Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 172 St. Marien 1611

Beschreibung

Epitaph des Bürgermeisters Heinrich Flörke. Rötlicher Sandstein. Das Epitaph, das früher auf der Südseite der Kirche hing, ist heute an der Westwand im nördlichen Kirchenschiff angebracht. Im Mittelteil gerahmt von je zwei freistehenden Säulen links und rechts eine hochrechteckige Inschriftentafel mit einem ausführlichen Totenlob (A), darüber ein Gesims, auf dem eine von je einer Säule links und rechts gerahmte hochrechteckige Inschriftentafel steht. Ihre Inschrift (B) bezeichnet den Träger und beinhaltet zugleich einen Setzungsvermerk. Der Aufsatz wird an den Seiten durch Rollwerk, oben durch einen gesprengten Giebel abgeschlossen. Oben auf dem Giebel und auf Postamenten links und rechts auf dem Gesims standen wohl ehemals Figuren, die bereits auf den im 19. Jahrhundert angefertigten Zeichnungen fehlen. Den unteren Teil des Epitaphs bildet eine mit zwei Engelsköpfen und einem Männerkopf als unterem Abschluß besetzte Rollwerkkartusche, die eine vertiefte, unten ausgebuchtete Tafel mit einer erbaulichen Sentenz (C) umgibt. Über der Rollwerkkartusche ein Fries mit einem weiblichen Fabelwesen im Halbrelief, das in Blattranken übergeht. Die mittlere Zone des Epitaphs wird außen durch mit je vier Vollwappen besetzte Rollwerkwangen abgeschlossen, unter den Wappen Beischriften (D). Alle Inschriften sind erhaben ausgeführt und vergoldet.

Maße: H. 357 cm; B. 177 cm; Bu. 3 cm (A), 3,5 cm (B, C), 2,5 cm (D).

Schriftart(en): Humanistische Minuskel mit Kapitalisversalien (A, C), humanistische Minuskel und Kapitalis (B), Kapitalis (D).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/6]

  1. A

    Fulgidus , Ah , cecidit ros flos sed surget in aevu(m) /flentibus hoc nobis , actio acerba dei est . /Florib(us) antiquis clarisQ(ue) effloruit hic flos /An(n)os sexcentos , Qui superare Queunt . /A florente patre , in patriam Qui com(m)oda fudit . /matre pia est hic , flos editus ingenuus . /hic pater hunc tenerum florem virtute fideQ(ue) /et iuris studio rite polivit ovans . /hinc est collonia(m) , hinc Marpurgu(m) , hinc helmstadiu(m)Q(ue) /missus , ut erudiat iudicium usQue suum . /post patriae studio florentea) se dedit hic flos /hanc oblectavit lumina flos ut agri . /hunc flore(m) sibi Quae florentem elegit habere /consulem , et ingenio , iudicioQue gravem /collegae o Quoties cives Quoties habueru(n)t /consulem in optatis hunc sibi perpetuum . /coniugis et prolis voto Quam viveret hic flos /tam patriae voto viveret at cecidit . /hoc florente , dei scuto , respuplica flore /consule floreret . sed , miserum , cecidit . /at flos hic iustus surgens florebit in horto /coelesti , ut semper florida palma viret1)

  2. B

    EPITAPHIUM . / Quod prudentissimo et Am/plissimo DO(M)I(N)O HEN[RICO FLOR]INO / Conradi filio , lemgoviensis et / Patriae Reipub(licae) consuli exop=/tatissimo . pie in do(m)i(n)o defuncto / An(n)o CHRISti . M . D . CXI . Die VII feb(ruarii) / et moesta vidua Metta SCHMe=/reimia et lugentes liberi . tum / ad sui amoris in sibi imma=/ture defunctum maritu(m) et / parentem demonstrationem / tum ad Honorificam no(m)i(ni)s . perpetuitatem conservan/Dam : erigi curarunt .

