Inschriftenkatalog: Stadt Ingolstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 99: Stadt Ingolstadt (2017)

Nr. 330 Pfk. Zur Schönen Unserer Lieben Frau 1585

Beschreibung

Sterbe- und Gedächtnisinschriften auf dem Wandgrabmal der Familie Zierer. Innen, Nordseite, neben dem Nordwestportal in der Wand. Dreiteiliger Aufbau. Unten, zwischen zwei Volutenkonsolen, die Vollwappen tragen, Inschriftentafel (I) in hellem Rotmarmor, unten mit halbkreisförmiger Ausbuchtung, eingefasst von Kalksteinrahmen mit einem unten abschließenden Rollwerkornament. Rechts und links des Ornaments Inschrift (X), darüber ein Gesims, auf der Unterseite des Gesimses Inschrift (II), am rechten Rand abgebrochen, mit geringem Textverlust. Hauptregister mit zweigeteiltem Relief in oben mit Muschellünetten verziertem Kalksteinrahmen, unten Stifterfamilie, darüber Darstellung Gesetz und Gnade: Unten links der Vater mit vier Söhnen, rechts die Mutter mit acht Töchtern. Vater und Mutter knien je auf einer Stufe mit Inschrift (III, IV), vor den perspektivisch angeordneten Kindern verläuft ein Schriftband mit Inschrift (V), über ihren Köpfen sind gemalte Zahlen, die die Reihenfolge der Geburt angeben (V), Reste bezeugen, dass diese Rehenfolge ursprünglich auf den Kleidern der Kinder unmittelbar über dem Knie angebracht war. Diese Zahlen sind heute weitgehend abgearbeitet und können nur mehr mit Hilfe der übergeschriebenen Zahlen verifiziert werden, auf eine doppelte Wiedergabe der Zahlenreihe wird in der Edition verzichtet. In der freien Dreiecksfläche vor den Kindern ruht ein Putto, den linken Ellenbogen auf einen Totenkopf gestützt, in der Rechten ein Szepter, ihm zur Linken ein Stundenglas, unter ihm ein Schriftband (XI). Darüber Leiste mit Inschrift (XII), die das obere Relief abtrennt. Gesetz und Gnade-Relief: In der Mitte sitzt Adam auf einem Sarkophag, hinter ihm wächst ein Baum empor, dessen linke Seite verdorrt ist, dessen rechte Seite reiche Frucht trägt. Am Baum ist eine Tafel mit Inschrift befestigt (XIV). Links im Vordergrund Moses, leere Gesetzestafeln haltend, auf die eherne Schlange deutend, im Hintergrund das Lager der Israeliten mit Sterbenden, die zur Schlange emporblicken. Über dem Haupt des Moses Inschrift (XIII). Rechts im Vordergrund neben einer Tafel mit Inschrift (XV) Johannes der Täufer, auf das rechts im Hintergrund stehende Lamm Gottes weisend, unter dem Lamm Tafel mit Inschrift (XVI), auf Höhe des Lammes Christus am Kreuz mit Titulus (XVII), vor ihm ein Putto, das mit dem Kelch sein Blut auffängt. Vorgestellt das Gebälk tragend, das die Hauptzone vom Auszug trennt, zwei dunkelrote Marmorsäulen mit Kompositkapitellen auf hellroten Marmorpostamenten. Über dem Gebälk Tympanon mit Rotmarmorschrifttafel, Inschrift in acht Zeilen (VI), links unten und rechts von einer Ornamentleiste begleitet. Darüber Leiste mit Inschrift (VII), rechts und links die Mutter und der Vater des Stifters kniend, vor ihren Knien jeweils eine Schrifttafel (VIII, IX). Im Auszug, in einem halbkreisförmigen Feld Gottvater mit der Heiliggeisttaube, die eine Hostie im Schnabel trägt, rechts und links des Feldes je ein Putto, der linke mit Kerze und Stundenglas, der rechte mit einem Puttokopf und einem Totenschädel. Das Denkmal wird von einer Figur des Hl. Michael als Seelenwäger bekrönt. Kalkstein. Rotmarmor (Schrifttafeln (I, VI), Säulen). Kleine Tafeln mit schwarz nachgezogener Schrift.

Maße: H. 308 cm, B. 142 cm, H. (untere Tafel) 24 cm, B. (untere Tafel) 2,5 cm, H. (obere Tafel) 35 cm, B. (obere Tafel) 56 cm, Bu. 2,5 cm (I, II), 0,8 cm (III, XV), 0,9 cm (IV), 1,5 cm (V, XIII, XV), 2,3 cm (VI), 1,6 cm (VII), 1,3 cm (VIII), 1 cm (IX), 2,8 cm (X), 2,1 cm (XI), 1,1 cm (XII, XIV, XVI), 2,3 cm (XVII).

Schriftart(en): Fraktur (I, VI), Kapitalis (II-V, VII-XVII).

