Inschriftenkatalog: Passau I (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 80: Passau I (2011)

Nr. 116 Obernzell, ehem. fürstbischöfliches Schloss vor 15811)

Beschreibung

Fensterlaibung mit Graffiti. Im Treppenaufgang zum ersten Obergeschoß, Westfenster. Am nördlichen und am südlichen Laibungsabschnitt Wandmalerei mit jeweils einem Wappenschild in unregelmäßigen achtpassförmigen Rahmen (nur die seitlichen Pässe rund, die anderen spitz zulaufend, Pässe in den Diagonalen kleiner), Rahmen gold, rot ausgefüllt: auf der S-Seite das Hochstiftswappen (Passauer Wolf), auf der N-Seite das Familienwappen des Bischofs Georg von Hohenlohe2). Inschriften meist in die Pässe der Wappenrahmen geritzt. Malerei, vor allem Wappen stark verblasst; bei Restaurierungsarbeiten in den 1960er /70er Jahren freigelegt3).

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/11]

Maße: H. (Wappen mit Rand) 90 cm, B. (Wappen mit Rand) 75 cm, Bu. ca. 0,5–1 cm.

I. Nördlicher Laibungsabschnitt

1. Im oberen Pass des Wappenrahmens.

Schriftart(en): gotische Kursive.

  1. – – –]a) S[..]ṇgelhamẹrb) [– – –

Textkritischer Apparat

  1. Darüber Rest von größeren Buchstaben sichtbar, jedoch nicht mehr entzifferbar.
  2. Unklar, ob noch Schrift folgt: um den Schriftzug sind Schlaufen zu erkennen, die jedoch offenbar einen ornamentalen Rahmen ergeben.

Kommentar

Eventuell kann der Schriftzug zu dem Namen Stinglhamer ergänzt werden. Der Name ist für Passau zu Beginn des 16. Jahrhunderts belegt. Für 1520 ist die Grabschrift für einen Baccalaureus namens Wilhelm Stinglhammer überliefert4).

2. Im unteren rechten Pass des Wappenrahmens.

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. 15 M [.] 41 · / [– – –a)

Textkritischer Apparat

  1. Es folgt mindestens eine weitere Zeile mit nicht mehr entzifferbarer Schrift; darunter folgt eine Notenzeile aus drei Linien.

3. Im unteren Pass des Wappenrahmens.

Schriftart(en): Minuskel.

  1. 15 G(eorg) A(dling)a) 06 / [– – –] an[– – –]b) / [– – –] Exitus prudentia ṃetit[ur – – –]c) / G(eorg)d) Adlin[g – – –

Übersetzung:

... der Ausgang [der Dinge] wird anhand der Einsicht gemessen.

Textkritischer Apparat

  1. Initialen mit einem Kästchen gerahmt.
  2. Zeile besteht in erster Linie aus einer Notenzeile (drei Linien); die Buchstaben stehen innerhalb der Zeile, mutmaßlich folgt darauf eine Note; rechts daneben weiter oben ist noch eine zweite Notenzeile erkennbar.
  3. Unklar, ob nach metitur noch Text folgt.
  4. Undeutlich, ob Buchstabenbestand gekürzt.
    Bibel- und Schriftstellerzitat(e): Boethius, De consolatione philosophiae, Liber 2, 1,155). (I,3)

Kommentar

Der Text der dritten Zeile kann zu dem Boethius-Zitat: rerum exitus prudentia metitur ergänzt werden.

Ein Georg Adling ist als fürstbischöflicher Kantor belegt. Seine Grabplatte befindet sich in der St. Johannis-Spitalkirche in Passau6). Danach ist er am 23. Mai 1508, also zwei Jahre nach diesem Graffito, verstorben.

Möglicherweise steht die Ritzinschrift in Zusammenhang mit der Tätigkeit Adlings im fürstbischöflichen Sommerschloss. Es ist nicht sicher, ob sie von ihm selbst stammt. Da sich die Fensterlaibung auf Höhe der ehemaligen Schlosskapelle befindet, ist nicht auszuschließen, dass sich an der Stelle der Chor bei der Messe etc. aufhielt7).

4. Im unteren linken Pass des Wappenrahmens.

Schriftart(en): gotische Kursive (I), Bastarda (II).

  1. I.

    15 · 3̣7 / [i]ṇ dem namẹn Jẹs[u] / Cristoff[.]

  1. II.

    Es was [– – –/– – –]p[– – –

5. Im linken Pass des Wappenrahmens.

Schriftart(en): gotische Kursive.

  1. C̣[.]a) Rottennberg / gnad dẹṃ Gọṭt

Textkritischer Apparat

  1. Name entweder gekürzt oder in kleinen Buchstaben, aber nicht mehr entzifferbar.

6. Im oberen linken Pass des Wappenrahmens.

Schriftart(en): Bastarda.

