Inschriftenkatalog: Stadt Ingolstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 99: Stadt Ingolstadt (2017)

Nr. 389† Pfk. Zur Schönen Unserer Lieben Frau 1601

Beschreibung

Gedächtnisinschrift und Stifterinschrift des Kaspar Hell und der Florentina, geb. Plank, auf dem Wandgrabmal der Tochter Florentina Hell. Ehemals außen, Südwand (Götz). Dreiteiliger Aufbau. Unterhang mit Puttenkopf vor Beschlagwerk. Im Mittelteil zwischen zwei Pilastern mit Engelshermen und ionischen Kapitellen oben in einer Rahmenleiste Inschrift I, darunter in einem eingeritzten Rahmen zwischen zwei Vollwappen Inschrift II, auf der eingeritzten Tafel darunter Ornament, darunter auf einer Tafel mit seitlichem Rollwerk Inschrift III. Oben Volutengiebel mit Schädel und Gebeinen, links und rechts der Gebeine Römische Jahreszahl (IV). Abgewittert mit Bild- und Textverlust. Kalkstein.

Beschreibung und Text nach Photo StadtA Ingolstadt Neg. Nr. 15488. Wappen nach Götz.

Maße: H. 260 cm, B. 135 cm1).

Schriftart(en): Kapitalis, schrägliegend (I), Humanistische Minuskel (II), Kapitalis (II, III, IV).

© Stadtarchiv Ingolstadt [1/1]

  1. I.

     FLORENTINAa) FVI NVNC SVM SINE FLORIBVS VMBRAANNIS FLOREBAM, VIRIBVS INGENIO ·PATRIS OCELLVS ERAM, MATRIS PVPILLA, SED EHEVPVPILLA HEV MATRIS PATRIS OCELL(VS) VBI EST ?AETAS BIS SEPTEM MEA, NON ASPEXIT ARISTASCVM MORS DVRA MEVM FALCE TOTONDIT AGRVMb)PRIMA FVI SOBOLES, IPSA MAIORQ(VE) PARENTE;ESSET SED MAIOR QVI NECE, NEMO FVIT ·VIRGO PERITA FVI FORMOSA, ARTESQ(VE) MINERVAE:DOCTA, CIBOS MERVI IAMQ(VE) OPEROSA MEOSNON TAMEN HAEC PEPVLERE NECEMc); DVM MENSE REFLORE(NT)d)MAIO. ALY, FLORES OCCVBVERE MEI ·ECCE HODIE STANS ISTA LEGIS CRAS FORTE IACEBISQVOD TIBI CRAS PETERES DA MIHI STANS HODIE ·

  2. II.

     SAP(IENTIA) QVARTO / Raptus est ne malitia / mutaret intellectum ei/us aut ne fictioe) decip/eret animam illius

  3. III.

     MOESTI PARENTES . D(OMI)N(V)S CASPARVSf) HELL I(VRIS) V(TRIVSQVE) D(OCTOR) ET IN HAC / ACADEMIA L(EGVM)g) PROFESSOR ORDINARI(VS) AC EIVS CONIVNX FLORE(Ṇ)/ṬỊNAh) Ei) FAMILIA PLANKHIORVM AICHENSES IN BAVARIA FILIAE / SVAE FLORENTINAE MONVMENTVM HOC POSVERVNT QVAE / [OBIIT DIE 1. HORA]j) VNDECIMA, QVA ETIAM NATA FVERAT PIENTISSI/[ME MENSE MAI]k) ANNO M. D. CI

  4. IV.

     M . D // C I .l)

Übersetzung:

Florentina war ich, jetzt bin ich ein Schatten ohne Blüten und habe doch einst an Jahren, an Lebenskräften und Geist geblüht. Des Vaters Augapfel war ich, der Mutter Pupille, aber wehe! – Wo ist, ach, der Mutter Pupille, wo des Vaters Augapfel? Zweimal sieben Jahre zählte mein Alter erst und hatte die Ähren noch nicht gesehen, als der unerbittliche Tod mit seiner Sichel meinen Acker mähte. Die Erstgeborene bin ich gewesen und sogar schon größer als die Mutter selbst – aber jemanden, der größer als der Tod wäre, hat es noch nie gegeben. Ein kluges Mädchen war ich, ein schönes, in Minervas Künsten gelehrt, und tätig, wie ich war, verdiente ich mir bereits selbst mein Brot. Doch diese Vorzüge haben den Tod nicht vertrieben. Im Mai, in dem Monat, in dem andere Blumen wieder erblühen, sind die meinigen zu Boden gefallen. Siehe, heute stehst du da und liest diese Worte – vielleicht schon morgen wirst du daliegen. Gewähre mir also heute stehend, was du dir morgen erbitten würdest. (I)

