Inschriftenkatalog: Stadt Lemgo

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 59: Lemgo (2004)

Nr. 60 Mittelstr. 128/130 1566

Beschreibung

Zwei Wappentafeln. Rötlicher Sandstein. Zweigeschossiges Eckhaus zur Primkerstraße, an der langen Traufenseite zur Mittelstraße sind die beiden Tafeln im mittleren Fassadendrittel am Erdgeschoß innerhalb einer Dreiergruppe von Fenstern so angebracht, daß sie das zentrale Doppelfenster auf Oberlichthöhe flankieren. Die Tafeln mit Wappenreliefs stammen von der bis um 1900 existierenden ehemaligen Hofdurchfahrt am Ostende des Gebäudes.1) Sie zeigen jeweils zwei Vollwappen nebeneinander in gleichartiger Architekturrahmung, deren korinthische, kannelierte Pilaster ein karniesbogiges Giebelchen mit geflügeltem Engelskopf tragen und von Tiermasken-Konsolen gestützt werden. Unter den Wappen im Innenfeld Beischriften (A, B) auf querrechteckigen Rollwerkkartuschen in eingetieftem Feld erhaben ausgeführt, in Schwarz auf Silber gefaßt.2) Bis 1972 soll über dem Doppelfenster des sogenannten Wulffenhofes zwischen den Wappenreliefs „eine kleine Steintafel“ mit dem Baudatum ANNO · 1566 angebracht gewesen sein.3) Diese dürfte aber erst im Zuge einer Restaurierung um 1900 hinzugefügt worden sein.4)

Maße: H. 175 cm; B. 117,5 cm; Bu. 6 cm (A). H. 162 cm; B. 107 cm; Bu. 5,5 cm (B).

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/2]

  1. A

    B(ALTHASAR) · V(ON) · WVLFFE(N) · SCHLEBE(N)

  2. B

    SCHADE(N) · SCHENCKE(N)

Wappen:
Wulffen5)Schlieben6)
Schaden7)Schenck zu Schweinsberg8)

Kommentar

Die Kapitalis kennzeichnet K mit gebogenen Schrägbalken, die sich nicht berühren, F mit nach rechts durchgebogenem Schaft und schräggestelltes N.

Das große, in Fachwerk auf steinernem Unterbau errichtete Gebäude steht auf dem Grundstück des ältesten Lemgoer Adelshofs (Gumerinkhof), der bis Mitte des 16. Jahrhunderts im Besitz der Familie de Wendt blieb.9) Die inschriftlich bezeichneten Wappentafeln beziehen sich auf die nachfolgenden Besitzer, Oberst Balthasar von Wulffen und seine Frau Anna Maria von Schaden. Für besondere militärische Verdienste erhielt der protestantische Söldnerführer Balthasar von Wulffen den alten Adelshof Mittelstr. 128/130 vom lippischen Landesherrn Graf Bernhard VIII. zum Geschenk. Um in Lemgo dauerhaft seßhaft sein zu können, erwarb der wohlhabende Oberst im Jahr 1566 bei der Stadt Lemgo ein „privilegium immunitatis“, welches ihm und seiner Familie das Recht der „Beiwohnung“ und die Befreiung seines Hofes von städtischen Lasten sicherte. Er ließ das bestehende Gebäude, den Wulffenhof, damals neu errichten und starb 1578 mit 65 Jahren in Lemgo.10) Das aus dem Immunitätsprivileg von 1566 erschlossene Baujahr des Wulffenhofes bietet auch einen Anhaltspunkt für die Datierung der Wappentafeln. Sie gelten als Arbeiten des Bildhauers Hermann Wulff, der als Baumeister des gesamten steinernen Erdgeschosses vermutet wird.11)

Entgegen der Interpretation in den BKD Lemgo zeigt die linke Tafel mit dem Wappenpaar Wulffen/Schlieben nicht die Allianzwappen des Bauherrenpaares, sondern die elterlichen Wappen des Balthasar von Wulffen. Die zweite Tafel mit den Wappen Schaden/Schenck zu Schweinsberg zeigt sehr wahrscheinlich die elterlichen Wappen der Bauherrin. Die Familie von Wulffen war in Loburg (Kr. Anhalt-Zerbst) begütert und bereits seit zwei Generationen mit den Schenck zu Schweinsberg verwandtschaftlich verbunden.12) Diese gehörten wie die Schaden von Leibpoltz zu den alteingesessenen hessischen Adelsgeschlechtern.13) Die Eltern der Anna Maria von Schaden konnten nicht nachgewiesen werden.14) So läßt sich nur vermuten, daß es sich bei den Wappen auf der rechten Tafel um diejenigen ihrer Eltern handelt.