  1. 15 3̣4̣a) / Jch Duldẹ [– – –b)

Textkritischer Apparat

  1. Dazwischen undefinierbare Linien.
  2. Es folgt darunter eine weitere Zeile in kursiv wirkender Schrift, von der jedoch nichts mehr entziffert werden kann.

II. Südlicher Laibungsabschnitt

1. Im oberen Pass des Wappenrahmens.

Einzelne Versalien bzw. Buchstaben (I). Darunter ein Schriftzug (II).

Schriftart(en): gotische Kursive(?).

  1. I.

    Ṃ [.] ḥ [.]Ṃ Ca)

  1. II.

    P Lampf[..]tzh[– – –b)

Textkritischer Apparat

  1. Auflösung der Buchstaben unklar. Möglicherweise Namensinitialen.
  2. Über a ein Kürzungsstrich(?) evtl. für ein zweites m.

Kommentar

Im Schriftzug II ist eine Namensnennung zu entziffern. Die Reste können zu P. Lampfritzheim ergänzt werden. Unter dem Namen Lampfrizheim findet sich eine adlige Familie im Raum Wasserburg8). Ob sich der hier sichtbare Namenszug auf ein Mitglied dieser Familie bezieht, kann nicht geklärt werden. Eine genaue Personenidentifizierung ist schwierig, zumal die Familie nicht näher für den Raum Passau belegt ist. Bei Hundt/Libius findet sich: ein Sigmundt Lämpeltzhaimer zu Straubing, der Pfleger zu Haidenburg (Lkr. Passau) gewesen sein soll (1480) – dieser wäre also im Raum Passau belegt; unter dem Namen Paul Lampfrizheimer – zu dem die Initiale passen würde – können zwei Personen festgemacht werden: ein Paul Lampfrizheimer soll u.a. Küchenmeister bei Herzog Georg zu Landshut gewesen sein (Ende 15. Jh.), ein anderer fand sich am Hofe Herzog Albrechts V. und war 1584 im Kloster Attel (Lkr. Rosenheim/OB) „in Verwahrung“9). Auf Grund der wagen Informationen muss jedoch eine genauere Zuweisung unterbleiben.

2. Im unteren rechten Pass des Wappenrahmens.

Schriftart(en): Bastarda.

  1. 1̣5//54̣a) / Gott ṿermags allạịn / V Tengl[er]

Textkritischer Apparat

  1. Unsicher, ob zuvor noch Zeichen; zwischen der Jahreszahl ein rundes Zeichen.

Kommentar

Die Namensnennung kann mit großer Wahrscheinlichkeit mit Ulrich Tengler aufgelöst werden. Dieser war fürstbischöflicher Hofrat in Passau und Pfleger des Passauischen Gerichts Wolfstein (Gde. Freyung, Lkr. Freyung-Grafenau). Er starb am 4. Februar 1564; seine Grabtafel befindet sich im Vorraum der Domsakristei in Passau10).

Der von ihm hier vermerkte Spruch erinnert an die Devise des Erasmus Käser, die dieser nach 1527 auf der Grabplatte seiner Eltern anbringen ließ und die höchstwahrscheinlich mit der evangelischen Lehre in Zusammenhang steht: ALLAIN DVRCH CRISSTVM11).

Ob dies auch hier bei Ulrich Tengler der Fall sein könnte, kann nicht mit Sicherheit geklärt werden. Tengler führt auf seiner Grabtafel eine andere Devise: TANDEM PACIENCIA VICTRIX (Die Geduld bleibt schließlich Siegerin). Darüber hinaus ist bislang nichts bekannt, ob Ulrich Tengler Anhänger der lutherischen Lehre gewesen sein könnte. Jedoch war sein Bruder, Christoph Tengler (vgl. Nr. 103) höchstwahrscheinlich und ein Nachfahre, Hilprand Tengler (gest. 1636), nachweislich evangelischen Bekenntnisses12).

3. Im unteren Pass des Wappenrahmens.

Es sind zwei Wappenschilde erkennbar, davon einer größer, der andere kleiner darunter und mit einem Vierpass gerahmt. Die Schriftzüge sind darüber, dazwischen und darunter angebracht (I), ein davon offenbar unabhängiger Schriftzug ist weiter links oben erkennbar (II). Schriftzüge und Wappen in den Putz eingeritzt.

Schriftart(en): Bastarda (I), Frühhumanistische Kapitalis (I), gotische Kursive (II).

  1. I.

    2̣5a) / [– – –]g g[– – –]b) / D · F · A · A · E / · I · G ·

  1. II.

    Ṃịḥị ṃẹụṣ

Textkritischer Apparat

  1. Möglicherweise auch 35; darunter der größere Wappenschild.
  2. Darunter der kleinere Wappenschild.
 
Wappen:
unbekannt13), Marke in Schild14).