© BAdW München, Inschriftenprojekt [1/5]

  1. I. Untere Schrifttafel:

     Annoa) domini . 1 . <...> den <..> tag <---> Starb der Erbar / Michael Zyrrer Glaser vnd Burger alhie. Den <..> tag <---> / im . 1 . <...> Starb die Erbar Barbera hieberin Von Neuburg an / Der Thonaw bürttig sein eheliche hausfraw Der allmechtig Gott / well Deren Seelen genedig vnd Barmherczig sein . Amenb) .

  2. II. Unter dem Gesims über der unteren Schriftplatte:

     AM . MIT . WOCH . NACH . MARTINI . DES . LXVI . BIN . ICH . ZVc) / HAVS . KHOMENd) .

  3. III. Auf der Stufe, auf der der Stifter kniet:

     AM . TAG . VOR . MICH=/AELI . IM . 46 . BIN . ICH . M(ICHAEL) / . ZIERRER . GEBOREN . W(ORDEN)e)

  4. IV. Auf der Stufe, auf der die Frau des Stifters kniet:

     IM 46 · IST · BARBARA · / HIERERINd) . AM . TAG / AVGVSTA1) . GEBOREN

  5. V. Auf dem Spruchband unter den Kindern:

     

  6. Linker Teil:

     · R(ICHARD) · GEBORNf) 67g) // · M(ICHAEL) · 75 // · M(ICHAEL)h) 81 · // · I(OHANN)i) · 84 ·

  7. Rechter Teil (von rechts nach links):

     ANNA IST GE//BORNg) 72 · // M(ARIA) · 76 · // E(LISABETH) · 78 · // M(ARIA) 68 · // A(NNA) · 70j) · // E(LISABETH) · 74j) · // M(ARIA) 77k) // K(ATHARINA)i) · 79

  8. Über den Köpfen der Kinder, ursprünglich auf den Kleidern direkt über dem Knie:

    männliche: 1 6 11 12weibliche: 10 8 5 3 2 9 7 4

  9. VI. Obere Schrifttafel:

     Iml) . 1 . 5 · 65 · Am Liechtmeszabent Starb mein Lieber Vat/ter Sebasstian Zyrrer glaszer vnd burger alhie. Annom) . / 1. 5 . 55 Im Monnat Junj Starb die Erbar Margareth / Albrechtin von Ansolingen bey LandsPerg gelegen Pür=/tig sein Eheliche Hausfraw. Dann Im . 1 . 5 . 65 Jar Jm / monnat May Starb sein andere Hausfraw Elisabet / Plänchin alhie. Gott der almechtig well disen vnd vnß / allen genedig sein ; auch daß ewig Leben geben Amen

  10. VII. Auf der Leiste über der oberen Schriftplatte:

     WAS . ZEIT . MEIN . LIEBER . VATER . SELIGER . ZV . HAVS . IST . KOMEN . XXXX

  11. VIII. Unter der Figur des Vaters des Stifters:

     AN S. LORENCZEN / ABENT IST SEBAST/IAN ZYRRERn) GEBORNo) / WORDEN M · D · XXI.

  12. IX. Unter der Figur der Mutter des Stifters:

     ALS MEIN LIEBE MVETER IM / 43 IAR WAR AINES KINDTS / GELAG MIT WE(L)ICHEM SId) A=/VS DISEM IAMERTAL IST V=/ERSCHIDEN . VND ALSO DE= / MVETER VND DAS KHIND / BEISAMEN BELIEBEN.

  13. X. Auf dem unteren Auszug:

     DAS WERCKp) // IST VERSETZTq) / XIII NOVEMB(RIS)r) // ANNO LXXXV

  14. XI. Vor dem liegenden Putto:

     HODIE MICHI CRAS TIBIs)

  15. XII. Auf der Leiste zwischen den beiden Reliefs:

     LEX PER MOISEN DATA EST GRATIA ET VERITAS PER IESVM CHRISTVM DOMINVM NOSTRV(M)s)

  16. XIII. Tafel über dem Haupt des Moses:

     SICVT IN ADAMt) OM/NES MORIVNTVR ITA / ET IN CHRISTOt) OM/NES VIVIFICABVNTVR / I · CORI(NTOS) · XV ·

  17. XIV. Tafel am Lebensbaum:

     EGO MISER HOMOu) QVIS LIBERA/BIT ME DE CORPORE MORTIS / GRATIA AVTEM DEI VITA / ETERNA IN CHRISTO IHESV / DOMINO NOSTRO RO(MANOS) 6 (et)c(eter)a

  18. XV. Tafel neben Johannes dem Täufer:

     EGO VOX CLA/MANTES IN DI/SERTOd) DERIGITE VI/AM DOMINI · IOH(ANNE)S · 1 ·

  19. XVI. Tafel unter dem Lamm Gottes:

     ECCE AGNVS / DEI

  20. XVII. Titulus:

     · I · N · R · I ·

Übersetzung:

Heute mir, morgen Dir. (XI)

Das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus, unseren Herrn. (XII)

Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. (XIII)

Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich von diesem dem Tod verfallenen Leib befreiern? Durch die Gnade Gottes aber das ewige Leben in Christus unserem Herrn. (XIV)

Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn! (XV)

Seht, das Lamm Gottes! (XVI)

Bibel- und Schriftstellerzitat(e):

  • Io 1, 17; (XII) 1 Cor 15, 22; (XIII) Rom 7, 24f; (XIV) Io 1, 23; (XV) Io 1, 36. (XVI)

Datum: 1566 November 12 (II); 1546 September 28 (III); 1565 Februar 1 (VI); 1521 August 9 (VIII).

