Inschriftenkatalog: Passau I (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 80: Passau I (2011)

Nr. 121 Obernzell, ehem. fürstbischöfliches Schloss 1581

Beschreibung

Kartuschen mit moralisch-religiösen Sprüchen. Im zweiten Obergeschoß im Raum über der ehem. Kapelle, an der Süd-, Ost-, und Nordwand. Auf den Putz aufgemalt. Auf Sichthöhe jeweils ein querrechteckiges Schriftfeld mit mit Rollwerk und (Blatt-) Voluten geschmücktem Rahmen, unterschiedlich gestaltet, um den Rahmen, vor allem am unteren Rand, gemalte hängende Bänder mit Sträußen aus Blättern und Früchten, im Rahmen meist dreizeilige Inschrift; Rahmen silbern, Behänge golden, Schrift schwarz. Kartuschen teils beschädigt, stark überarbeitet und zu größeren Teilen ergänzt bzw. rekonstruiert; eine der Kartuschen enthält vollkommen neuen Text, der sich auf die Restaurierung im Jahre 1976 und die Übertragung von der ehem. Kapelle an den heutigen Standort bezieht. Die Kartuschen stammen aus der Zeit Urbans von Trenbach und gehörten ursprünglich zu dessen Ausgestaltung der Schlosskapelle im ersten Stock1).

Maße: H. 25 cm (Schriftfeld ohne Rahmen), B. 105 cm (Schriftfeld ohne Rahmen), Bu. 3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis, westsyrische Schrift (Serto; I), Griechisch (IX), Hebräisch (VII)2).

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/4]

I. Nordwand, zweites Joch von Osten, linke Kartusche.

  1. VOTAa) NOSTRA SOBRIA SINT. ET DIGNA QVAE À DEO PE/TANT(VR)b), ET QVAE DEVS DET SIC TANDEM MERITÒ SPERAM(VS): / en Alōhō ḥelō=ain manū da-l-quḇlan?c)

Übersetzung:

Unsere Wünsche sollen nüchtern bedacht und würdig sein, von Gott erbeten und von Gott gewährt zu werden: erst dann dürfen wir mit einiger Berechtigung hoffen: Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Vives, Introductio Satz 317 (vota bis det) und nach Rm 8,31 (Inschriftenabschnitt in Altsyrisch).

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstabe vergrößert.
  2. Am Ende der ersten Zeile folgt ein kleines Ornament.
  3. Für die Translitterierung der syrischen Inschrift bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Dr. Hubert Kaufhold, Leopold-Wenger-Institut; Zeile rechtsbündig; am linken Ende ein kleines florales Ornament.

II. Nordwand, zweites Joch von Osten, rechte Kartusche.

  1. PECCATIa) SORDES ABLVE LACHRIMISb), / POENITENTIA. ELEEMOSYNA, ET [I]NVOCATIONE / DIVINAE CLEMENTIAE, HVIC MVLTVM CONF̣ISVSb).

Übersetzung:

Wasche den Schmutz der Sünde mit Tränen, mit Buße, mit Almosengeben und mit der Anrufung der göttlichen Milde ab! Vertraue fest auf sie!

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Vives, Introductio Satz 581 (peccati bis confisus).

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstabe vergrößert.
  2. Es folgt am Ende der Zeile ein s-förmiges Ornament.

III. Nordwand, erstes Joch von Osten, linke Kartusche.

  1. SISa) TALIS IN HOMINEM, QVAḶ[EM CVPIS CHRISTVMb)] / ERGA TE, VIDE OMNINO, V[ – – – ]/TATI, SERPENTIS CONIVN[ – – –

Übersetzung:

Sei deinem Mitmenschen gegenüber so, wie du dir wünschest, dass Christus dir gegenüber sei! Sieh in allem darauf, dass ... der Schlange ...

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Vives, Introductio Satz 543 (sis bis te)

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstabe vergrößert.
  2. Ergänzt nach Vives, Introductio Satz 543.

