Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 161 Städtisches Museum 1606

Beschreibung

Drei Inschriftentafeln und weitere Teile vom Epitaph des Johannes Blasius.1) Rötlicher und heller Sandstein. Das Epitaph war bis 1958 außen an der Westseite von St. Nikolai rechts vom Portal am Südturm aufgehängt. Ältere Aufnahmen zeigen das Epitaph, dessen Mitte die große Tafel mit Grabbezeugung, Totenlob und Klage (A) bildete, gerahmt von Hermenpilastern2) und Beschlagwerkwangen. Über einem Fries die hochrechteckige Tafel mit der Bezeichnung des Trägers, die zugleich einen Sterbevermerk beinhaltet (B), links und rechts davon in Voluten Medaillons mit Wappenschilden, darüber auf einem Volutengiebel ein von einem Obelisken bekröntes Medaillon mit einem Engelskopf darin. Als Unterhang eine querrechteckige, unten bogig abgeschlossene Tafel mit einem Setzungsvermerk (C).3) Erhalten sind die drei Inschriftentafeln sowie kleinere Reststücke des figürlichen Schmucks, darunter auch das rechte Wappenmedaillon. Alle Inschriften sind erhaben gehauen. Die Inschriften B und C sind stark verwittert.

Inschriften B und C ergänzt nach Fotografie.

Maße: H. 93 cm; B. 83 cm; Bu. 2,5 cm (A). H. 57 cm; B. 36 cm; Bu. 3,4–4 cm (B). H. 46 cm; B. 73,5 cm; Bu. 3,5 cm (C).4)

Schriftart(en): Humanistische Minuskel mit Kapitalis.

LWL-Denkmalpflege, Landschafts- u. Baukultur in Westfalen [1/11]

  1. A

    Hac tumuli solers requiescit BLASIUS urna /Nomine qui clarus Iudicioq(ue) fuit /Impiger a teneris Musarum castra secutus5) , /Doctrinae excultas doctus amavit opes /Extitit hinc Medicus Lemgovia in urbe celebris /Paeonia aegrotos hic ubi juvit ope6) . /Illius ornabat perfecta scientia mores /Egregia multum laudis ab arte tulit /Assidua CHRISTuma) semper pietate colebat /Pauperibus larga contribuitq(ue) manu . /Atq(ue) ubi se DOMIno precibusq(ue) fideq(ue) dicavit , /Sancte animam dixit suscipe CHRIste meam /Sub tellure nigra quamvis sit vermibus esca7) /Attamen aetherei pars modo sancta chori est .b) /Transiit E vivis ad vera palatia vitae8), /Sic tamen ut laudis fama manere queat . /Corpus humo tegitur9) sed spiritus aethere su(m)mo /Co(n)spectu fruitur colloquioq(ue) DEI10) . /

    UMBRA BLASII AD L(ECTOREM) /Cum lachrymis sum vitales productus in aurasc)11) /Pars vitae12) in lachrymis magna peracta fuit /Hinc quoq(ue) cu(m) lachrymis ne no(n) lachrymabile restet /Transferor , ah hominis vita quid est ?13) lachrymae

  2. B

    [EP]ITAPHIUM / [DOCTI] ET CON/[SPICUI V]IRI D(OMI)N[I] / [IO]HANNIS BLASII / [Me]dici Lemgovi-/ensi[s sollerti]ssimi / q[ui obiit 160]6 / 21 . [Februarii] / HORA . 5 . / AETATIS 57 .

  3. C

    [DOCTO ET] CONSPICUO [VIRO / D(OMI)NO IOH]AN[NI BLASI]O [MEDICO so/lertissimo , et] v[erae] Relligionis [Asser=/tori constanti , Pia ac] hon[esta ma/trona M]argareta Meiger[s , Vidua / relicta , a]d testificandum Am[orem / conju]g[ale]m hoc Monu[mentum / spem glor]iosae Resure[ctionis mae/rens dol]en[sque sacravit .]