Weisheit 4. Er wurde geraubt, damit weder Arglist seinen Verstand verändere, noch Vorspiegelung seine Seele täusche. (II)

Die traurigen Eltern, Herr Kaspar Hell, Doktor beider Rechte und an dieser Akademie ordentlicher Professor der Rechte, und seine Ehefrau Florentina aus der Familie Plank zu Aichach in Bayern, haben ihrer Tochter Florentina dieses Denkmal gesetzt. Sie ist am ersten Mai in der elften Stunde – die auch ihre Geburtsstunde gewesen war – in tiefer Frömmigkeit gestorben, und zwar im Jahre 1601. (III)

Bibel- und Schriftstellerzitat(e):

  • Sap 4, 11. (II)

Versmaß: Distichen. (I)

Wappen:
Hell2), Plank3).

Kommentar

Das Photo zeigt eine für diese Zeit avantgardistische Schriftgestaltung, besonders die Wahl einer schrägliegenden Kapitalis für das Grabgedicht ist für den Beginn des 17. Jahrhunderts sehr modern. Versanfänge werden jeweils durch vergrößerte Anfangsbuchstaben gekennzeichnet. Die Beurteilung der Einzelformen der verlorenen Inschrift ist mit dem einzigen Photo aus dem Ingolstädter Stadtarchiv, das zudem einen hohen Verschmutzungsgrad der Platte dokumentiert, schwer möglich. Besonders Aussagen zu Schaftverstärkungen können daher nicht gemacht werden. Zeittypisch erscheint die Verkürzung des mittleren E-Balkens und das Aufbiegen des Endes des unteren Balkens, ebenso bei L. Die R-Cauda ist geschwungen, das untere Ende ebenfalls nach oben gebogen. Konisches M hat einen bis auf die Zeile reichenden Mittelteil. Diese Einzelformen finden sich sowohl in der schrägliegenden Kapitalis des Gedichtes als auch in der geraden der Stifterinschrift. Die Humanistische Minuskel des Bibelzitats zeigt zweistöckiges a und unter die Zeile reichendes langes s.

Florentina Hell war eine Tochter des Professors Kaspar Hell und seiner Ehefrau Florentina, geb. Plank, die in zweiter Ehe Tobias Clanner heiratete (vgl. Nr. 463†). Die Inschrift nennt sie als älteste von mehreren Geschwistern; belegt ist ein Bruder, der Jesuit und erste Rektor des Amberger Kollegs Kaspar Hell4).

Textkritischer Apparat

  1. Anfangsbuchstaben jeder Zeile vergrößert.
  2. Letztes Wort kleiner aus Platzmangel.
  3. EM verschränkt.
  4. Verwitterungsspuren, Lesung auf Photo unsicher, evtl. O über Balken des L gestellt., reflorent alle Handschriften.
  5. Wort vergrößert.
  6. Initialen von Eigennamen und tragenden Wörtern vergrößert.
  7. LL als Kürzung.
  8. Ort der Worttrennung bzw. ob N gekürzt oder auf neuer Zeile, nicht nachvollziehbar, wahrscheinlichere Lösung angegeben.
  9. Über E Strich.
  10. Ergänzt nach Clm 2105.
  11. Ergänzt nach Ostermair, -me obiit Clm 2105 und Cgm 3017, die Fehlstelle lässt mehr Text erwarten, vielleicht zusätzlich in domino oder ähnliches.
  12. Zeile durch Schädel und Gebeine getrennt.

Anmerkungen

  1. Nach Götz entsprach die Platte auch in ihrer Größe genau der Clanner-Platte, daher werden deren Maße hier angeführt.
  2. Siebmacher Bg1 9.
  3. Siebmacher Bg3 51.
  4. Zu den beiden Kaspar Hell vgl. Biographisches Lexikon 174f., dort jedoch nicht als Vater und Sohn gekennzeichnet; vgl. auch Ostermair, Bürgerbuch I, 24.

Nachweise

  1. Clm 2105 fol. 78v-79r, Nr. 228; Cgm 3368 fol. 25v-26r; Cgm 3017 fol. 25v-26r; Ostermair, Stadtpfarrkirche 57; Götz, ULF 85-87.

Zitierhinweis:
DI 99, Stadt Ingolstadt, Nr. 389† (Christine Steininger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di099m018k0038904.