  3. C

    Justus , ut palma , Florebit / et sicut cedrus libani , / crescet . Plantati in domo / domini in Atriis Dom(us) Dei / nostri florebunt / Psalm / XCII 2)

  4. D
    FLORCKEN3) [P]ROTH4)  
    SWIBBEN5) [ER]PPROCKHU/SEN6)  
    KRUSEN7) [FLORC]KEN3)  
    [....]SEN8) [ – – – ]9) 

Übersetzung:

Ach, glänzender Tau ist abgefallen, aber die Blume erhebt sich in Ewigkeit. Für uns, die wir sie beweinen, ist Gottes Tun hart. Diese Blume erblühte aus alten und berühmten Blumen, die sechshundert Jahre zu überdauern vermögen. Von einem blühenden Vater, der seiner Vaterstadt Nutzen brachte, und von einer frommen Mutter ist diese edle Blume hervorgebracht worden. Hier bildete der frohlockende Vater auf rechte Weise diese zarte Blume durch Tugend und Glauben und durch das Studium des Rechts. Von hier wurde er nach Köln, von hier nach Marburg und von hier nach Helmstedt geschickt, um sein Urteilsvermögen weiter auszubilden. Danach widmete sich diese Blume mit blühendem Eifer der Vaterstadt; diese erfreute sie wie die Blume des Feldes die Augen. Sie wählte sich diese blühende Blume zu einem durch Charakter und Urteilsvermögen würdigen Bürgermeister. O wie oft hatten die Kollegen, wie oft die Bürger gewünscht, ihn dauerhaft zum Bürgermeister zu haben. Sowohl nach dem Wunsch der Gattin und der Kinder lebte diese Blume noch als auch nach dem Wunsch der Vaterstadt lebte sie noch, aber sie ist abgefallen. Wenn die Blume noch im Schutze Gottes blühen würde, würde die Stadt mit ihrem Bürgermeister blühen, aber, wie traurig, sie ist dahingegangen. Aber diese Blume wird als Gerechtfertigter auferstehend im himmlischen Garten blühen, wie die blühende Palme immer grünt. (A)

Das Epitaph, das dem sehr klugen und sehr bedeutenden Herrn Heinrich Flörke, Sohn des Conrad, und hochgeschätzten Bürgermeister seiner Vaterstadt Lemgo, der fromm im Herrn verstorben ist im Jahr Christi 1611 am 7. Tag des Februar, die trauernde Witwe Metta Schmerheim und die trauernden Kinder sowohl zum Zeichen ihrer Liebe zu ihrem vorzeitig verstorbenen Ehemann und Vater als auch zur dauernden ehrenvollen Bewahrung seines Namens haben errichten lassen. (B)

Der Gerechte wird blühen wie die Palme und wird wachsen wie die Zeder des Libanon. Im Hause des Herrn gepflanzt, werden sie in den Vorhöfen des Hauses unseres Gottes blühen. (C)

Versmaß: Elegische Distichen (A).

Wappen:
siehe Inschrift D

Kommentar

Die Inschriften sind in einer rechtsgeneigten humanistischen Minuskel ausgeführt, die nicht dem strengen Formenkanon dieser Schrift folgt; f und Schaft-s haben unter die Zeile reichende Unterlängen, p geht nicht über den Mittellängenbereich hinaus, für q ist grundsätzlich der Kapitalisbuchstabe gesetzt, insgesamt sind die Oberlängen sehr kurz. Dadurch ergibt sich ein sehr manieriertes Schriftbild, vor allem in der stark rechtsgeneigten Inschrift A. Die Schrift weicht deutlich von der auf den Epitaphien Nr. 156, Nr. 160 und Nr. 161 verwendeten humanistischen Minuskel ab, die ebenso wie dieses Epitaph aus stilistischen Gründen dem Bildhauer Georg Crosmann oder seinem Sohn Ernst zugeschrieben werden.10)

Die Inschrift A enthält durchgängig ein immer wieder aufgegriffenes Wortspiel mit dem Namen Flörke (lat. ‚flos‘ = die Blume). Der Schluß der Inschrift A wird durch das Bibelzitat der Inschrift C noch einmal aufgenommen.

