Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 128 St. Nikolai 1597

Beschreibung

Taufanlage, bestehend aus Taufstein mit hölzernem Deckel und steinerner Einfassung. Heller Sandstein und Holz, farbig gefaßt. An der Ostwand im Südchor, bis um 1863 am ursprünglichen Standort im südlichen Querhausarm neben dem südöstlichen Vierungspfeiler. Holzdeckel an Kugelkette über schmiedeeisernen Schwenkarm beweglich. Die Farbfassung von 1923, restauriert 1964/65 und 1973.1) Die siebenseitige Einfassung mit gewinkelten Eckpfosten schließt beidseitig an das Kerssenbrock-Epitaph (Nr. 87) an der Chorwand an und öffnet sich nach Westen mit einem giebelbekrönten Portal. Sie trägt eine Reihe von Bibelzitaten zum Taufthema. Auf dem Giebel des Portals in der Mitte Christus mit zwei Kindern zwischen den Aposteln Petrus und Paulus, in einer Rollwerkkartusche im Giebel ein Vers aus dem sog. Kinder-Evangelium (A). Seitlich der rundbogigen Türöffnung sind in der Rahmung über zwei gekuppelten korinthischen Säulen links Christus mit Weltkugel, rechts Johannes der Täufer mit Lamm im Hochrelief dargestellt. Darauf beziehen sich am Doppelfries über der Tür die Inschriften B und C, das Ende von B auf dem unteren Fries links des Torbogenscheitels, C aus Platzgründen zweizeilig rechts des Torbogenscheitels. Auf der Rückseite des Portalgiebels die Bauinschrift D. Auf den Eckpfeilern der offenen Brüstung Löwenköpfe und Fruchtgehänge, am Sockel Beschlagwerk. Alle Brüstungsseiten tragen kleine Rollwerkgiebel mit plastischem und schmiedeeisernem Zierat. Auf den Eckpfosten zwischen den Giebeln Standfiguren nackter Kinder, von denen drei erhalten sind. Bis auf eine Ausnahme tragen alle Giebelfelder einschließlich des Portals beidseitig Inschriften, außen in Rollwerkkartuschen, innen von Beschlagwerk gerahmt. Außen links des Portals auf dem ersten Giebel eine Mahnung (E), weitere Inschriften (Glaubensaussagen) auf dem zweiten Giebel (F), rechts des Portals im ersten Giebel (G) und im zweiten Giebel (H), in allen Giebeln oben jeweils ein Engelskopf. Der äußere Giebel auf der Seite links des Portals neben dem Kerssenbrock-Epitaph trägt einen großen gespaltenen Wappenschild, darin rechts zwei gekreuzte Meißel und ein Schlegel als Zeichen der Lemgoer Steinmetzgilde, links die Initialen (I) und die Marke des Bildhauers Georg Crosmann.2) Links und rechts des Schildes die Künstlerinschrift J. Der gegenüberliegende Giebel rechts außen ist außen nur mit plastischem Schmuck verziert. Über die Innenseite aller Giebel verläuft sechsteilig eine Inschrift (K, theologisches Rätsel), die von innen gesehen rechts neben dem Portal beginnt und sich – unterbrochen vom Kerssenbrock-Epitaph – bis zum letzten Giebelfeld links neben dem Portal fortsetzt. Bis auf die beiden äußeren Giebel neben dem Epitaph sind alle auch auf der Innenseite mit Engelsköpfen oberhalb der Inschriften versehen.

Der runde Taufstein in gedrungener Pokalform, am Schaft vier Hermenvoluten, am Übergang zum Becken Verzierungen mit Masken. Um das Becken verläuft ein Fries mit der auf vier Felder verteilten Inschrift L (Verheißung), darüber als oberer Abschluß ein weit vorspringendes Gebälk. Hoher achtseitiger Deckel mit vierseitigem Baldachinaufsatz über einem flach gewölbten Mittelteil, Holz, farbig gefaßt. Unter dem Baldachin eine vollplastische Figurengruppe der Taufe Christi mit Christus, Johannes und einem Engel, außen vor den Stützen des Baldachins vollplastische Figuren der vier Evangelisten mit ihren Symbolen, in der Zone darüber als Bekrönung außen vier nackte Kinderfiguren, in der Mitte auf einen Knauf zulaufende Volutenstege.

Sämtliche Inschriften sind erhaben in Gold auf Blau ausgeführt.

Maße: Taufe: H. 102/250 cm (ohne/mit Deckel), Dm. 110 cm (Beckenrand); Giebelaufsätze des Taufgitters: B. 98,5–125 cm; H. 73–90 cm; Bu. 3 cm (A, B), 2 cm (C), 2,5–2,8 cm (D), 2,9 cm (E–H, J, L), 4 cm (I), 3,5–7,5 cm (K).

