Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 219 St. Marien 1644, 1646

Beschreibung

Kanzel mit Schalldeckel. Holz, mit reichem Schnitzwerk und zwei Tafelgemälden. Die Originalfassung von 1646 wurde 1966/67 freigelegt und restauriert.1) Im Mittelschiff am südöstlichen Freipfeiler stehende Kanzel mit Treppenaufgang und Portal an der Ostseite. Auf dem sechsseitigen Schalldeckel mit Giebelaufsätzen aus Schlingwerk stehen als Freifiguren auf den Ecken Engel mit den Arma Christi und auf der Spitze Moses mit den Gesetzestafeln. Auf den Tafeln in zwei Spalten ein religiöses Gebot (A). Die Deckeluntersicht zeigt die plastische Darstellung des Heiligen Geists in Gestalt der Taube in Rankenwerk. Volutenspangen übergreifen das Gebälk des Schalldeckels, um dessen Fries die Inschrift B (Glaubensaussage) läuft. Der fünfseitige Kanzelkorb ruht mit viereckiger ornamentierter Stütze auf einem modernen Steinsockel. Die fünf Seiten der Korbbrüstung tragen zwischen freistehenden Ecksäulen figürliche Hochreliefs: in der Mitte Christus als Schmerzensmann gerahmt von den vier Evangelisten mit ihren Symbolen, links Matthäus und Markus, rechts Lukas und Johannes. Die Figuren sind durch Tituli (C, E, G, H, K) auf den Konsolen bezeichnet. Jeder Evangelist hält eine Buchrolle auf dem Schoß, die er mit einem Griffel mehrzeilig mit einer erbaulichen Sentenz (D, L), einem Gotteslob (F) oder einem liturgischen Gebet (I) aus seinem Evangelium beschriftet. An der Nordseite der schlicht gefelderten Treppenbrüstung befindet sich neben dem Eingang als Füllung ein Tafelgemälde mit einer Darstellung des Paulus. Das von Pilastern flankierte Portal bekrönt ein Knorpelwerk-Giebel mit Obelisken, das obere Türfeld füllt ein Tafelbild mit Christus als Salvator Mundi. Die Tituli (C, E, G, H, K) sind in eingetieftem Schriftfeld erhaben geschnitzt und in Gold auf Schwarz gefaßt, alle anderen Inschriften sind in Gold auf Schwarz (A, B) oder Schwarz auf Weiß (D, F, I, L) gemalt.

Maße: Bu. 2,5 cm (A), 5 cm (B), 3,5 cm (C, E, G, H, K), 0,5 cm (D, F, I, L).

Schriftart(en): Fraktur (F, L), Fraktur und Kapitalis (A, B, D, I), Kapitalis (C, E, G, H, K).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/11]

  1. A

    Du solt / deinen Gott / deinen HEr=/REN , von / gantzem her/tzen , von gan/tzer Seele / von gantzem / Gemüte // Du solt / deinen Ne/hesten lie/ben als / dich selbs . 2)

  2. B

    RÖM I Das Evangelium // ist eine kraft Gottes , // die da Sehlig machet // alle die daran gleuben 3)

  3. C

    S · MATTHEVS

  4. D

    MAT : 4 · / D[er] Mensche lebet nicht allein [vom] / Brote sonder von einem iechlieg / worde da[s durch]a) den mundt / Gottes geh[et]a) 4)

  5. E

    S · MARCVS

  6. F

    Marci : 6 / Er hatt alles wol gemacht die tauben / macht er hörend, vnd die Sprachlosen / redend 5)

  7. G

    ECCE · HOMO 6)

  8. H

    S · LVCAS

  9. I

    LVC : 2 / Ehre seij Gott in der höhe fride / auff Erden vnd den Men[sche]n / ein wolgefallen 7)

  10. K

    S · IOHANNES

  11. L

    [.....] / Jesu[..........]e seine Herliegkeit . / [......]ne Jünger gleuben an Jhn 8)

Kommentar

Hasten-, Balken- und Bogenenden der geschnitzten Kapitalisinschriften verbreitert und teilweise gekerbt, der Balken des H in der Inschrift G nach unten ausgebuchtet.

Die Kanzel wurde von Hermann Voß angefertigt, von dem auch das 1643 datierte Choraltar-Retabel für St. Nikolai stammt. Dafür ließ der Rat entsprechend der vertraglichen Vereinbarung (vgl. Nr. 218) eine Linde schlagen und zum Brüderkloster St. Johann transportieren, wo Voß und seine Ehefrau ein Wohnrecht hatten und sich auch die Werkstatt des Bildhauers befand. Am 16. und 17. Juni 1644 fand die Aufstellung der Kanzel in St. Marien statt. Da die farbige Fassung nicht aus Kirchenmitteln bezahlt werden sollte, wurde ein Spendenbuch ausgelegt, um die nötigen Gelder zusammenzubringen. Im Jahr 1646 konnte mit den erzielten 66 Talern und 11 Groschen die Bemalung der Kanzel durch die Faßmaler Berendt Lalleken und Jobst Tappe aus Hameln bezahlt werden.9)

Textkritischer Apparat

  1. Durch Hand und Schreibgriffel verdeckt.

Anmerkungen

  1. BKD Lemgo, S. 294.
  2. Nach Mt 22,37; Mk 12,30; Lk 10,27. Vgl. auch 5 Mo 6,5 und 3 Mo 19,18.
  3. Rö 1,16.
  4. Mt 4,4.
  5. Mk 7,37. Die Angabe der Bibelstelle in der Inschrift ist nicht korrekt.
  6. Io 19,5.
  7. Lk 2,14.
  8. Jh 2,11. Sinngemäß zu ergänzen zu: Jesus offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn.
  9. Friedrich Sauerländer, Aus dem Leben des Bildschnitzers Voß. In: Lippische Rundschau 15, 1960, Nr. 85 u. 87 (9. und 12. April). Ewerbeck, Kirchen, S. 36–38.

Nachweise

  1. BKD Lemgo, S. 294 (D, F, G, I, L) mit Abb. 319 (C).

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 219 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006K0021904.