Inschriftenkatalog: Stadt Ingolstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 99: Stadt Ingolstadt (2017)
Nr. 97 München, Bayerisches Nationalmuseum 1509
Beschreibung
Stifterinschriften der Fischer- und Schiffleutezunft und Beischriften auf zwei Prozessionsstangen (Marienstange und Christusstange) aus der Spitalkirche Hl. Geist (?). Heute in der Dauerausstellung des Bayerischen Nationalmuseums, Kirchensaal (Inv.-Nr. MA 3461 und MA 3462)1). 1860 von Johann von Halbig erworben und an das Museum verkauft. Der Weg der Stangen vorher ungeklärt2). Trägerstangen bestehend aus runden Stangen, auf die auf halber Höhe mit jeweils zwei Bändern umwundene Astwerkstabbündel aufgesetzt sind; auf den Bändern die Stifterinschriften von oben nach unten jeweils über beide Bänder (I, V). Darüber zwei übereinander und jeweils übereck gestellte Tabernakel mit figürlichen Darstellungen von jeweils drei Aposteln, auf den Nimben durch Beischriften bezeichnet (III, IV, VI). Hl. Matthäus der Marienstange fehlt (1953 gestohlen), in der Nische sichtbar Apostelname, wohl Kennzeichnung für die Anbringung (II), vermutlich auch bei anderen Nischen vorhanden, doch durch die Figuren verdeckt. Ein Apostel des unteren Registers der Christusstange durch eine nicht zugehörige Figur ersetzt. Laut Müller der Nimbus des Matthias heute fälschlich mit der Figur des Bartholomäus verbunden. Über den Aposteltabernakeln von Wappenhaltern mit jeweils drei Wappenschilden getragene Sternplatte mit bekrönender Figur Mondsichelmadonna bzw. segnender Christus. Lindenholz farbig gefasst, zum Teil vergoldet, Nimben Pergament, vergoldet. Konturschrift (I, V), geschrieben (II), ausgeschnitten (III, IV, VI, VII). Im Katalog Müller, Bildwerke, Abb. 60b, wird eine Figur mit Nimbus abgebildet, die heute verloren ist (VII). Laut der Numerierung im Katalog muss es sich um eine Figur der Marienstange handeln, der Nimbus weist die Figur jedoch als Apostel Thomas aus. Diese Figur wäre laut Müller im unteren Tabernakel der Christusstange zu finden. Beschädigungen und Fehlstellen bei den Figuren der Apostel, bis auf den Hl. Judas Thaddäus alle Attribute verloren, Nimben der Christusstange bis auf einen verloren. Zum Teil Ausbrüche bei den Pergamentnimben. An der Marienstange wurden bei Untersuchungen der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts Bleistiftkritzeleien an der Unterseite, wohl der Basisplatte des unteren Tabernakels, festgestellt (Photo und mögliche Umschrift durch Lill in der Dokumentation der Stangen im Bayerischen Nationalmuseum).
Maße: H. 350 cm, H. (Trägerstangen) 175 cm, H. (Astwerkstäbe) 75 cm, H. (Schriftbänder) 3-3,6 cm, Bu. 2,2-2,5 cm (I, V), 0,5 cm (II), 0,5-1,8cm (II, III, V, VI).
Schriftart(en): Gotische Minuskel (I, V), Gotische Kursive (II), Frühhumanistische Schrift (III, IV, VI, VII).
- I. Stifterinschrift der Marienstange:
· An(n)o · d(omi)ni · 1509 · Jar · hab(e)n · Vischer · schefleid · got · maria · all(e)n · zbolfpoten · zv . loba) · // · v(n)d · er · gmacht · die · vier · sint · gbes(e)n · michl · glam · gilg · haiß(er) · Jacob · weber · andre · serbel · h · vb)
- II. Anbringungsvermerk in der Nische der verlorenen Apostelfigur (unterer Tabernakel der Marienstange):
mathoesesc)
- III. Unterer Tabernakel der Marienstange (von der Figur aus gesehen von rechts im Uhrzeigersinn):
· S(ANKT) · IACOBd) · M(INO)Re)· S(ANKT) · VILIPPVS ·
- IV. Oberer Tabernakel der Marienstange (von der Figur ausgesehen von rechts im Uhrzeigersinn):
· S(ANKT) PETERf) ·[· S(ANKT) I]OHANSg) · · S(ANKT) [·] ANDRE ·
- V. Stifterinschrift der Christusstange:
· Alcz · man · zalt · nach · Crist · geburd · 1509 · Jar · da · hat · die · loblich · pruederschaffta) · // · Vischer · vnd · schifleyd · Got · vnd · all(e)n · zbolfpot(e)n · zv · lob · vnd · er · dise · steb · mach(e)n · lass(e)n
- VI. Oberer Tabernakel:
S(ANKT) . MATHIS .