Schriftart(en): Fraktur mit Kapitalis (A, E–H), Kapitalis (B, I, L), Kapitalis mit Versalien (C, D, K), humanistische Minuskel mit Kapitalis (J).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/20]

  1. A

    Lasset die kindlin zu mir kommen / vnd wheret ihnen nicht den solcher / ist das himmelreich MARCI X . 3)

  2. B

    MIR IST GEGEBEN ALLE GEWALT IM HIMMEL VND AVF / ERDEN . MAT . 28 . 4)

  3. C

    SIHE DAS IST GOTTE(S)a) / LAMB ETC . IOHA(N) . 1 5)

  4. D

    ZV GOTTES EHR VND KIRCHE(N) ZIR /IST DIESES WERCK ERBAWT ALHIR /DVRCH DIE VERORD(N)ETE TEMPELIERER / B(VRGERMEISTER)IOHAN COTHMA(N) VND HANS SEILER

  5. E

    Thut Busse , vnd lasse sich ein / iglicher teuffen auff den namen / Jhesu Christi zur vergebung / der sunde . ACTORVM . 2 . 6)

  6. F

    Es sei den , das ie/ma(n)d geborn werde , aus de(m) / Wasser vnd Geist , so ka(n) er nicht / in das reich Gottes kommen . / IOH . 3 . 7)

  7. G

    Wie viel ewer getaufft / sind , die haben Christum / angezogen . GALAT . 3 . 8)

  8. H

    Gott macht / vns selig , durch das / Bad der widergeburt vnd / erneweru(n)g des H(eiligen) Geistes . Tit . 3 9)

  9. I

    G(eorg) C(rosman)

  10. J

    Elaboravit // Georgius / Crosman , // Lemgovius , / Artis suae // specimenali=/quod daturus // ANNO CHR(IST)I . 1597 .

  11. K

    A(N)NO . M Db) XCVII . / GOTT GIBTS // CHRISTVS ERWIRBTS // DER HEIL(IGE) GEIST BEKREFTIGTS // DAS WORTT / VERKVNDIGTS . // DER GLAVBE / EMPFEHTS10) // GVTE WERCKE / BEZEVGENS . / DIE HOFFNVNG ERWARTSc) 11)

  12. L

    QVI CREDIDERIT ET BAPTISA//TVS FVERIT SALVVS ERIT // QVIVERO NON CREDIDERIT // CONDEMNABITVR . MAR . CAP . 16 . 12)

Übersetzung:

Ausgeführt hat es der Lemgoer Georg Crosmann, um eine Probe seiner Kunst zu geben. (J)

Wer glaubt und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. (L)

Versmaß: Deutscher Reimvers (D, bis ALHIR).

Kommentar

Die von Georg Crosmann und seiner Werkstatt gefertigte Taufanlage weist ein reiches Formenrepertoire an Schriftarten auf. Dies bezieht sich nicht nur auf die Verwendung von Fraktur, humanistischer Minuskel und Kapitalis, sondern auch auf die sehr unterschiedliche Ausführung der einzelnen Kapitalisinschriften, die belegen, wie sehr Inschriften derselben Schriftart auch innerhalb einer Werkstatt differieren können. Hier zeigt sich an einem Stück mit vielen Inschriften besonders deutlich das Problem, das die Lemgoer Inschriften der Renaissance generell kennzeichnet: obwohl die verschiedenen Bildhauer mit ihren Werkstätten gut belegt und in der Literatur ausführlich diskutiert sind, ist es praktisch unmöglich, aufgrund der Ausführung der Inschriften den Zusammenhang mit einer bestimmten Werkstatt zu untermauern oder zu widerlegen, da die Gestaltung der Schriften auch innerhalb derselben Werkstatt derartig große Unterschiede aufweist.

Eine einheitliche Ausführung läßt sich in der Ausführung der Fraktur feststellen, da diese der Ausführung der Frakturinschriften C und D auf der Taufe von St. Marien (Nr. 119) entspricht. Bei der sehr sorgfältig gehauenen humanistischen Minuskel handelt es sich hier aus Platzgründen um eine hohe schlanke Ausführung der Buchstaben mit der Tendenz, die Buchstaben in den Mittellängenbereich zu stellen: g und t ganz im Mittellängenbereich, b, d und q mit kleinem Bogen und dementsprechend kurzer Ober- bzw. Unterlänge, Schaft-s endet auf der Grundlinie. Die e mit sehr kleinem oberen Bogenabschnitt, o oval, rundes, oben geschlossenes g, gerades, stumpf auf der Zeile endendes t mit nach rechts angesetztem kleinen Balken. Die Schrift weist gewisse Übereinstimmungen mit der humanistischen Minuskel auf den Epitaphien Nr. 156, 160 und 161 auf, es gibt jedoch auch deutliche Unterschiede (vgl. a. Nr. 153).13)