Kommentar

Die Inschrift in dieser Kartusche ist nur zur Hälfte erhalten. Der erste Teil kann aber mit einer Stelle bei Vives identifiziert und danach ergänzt werden. Im zweiten Teil ist von „der Schlange“ die Rede, die mutmaßlich als Metapher für den Teufel steht, der auch in der folgenden (fragmentarischen) Inschrift genannt wird.

IV. Nordwand, erstes Joch von Osten, rechte Kartusche.

  1. [DI]ẠBOLI TENTATIONIB[VS – – – / VIT]A HO(MIN)IS SVP(ER) TERR[AMa) – – –/ – – – ]ṆS, QVAERENS, QVEM[ – – –/ – – – ]TATVR FORTIT[ERb) – – –

Übersetzung:

Widersteht den Versuchungen des Teufels! das Leben des Menschen auf Erden ist wie ein Militärdienst.

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Iob 7,1 (militia bis terram), evtl. auch nach Vives, Introductio Satz 584 (militia bis terram).

Textkritischer Apparat

  1. Die Stelle kann wohl nach Iob 7,1, einer Stelle, die auch bei Vives, Introductio Satz 584 zitiert wird, und zusätzlich evtl. mit resistite ergänzt werden: [DI]ABOLI TENTATIONIB[VS RESISTITE: MILITIA EST / VIT]A HO(MIN)IS SVP(ER) TERR[AM.
  2. Der zweite Teil kann möglicherweise nach 1 Pt 5,8–9 ergänzt werden: ET CIRCVIT TA(N)QVA(M) LEO RVGI/E]NS, QVAERENS, QVEM [DEVORET – – –: CVI / RESIS]TATVR FORTIT[ER IN FIDE – – – ].

V. Ostwand, nördlich der Fensternische.

  1. QVAE SENTENTIEa) PRINCIPIO IN PRIMA CONTIGNATIONE / SACELLI INSCRIPTAE ANNO MCMLXXVIo HVC TRANS=/LATEa), ANNOQVE INSEQVENTI REFECTAE SVNTb)

Übersetzung:

Diese Sprüche, die anfangs im ersten Stock in der Kapelle geschrieben standen, wurden im Jahre 1976 hierher übertragen und im folgenden Jahre wiederhergestellt.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! An diesen Stellen jeweils E statt sonst üblichem AE.
  2. Es folgt ein florales Ornament.

Kommentar

In dieser Kartusche ist eine neue Inschrift angebracht. Sie wurde bei den Sanierungsarbeiten im Schloss angefertigt.

VI. Ostwand, südlich der Fensternische.

  1. [Q]VOTIESa) AVDIS NOMINARI DEVM, MAIVS / [Q]VIDDAM ET ADMIRABILIVS OCCVRRATa), / [Q]VÀM QVOD POSSIT HVMANA MENS CAP(ER)E.

Übersetzung:

Sooft du hörst, dass Gott genannt wird, ereignet sich etwas Größeres und Wunderbareres als das, was der menschliche Verstand erfassen kann.

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Vives, Introductio Satz 299 (quoties bis capere)

Textkritischer Apparat

  1. Am Ende der Zeile folgt ein s-förmiges Ornament.

VII. Südwand, erstes Joch von Osten, linke Kartusche.

  1. VNIVSa) DIVINITATIS [ – – – ] PERSONAS / ׳חךה b) NON QVA RATION[ – – – ]Rc), SED À / QVO DICATVR ADVER[ – – – ]d)

Übersetzung:

... der einen Gottheit ... Personen ... nicht aus welchem Grunde [etwas] gesagt wird, sondern von wem es gesagt wird ...

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstabe vergrößert.
  2. Gemeint ist sicher der jüdische Gottesname, der Befund zeigt aber Taw statt Chet und Chet statt He.
  3. Ergänze evtl. zu RATION[E DICATV]R.
  4. Es folgt ein Ornament.

VIII. Südwand, erstes Joch von Osten, rechte Kartusche.

  1. D(OMINVS)a) VRBANVS, EPISCOPVS ECCL(ES)IEb), PATAVIENSIS, DICTVS / DE TRENBACH, EXIMVSc) LITTERARVM ARTIVM ADORATOR IN RECONSTRVCTA ARCE OBERNZELL ANNO MDLXXXIo / SERIEM DICTORVM PRAECLARORVM PARIETI APPONI IVSSIT.

