Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 138 Weserrenaissance-Museum Schloß Brake um 1600?

Beschreibung

Zwei Täfelungsbretter. Nadelholz, bemalt, mit Teilvergoldung.1) Beide Bretter wurden 1987 in der Braker Schloßkapelle bei der Entfernung einer im 19. Jahrhundert eingezogenen Zwischendecke entdeckt. Sie waren unter die Deckenbalken genagelt. Die querrechteckigen Bretter unterschiedlicher Größe sind mit Nut- und Feder-Anschlüssen versehen. Sie tragen einen gemalten Ornamentrahmen aus weißem, grau schattierten Beschlag- und Rollwerk auf grünem Grund, innen ein goldener Rahmen. Darin jeweils in zwei durch ein Ornament getrennten Spalten die Inschriften A und B, vermutlich ursprünglich Bildbeischriften. Die Bretter, die für die Verwendung in der Kapellendecke neu zugeschnitten wurden, unterscheiden sich im Erhaltungszustand. Das größere Brett (A) ist bis auf die rechte untere Ecke des Ornamentrahmens vollständig und bereits restauriert. Dem kleineren Gegenstück (B) fehlt der obere Teil bis zur ersten Schriftzeile und etwa ein Drittel seiner ursprünglichen Länge, die Zeilenanfänge der linken Spalte sind dadurch verloren. Die Vergoldung der auf dunkelblauem Grund stehenden Buchstaben ist großenteils abgeblättert, die beschädigten Buchstaben sind teilweise schwarz eingefärbt oder in den Umrissen der Vorzeichnung zu erkennen. Die ‚schwarze‘ Version weist Fehler auf, die offenbar später in Gelb korrigiert wurden.

Maße: H. 83 cm; B. 403 cm (A). H. 49 cm; B. 297 cm (B). Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/11]

  1. A

    APRV(M) GERIONEMQ(VE)a) SIMVL DOMATb) IMPIGER HEROS : /HVNCc) SOCISd) , ILLVM VIRIBVSc) , ARTE , NIVE , //SIC TRIPLEX ANIMVSf) , VITA , SENSVg) , RATIONE , /NI CEDATf) MONITIS , BELLVA VASTAT AGROS .

  2. B

    [ – – – ] REPETIT TIRINTHIVSh) CIRCO[ – – – ] SIMVL , CERBEREi) , TEQ(VE) SIMVL //INVIAf) VIRTVTI NVLLA EST VIA : 2) SEQ(VE) , ALIOSQ(VE) /VINDICATf) , IMMEMORES NEC SINIT ESSE SVI .

Übersetzung:

Der unermüdliche Held bezwingt den Eber und Geryon zugleich, diesen mit Gefährten(?), jenen mit Körperkräften, List (und) Schnee. Wenn so der dreifache Geist mit Seele, Gefühl (und) Verstand nicht den Ermahnungen weicht, verwüstet das Untier die Felder. (A)

... [Cerberus] holte der Tiryntier (Herakles) im Ring(kampf) wieder ... sowohl ... als auch dich, Cerberus. Der Tugend ist kein Weg unwegsam, sich und andere schützt sie und läßt nicht zu, daß man ihrer vergißt. (B)

Versmaß: Elegische Distichen.

Kommentar

Die Versanfänge und Namen beginnen jeweils mit einem Versal. Die breit ausgeführte Kapitalis zeigt ausgeprägte Sporen, Wechsel von Haar- und Schattenstrichen bei A, N und V sowie Bogenverstärkungen des kreisrunden O und Q. Interpunktion durch Punkte, Quadrangeln und Kommata. Bei den Brettern dürfte es sich um die Reste einer Saaldecke handeln, auf der die Taten des Herakles jeweils paarweise dargestellt, durch Beischriften kommentiert und im Sinn allgemeiner Lebensweisheiten ausgedeutet wurden. Die beiden erhaltenen Inschriften beziehen sich auf die Bezwingung des Erymanthischen Ebers, den Herakles in ein Schneefeld trieb, um ihn zu fangen, auf die Tötung des Geryon, dessen Rinderherde Herakles dem Eurystheus brachte, und auf den Höllenhund Cerberus, den Herakles in einem Ringkampf überwältigte.3) Die Herakles-Sage als Illustration verschiedener Tugenden war in der Zeit der Renaissance beliebt.4) Als Auftraggeber kommt Simon VI. zur Lippe in Betracht und damit eine Datierung auf die Zeit um 1600.5)

Textkritischer Apparat

  1. So in Gelb korrigiert, in Schwarz GERIIONEMQ(VE).
  2. A klein in Gelb eingefügt.
  3. In Gelb die richtige Version, in Schwarz NVNC.
  4. In Schwarz SOCII, der letzte Buchstabe in Gelb zu S korrigiert. Vom Versmaß her erforderlich wäre SOCIIS. Allerdings besiegte Herakles den Geryon nicht mit Hilfe von Gefährten, sondern alleine. Zu erwarten wäre hier das lateinische Äquivalent für ‚mit einem Pfeil‘.
  5. B korrigiert aus P durch Hinzufügen eines unteren Bogens in Gelb.
  6. Ab hier bis zum Zeilenende in Gelb.
  7. Zweites S aus einem nicht sicher identifizierbaren Buchstaben korrigiert.
  8. Farbe ab dem N bis zum Zeilenende fast vollständig abgeblättert.
  9. Farbe ab hier bis zum Zeilenende fast vollständig abgeblättert.

Anmerkungen

  1. Inv.Nr. S 202/88 (Schausammlung: Brett mit Inschrift A. Magazin: Brett mit Inschrift B).
  2. INVIA ... VIA Ovid, Metamorphosen 14,113.
  3. Vgl. u. a. Herbert Hunger, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Wien 41955, S. 140f.
  4. Vgl. bes. DI 36 (Stadt Hannover), Nr. 25. Am Erker des Hannoverschen Rathauses befand sich ein ausführliches Bildprogramm mit Taten des Herakles, die ebenfalls in je zwei Distichen kommentiert und in eine allgemeine Lehre umformuliert wurden. Die Texte stimmen mit den Lemgoer Inschriften nicht überein, obwohl dieselben Taten behandelt werden.
  5. Kat. Renaissance, Nr. 700, S. 406.

Nachweise

  1. Kat. Renaissance, Nr. 700, S. 406.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 138 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0013802.