Übersetzung:

In dieser Grabstätte ruht der kunstfertige Blasius, der durch Namen und Urteilsvermögen berühmt war. Unermüdlich folgte er von Jugend an dem Heerlager der Musen, und als Gelehrter liebte er die feinen Schätze der Gelehrsamkeit. Daher tat er sich in der Stadt Lemgo als berühmter Arzt hervor, hier, wo er mit paianischem Dienst (d.h. ärztlicher Tätigkeit) den Kranken half. Vollendetes Wissen schmückte seinen Charakter, durch seine herausragende Kunst erntete er viel Lob. Christus verehrte er immer mit beständiger Frömmigkeit und spendete den Armen mit freigebiger Hand. Und nachdem er sich dem Herrn durch Gebete und Glauben geweiht hatte, sprach er: „Heiliger Christus, empfange meine Seele.“ Wenn er auch unter der dunklen Erde den Würmern zum Fraß dient, ist er jetzt trotzdem heiliger Teil des ätherischen Chores. Er ist von den Lebenden hinübergegangen zum wahren Palast des Lebens, jedoch so, daß der Ruhm seines Lobes zu überdauern vermag. Sein Leib wird von Erde bedeckt, aber sein Geist genießt im höchsten Äther Anblick und Gespräch Gottes.

Der Schatten des Blasius an den Leser: Unter Tränen bin ich an die Lebensluft gebracht worden, ein großer Teil meines Lebens ist unter Tränen verbracht worden, von hier aus gehe ich auch, damit nichts ohne Tränen bleibt, unter Tränen hinüber. Ach, was ist des Menschen Leben? Tränen. (A)

Epitaph des gelehrten und herausragenden Mannes, Herrn Johannes Blasius, des höchst kunstfertigen Lemgoer Arztes, der 1606 am 21. Februar zur fünften Stunde starb, seines Alters 57 (Jahre). (B)

Dem gelehrten und herausragenden Mann, Herrn Johannes Blasius, dem höchst kunstfertigen Arzt und beständigen Verfechter der wahren Religion, weihte die fromme und ehrbare Gattin Margaretha Meier als zurückgelassene Witwe zur Bezeugung der ehelichen Liebe trauernd und leidend dieses Denkmal als Hoffnung auf die glorreiche Auferstehung. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (A).

Wappen:
Blasius14)Meier15)

Kommentar

Die humanistische Minuskel mit vereinzelten Worten in Kapitalis (A) bzw. mit Anfängen der Inschriften in Kapitalis (B, C) ist schrägliegend (A, B) oder senkrecht ausgerichtet (C) ausgeführt. Die schrägliegende Inschrift A entspricht den ebenfalls in schrägliegender humanistischer Minuskel ausgeführten Inschriften der Epitaphien für Johann und Dietrich Cothmann (Nr. 156 u. 160). Kennzeichnend sind das einstöckige a, das kleine, im Bereich des Mittelbandes bleibende t mit nach rechts ansetzendem Balken in Form eines Sporns, unter die Grundlinie ausgezogenes, geschwungenes f und Schaft-s und der unter die Grundlinie ausgezogene Bogen des h. Am Ende der Inschrift A ein früher Beleg für die Verwendung des Fragezeichens in Inschriften. Die Kombination von humanistischer Minuskel und Kapitalis in den Inschriften B und C findet sich ebenso wie die senkrecht ausgerichtete humanistische Minuskel mit zweistöckigem a und auf der Zeile endendem f und Schaft-s in Inschrift C in gleicher Ausführung in den Inschriften des Epitaphs Nr. 156. Die drei Epitaphien Nr. 156, Nr. 160 und Nr. 161 dürften daher der gleichen Werkstatt entstammen. Meier und BKD Lemgo schreiben die Epitaphien Georg Crosmann zu, ohne daß sich dies an Quellen belegen ließe.16)

Der Arzt Johannes Blasius wurde im Jahr 1587 als Lemgoer Bürger aufgenommen.17) Blasius, der in erster Ehe mit der Tochter des Jakob Bockler verheiratet war, heiratete nach deren Tod 1587 Margarethe Meier.18) Nach Waldeyer verklagte Blasius 1588 eine Frau, mit der seine Ehefrau in Streit geraten war, und bezichtigte sie der Hexerei.19)

Textkritischer Apparat

  1. Das H in den Versal C eingestellt.
  2. Das letzte Wort dieser Zeile am Ende der folgenden Zeile mit Klammer eingefügt.
  3. s über a nachgetragen.

