Inschriftenkatalog: Stadt Ingolstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 99: Stadt Ingolstadt (2017)

Nr. 126 Franziskanerklosterkirche Mariae Himmelfahrt (1526)

Beschreibung

Grabinschrift auf dem Epitaph des Professors Wolfgang Peysser. Pfeilerreihe zwischen Mittel- und südlichem Seitenschiff, erster Pfeiler von Westen, Südseite, oberes Denkmal. Hochrechteckiger Aufbau. In der Sockelzone zwei kniende Männer mit Rosenkränzen, der linke, ältere im Talar, der rechte in Schaube mit der einen Hand auf den älteren weisend, ein Vollwappen haltend, zu ihren Füßen je ein weiterer kleiner Wappenschild. Darüber Schrifttafel mit Inschrift in sechs Zeilen, drei Distichen mit jeweils eingerückter Pentameterzeile. Oberhalb, in der Hauptzone, öffnet sich eine Bogennische mit kassettierter Tonnenwölbung, hinter dem vorderen Triumphbogen ein weiteres Pilasterpaar, das die Front der Kassettentonne bildet, beide Pilasterpaare mit Blattwerkkandelabern, Bogenstirn der Halbkreiswölbung mit Blatt- und Füllhornvoluten, die Kassetten mit Rosetten verziert. Im Bogenfeld ein Wappenschild, von zwei Putti in römischen Harnischen gehalten. An den beiden äußeren Pilastern Schrifttafel in Gestalt einer Tabula ansata mit floral ausgestalteten Handhaben. Sie bildet die Brüstung eines Balkons, auf ihm links und rechts je ein Engel in liturgischer Tracht, einander im Gespräch zugewandt, in der Mitte ein junger Mann, den Betrachter anblickend, durch Auflegen der Hand auf den Arm des einen Engels ebenfalls als am Gespräch beteiligt gekennzeichnet. In den Bogenzwickeln zwei Tondi mit jeweils einem lesenden, bärtigen Mann. Kalkstein, erhaben, vermutlich aufgesetzte Buchstaben, die Wappen farbig gefasst.

Maße: H. 137 cm, B. 82 cm, Bu. 2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

© BAdW München, Inschriftenprojekt [1/1]

  1. WOLFGANGVS · PEISSER · MEDICA · NOTISSIMVS · ARTEa) ·CVI · DEDIT · ET · PRVDENS · DOCTA · MINERVA · CAPVT ·HOC · TEGITVR · SAXOa) · DIGNVS · QVI · VIVERET · ANNOS ·NESTORISa) · ET · PRISCOS · INTER · HABENDVS · AVOS ·GYMNASI(I)b) · PATRIEQ(VE) · FVIT · SPES · VNICA · NOSTREa) ·SYDEREOS · MERVIT · SICQ(VE) · [VI]DEREc) · CHOROSd)

Übersetzung:

Wolfgang Peysser in der Heilkunst hochberühmt, dem die gelehrte Minerva auch einen klugen Kopf gegeben hat, liegt unter diesem Stein begraben. Er wäre es wert gewesen, die Jahre des Nestor zu leben1) und hätte unter die ehrwürdigen Großväter gerechnet werden müssen, (denn) er war die einzigartige Hoffnung des Gymnasiums und unseres Vaterlandes, aber auch so hat er verdient die himmlischen Chöre zu schauen.

Versmaß: Distichen.

Wappen:
Peysser2), Lennkh von Burgheim3), Greif4).

Kommentar

Das Denkmal zeigt die älteste erhaltene Kapitalisinschrift auf einem Steindenkmal in Ingolstadt. Die erhabenen Buchstaben sind nicht aus der Platte herausgearbeitet sondern geformt und aufgesetzt. Die sehr einheitliche Gestaltung der Einzelbuchstaben legt eine Verwendung von Modeln nahe. Die Schrift kennt das klassische Element der Linksschrägenverstärkung z. B. bei A und V. M zeigt einen verkürzten Mittelteil, die Cauda des R ist gerade und nach unten keilförmig verbreitert. Der Schriftgestalter zeigt durchaus bewusste Formenwahl. So wurde für das Schluss-S ein anderes Model verwendet als für die S in der Wortmitte.

Das Epitaph Wolfgang Peyssers gilt als eines der herausragenden Werke der Epitaphkunst der Renaissance in Bayern. Umstritten ist bis heute die Zuschreibung. Habich schrieb es 1903 als erster Hans Daucher zu. Dietheuer wollte eine Arbeit Loy Herings erkennen. Schädler schlug unter Vorbehalt eine Zuschreibung an Friedrich Hagenauer vor. Heute gilt das Epitaph als ein Daucher nahestehendes Werk „eines donaubayerischen, unter Augsburger Einfluss stehenden Bildhauers“5). Ebenfalls ungeklärt ist nach wie vor die in der Hauptzone dargestellte Szene. Man will in der mittleren Figur ein idealtypisches Portrait Wolfgang Peyssers sehen, in den Engeln Instanzen des Seelengeleits. Dietheuer schlug eine Ausdeutung nach einer Stelle der zeitgenössischen Begräbnisliturgie (in paradisum te deducant angeli) vor6). Diese Deutung stellt jedoch nicht völlig zufrieden, da sich die drei Figuren offensichtlich in einer Gesprächssituation befinden. Eine schlüssige Deutung der beiden Figuren am Sockel gelang Schädler: Er identifizierte die linke Figur mit Wolfgang Peysser senior, die rechte als seinen Sohn, den Ingolstädter Zöllner Wolfgang Peysser junior (vgl. Nr. 199). Die Identifizierung gelang auf Grund der beiden Wappenschilde, die als Wappen der Ehefrauen von Vater und Sohn Peysser zu gelten haben. Wolfgang junior war mit einer Frau aus der Ingolstädter Familie Greif verheiratet. Für Wolfgang Peysser senior nimmt Schädler auf Grund von Peyssers Herkunft und dem Wappenbild eine Ehefrau aus der Burghausener Familie Treiber an7). Das inzwischen wieder aufgefundene Stifterfenster Peyssers belegt die Herkunft der Ehefrau aus der Familie der Lennkh von Burgheim (vgl. Nr. 104a).