Kommentar

Bei der Zahl handelt es sich wohl um eine mindere Zahl für eine Jahresdatierung. Auf Grund der Schrift und auch im Vergleich mit den anderen Graffiti ist somit das Jahr 1525 oder 1535 gemeint. Die Wappenschilde konnten leider nicht identifiziert werden. Bei den Initialen in Kapitalis ist unklar, ob es sich um die Abkürzung eines Namens oder um eine Devise handelt.

4. Im unteren linken Feld des Wappenrahmens.

Schriftart(en): gotische Kursive.

  1. [.]eina) // [..]emb) / Ḅẹg̣[..]ḍ[– – –]ạṇ / [– – –] Ṇịṭ / Jst [– – –]ṃạg gẹben gott

Textkritischer Apparat

  1. Es folgt ein eingeritztes Herz.
  2. Es folgt ein eingeritztes Rad(?).

Kommentar

Obwohl vier Zeilen sichtbar und in jeder Zeile noch Schriftzüge erkennbar sind, lässt sich kein sinnvoller Text mehr entziffern. Ferner ist unklar, was die Zeichen (Herz und Rad) im Textfluss zu bedeuten haben. Möglicherweise stehen die Symbole an Stelle ausgeschriebener Worte.

Die verschiedenen Graffiti befinden sich auf der spätgotischen Malschicht in der westlichen Fensternische im Raum der ehemaligen Kapelle. Obwohl nicht alle datiert sind, stammen sie demnach wohl allesamt noch aus der Zeit vor der Renovierung durch Urban von Trenbach1). Der Standort deckt sich möglicherweise mit dem Ort, an dem sich ehemals der Chor bei Messen in der Schlosskapelle aufhielt. Anbei an wenigen Stellen auch kurze Notenzeilen (I, 3.). Neben Namensvermerken und Jahresangaben finden sich häufig Fürbitten bzw. religiös motivierte Devisen, darunter auch ein Boethius-Zitat (I, 3.). Ob einige der Devisen auf eine (heimliche?) Anhängerschaft der lutherischen Lehre gesehen werden müssen (vgl. z.B. II, 2.), lässt sich nicht mit Sicherheit klären.

Anmerkungen

  1. Das gesamte Schloss wurde von Urban von Trenbach Anfang der 80er Jahre des 16. Jahrhunderts renoviert. Die Graffiti stammen wohl noch aus der Zeit vor dessen Umbauten, da sie sich noch auf der gotischen Malschicht befinden. Die Datierung orientiert sich nach einem Schlussstein in der Kapelle mit dem Wappen des Bischofs und der Jahreszahl 1581, vgl. hierzu Nr. 120.
  2. Wappen: Hochstift Passau: Bi 48; Hohenlohe: FstM 9f.; Bischof Georg von Hohenlohe gilt als erster Erbauer des Schlosses, vgl. hierzu Kdm Wegscheid 76 und Dehio NB 466.
  3. Vgl. hierzu vor allem Thiele, Instandsetzung 18f.; es handelt sich hierbei also um die Wandmalereien der (spät-)gotischen Phase, die bereits in der Renovierung der Renaissance unter Urban von Trenbach übermalt wurden.
  4. Vgl. DI 67 (Stadt Passau) Nr. 394†.
  5. Vgl. Anicii Manlii Severini Boethii, Philosophiae consolatio, hg. von Ludwig Bieler (CCSL XCIV). Turnhout 1984, 18.
  6. Vgl. DI 67 (Stadt Passau) Nr. 334.
  7. An dieser Stelle sei Herrn Heinz-Walter Schmitz, Leiter des Referats für Kirchenmusik des Bistums Passau, für seine Hilfe gedankt.
  8. Vgl. hierzu BayA1 18 oder Hundt/Libius, Stammenbuch III, 451.
  9. Vgl. hierzu Hundt/Libius, Stammenbuch III, 451; BSB Cgm 2290 17 fol. 92r und 93v (dort zum jüngeren Paul Lampfrizheimer).
  10. Vgl. DI 67 (Stadt Passau) Nr. 589; vgl. auch die Grabtafel seiner Schwägerin Margaretha in Kellberg, Nr. 103.
  11. Vgl. hierzu DI 67 (Stadt Passau) Nr. 369: hier auch kurz zur Person.
  12. Vgl. hierzu Kaff, Volksreligion 358; HAB Grafenau 118.
  13. Ein Schrägbalken.
  14. Doppelhaken bzw. Schaft mit hinterer Oberkopfabstrebe und vorderer Fußstrebe, rechts oben und links unten von je einer Kugel begleitet.

Zitierhinweis:
DI 80, Passau I, Nr. 116 (Ramona Epp), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di080m014k0011607.