Inschriftenkatalog: Bad Kreuznach

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 34: Bad Kreuznach (1993)

Nr. 243 Bretzenheim, Kath. Pfarrkirche Mariä Geburt 1513

Beschreibung

Glocke mit Meister- und Spruchinschrift sowie Namensbeischriften der Evangelisten. Ehemals im Turm des Vorgängerbaus1) der 1789 neuerbauten Kirche, heute (wohl aufgrund einer Beschädigung) abgenommen und im Friedhof vor der Leichenhalle öffentlich zugänglich aufgestellt. Große Glocke mit reich profilierter Haube; abgesetzt auf der Schulter die Meisterinschrift, darunter die Spruchinschrift zwischen doppelten Rundstegen, gefolgt von einem Rundbogenfries mit hängenden Kreuzblüten. Auf der Flanke in jeder Himmelsrichtung je ein reliefiertes, mit einem winzigen beschrifteten Spruchband (B) versehenes, vierpaßförmiges Evangelistensymbol; zusätzlich über dem des Evangelisten Johannes ein Relief der Muttergottes mit dem Kind im Arm. Der Beginn der Spruchinschrift wird durch eine Wallfahrtsmedaille (Dm. 28 mm) mit der Darstellung des hl. Rockes2), begleitet von Würfel und Messer, markiert. Als Worttrenner dienen (teils paragraphenförmige) kleine Rauten. Gewicht etwa 1600 kg.3)

Maße: H. (o. Kr.) 110, Dm. 140, Bu. 3 (A), 0,5 (B) cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A), Gotische Minuskel (B).

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Eberhard J. Nikitsch) [1/7]

  1. A

    HANSa) · FISCHER · ZV · BING · GOYSb) · MICH //· EN · EGO · CAMPANAc) · NVNQVAM · PRONVNCCIOb) · VANA· DEFVNCTOS · PLANGO · VIVOS · VOCO · FVLGVRAQ(VE)d) · FRANGO· AN(N)O · · 50e) · 13

  2. B

    s(anctus) · iohanes // s(anctus) · marc(us) // [s(anctus) · lucas] // s(anctus) · matheus

Übersetzung:

Ich bin die Glocke, niemals läute ich umsonst, die Toten beklage ich, die Lebenden rufe ich und die Blitze breche ich. Im Jahr 1513.

Versmaß: Zwei leoninische Hexameter, zweisilbig rein.

Kommentar

Die ausgesprochen flächig gestaltete Kapitalis besticht durch ihre zeittypischen Buchstabenformen: A mit überstehendem, leicht geknicktem Deckbalken, zweibogiges E, I und N mit halbkreisförmigen Ausbuchtungen, leicht mandelförmiges O. Der wohl seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nachweisbare, von J. Gerson (†1429) literarisch bearbeitete, im Mittelalter und der Frühen Neuzeit in vielen Variationen weit verbreitete Glockenspruch4) weist auf die wichtigsten Bestimmungen der Glocke hin.

Dem im benachbarten Bingen beheimateten Glockengießer Hans Fischer5) können in der Zeit von 1505 bis 1525 fünf weitere Glocken zugeschrieben werden. Singulär dürfte allerdings die Verwendung der kleinen, münzenartigen Medaille mit der Darstellung des ‘ungenähten‘ Rockes Christi6) sein. Es handelt sich hier um eines der frühesten bekannten Wallfahrtsandenken, das auf die erstmalige öffentliche Ausstellung der kostbaren, seit 1192 im Hochaltar des Trierer Doms eingemauerten Reliquie im Jahre 1512 zurückzuführen ist. Da Würfel und Messer im gleichen Behältnis wie der Rock aufgefunden wurden, gehörten sie auch ikonographisch zu den festen Beigaben. Das Marienrelief könnte sich auf das Patrozinium der Pfarrkirche7) beziehen, die seit 1424 dem Zisterzienserkloster Arnsburg in der Wetterau inkorporiert war.

Textkritischer Apparat

  1. Dieses und alle folgenden N spiegelverkehrt.
  2. Sic!
  3. Dieses und das folgende M aus zwei nebeneinander gestellten spiegelverkehrten N gebildet.
  4. Spiegelverkehrtes P als Q verwendet. – Durch das QVE hat der Hexameter einen Halbfuß zuviel.
  5. 5 spiegelverkehrt, 0 wohl als Ziffer, nicht als Buchstabe geschrieben, da eindeutig kleiner als die vorhergehenden O. Möglicherweise handelt es sich um einen mißglückten Reflex auf die zu dieser Zeit üblichen Abkürzungen für 1500 wie 15c oder MCv.

Anmerkungen

  1. Eine der ursprünglich vier Glocken der alten Kirche wurde nach 1589 auf den Hof Schneeberg verbracht, vgl. Heldmann, Bretzenheim 22.
  2. Ausführliche Beschreibung bei Köster 41f. und Hagen, Wallfahrtsmedaillen 201.
  3. Angabe nach Verzeichnis 81.
  4. Vgl. Otte, Glockenkunde 126ff. und Walter, Glockenkunde 185ff.
  5. Vgl. Fritzen, Glockengießer II 74. – Die wohl anzunehmenden verwandtschaftlichen Verbindungen mit dem in Frankfurt tätigen Geschütz- und Glockengießer Stefan A. von Bingen (vgl. Nr. 254 von 1519) sind noch ungeklärt.
  6. Vgl. zum Folgenden Köster 38ff. und jüngst F. Ronig, Der heilige Rock zu Trier. Eine kurze Zusammenfassung seiner Geschichte, seiner Bedeutung und der Wallfahrten, in: Zwischen Andacht und Andenken. Kleinodien religiöser Kunst und Wallfahrtsandenken aus Trierer Sammlungen. Katalog Trier 1992, 117-136.
  7. Vgl. Seibrich, Entwicklung 46f.

Nachweise

  1. Rhein. Antiquarius II 16, 266.
  2. Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 284.
  3. Zimmermann, Glocken 35.
  4. Kdm. 137 mit Abb. 87.
  5. A.Ph. Brück, Von Binger Glocken und Glockengießern, in: Katholischer Kirchenkalender Bingen 25 (1941) 25.
  6. Liste der Glocken 1.
  7. Köster, Wallfahrtsmedaillen Abb. 9 auf Taf. III (Hl. Rock).

Zitierhinweis:
DI 34, Bad Kreuznach, Nr. 243 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di034mz03k0024304.