Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 153(†) St. Marien 1603

Beschreibung

Zwei Inschriftentafeln sowie weitere original erhaltene Bestandteile vom Epitaph des Bürgermeisters Dietrich Cothmann. Rötlicher Sandstein. Das Epitaph wurde bereits 1730 im Zusammenhang eines Gerichtsprozesses (vgl. dazu Nr. 11) demontiert, dabei ging ein Teil des Epitaphs, der die Inschrift E trug, verloren. Die Reste hingen früher an der Südseite der Kirche, jetzt im Innern an der Westwand des nördlichen Kirchenschiffs. Über die ursprüngliche Gestaltung des Epitaphs läßt sich nichts Genaues sagen, es ist jedoch anzunehmen, daß sein Aufbau in etwa mit dem des Epitaphs von Heinrich Flörke (Nr. 172) übereinstimmte. Erhalten sind die hochrechteckige Tafel des Mittelteils mit den Inschriften A bis C (von oben nach unten), der mit Engelsköpfen und Rosetten besetzte Fries darüber sowie der Aufsatz in Form einer von Beschlagwerkleisten gerahmten und mit einem Giebel besetzten Inschrifttafel (D), die außen von Rollwerk mit Vollwappen darin abgeschlossen wird. Beide Tafeln tragen Bekenntnisse des Auferstehungsglaubens (A–D). Unter den Wappen Schriftbänder mit Beischriften (E), im rechten Wappenschild Buchstaben (F). Oben auf dem Giebel Totenköpfe und eine Sanduhr, im Giebel ein Engelskopf. Alle Inschriften sind erhaben ausgeführt. Das Epitaph trug auf dem Unterhang einen Setzungsvermerk (G), der nur noch in kopialer Überlieferung vorliegt.

Inschrift G nach Sta Lemgo, A 7333.

Maße: H. 205 cm; B. 155 cm; Bu. 3,5 cm (A–D), 2,5 cm (E).

Schriftart(en): Humanistische Minuskel und Kapitalis mit Versalien (A–D), Kapitalis (E, F).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/2]

  1. A

    SAPIENT CAPITE . 3 / Iustorum Animae in manu DEI sunt , nec / eos cruciatus attingit . videntur quidem / insipientium iudicio mori , et malus pu/tatur eorum exitus , et discessus a no=/bis calamitosus . ipsi vero sunt in pace . 1)

  2. B

    HIOB CAPITE . 19 . / Scio quod Redemptor meus vivit , et / in novissimo die de terra Resurrecturusa) / sum ; et rursum circumdabor pelle mea / et in carne mea videbo DEum : que(m) / visurus sum ego ipse , et oculi mei / conspecturi sunt , et non alius : 2)

  3. C

    PSALM . 4 . / In pace pariter accubabo , et dormiam : / quia tu IEHOVA solvs confidenter habitare / facies me 3)

  4. D

    [Io]ha 11 · EGO SUM / RESURRECTIO ET VI=/ta , qui credit in me / etiamsi mortuus fu=/erit , vivet , et omnis / qui vivit , et cre=/dit in me , non / morietur in / aeternum . 4) / ANNO M Db) CIII

  5. E

    COTHMAN // DERENDAL

  6. F

    CC

  7. G†

    D(omino) Diederico Cothman Godescalci Filio patri dulcissimo viro bono de Ecclesia et Republica praeclare merito die XX Martii Anno M D CI ex hoc ergastulo5) postquam in eo Annos LXXIII complesset in libertatem aeternam evocato gratitudinis ac pietatis debitae ergo ponendum curavit Filius charissimus Ernestus Cothman juris Doct(or) et professor in Accademia Rostochiensi anno M D CIII Mense Aprili

Übersetzung:

Weisheit im Kapitel 3: Die Seelen der Gerechten sind in der Hand Gottes und keine Qual berührt sie. Zwar scheinen sie nach dem Urteil der Toren gestorben zu sein, und ihr Tod wird für ein Übel gehalten und ihr Fortgang von uns für verderblich. Sie selbst aber sind in Frieden. (A)

Hiob im Kapitel 19: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt und ich werde am Jüngsten Tag aus der Erde auferstehen, und ich werde wieder mit meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen. Denselben werde ich sehen, und meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. (B)

Psalm 4: Ich werde gleichsam in Frieden ruhen und schlafen, denn du, Gott, allein wirst bewirken, daß ich sicher wohne. (C)

Johannes 11: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, wenn er auch stürbe, und wenn er lebt und an mich glaubt, wird er nicht sterben in Ewigkeit. (D)

Dem Herrn Dietrich Cothmann, Sohn des Gottschalk, dem allerliebevollsten Vater, dem rechtschaffenen Mann, der sich auf hervorragende Weise verdient gemacht hat um Kirche und Gemeinwesen, der am 20. März des Jahres 1601 aus diesem Kerker, nachdem er darin 73 Jahre vollendet hatte, in die ewige Freiheit gerufen wurde, hat sein überaus geliebter Sohn Ernst Cothmann, Doktor und Professor des Rechts an der Universität Rostock, aus Dankbarkeit und schuldiger Liebe (dies) im Jahr 1603 im Monat April setzen lassen. (G)

Wappen:
Cothmann6)Derental7)

Kommentar

Die Bibelzitate des Epitaphs sind abwechselnd in schrägliegender und senkrecht stehender humanistischer Minuskel ausgeführt und dadurch voneinander abgehoben. Abgesehen von v, das in der schrägliegenden Form aus gerader linker und gebogener rechter Haste besteht, weisen beide Schriften dieselben Merkmale auf. Die Hasten enden zumeist in kleinen Sporen, f und Schaft- s auf der Zeile. Charakteristisch sind die unten in kleinen Häkchen endenden Hasten von d und u, sowie die entsprechende Gestaltung der oberen Hastenenden bei m, n und r. Besonders auffällig ist auch das in das Mittelband gestellte g in Form einer 8, wobei die Doppelschlinge mit einem freien Ende links unterhalb der kleineren oberen Schlinge ansetzt und in einem freien Ende ausläuft, das über den Ansatz hinausgeführt ist. Das t ist ebenfalls ins Mittelband gestellt, während p und q unter die Grundlinie reichen. Der Balken des t ist als kleiner Sporn gestaltet, x mit gerader Linksschräg- und geschwungener Rechtsschräghaste.