Übersetzung:

Herr Urban, Bischof der Kirche von Passau, genannt von Trenbach, ein außerordentlicher Verehrer der Wissenschaften und der Künste, hat in der wieder aufgebauten Burg von Obernzell im Jahre 1581 die Reihe berühmter Zitate an den Wänden anzubringen lassen.

Textkritischer Apparat

  1. Buchstabe vergrößert.
  2. Das folgende Komma wäre zu tilgen.
  3. Sic, lies EXIMIVS.

Kommentar

Dieser Text enthält die Angaben zum Auftraggeber dieser Inschriftenreihe. Da er keinerlei Lücken aufweist und Bischof Urban von Trenbach – quasi von außen betrachtet – als Verehrer der Wissenschaften und Künste bezeichnet, ist auch hier zu vermuten, dass der Text erst bei der Restaurierung hergestellt wurde. Unklar ist, ob er vollkommen neu verfasst wurde oder ob er auf einer originalen Inschrift basiert. Ein Teil, in dem sich Urban als Urheber des Inschriftenzyklus nennt, wäre nicht außergewöhnlich: auch bei der epigraphischen Ausgestaltung des Festsaales (vgl. Nr. 123) hat er sich vermerken lassen. Er lobt sich dort allerdings nicht selbst.

IX. Südwand, zweites Joch von Osten, linke Kartusche.

  1. ORATVR(VS)a), HOC AGE EXECṚA[N]TVR · (E)N(IM) · ILLVM COELESTIA ORACV=/LA, QVI OPVS DEI FACIṬ NEGLIGENTER, NEC FRVSTRA AB AN=/TIQ(VI)Sb) DICTVM EST: Κ̣ΑΘΗΣΤΑΙ Π̣[ΡΟ]Σ̣ΚΥΝHΣΟΝΤ̣[ΟΣ]c)

Übersetzung:

Wenn du beten willst, dann tue es; denn die göttlichen Weissagungen verfluchen den, der das Werk Gottes nachlässig begeht und nicht ohne Grund ist von den Alten gesagt worden: er sitzt im Bereich eines, der sich niederwerfen wird.

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Vives, Introductio Satz 315 (exterantur bis negligenter) bzw. nach Ier 48,10 (qui bis negligenter).

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstabe vergrößert.
  2. Kein Kürzungszeichen erkennbar.
  3. Es folgt ein Ornament am Inschriftenende.

X. Südwand, zweites Joch von Osten, rechte Kartusche.

  1. SIa) IN CITḤ[AROEDOb) – – – FI]/DIB(VS)c) SONARẸ[b) – – – ] / LINGVAM DỊC̣[EREd) – – –

Übersetzung:

Wenn es schon für jemanden, der singt, und sich dabei auf der Leier begleitet, eine Schande ist, nicht die gleiche Melodie zu singen und zu spielen, dann ist es für uns eine noch viel größere Schande, beim Gotteslob im Geiste an etwas anderes als an das, was wir mit der Zunge sprechen, zu denken.

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Nach Vives, Introductio Satz 316 (si bis dicere).

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstabe vergrößert.
  2. Ergänzt nach Vives, Introductio Satz 316.
  3. An dieser Stelle bei Vives fides eius; der Verfasser der Inschrift hat offenbar diese Vives-Stelle durch das ebenfalls mögliche fidibus ersetzt.
  4. Der Text geht auf Vives, Introductio Satz 316 zurück, wurde aber – wie öfter bei den Obernzeller Inschriften und wie auch Fußnote c) zeigt – mutmaßlich leicht verändert. Daher kann der Text hier nicht einfach ergänzt werden. Der Wortlaut bei Vives lautet: Si in citharoedo turpe est, aliud ipsum ore, aliud fides eius sonare: multo est turpius, cum Deo psallimus, aliud linguam dicere, aliud animum cogitare.

