Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 218 St. Nikolai 1643

Beschreibung

Altarretabel. Holz, farbig gefaßt, und Ölgemälde. Das Altarretabel im Chor wurde 1964/65 restauriert.1) Dreigeschossige Aufsatzarchitektur mit reichen Schnitzereien in Knorpelwerk-Ornamentik besetzt mit geflügelten Engelsköpfen und Obelisken, Fassung in Schwarz mit gelblichem und goldfarbenem Zierat. Die beiden unteren Geschosse von Säulen gerahmt, darin als Hauptbild das Abendmahl. Darunter auf der Predella in zwei Spalten als Bildbeischrift die Einsetzungsworte des Abendmahls (A), seitlich des Gemäldes in kleinen Ohrmuschel-Kartuschen an den Retabelwangen Glaubensaussagen in Form rhetorischer Fragen (B und C). Das Gemälde in der Zone darüber zeigt die Auferstehung Christi, in der Giebelkartusche die heilsverheißende Inschrift D. Das Retabel wird bekrönt von einem Kruzifix, am Kreuz der Titulus E. Die Christusfigur stammt aus dem 14. Jahrhundert und wurde am Altar wiederverwendet.2) Bis auf den Kreuzestitulus sind die in Gold auf Schwarz gemalten Inschriften (A–D) in ihrem Buchstabencharakter durch Restaurierungen des 19. Jahrhunderts geprägt, dies gilt insbesondere für Inschrift A. Die ursprüngliche Gestaltung ist an einigen Stellen noch schwach erkennbar. Die Rückseite des Altarretabels trägt in der Mitte in etwa 3 m Höhe in zwei Zeilen eingeschnitzt die Künstlerinschrift F. Der Platz der auf die Gemälde bezogenen Künstlerinschrift G konnte nicht verifiziert werden, auch die Restaurierungsakte der Firma Ochsenfahrt (Paderborn) gibt hierüber keine Auskunft.

Inschrift G nach der Restaurierungsakte der Firma Ochsenfahrt.

Maße: Bu. 2,5 cm, ursprünglich ca. 2 cm (A), ca. 1,5 cm (B–C), ca. 2 cm (D), ca. 4 cm (E), ca. 6–7 cm (F).

Schriftart(en): Fraktur (A–D), Kapitalis (E, F).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/6]

  1. A

    Unser Herr Jesus Christus , in der nacht / da er verraten ward , nam er das Brod , / dankte , brachs und gabs seinen Jüngern / und sprach Nemet hin und essett das ist mein / Leib der für euch gegeben wird , solches / thut zu meinen gedächtnis . // Desselbigen gleichen nam er auch den Kelch / nach dem Abendmahl , dankte , gab ihn den und / sprach Nemet hin , und trinket alle daraus dieser / Kelch ist das neue Testament in meinem Blut / das für euch vergossen wird zur vergebung der / Sünden , solches thut so oft ihrs Trinket zu / meinen gedächtnis . 3)

  2. B

    Das Brod das / wir brechen , / ist das nicht / die gemeinschafft / des leibes Christi 4)

  3. C

    Der gesegnete / Kelch , welchen / wir segnen ist / der nicht die gemein/schaft des Bluts / Christi 4)

  4. D

    Ich bin die Aufferstehung / und das Leben , wer an Mich glaubet / der wird leben ob er gleich stürbe , und / wer da lebet und Glaubet an / mich , der wird nimmermehr / sterben . 5)

  5. E

    I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDAEORVM) 6)

  6. F

    M(EISTER) · HERMAN , VOS / FECIT · 1643

  7. G

    Berendt Wottemau fecit a)

Übersetzung:

Meister Hermann Voß hat (dies) geschaffen 1643. (F)

Berendt Wottemau hat (dies) geschaffen. (G)

Kommentar

Die Künstlersignatur F ist in einer sehr sorgfältig geschnitzten Kapitalis ausgeführt, die A mit senkrechtem rechten Schaft, H mit ausgebuchtetem Querbalken und gerades M mit kurzem Mittelteil sowie Sporen an den Schaft-, Balken- und Bogenenden aufweist.

Der Lemgoer Bildhauer Hermann Voß war hochverschuldet, als ihn der Rat der Stadt im September 1636 als mit dem Wachdienst Beauftragten dafür zur Verantwortung ziehen wollte, daß es den schwedischen Truppen gelungen war, die Stadt einzunehmen. Da ein solcher Vorwurf auf Verrat hinauslief, floh Hermann Voß nach Hameln, wo er sich fünf Jahre lang aufhielt. Dann beglich er seine Schulden und schloß über seine Rückkehr nach Lemgo einen Vertrag mit dem Rat, wonach Voß und seine Ehefrau der Stadt ihr verfallenes Haus in der Stavenstraße (Helle) gegen ein Wohnrecht im Brüderkloster St. Johann überließen und Voß sich verpflichtete, unentgeltlich einen Hochaltar für St. Nikolai und eine Kanzel für St. Marien anzufertigen, zu der die Stadt das Holz liefern sollte (vgl. Nr. 219).7) Unter diesen Voraussetzungen konnte Voß 1641 nach Lemgo zurückkehren.

Textkritischer Apparat

  1. Berendt Woltemate BKD Lemgo und Einzelberichte, vermutlich auf Grundlage der Restaurierungsakte der Firma Ochsenfahrt. Der Nachname könnte auch Wotteman lauten, da eine Verwechslung von u und n in einer möglicherweise kursiven Minuskel naheliegen könnte.

Anmerkungen

  1. Einzelberichte 1962–66, S. 350.
  2. BKD Lemgo, S. 206.
  3. Einsetzungsworte des Abendmahls nach 1 Ko 11,23–26.
  4. 1 Ko 10,16.
  5. Jh 11,25f.
  6. Io 19,19.
  7. Friedrich Sauerländer, Aus dem Leben des Bildschnitzers Voß. In: Lippische Rundschau 15, 1960, Nr. 85 u. 87 (9. und 12. April).

Nachweise

  1. Restaurierungsakte Firma Ochsenfahrt Paderborn, Rechnung von 1965 (G).
  2. BKD Lemgo, S. 206f. mit Abb. 162 u. 163.
  3. Preuß, Alterthümer2, S. 42 (F).
  4. Dreves, Geschichte, S. 336 (F).
  5. Einzelberichte 1962–66, S. 350 (G).

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 218 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006K0021806.