Inschriftenkatalog: Landkreis Hersfeld-Rotenburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 91: Hersfeld-Rotenburg (2015)

Nr. 105†? Kassel, Hessisches Landesmuseum, aus Bad Hersfeld, Stiftskirche(?) (11. Jh.)/E. 15.– A. 16. Jh.(?)

Beschreibung

Bezeichnung, vielleicht für Reliquien, auf der hölzernen Schutzhülle von „syrischen Gläsern“, also farbigen Bechern, die, so der Gewährsmann und viele andere, durch die Kreuzfahrer ins Abendland gebracht worden seien. Die Beschriftung war angeblich in weißer Farbe und in „früher romanischer Schrift“ ausgeführt. Das Objekt konnte mit den spärlichen Angaben in den Sammlungen des Landesmuseums nicht aufgefunden werden, wie eine Korrespondenz ergab.1)

Nach Hörle.

Schriftart(en): Angeblich Romanische Majuskel oder doch Frühhumanistische Kapitalis (?).

  1. VITRVM S(ANCTI) WIBERTIa)

Übersetzung:

Glas des hl. Wi(g)bert.

Kommentar

In der Beschriftung erkannte der Gewährsmann den Namen des hl. Wigbert – einen Wibert gibt es nicht. Der Ausfall des Buchstabens G kann ohne Autopsie nicht geklärt werden. Nach Hörle stammt das Objekt aus Hersfeld; wegen der aus der Schrift rückgeschlossenen Zeitstellung muß es zum Stiftsschatz gehört haben. Zu bestätigen scheint das auch ein nach Hörle im Hersfelder Heimatmuseum, d. i. heute das Stadtmuseum, befindliches Lichtbild, das bisher allerdings nicht identifiziert werden konnte.

Denkbar wäre auch eine Herkunft aus Fritzlar, wo der hl. Wigbert ursprünglich Missionar nach Bonifatius und Abt war und wo auch nach der Translation der Gebeine nach Hersfeld in der Spätzeit Erzbischof Luls (Nr. 1)2) die Wigbert-Verehrung weiterblühte, sogar eine Grabfigur und ein Reliquiar bekannt sind.3) Obwohl eine Datierung ohne Autopsie nicht möglich ist und man die Überführung nach Kassel nicht bestimmen kann, ja sogar eine Reliquiensuche des Jahres 1749 in Hersfeld dieses Objekt nicht kennt, es also mehrere Unsicherheitsfaktoren gibt, wird man der Zuweisung Hörles mit einiger Vorsicht folgen dürfen. Weitere Ungereimtheiten sollten freilich nicht übergangen werden: Die Benennung der Schrift durch Hörle, dem man zwar einiges Wissen zu Schriften wird zutrauen dürfen, scheint jedoch seiner Wanderungsgeschichte der Gläser (oder des Glases) zu widersprechen, da erst der zweite Kreuzzug mit namhafter deutscher Beteiligung die Schenkung eines Kreuzfahrers an ein deutsches Kloster ermöglichte, und das läge sehr nahe am äußersten Ende der von Hörle paläographisch angezeigten Entstehungszeit. Entweder besteht der Zusammenhang mit den Kreuzzügen nicht, oder die Datierung muß verschoben werden. Das wird man trotz der seit 1180 unter Abt Siegfried einsetzenden Aufwertung der Patrone Simon und Judas Taddäus und dem ab 1216 bezeugten Siegel, in dem das Bild Wigberts durch das der Apostel ersetzt wurde (Wigberts Brustbild im kleinen Dreipaß unten),4) annehmen dürfen. So legt denn auch der Ansatz des syrischen Glases ins 13. Jahrhundert5) bei May eine Spätdatierung des Objekts und seiner Beschriftung nahe. Hier ist darauf hinzuweisen, daß Hörle seiner Nachricht unmittelbar vorausgehend ein Steinfragment mit der Silbe SIM ebenfalls als „frühen romanischen Sockel“ bezeichnete, obwohl das keinesfalls mit den drei Buchstaben abzusichern ist.6) Ohne Autopsie der Schrift (von Original oder Foto) wird man kaum früh datieren dürfen, sondern vielmehr eine frühhumanistische Kapitalis erwägen müssen, die in dem kurzen Text durchaus den Eindruck einer romanischen Schrift erweckt haben konnte. Auch die Art der Beschriftung, in weißer Farbe auf einem Kasten, schließt eine Frühdatierung aus. Daher kann die Überlegung, einige verlorene Reliquiare (Nrr. 101 f.) seien spätmittelalterlichen Ursprungs, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen.

Die Aussage der Inschrift bezeichnet das Glas nicht selbst als Reliquiar, sondern als Relikt der Lebenszeit Wigberts, also eine Berührungsreliquie. Dieser Umstand ließe sich besser für Fritzlar als Herkunftsort vereinnahmen, denn dort war man von Reliquienerhebungen abgeschnitten, in Hersfeld, wohin Wigbert von Lul übertragen worden war, eben nicht.

Textkritischer Apparat

  1. Sic. May hat Wigberti, äußert sich jedoch nicht zur Schrift, siehe auch Kommentar.

Anmerkungen

  1. Freundliche Auskunft von Frau Sabina Köhler, Museumslandschaft Hessen Kassel, vom 3. Juni 2014. Während Hörle zwei Gläser gesehen hatte, kannte Neuhaus, Spuren 129 sogar drei. Heute gibt es noch zwei inschriftlose – eines ging im Zuge der Auslagerung verloren, vgl. auch Apel, Hersfeldisches 88.
  2. Zur Translation vgl. Lohmann, Fritzlar 210 mit weiterführender Literatur, auch hier Nrr. 3 und 164.
  3. Vgl. etwa DI 14 (Fritzlar), Nrr. 13, 14, 15, 33, 73.
  4. Vgl. Meyer-Barkhausen, Klosterpatrozinium 140.
  5. Man vgl. hierzu auch E. Schmidberger, „Aleppo-Becher“ (Islamisches Goldemailglas), in: Schatzkunst 52 f. Kat. Nr. 10, wonach neben dem dort gezeigten Musiker nur noch ein Exemplar mit einer Falkenjagd bekannt ist, jedoch kein Reliquiar mit Beschriftung.
  6. Vgl. Einleitung Kap. 6.

Nachweise

  1. Hörle, Hersfelder Inschriften (vor 1513) 141.
  2. May, Entschwundene Kostbarkeiten 20 f.

Zitierhinweis:
DI 91, Hersfeld-Rotenburg, Nr. 105†? (Sebastian Scholz und Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di091mz14k0010504.