Die Kapitalisinschriften sind auf den ersten Blick dadurch zu unterscheiden, daß die Inschriften C, D und K in einer leicht rechtsgeneigten Schrift mit Versalien, die Inschriften B und L in einer geraden Kapitalis ohne Versalien ausgeführt sind. Vor allem die Inschrift L unterscheidet sich durch breite, teilweise stumpf endende Buchstabenelemente deutlich von der Ausführung der Buchstabenformen der anderen Kapitalisinschriften; ausgeprägte Sporen finden sich hier nur bei C, E, F, S und T. Die eher unregelmäßig wirkende Inschrift B stellt in den Buchstabenformen einen Übergang zwischen L und den anderen Kapitalisinschriften dar; bemerkenswert ist vor allem, daß sie sich in der Ausführung grundlegend von der auf demselben Portalfries stehenden Inschrift C unterscheidet, die weitgehend dieselben Merkmale aufweist wie die Giebelinschrift D auf der Rückseite des Portals und die Inschrift K auf den Ziergiebeln der Brüstungsseiten. Die zuletztgenannten Inschriften zeigen ein ausgewogeneres Schriftbild; dies gilt besonders für die Inschrift K, auf die offensichtlich die meiste Sorgfalt verwendet wurde. An allgemeinen Merkmalen sind zu nennen: die Cauda des R und der untere Schrägbalken des K sind stachelförmig ausgezogen und unter die Zeile gezogen, die gebogenen Schrägbalken des K berühren sich nicht, einige R sind ebenso ausgeführt; die Bogenenden der Buchstaben sowie Balkenenden von E, F und T sind mit deutlichen Sporen versehen; Z in Inschrift D einstöckig, in Inschrift K als zweistöckiges, oben spitzes Z.

Der Inschrift D zufolge wurde die Taufanlage von St. Nikolai nicht durch private Stifter finanziert wie die Taufe von St. Marien, sondern von den Kirchenvorstehern bei dem Bildhauer Georg Crosmann in Auftrag gegeben. Die Taufanlage ist das einzige Lemgoer Werk, das Crosmann durch eine Inschrift signierte; die Taufe von St. Marien trägt lediglich seine Marke. Unter den anderen Inschriften ist die Künstlerinschrift dadurch hervorgehoben, daß der Bildhauer nur hierfür die Schriftart der humanistischen Minuskel verwendete. Der inschriftlich genannte Bürgermeister Johann Cothmann übte dieses Amt von 1596 bis 1604 aus,14) Hans Seiler gehörte dem Rat von 1585 bis 1609 als Beisitzer an.15)

Textkritischer Apparat

  1. Das S aus Platzgründen entfallen, kein Kürzungszeichen.
  2. Neulateinische Zahlzeichen.
  3. Das S aus Platzgründen um den Schaft des T geschlungen, beide Buchstaben auf der Rahmenleiste.

Anmerkungen

  1. Einzelberichte 1962–66, S. 350; 1967–73, S. 558. BKD Lemgo, S. 210.
  2. BKD Lemgo, S. 159, Nr. 74 u. Abb. 53.
  3. Mk 10,14. Die Lesung des Verses ist Bestandteil der protestantischen Taufzeremonie (vgl. dazu Nr. 119).
  4. Mt 28,18. Der Vers geht dem Taufbefehl voran.
  5. Jh 1,29.
  6. Apg 2,38.
  7. Jh 3,5.
  8. Gal 3,27.
  9. Tit 3,5.
  10. EMPFEHTS vermutlich von empfahen = empfangen (DWB, Bd. 3, Sp. 420f.). Dies würde auch mit der Version bei Wander (vgl. Anm. 11) ergreifts übereinstimmen. Es ist aber auch nicht völlig auszuschließen, daß hier empfengen im Sinne von ‚anzünden‘ gemeint ist (DWB, Bd. 3, Sp. 422f.).
  11. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 2, Sp. 25, Nr. 543.
  12. Mc 16,16.
  13. Vgl. a. Fuhrmann, Humanistische Minuskel, S. 104–106, der die Übereinstimmungen betont.
  14. Bürgerbuch, Nr. 10301, 10324, 10348, 10383.
  15. Ebd., Nr. 10213 (frühester Beleg) u. Nr. 3067 (spätester Beleg).

Nachweise

  1. Henrici, Reiseaufnahmen, Bl. 28 (Zeichnung A–C).
  2. Dreves, Geschichte, S. 336 (D, K).
  3. Gerlach, Cothmann, Nr. 2 (D).
  4. Meier, Geschichte, S. 103 (J).
  5. BKD Lemgo, S. 210ff. (D, J, K).

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 128 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0012805.