Die beiden männlichen, lesenden Figuren wurden von Dietheuer als Hippokrates und Galen – Vertreter der antiken Medizin – identifiziert. Dem wurde bisher nicht widersprochen, allerdings gibt es für diese Theorie auch keinen Beweis.

Wolfgang Peysser stammte aus Burghausen. Ehe er nach Ingolstadt kam, hatte er bereits in Tübingen und vermutlich in Pavia studiert. Er immatrikulierte sich am 13. April 1472 an der Hohen Schule. 1482 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert. 1507 wurde er wegen besonderer Verdienste auf Lebenszeit angestellt. Er beteiligte sich auch am Leben der Stadt und war ab 1514 Ratsmitglied8). Sein oben erwähnter Sohn Wolfgang iunior wurde Zöllner zu Ingolstadt, sein Enkel Hilarius wurde später Mitglied des Inneren Rats und mehrfach Bürgermeister (vgl. Nr. 281).

Peysser beschäftigte sich als Mediziner ausführlich mit der Bekämpfung der Pest.

Peysser wählte die Vituskapelle der Franziskanerklosterkirche zu seinem Bestattungsort – wohl auch im Hinblick auf die Bestattung künftiger Generationen, die keine Bindung an die Universität haben würden (s. z. B. auch Nr. 199 und 281) und ließ sie mit Kunstwerken ausstatten. Rotmar nennt eine gemalte Tafel mit Märtyrerlegenden, zwei Relieftafeln in Größe des Altars, eine mit Szenen aus der Passion Christi, die andere mit dem Martyrium des Hl. Wendelin. Er stiftete auch ein Bildfenster im Inneren Umgang des Franziskanerklosters, das Bildfenster der Annakapelle in der Münsterkirche und ein Sakramentshäuschen in Unterhaunstadt9). Er verstarb am 29. Dezember 1526. Seine umfangreiche Bibliothek kam nicht - wie in der älteren Literatur zu lesen - testamentarisch durch ihn an die Universität10).

Textkritischer Apparat

  1. Der nächste Worttrenner als Doppelstrich.
  2. Kürzung durch Trema über dem I.
  3. Vorzeichnung sichtbar. Ergänzt nach Kdm.
  4. Blättchenornament als Schlusszeichen.

Anmerkungen

  1. Nestor, König von Pylos, Gestalt der griechischen Mythologie, annos… Nestoris, war schon im römischen Altertum ein Ausdruck für ein hohes Lebensalter. Vgl. Otto, Sprichwörter 242.
  2. Siebmacher Bg3 51.
  3. Über einem Dreiberg ein gesichteter Mond, darüber ein sechsstrahliger Stern. Vgl. Adelslexikon VII, 273f.
  4. Siebmacher Bg3 46.
  5. Zuschreibungen aufgelistet bei Reindl, Loy Hering 470f. (F 31), vgl. auch Eser, Hans Daucher 277-280 (Kat. 41).
  6. Vgl. Dietheuer, Wolfgang-Peisser-Epitaph 6f.
  7. Vgl. Schädler, Ingolstädter Epitaphe 59f. Das Wappenbild der Treiber weicht von dem der Lenckh von Burgheim ab, da sich beim Treiberwappen kein Dreiberg findet. Vgl. auch Dorner, Inschriften Burghausen 30.
  8. Vgl. Biographisches Lexikon 307f.
  9. Zum Fenster vgl. Nr. 104a, 124 und 191† zur Stiftung in Unterhaunstadt vgl. Ernst, Heimatbuch Oberhaunstadt 130f.
  10. Buzàs, Bibliothek passim.

Nachweise

  1. Clm 1533 p. 371; Oefeleana 44 Ingolstadt fol. 16r; Clm 2105 fol. 195, Nr. 421; Cgm 3017 fol. 52v; StadtA Regensburg HVOR Ms. B. 23 p. 22, Nr. 39; Rotmar, Annales fol. 90; Mederer, Annales I, 130f.; Ingolstädter Schützenbruderschaft 130; Kdm OBB I (Ingolstadt) 43; Riehl, Donautal Tafel 43 (Abb.); Kögerl, Garnisonskirche 19-21; Dietheuer, Epitaph passim; Obermeier, Pestgutachten 55f.; Hofmann, Porträts 36, 40, 43f., 48; Schädler, Epitaphe 58-65; Reindl, Loy Hering 470f. (F 33); Koller, Grabsteine 60-62 (m. Abb.); Eser, Hans Daucher 277-280 (Kat. 41); DiB I.1 (Ingolstadt) CLVI, CLIX (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 99, Stadt Ingolstadt, Nr. 126 (Christine Steininger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di099m018k0012608.