Kommentar

An dieser Stelle ist die Inschrift wiederum erheblich zerstört. Trotzdem kann der Text mit einer Stelle bei Vives identifiziert und in Teilen ergänzt werden. Da es sich allerdings nicht um ein wörtliches Zitat handelt, kann die Inschrift nicht ganz rekonstruiert werden.

Die Schrift ist in Kapitalis ausgeführt. Da die gemalten Inschriften restauriert wurden, legt sich eine genauere Schriftanalyse nicht nahe.

Die moderne Inschrift unterscheidet sich eindeutig allen voran in der Form des G, bei der die Cauda oben rechtwinklig nach links umgebogen ist. Dies ist bei den – weitgehend noch – originalen Schriftproben nicht so. Ansonsten erscheinen vor allem die Proportionen bei den neuen Inschriften anders: besonders die Bögen bei Buchstaben wie B, P und R wirken hier tendenziell größer als bei den älteren Schriftproben.

Die beiden Nummern V und VIII unterscheiden sich völlig von den restlichen Texten. Die Inschrift V dokumentiert die Restaurierung und ist in jedem Fall neu. Inschrift VIII nennt den Auftraggeber und ist ebenfalls – zumindest zum Teil – neu. Mutmaßlich war bei Nr. V die ursprüngliche Inschrift vollkommen verloren.

Leider konnte bei diesen Inschriften nicht viel ergänzt werden, da diese Inschriftenkartuschen nicht in der einzig bekannten kopialen Überlieferung bei Dölzer, der den „Rittersaal“ dokumentiert hat, aufgenommen sind. Da sie auch nicht von Röttger, Kdm Wegscheid, erwähnt werden, ist anzunehmen, dass sie zu jener Zeit übertüncht waren. Der Text dieser Inschriften zeigt ein ähnliches Bild wie der Schriftzyklus im Festsaal (Nr. 122): die Sprüche orientieren sich an literarischen Vorlagen bzw. der Bibel. Das Werk Ad veram Sapientiam introductio von Juan Luis Vives bildet die maßgebliche Grundlage. Die daraus stammenden – oft paraphrasierten – Textstellen werden zum Teil mit anderen Zitaten beispielsweise aus der Bibel – u.U. in einer anderen Sprache – ergänzt.

Inhaltlich scheint ein Teil dieser Sprüche aus der ehemaligen Schlosskapelle im weitesten Sinn den Kirchgänger anzusprechen: sie scheinen Anliegen zu thematisieren, mit denen der Gläubige in die Kirche bzw. in die Kapelle kommt. So ist die Rede davon, wie die Gebete sein (vgl. vor allem I) und wie sie verrichtet werden sollen (vgl. vor allem IX und X) und auf welche Weise Buße für Sünden geleistet werden soll (vgl. vor allem II). Vermutlich sollten sie als eine Art geistlicher Leitfaden oder Inspiration für den Betenden dienen. Leider kann auf Grund der Verluste bei den nur mehr fragmentarisch erhaltenen Inschriften nicht mehr das gesamte Programm erfasst werden.

Anmerkungen

  1. Vgl. hierzu vor allem Schmid, Obernzell 13; Schmid, Schloss 15.
  2. Für Übersetzungshilfen bei den lateinischen Texten bedanke ich mich bei Herrn Dr. Uwe Dubielzic, München; für die Auflösung der westsyrischen Schrift bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Dr. Hubert Kaufhold, Leopold-Wenger-Institut; für Hilfen zur Auflösung der griechischen Inschriften bedanke ich mich bei Herrn Dr. Andreas Müller, Bayerische Akademie der Wissenschaften, und Prof. Dr. Ernst Vogt, München, für Hinweise zu den hebräischen Schriftzeichen bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Dr. Hans-Georg von Mutius, LMU München sowie bei Herrn Prof. Dr. Michael Brocke, Salomon Ludwig Steinheim-Institut, Duisburg.

Nachweise

  1. Schmid, Obernzell Abb. 5.2, 5.3; Schmid, Schloss 15 (nur VIII); Handbuch Keramikmuseum 15 (nur VIII).

Zitierhinweis:
DI 80, Passau I, Nr. 121 (Ramona Epp), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di080m014k0012108.