Anmerkungen

  1. „Über dem Torweg prangten zur rechten und zur linken zwei adlige Wappen, ich glaube, sie stecken noch an derselben Stelle, wenn auch der Torweg verschwunden ist“, beschreibt Hermann Petri (1831–1906) 1900/06 in seinen Jugenderinnerungen rückblickend das Aussehen des Hauses um 1840; zit. in BKD Lemgo, S. 621, u. Hoppe, Lemgo, S. 35.
  2. Die Farbfassung der Wappentafeln wurde 1972 aufgefrischt. Einzelberichte 1967–73, S. 562.
  3. BKD Lemgo, S. 622.
  4. Nach Ausweis von Zeichnungen und Fotografien aus dem späten 19. Jahrhundert und der Zeit um 1900 wurden die Wappentafeln mindestens zweimal innerhalb der Straßenfront versetzt; vgl. Zeichnung, 1880er Jahre, in: Dewitz, Skizzen, Bd. VII, S. 28, LLB Detmold, Lippe-Bildsammlung, HV 17,7; Fotografie, um 1900, WAfD Münster; Fotografie, vor 1972, Nachlaß Otto Gaul, WRM Schloß Brake. Das bestehende Gebäude Mittelstr. 128/130 ist seit Anfang des 18. Jahrhunderts durch vielfache Instandsetzungs- und Umbaumaßnahmen im Erdgeschoß verändert und sein Fachwerk teilweise verstümmelt worden. Die Jahreszahl 1566 ist heute als moderne Inschrift am Sturz der Haustür eingehauen. Eine abweichende, allerdings nicht näher erläuterte Datierung in die Jahre 1563/64 bietet Bernd Müller, Adelshöfe in Lemgo. In: Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Beiträge zum VII. Symposion des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake vom 9. bis zum 11. Oktober 1995, Marburg 1996 (Materialien zur Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland 25), S. 248 u. 256.
  5. Wappen Wulffen vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 11, S. 69f. u. Tafel 40 (Wulffen I).
  6. Wappen Schlieben vgl. ebd., S. 54 u. Tafel 31.
  7. Wappen Schaden (steigender Fuchs mit Halstuch), vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 6, Abt. 12, S. 105f. u. Tafel 83 (Schad von Leipoltz) abweichend: steigender Fuchs mit Sack um den Hals, aus dem eine Gans hervorsieht.
  8. Wappen Schenck zu Schweinsberg vgl. Siebmacher/Hefner, Wappenbuch, Bd. 2, Abt. 7, S. 9 u. Tafel 10.
  9. BKD Lemgo, S. 620, mit Verweis auf LR I, Nr. 388 (9. Oktober 1280); vgl. a. LR NF, 9. Oktober 1280. Die seit 1248 in Lemgo nachweisbare Familie de Wendt war wahrscheinlich schon Besitzer des Hofes, als dieser 1280 zugunsten des Ritters Heinrich de Wendt und seiner Söhne von städtischen Lasten befreit wurde.
  10. Zum Haus und seiner Besitzgeschichte: BKD Lemgo, S. 620–624. Zum Status der „Beiwohner“ in Lemgo vgl. Bürgerbuch, S. XIXf., mit Verweis auf die Befreiungsurkunde für Balthasar von Wulffen vom 5. Januar 1566 (Sta Lemgo, alte Sig. U 1223). Darin sind außer der Ehefrau Anna Maria auch vier Kinder namentlich erwähnt. Zum Bauherrn: Gaul, Zierschnitzereien, S. 62. Gaul, Schloß Brake, S. 33.
  11. BKD Lemgo, S. 622. Gaul, Zierschnitzereien, S. 62. Gaul, Schloß Brake, S. 33.
  12. Grundlage für diese Deutung der Wappenpaare ist die Leichenpredigt für Christoph von Wulffen (1621–1647), einen Enkel des Balthasar von Wulffen und der Anna Maria von Schaden; vgl. Roth, Auswertungen, Nr. 6276. Genannt sind darin als Balthasar von Wulffens Vorfahren väterlicherseits: Hans von Wulffen und Anna von Schlieben (Eltern), Georg von Wulffen und Maria Schenck zu Schweinsberg (Großeltern).
  13. Vgl. Kneschke, Bd. 8, S. 73, 137–140.
  14. Die Eltern der Anna Maria von Schaden sind in der oben genannten Leichenpredigt nicht erwähnt.

Nachweise

  1. BKD Lemgo, S. 621f. mit Abb. 702 u. 703.

Zitierhinweis:
DI 59, Lemgo, Nr. 60 (Hans Fuhrmann, Kristine Weber, Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di059d006k0006003.