Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 178 Mittelstr. 85 1613

Beschreibung

Schwellbalken und steinerner Torbogen. Zweigeschossiges giebelständiges Haus, steinerner Unterbau mit Zwischengeschoß, das Obergeschoß und der Giebel in Fachwerk. Die Front zur Mittelstraße kragt mit dem Obergeschoß und dem zweigeschossigen Giebeldreieck über Stichbalken vor. Sämtliche Balken und Füllhölzer sind mit Schnitzereien verziert. Alle drei Schwellen tragen Inschriften, jeweils in eingetieftem Schriftfeld erhaben ausgeführt und in Gold auf Blau gefaßt: von oben nach unten eine Verheißung (A), ein Segenswunsch (B) und ein Gotteslob (C). Bei der Fassadensanierung 1978/79 wurden das steinerne Erd- und Zwischengeschoß weitgehend erneuert und links der breite Torbogen aus rötlichem Sandstein rekonstruiert.1) An seinem original erhaltenen Bogenscheitel ist zu beiden Seiten einer Relief-Rosette die in Gold gefaßte Jahreszahl D eingehauen. Stellenweise sind die Inschriften (A, B, D) überarbeitet.

Maße: Bu. ca. 12 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/4]

  1. A

    SELIG SINT · DIE : SO MEIN WORT HOREN VND DAS BEWAREN a) 2)

  2. B

    DE HERE BEHODE DINEN VTHGANCK VNDE : INGANCKb) VAN NV AN BETH IN EWICHEIT AMENc) 3)

  3. C

    HERE DINE GVDEd) REKET SO WITH ALSE DE HEMMEL IS : VNDE DINE WARHEIT : SO WITH DE WVLCKEN GAHN 4)

  4. D

    16//13e)

Übersetzung:

Selig sind die, die mein Wort hören und es bewahren. (A)

Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Amen. (B)

Herr, deine Güte reicht so weit, wie der Himmel ist, und deine Wahrheit so weit, wie die Wolken gehen. (C)

Kommentar

Kennzeichen der Kapitalis sind verschränktes W, E mit kürzerem Mittelbalken, R mit geschwungener oder gewölbter Cauda, spitzovales O, schrägliegendes S, K in drei verschiedenen Formen mit geraden, leicht geschwungenen oder gebogenen Schräghasten, M mit kurzem Mittelteil, rundes und eckiges C. Vereinzelt finden sich keilförmig verbreiterte Schaft- und Bogenenden (Buchstaben E, G) oder Sporen (Buchstaben K, T), besonders deutlich bei den Ziffern: bei 1 Schaft oben keilförmig, unten spitz und nach links unter die Grundlinie gezogen; spitze 3 mit kleinem Bogen, der an das untere Schaftende der 1 anschließt; 6 mit eingerolltem offenen Bogen.

Im Jahr 1613 gehörten die beiden Nachbarhäuser Mittelstr. 85 und 83 Margarethe Höping, der Witwe des Kaufmanns Heinrich Brautlacht d. J. († 1605).5) Das Gebäude Mittelstr. 85, das kleinere der beiden Häuser, kaufte Margarethe Höping 1611 von Christoph Otterpoel und ließ 1613 einen größeren Umbau vornehmen, der eine Neugestaltung der Fassade und die Aufstockung in Fachwerk mit neuem Obergeschoß und Giebel einschloß. Darauf bezieht sich die Jahreszahl D am Torbogen.6) Nach der Heirat ihres Sohnes Alhard Brautlacht im Jahr 1629 soll dieser das größere (Nr. 83) und seine Mutter bis zu ihrem Todes 1638 das kleinere Haus (Nr. 85) bewohnt haben. Merkwürdig ist allerdings, daß zwei auf die Person des Alhard Brautlacht bezogene Objekte, die Wetterfahne mit seinen Namensinitialen sowie der hölzerne Kamin mit den Wappen der Eheleute Brautlacht/Bödeker, aus dem Haus Mittelstr. 85 überliefert sind (vgl. Nr. 212 u. 213).

Textkritischer Apparat

  1. IN WORT HOREN V überarbeiteter Inschriftteil.
  2. Die ersten beiden Buchstaben des Wortes sind überarbeitet.
  3. Heute AN auf dem Balken farbig gefaßt. Erkennbare Buchstabenreste am Balkenende lassen den Schluß zu, daß hier ursprünglich AMEN stand.
  4. GNADE Süvern.
  5. Die erste 1 am unteren Schaftende beschädigt, die Ziffern 13 vermutlich überarbeitet.

Anmerkungen

  1. BKD Lemgo, S. 866f.
  2. Nach Lk 11,28.
  3. Ps 121,8.
  4. Ps 36,6.
  5. Die Besitzgeschichte der beiden Häuser Mittelstr. 85 und 83 läßt sich anhand der Prozeßakten des seit 1653 entbrannten Brautlachtschen Erbstreites rekonstruieren. Dazu: BKD Lemgo, S. 864f. u. 866f., sowie Fritz Waldeyer, Aus der Geschichte des Bürgerhauses und des Schachtschen Hauses. In: LH 4, 1978, S. 28–31.
  6. Kaspar, Bauen, S. 49, 197. BKD Lemgo, S. 866.

Nachweise

  1. Hausinschriften in Lemgo. In: Lemgoer Sonntagsblatt 1880, Nr. 6, 7. November (B, C, D).
  2. Preuß, Alterthümer2, S. 69 (B, C).
  3. Wehrhan, Hausinschriften, S. 9 (B, C).
  4. Sauerländer, Alte Hausinschriften (A–C).
  5. Sauerländer, Hausinschriften, S. 31 (A–C).
  6. Rädeker, Häuser, S. 73.
  7. Pahmeier/Süvern, ILL Lemgo, TB 21–30.
  8. Süvern, Torbögen, S. 24 (C).
  9. Fritz Waldeyer, Aus der Geschichte des Bürgerhauses und des Schachtschen Hauses. In: LH 4, 1978, S. 30 (A–C).
  10. BKD Lemgo, S. 867.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 178 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006K0017802.