Wappen:
Zierer2), Hieber3).

Kommentar

Die Sterbedaten wurden vermutlich nicht eingeschlagen, sondern nur aufgemalt nachgetragen, denn Oefele gibt in seiner Abschrift der Inschrift keine freien Stellen, sondern für Michael Zierer das Datum 29. Mai 1611 und für Barbara Hieber 30. Mai 1609 an. Ungewöhnlich ist die Angabe zu Vater und Sohn, sie seien „zu Haus Kommen“ (vgl. Inschriften II und VII). Michael und sein Vater waren zum jeweiligen Zeitpunkt 19 bzw. 20 Jahre alt. Vielleicht handelt es sich um die Angabe der Erwerbung des Niederlassungsrechtes als Handwerker. Es konnten jedoch keine Belege hierfür gefunden werden.

Das Zentralbild zeigt eine Gesetz- und Gnade Allegorie nach dem Prager-Typus, Vorbild ist ein Kupferstich Pieter Nagels nach Gerard van Groening. Die Darstellung ist jedoch gegenüber dem Kupferstich nochmal vereinfacht und mit dem zusätzlichen Element des den Blutstrahl Christi in einem Kelch auffangenden Engels versehen, so dass an eine eigenständige Interpretation des Steinmetzen oder eine weitere, bisher unbekannte, wohl aus dem katholischen Umfeld stammende Zwischenstufe als Vorlage zu denken ist4).

Michael Zierer war Bürger zu Ingolstadt; er ist als Mitsiegler belegbar5) und war als Glasermeister auch am Münster tätig. Wegen seiner Verdienste um die Münsterverglasung erhielten seine Erben eine Reduktion bei den Begräbniskosten6). Eine der in der Inschrift erwähnten Töchter, Anna, heiratete einen Zeugmacher Müller und ist in einer Urkunde vom 12. Mai 1622 fassbar, in der sie als Witwe dem Liebfrauenmünster einen von ihrem Vater ererbten Giltbrief schenkt7).

Der Herkunftsort der ersten Ehefrau Sebastians, Margaretha, geb. Albrecht Ansolingen bei Landsperg (vermutlich Landsberg a. Lech/OB.) konnte nicht identifiziert werden.

Textkritischer Apparat

  1. A-Initiale mit reicher Verzierung, von ihr ausgehend Ornamentband, das sich die ganze linke Seite entlang zieht.
  2. Es folgen ein Doppelpunkt und ein Linienornament.
  3. Die zweite Zeile mittig unter der ersten.
  4. Sic!
  5. Mögliche Ergänzung.
  6. N verkleinert.
  7. // Knicke des Schriftbandes.
  8. Punkt durch Haupt des Knaben verdeckt.
  9. Ergänzung der Namen nach Götz.
  10. Letztes Zahlzeichen verkleinert
  11. 77 verschränkt.
  12. Davor einige weit größere Schäfte und ein Linienornament an der linken Tafelseite.
  13. Es folgt ein Ornament.
  14. Y oder Doppel I.
  15. N kleiner auf der Zeilenmitte.
  16. Zeile durch das Rollwerkornament geteilt.
  17. Zweites T kleiner und beschädigt.
  18. Zentriert.
  19. Vergrößerte Anfangsbuchstaben.
  20. Vergrößerter Anfangsbuchstabe.
  21. H in Minuskelform mit verlängerter Oberlänge.

Anmerkungen

  1. Identifizierung des Tages AVGVSTA ist unsicher, vielleicht Fest des Hl. Augustinus.
  2. Siebmacher Bg1 20 bezeichnet das Tier auf dem Wappen als Fuchs, es scheint sich jedoch eher um einen Drachen zu handeln.
  3. Siebmacher Bg1 9.
  4. Vgl. Fleck, Ein tröstlich Gemelde 292 und Katalog Nr. 217. Zukünftig auch Steininger, Ziererepitaph.
  5. Vgl. z. B. StadtA Ingolstadt Urkunde C 120 vom 28. Dezember 1587 und C 523 vom 20. Juni 1577.
  6. Vgl. die bei Hofmann, Templum academicum 145f., zitierten Kirchenrechnungen von 1606, 1607 und 1608 und den Vermerk über die Reduzierung der Begräbniskosten.
  7. Vgl. StadtA Ingolstadt Urkunde A 347 vom 22. Mai 1622.

Nachweise

  1. Clm 2105 fol. 3v, Nr. 8; Oefeleana 300 p. 6; Ostermair, Stadtpfarrkirche 34; Götz, ULF 184-188; Koller, Grabsteine 126-128 (m. Abb.); Reinitzer, Gesetz und Evangelium Nr. 345, Abb. 92.; Fleck, Tröstlich Gemelde Nr. 217.

Zitierhinweis:
DI 99, Stadt Ingolstadt, Nr. 330 (Christine Steininger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di099m018k0033006.