Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 68 Mittelstr. 27 1569, 1598

Beschreibung

Ständer- und Schwellbalken sowie Brüstungstafel. Zweigeschossiges giebelständiges Haus mit Zwischengeschoß, Fachwerk auf steinernem Unterbau, Eckhaus zur Rosenstraße. Die Fassade zur Mittelstraße ist im massiven Erd- und Zwischengeschoß zwar vollständig modernisiert, besitzt aber noch reich verziertes Fachwerk am zweiten Obergeschoß und dem dreigeschossigen Giebel, beide über Stichbalken vorkragend. Der Mittelständer im ersten Giebelgeschoß trägt die Jahreszahl A und darüber einen Wappenschild. Auf der Schwelle des zweiten Obergeschosses ein Gebet (B) und daran anschließend eine erbauliche Sentenz (C). Das hinzugefügte Datum wurde Mitte des 20. Jahrhunderts erneuert.1) Die acht Brüstungsfelder des zweiten Obergeschosses zeigen figürliche Motive in Medaillons: links und rechts außen als Pendants zur Mitte gewandte Halbfiguren eines Mannes und einer Frau,2) in den übrigen Feldern Masken sowie ein doppelköpfiger Adler, im ersten Gefach links vom Mittelständer ein Wappenschild mit Initialen (D) darin. Am Mittelständer ist in einem hochrechteckigen Feld ein Wahlspruch (E) angebracht, dazu der Name des Bauherrn und eine Jahreszahl (F). Die einzelnen Zeilen in E und F sind durch Linien voneinander getrennt. Sämtliche Inschriften erhaben auf eingetieftem Grund (A, D, E) oder in vertiefter Zeile (B, C), moderne Fassung Gold auf Rot (A, D, E, F) oder Grün (B, C).

Maße: Bu. ca. 8–12 cm (A), ca. 10 cm (B, C), ca. 7 cm (D), ca. 6 cm (E, F).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/4]

  1. A

    1569

  2. B

    · OCH · GODT · GIF · GUDEN · RADT · VNDE · MINES · HVSES · EIN · BEHODER

  3. C

    + ALSO · HEFT · GODT · DE WELT · GELEVET · DAT · HE SINEN · ENIGEN · SONE · GAF · VP DAT · ALLE · DE AN · ENNE · GELOVEN · NICHT · VORLAREN · WERDEN · SONDER · DAT · EWIGE · LEVENDT · HEBBEN · 3) A(NN)Oa) · 1598

  4. D

    B(artolt) // V(olckhusen)

  5. E

    GOTTES / HVLFE · / ISSb) · MEIN / THOVOR/SICHT ·

  6. F

    BARTOL/T · VOL/CKHVS/EN · 15/98 ·

Übersetzung:

Ach Gott, gib guten Rat und (sei) der Beschützer meines Hauses. (B)

Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben. (C)

Gottes Hilfe ist meine Zuversicht. (E)

Wappen:
Volkhausen4)
Volkhausen4)

Kommentar

Kennzeichnend für die Schrift sind vor allem Elemente der frühhumanistischen Kapitalis: A mit gebrochenem Mittelbalken und beidseitig überstehendem Deckbalken, H mit ausgebuchtetem Mittelbalken, G mit nach rechts gezogenem und aufwärts geschwungenem Bogenende, N mit geschwungenem Schrägschaft und spitzovales O. Außerdem finden sich konisches M mit kurzem Mittelteil und R mit geschwungener, stark einwärts gekrümmter Cauda. In der Inschrift B markieren Ornamente die Anfänge von Spruch und Bibelzitat.

Während die Inschriften B und C noch durchgängig niederdeutsche Sprachmerkmale aufweisen, zeigt die Inschrift E neben niederdeutschen Merkmalen auch hochdeutsche Elemente (GOTTES, MEIN). Hierbei handelt es sich um eine typische Mischform der Übergangszeit vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen.

Für das etwas höhere Alter des 1569 datierten Giebelfachwerks im Vergleich zum 1598 datierten Obergeschoß spricht auch die unterschiedliche Ornamentik. Demnach wurde das zweite Obergeschoß schon bald nach Fertigstellung des Hauses erneuert.5) Nach Ausweis der Hausmarke am Giebel gehörte es 1569 bereits der Familie Volkhausen. Bauherr im Jahr 1598 war Barthold Volkhausen, der 1599 das Lemgoer Bürgerrecht erwarb, zwischen 1613 und 1621 als Ratsherr und Kämmerer belegt ist und am 10. Mai 1622 starb.6)

Textkritischer Apparat

  1. Lesung nach Fotografie, LLB Detmold, HS A 8, Bl. 15. Heutiger Zustand: AN.
  2. ISS ließe sich auch als IST lesen.

Anmerkungen

  1. BKD Lemgo, S. 802.
  2. Die Darstellungen sind aufgrund ihrer leicht grotesken und abstrakten Art schwer deutbar. Beide Gestalten halten etwas in der erhobenen Hand, vielleicht einen Apfel; vgl. BKD Lemgo, S. 802f.
  3. Jh 3,16 in einer niederdeutschen Version der Bibel, vgl. z. B. sog. Bugenhagen-Bibel (Lübeck 1533): Also hefft Godt de werlt gelevet / dat he synen enigen so(e)ne gaff / up dath alle de an en lo(e)ven / nicht vorlaren werden / sunder dath ewige le(e)vent hebben. Vgl. Nr. 47, 78.
  4. Wappen Volkhausen (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 43).
  5. Kaspar, Fachwerkbauten, S. 142/144. BKD Lemgo, S. 802f.
  6. Bürgerbuch, Nr. 2088, 3205, 3273, 3338, 3396, 3473.

Nachweise

  1. Sauerländer, Alte Hausinschriften (B, C, E).
  2. Sauerländer, Hausinschriften, S. 31 (B, C, E).
  3. Rädeker, Häuser, S. 67 (A), S. 70 (B, C, E).
  4. Pahmeier/Süvern, ILL Lemgo, TB 21–22.
  5. Süvern, Torbögen, S. 22 (B).
  6. Hansen/Kreft, Fachwerk, S. 290 (B, C), Abb. 259.
  7. BKD Lemgo, S. 802f. mit Abb. 959, 960 u. 961.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 68 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0006807.