Anmerkungen

  1. Inv.Nr. 85/2704, 85/2714, 85/2728, 85/2748 (Lapidarium).
  2. Die beiden Hermenpilaster, links in männlicher und rechts in weiblicher Gestalt, sind ein gängiges Motiv der zeitgenössischen Epitaphien, und nicht, wie Waldeyer (Arzt, S. 55f.) annimmt, als Bildnisse des Verstorbenen und seiner Ehefrau aufzufassen.
  3. BKD Lemgo, S. 224, Abb. 185 (Zustand vor 1958).
  4. Die Maße des Epitaphs: H. 325 cm; B. 158 cm (BKD Lemgo, S. 223).
  5. castra ... secutus:. formelhaft, vgl. Mastandrea, De fine versus 1, S. 112; Hex.-Lex. 1, S. 297f.
  6. Ovid, Met. 15, 535: ope Paeonia.
  7. vermibus esca: formelhaft, vgl. Hex.-Lex. 5, S. 570.
  8. Die vera palatia vitae meinen die palatia caeli, in denen der Verstorbene im Angesicht Christi das ewige Leben genießt. Vgl. Cyprianus von Karthago, Epistula ad Turasium (CCL III C, S. 650): Et ut ad palatia caeli, ad studia Christi, ad honorem vitae perpetuae... valeant pervenire, und Alkuin, carm. 72, V. 10f.: Et vos deducant per magna palatia caeli / Qua Christum laeti cernatis perpete visu.
  9. Corpus humo in Verbindung mit einem Verb ist formelhaft, vgl. z. B. Hex.-Lex. 1, S. 486.
  10. Geläufiger Topos in der christlichen Dichtung, vgl. dem Sinn nach etwa Alkuin, carm. 88, I V. 2: Corpus terra tegit, spiritus astra petit.
  11. vitales ... auras:. formelhaft für die diesseitige Lebenswelt, in der Dichtung vor allem für den Beginn des Lebens (siehe z. B. Laus Pisonis 160) und sein Ende (siehe z. B. Walter von Chatillon, Alex. 7, 52f.).
  12. Pars vitae formelhaft, siehe z.B. Ovid, trist., 5, 5, 22.
  13. hominis vita quid est? vgl. Nigellus de Longo Campo, Passio Laurentii 491: Vita quid est hominis nisi mors.
  14. Wappen Blasius (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 25).
  15. Wappen Meier (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 26).
  16. Meier, Rathaus, S. 22. BKD Lemgo, S. 223.
  17. Bürgerbuch, Nr. 1689. Seine freie Geburt bezeugten der Drost und Rentmeister von Limborg, der Bürgermeister Dietrich Cothmann und Franz von der Lippe.
  18. Zu seiner Biographie ausführlich: Waldeyer, Arzt, passim. Waldeyer (ebd., S. 58) schließt aufgrund einer falschen Lesung der Inschrift A – Paeotia statt Paeonia – darauf, daß Blasius in seinen letzten Lebensjahren sehr krank gewesen sei. Hierfür bietet die Inschrift jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Hierzu Hanns Peter Fink, Das Epitaph für den Lemgoer Arzt Johann Blasius. In: HL 77, H. 3, 1884, S. 90f.
  19. Waldeyer, Arzt, S. 58f.

Nachweise

  1. Fotografie, undat., WAfD Münster (Foto Ohle Lemgo).
  2. Zeichnung v. H. Wilkens, dat. 1876, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 37.
  3. BKD Lemgo, S. 223f. mit Abb. 185.
  4. Waldeyer, Arzt, S. 56 (fehlerhaft).

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 161 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006K0016105.