Heinrich Flörke wurde 1572 als Sohn des Cord Flörke und der Anna Prott geboren und war ein Neffe des Lemgoer Bürgermeisters Heinrich Flörke (Nr. 112). Im Jahr 1591 immatrikulierte er sich an der Universität Helmstedt, 1593 an der Universität Marburg.11) Um 1596 heiratete er Mette Schmerheim, die Tochter des Detmolder Bürgermeisters Johann Schmerheim. Flörke ist 1598 als Proveherr im Braueramt und ab 1599 als Brauermeister in der Rampendahl-Bauerschaft genannt.12) Seit 1603 ist er als Weinherr nachzuweisen. Kurz vor seinem Tod wurde er 1610 zum Bürgermeister gewählt.13) Seine Wahl fiel in eine Zeit der Auseinandersetzungen mit dem Landesherrn, der in der Stadt Lemgo das kalvinistische Bekenntnis einführen wollte. Nach Blockademaßnahmen durch Simon VI. gab die Stadt im Juni 1609 nach und ging auf einen Friedensvertrag ein, der die Einführung des Kalvinismus in der Stadt vorsah. Dadurch wurden Unruhen in der Bürgerschaft ausgelöst, die sich gegen die Einführung des Calvinismus zur Wehr setzte, den Magistrat absetzte und einen 36er-Ausschuß einsetzte. Bei der im Januar 1610 anstehenden Ratswahl wählte die Stadt, die sich vorher durch ein auswärtiges Rechtsgutachten gegen den zu erwartenden Protest des Landesherrn abgesichert hatte, mit Heinrich Flörke und Franz Cothmann zwei Offiziere der Stadtmiliz, die als gemäßigt galten und denen man zutraute, mit der schwierigen Situation fertigzuwerden. Heinrich Flörke erlebte jedoch durch seinen baldigen Tod das Ende des Konflikts nicht mehr, der erst 1617 durch den Röhrentruper Rezeß beigelegt wurde.14)

Textkritischer Apparat

  1. Über dem letzten Buchstaben ein Kürzungsstrich, somit eigentlich florente(m), was hier jedoch keinen Sinn ergibt.

Anmerkungen

  1. Anspielung auf Ps 92,13 nach der Lutherbibel: Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum.
  2. Ps 92,13f. Der Text folgt weder der Vulgata noch der Lutherbibel, sondern ist vermutlich eine lateinische Übersetzung nach einer anderen deutschen Bibel.
  3. Wappen Flörke (zwei gekreuzte Geweihstangen?). Vgl. Nr. 112, Anm. 8.
  4. Wappen Prott (zwei Stierköpfe nebeneinander).
  5. Wappen Swibbe (drei Eichhörnchen, 2:1, die oberen einander zugewendet).
  6. Wappen Erpbrockhausen (Haus).
  7. Wappen Kruse (drei Krausköpfe, 2:1).
  8. Wappen unbekannt (zwei gekreuzte Spaten).
  9. Wappen unbekannt (Hausmarke BKD Lemgo, S. 975, Nr. 28). Nach Sta Lemgo, Plögersche Sammlung (Flörke) handelt es sich um die Hausmarke der Familie Kock.
  10. BKD Lemgo, S. 313. Meier, Rathaus, S. 22, zieht auch Georg Crosmanns Sohn Ernst als Bildhauer des Epitaphs in Betracht.
  11. Matrikel Helmstedt, Bd. 1, S. 89, Nr. 15. Matrikel Marburg, Bd. 1, S. 89, Z. 5. In der Kölner Matrikel läßt sich Heinrich Flörke nicht nachweisen, möglicherweise ging er hier zur Schule, so daß Köln inschriftlich als Ort seiner Ausbildung erwähnt ist.
  12. Die biographischen Daten nach der ausführlichen Biographie bei Waldeyer, Flörcken, S. 4.
  13. Bürgerbuch, Nr. 3086.
  14. Zu diesen Vorgängen Hoppe in BKD Lemgo, S. 46–50. Vgl. a. Nr. 165, Anm. 5.

Nachweise

  1. Dewitz, Zeichnung, dat. 1880, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung 4 L 72,3 (C).
  2. Sta Lemgo, Nachlaß Schacht, Nr. 6 (A, D).
  3. Clemen, Reformation, S. 21f. (A, B auszugsweise).
  4. Dreves, Geschichte, S. 357 (A).
  5. Sta Lemgo, Plögersche Sammlung, Flörke (B).
  6. Eilers, St. Marien, S. 20.
  7. BKD Lemgo, S. 313f. mit Abb. 342.
  8. Waldeyer, Flörcken, S. 4 (1. Hälfte A).
  9. Fink, Epitaphien, S. 167–171 mit Abb. 3.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 172 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006K0017206.