, 95a, 101, 273, 309. »