Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 131(†) Mittelstr. 29 1598

Beschreibung

Inschriftstein. Zweigeschossiges Steinhaus mit schlichtem Dreiecksgiebel. 1955 wurde bei der Fassadenrenovierung zusammen mit Resten von Fenstergewänden auch ein Stein aufgedeckt, der zwei Sprichwörter und ein Datum trug und heute wieder überputzt ist. Der genaue Anbringungsort ist unbekannt. An der Fassade ist eine damals angefertigte Teilkopie des Inschriftsteins angebracht.1)

Inschriften nach BKD Lemgo.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/1]

  1. A

    VERITAS ODIVM PARIT . 2)

  2. B

    PATIENTIA VINCIT OMNIA . 3)

  3. C

    ANNO 1598

Übersetzung:

Die Wahrheit gebiert den Haß. (A)

Die Geduld überwindet alles. (B)

Kommentar

Das Haus war nach Ausweis der Jahreszahl 1514 (vgl. Nr. 30), die erst 1983 im Gewände des Saaleingangs entdeckt wurde, bereits im früheren 16. Jahrhundert im Bau. Ausgehend von der Jahreszahl an der Straßenfront und den dort 1955 entdeckten Gewänderesten wird für 1598 ein Fassadenumbau vermutet. Besitzer des Hauses war im 16. Jahrhundert die Familie Erpbrockhausen, deren Wappen im Scheitel der rundbogigen Hofeinfahrt links neben dem Gebäude angebracht ist. Um 1600 gehörte das Haus sehr wahrscheinlich Johann Erpbrockhausen (* 1547, † 1619), Advokat und Lemgoer Weinherr. Aufgrund der konfessionellen Auseinandersetzung zwischen dem lippischen Landesherrn und der Stadt Lemgo wurde Johann Erpbrockhausen 1599 zeitweilig seiner städtischen Ämter enthoben.4) Vor diesem Hintergrund erklärt sich vielleicht auch die Wahl der lateinischen Sprüche, die angesichts mit Haß gestrafter Wahrhaftigkeit auf die alles überwindende Geduld verweisen.

Die ausführliche Fassung des ersten Spruchs Obsequium amicos, veritas odium parit (‚Nachgiebigkeit schafft Freunde, die Wahrheit bringt Haß.‘) geht auf Terenz zurück.5) Dieses Sprichwort ist als Hausinschrift für ein zerstörtes Paderborner Fachwerkhaus des 16. Jahrhunderts belegt.6) Der zweite Spruch begegnet in der Kurzform Patientia vincit oder Patientia vinco auch als Devise und erinnert an Vergils Omnia vincit amor, das ebenfalls als Devise belegt ist, entweder als wörtliches Zitat oder in umgekehrter Reihenfolge Amor omnia vincit.7)

Anmerkungen

  1. Der Stein mit der Inschrift VERITAS . ODIUM . PARIT . 1598 ist über den mittleren Fenstern des zweiten Geschosses eingemauert. Vgl. BKD Lemgo, S. 804f. mit Abb. 963.
  2. Walther, Proverbia sententiaeque, Bd. 5, Nr. 33157k; Bd. 9, Nr. 44224c. Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 348. In ausführlicher Form lautet der erste Spruch: Obsequium amicos, veritas odium parit. Vgl. Walther, Proverbia sententiaeque, Bd. 3, Nr. 19648; Bd. 8, Nr. 39153. Vgl. a. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 4, Sp. 1754f., Nr. 211; Bd. 5, Sp. 243.
  3. Walther, Proverbia sententiaeque, Bd. 3, Nr. 20833f.; Bd. 9, Nr. 39415b1. Vgl. a. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 1, Sp. 1403f., Nr. 69.
  4. Zur Besitzgeschichte, Baugeschichte und Biographie des Eigentümers um 1600 vgl. den Artikel: Haus Rehme älter als die Jahreszahl der Fassade. In: LH 6, 1983, S. 24–26 (Resümee der Forschungen von Fritz Waldeyer). Kurze Hinweise auch bei Kaspar, Bauen, S. 157 zu Abb. 157.
  5. In medias res. Lexikon lateinischer Zitate und Wendungen, hg. v. Ernst Bury (Digitale Bibliothek 27), Berlin 1999, S. 7520, Nr. 7466: Terenz, Andria, 68. Laut Fink, Hausinschriften, S. 77, war der Terenzvers schon in der Antike sprichwörtlich; mit Verweis auf Cicero, Laelius de amicitia 89; Quintilian, Institutio oratoria 8,5,4. Der Hinweis in LH 6, 1983, S. 25, dieses Sprichwort sei ein Zitat nach Erasmus von Rotterdam, läßt sich anhand der einschlägigen Nachschlagewerke nicht bestätigen.
  6. Das reich beschnitzte Fachwerkhaus Am Abdinghof 18 in Paderborn, entstanden ca. 1541–1557, trug mehrere Inschriften. Es wurde 1945 durch Brand zerstört. Vgl. Paul Michels, Paderborner Inschriften, Wappen und Hausmarken, Paderborn 1957, S. 147f.
  7. Dielitz, Wahl- und Denksprüche, S. 235. Vergil, Eclogae, 10,69.

Nachweise

  1. Zeichnung, spätes 19. Jh., Dewitz zugeschr., LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, 4 L 100,2 (unvollständig).
  2. Hausinschriften in Lemgo. In: Lemgoer Sonntagsblatt 1880, Nr. 5, 31. Oktober.
  3. Preuß, Alterthümer2, S. 66.
  4. Rädeker, Häuser, S. 70.
  5. BKD Lemgo, S. 804.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 131(†) (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0013106.