Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 154 Mittelstr. 74 1603

Beschreibung

Kaminsturz. Das Fragment gehörte zu einem Kamingewände aus dem Vorgängerbau des heutigen Hauses Mittelstr. 74. Bei dessen Neuerrichtung 1907 wurde es zunächst an der Gartenseite des Hinterhauses angebracht und nach dem Zweiten Weltkrieg im Erdgeschoß des neuen Gebäudes im Hausflur eingemauert.1) Die querrechteckige Reliefplatte aus hellem Sandstein mit moderner bräunlicher Fassung2) besitzt keine Rahmung, nur unten Reste eines Abschlußprofils mit Kehle über Perlstab. Die beiden unteren Plattenecken und die seitlichen Abschlüsse fehlen, die Oberkante ist unregelmäßig abgebrochen, die Oberfläche stellenweise stark bestoßen bzw. verwittert. Zwei der ursprünglich vier Hermenpilaster unterteilen den Sturz in drei Felder, der breitere Mittelteil trägt ein Gebet (A) in einer querrechteckigen Rollwerktafel. In deren beiden unteren Rahmenecken ist das Datum B auf zwei kleine eingetiefte Schriftfelder verteilt. In den Seitenfeldern des Sturzes präsentiert jeweils ein Putto mit Fruchtbündel ein Wappen mit Initialen (C, D). Sämtliche Inschriften sind erhaben auf eingetieftem Grund ausgeführt, in Grau auf Blau (A) und in Gold auf Braun (B) oder Blau (C, D) gefaßt.

Maße: H. 52 cm; B. 290 cm; Bu. 4 cm (A, B), 6–7 cm (C, D).

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/4]

  1. A

    O IESV CHRISTGESTORVEN BISTAM CRVTZES / STAMO GADES LAMDIN WVNDEN RODTIN ALER / NODTDIN DVRBAR BLODTKAME MI THO GVDT /DIN LIDEN VND STERVENMAKE MI THOM ERVEN /IN DINEM RIKEDINEN ENGELN GELICKAMEN

  2. B

    AN(N)O // 1603

  3. C

    A(lhard) // V(ahle)

  4. D

    I(lsabein) // S(prute)

Übersetzung:

O Jesu Christ, du bist am Kreuzesstamm gestorben, o Gottes Lamm. Deine roten Wunden und dein kostbares Blut mögen mir in aller Not helfen. Dein Leiden und Sterben mache mich zum Erben in deinem Reich den Engeln gleich. Amen. (A)

Versmaß: Deutscher Reimvers (A).

Wappen:
Vahle3)Sprute4)

Kommentar

Der 1603 datierte Kaminsturz gilt als möglicher Anhaltspunkt für die Datierung des 1907 abgebrochenen Hauses Mittelstr. 74, dessen Bauherren anhand der Initialen als Alhard Vahle d. Ä. und Ilsabein Sprute identifiziert werden.5) Aufgrund der qualitätvollen Bildhauerarbeit wird die Zuschreibung des Kaminsturzes an Georg Crosmann erwogen.6)

Die niederdeutschen Reimverse haben den Charakter eines Gebetes, sie vergegenwärtigen das Passionsgeschehen, Christi Opfertod am Kreuz, der die Menschen zu Erben des Gottesreiches macht. Bestimmte Leitbegriffe und Motive, die das Leiden und Sterben des Gekreuzigten betonen, begegnen ähnlich im zeitgenössischen evangelischen Kirchenlied.7)

Anmerkungen

  1. BKD Lemgo, S. 857f.
  2. Die Fassung wurde nach 1945 ausgeführt (freundliche Auskunft der Eigentümerin).
  3. Wappen Vahle (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 52).
  4. Wappen Sprute (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 53).
  5. BKD Lemgo, S. 857. Eine Verbindung der beiden Eheleute mit dem Haus Mittelstr. 74 (Slaver Bauerschaft 6) hat sich archivalisch nicht feststellen lassen. Der Zeitpunkt ihrer Eheschließung ist nicht bekannt. Im Jahr 1611 war Alhardt Vahle bereits verstorben, vgl. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Vahle, Spruthe) u. A 6123, Erbschaften: Vahle, 30. Oktober 1611.
  6. BKD Lemgo, S. 859.
  7. Vgl. etwa das Lied Wir danken dir, Herr Jesu Christ, daß du für uns gestorben bist, verfaßt von Christoph Fischer, Hofprediger und Generalsuperintendent in Celle († 1600), erster nachweisbarer Druck Bremen 1589, in Niederdeutsch; ältere handschriftliche Überlieferung von 1568. Dazu: Hdb. EKG, Bd. III/1, S. 281–283; Sonderband, S. 107f. Den Versen 1–4 des Lemgoer Kaminspruchs vergleichbar sind die Strophen 1–2: Wir danken dir, Herr Jesu Christ, daß du für uns gestorben bist und hast uns durch dein teures Blut gemacht vor Gott gerecht und gut, und bitten dich, wahr Mensch und Gott, durch deine heilgen Wunden rot, erlös uns von dem ewgen Tod und tröst uns in der letzten Not. Evangelisches Gesangbuch für Rheinland und Westfalen, Dortmund 1901, Lied Nr. 37. – Zum Gedanken der letzten vier Verse vgl. Gal 4,7 (Kinder Gottes sind auch Erben Gottes durch Christus) und Jak 2,5 (Gläubige sind Erben des von Gott verheißenen Reichs).

Nachweise

  1. BKD Lemgo, S. 858f. mit Abb. 1048.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 154 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006K0015408.