Die Zuschreibung des Epitaphs an den Bildhauer Georg Crosmann8) läßt sich durch einen Schriftvergleich mit der in humanistischer Minuskel ausgeführten Künstlerinschrift auf der Taufanlage von St. Nikolai (Nr. 128) trotz gewisser Übereinstimmungen nicht endgültig erhärten. Dort zeigen die Hasten nicht die beschriebenen Häkchen, sondern sind lediglich gebogen, g und t sind anders gestaltet, und die Buchstaben p und q der Künstlerinschrift sind weitgehend ins Mittelband gestellt. Angesichts des anhand der Taufanlage konstatierten großen Formenrepertoires der Schriften aus der Crosmann-Werkstatt spricht dies jedoch auch nicht gegen eine Entstehung in dieser Werkstatt.

Dietrich Cothmann war der Sohn des schon 1529 verstorbenen Gottschalk Cothmann und der Ilsabe Derental, die später den Lemgoer Bürgermeister Ernst von der Wipper heiratete (vgl. Nr. 119).9) Seit 1567 fungierte Dietrich Cothmann als Vorsteher der Marienkirche, von 1582 bis zu seinem Tod im Jahr 1601 ist er als Bürgermeister nachzuweisen.10) In erster Ehe war er mit Catharina Grothe verheiratet, in zweiter Ehe mit Agnes von der Lippe. Der in der Inschrift E genannte Sohn Ernst, der die Errichtung des Epitaphs veranlaßte, stammte aus erster Ehe. Seiner Leichenpredigt zufolge studierte Ernst Cothmann in Helmstedt, Marburg, Rostock und Wittenberg beide Rechte und erwarb in Rostock seinen Doktortitel.11) Ernst Cothmann fungierte als fürstlich mecklenburgischer Rat und Kanzler und war an der Universität Rostock als Professor und Syndikus tätig. Er starb dort am 13. April 1624.12)

Fink weist auf eine Übereinstimmung der Psalm-Version der Inschrift C mit einer lateinischen Übersetzung aus dem Urtext durch den Dominikaner Sante Pagnini hin.13) Der von der Vulgata abweichende lateinische Text entspricht jedoch auch dem deutschen Text der Lutherbibel, so daß eine Übersetzung aus der Lutherbibel ins Lateinische naheliegt. Dies bestätigt sich mit Blick auf das Sapientiazitat, für das Fink keine lateinische Vorlage fand. Hier liegt eine eindeutige Übereinstimmung mit dem Luthertext vor. Auch im Hinblick auf die Gestaltung des Epitaphs, die das Bibelwort ganz im Sinne Luthers in den Mittelpunkt rückt, muß eine Suche nach ‚katholischen‘ Vorlagen abwegig erscheinen.

Textkritischer Apparat

  1. Das letzte s aus Platzgründen kleiner.
  2. Neulateinische Zahlzeichen.

Anmerkungen

  1. Nach der Lutherbibel Wsh 3,1–3 ins Lateinische übertragen.
  2. Iob 19,25–27.
  3. Nach der Lutherbibel Ps 4,9 ins Lateinische übertragen.
  4. Io 11,25f.
  5. Ergastulum ist hier im übertragenen Sinne zu verstehen als Kerker des irdischen Lebens im Gegensatz zur Freiheit des ewigen Lebens nach dem Tode (vgl. Blaise, Vocabulaire latin, S. 540 § 402).
  6. Wappen Cothmann (CC bekrönt). Zu dem Wappen vgl. Nr. 11.
  7. Wappen Derental (gespalten, rechts halber Flug mit Rose belegt, links Balken).
  8. BKD Lemgo, S. 311. Zur Schrift und Zuschreibung an Crosmann abweichend Fuhrmann, Humanistische Minuskel, S. 104–106, der die Übereinstimmungen betont.
  9. Die biographischen Angaben nach Gerlach, Cothmann, S. 18.
  10. Bürgerbuch Nr. 10166 (1582) ff. bis Nr. 10360 (1601).
  11. Roth, Auswertungen, Nr. 3736. Nachweisen läßt er sich in den Matrikeln von Helmstedt 1577 (Bd. 1, S. 13, Nr. 14), von Marburg 1578 (S. 26, Z. 34); in der Rostocker Matrikel 1581 erstmals als Professor und Syndikus (S. 205a, Z. 17), in dieser Funktion bis 1624 verschiedentlich nachgewiesen; in der Matrikel Wittenberg 1585 (Bd. 2, S. 330b, Z. 33/34).
  12. Angaben nach der Leichenpredigt bei Roth, Auswertungen, Nr. 3736.
  13. Fink, Epitaphien, S. 164.

Nachweise

  1. Sta Lemgo, A 7333 (D).
  2. Dewitz, Zeichnung, dat. 1880, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 72,1 (B).
  3. BKD Lemgo, S. 311f. (C, D) mit Abb. 340.
  4. Fink, Epitaphien, S. 163f. u. Abb. 1, S. 162.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 153(†) (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006K0015302.