- VII. Verlorener Nimbus nach Müller, Bildwerke Abb. 60b (vgl. oben):
. S(ANKT) . THA[MA]N .
Fischerzunft3). |
Textkritischer Apparat
- Wechsel vom ersten auf das zweite Schriftband.
- Auflösung der Initialen unklar.
- e über o geschrieben, vorletzter Buchstabe vielleicht auch u.
- Von B nur der Schaft erhalten, Bögen ausgebrochen.
- MR-Ligatur unklar ob M(AIO)R oder M(INO)R, M(INO)R der Interpretation Müllers folgend.
- Von E nur obere Hälfte des Schaftes und oberer Balken erhalten, von T nur Balken.
- Buchstaben ausgebrochen, von H nur Schaft und ein halber Balken erhalten, unklar ob Trennpunkt vorhanden, keine Kürzung für E.
Anmerkungen
- Für Hilfe bei der Vorortaufnahme und Recherchen in Depot und Archiv sei Herrn Matthias Weniger, Bayerisches Nationalmuseum, herzlich gedankt.
- Vgl. Wipfler, Geschichte 87f.
- Marienstange: Ruder gekreuzt, Schifferschaufel und Bootshaken gekreuzt, Krebs. Christusstange: Schifferschaufel und Bootshaken gekreuzt, zwei Fische gekreuzt, Ruder und Bootshaken gekreuzt.
- Vgl. Wipfler, Geschichte 89f.
- Vgl. Wipfler, Geschichte 88.
- Zur Zuweisungsdiskussion vgl. Wipfler, Geschichte 93f.
Nachweise
- Müller, Tragstangen 46f.; Müller, Bildwerke 68-71 (m. Abb); Finkenstaedt, Stanglsitzerheilige 94f. (m. Abb.); Wipfler, Geschichte passim; DiB I.1 (Ingolstadt) 444 (Abb.).
Zitierhinweis:
DI 99, Stadt Ingolstadt, Nr. 97 (Christine Steininger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di099m018k0009706.
Kommentar
Die Konturschrift zeigt die typischen Elemente einer Gotischen Minuskel der Fertigungszeit der Stangen. a wird stets kastenförmig gebildet, r tritt in der Wortmitte meist in der Form des runden r, das aus Kurzschaft und darüber gestelltem kleinen Bogen gebildet wird, auf, wogegen am Wortende stets Schaft-r gewählt wird. u mit Lautwert u wird öfter als in dieser Zeit gewöhnlich auch als u wiedergegeben. Die i tragen teilweise runde in Kontur ausgeführte Punkte, sie und die Ober- und Unterlängen mancher Buchstaben ragen in die Rahmenleiste des Schriftbandes hinaus. J wird anlautend stets als Versal wiedergegeben, obwohl sonst Versalien eher gemieden werden.
Die Schrift der Apostelnimben zeigt sich noch stark der Gotischen Majuskel verbunden, ist jedoch auf Grund des Gestaltungswillen und der Ausführung einiger Einzelformen eher der Schriftgruppe der frühhumanistischen Schriften zuzurechnen. Die ungewöhnliche Technik von wohl mit Schere oder Messer ausgeschnittenen Pergamentgittern erzwingt Buchstabenformen, die einerseits mit dem Nimbusrahmen verbunden bleiben – gut zu sehen an den mit langen, bis zum Rahmen reichenden Zierstrichen versehenen paragraphenzeichenförmigen Worttrennern, andererseits den Buchstaben trotzdem erkennen lassen, so beim P, das mit oben offenem und zu rechtem Schaft und Balken umgestaltetem Bogen gezeigt wird. A, trapezförmig oder pseudounzial, trägt einen stark ausgeprägten Deckbalken. O ist – wohl der Technik geschuldet – mandelförmig. I findet sich häufig mit Nodus, ebenso der Balken des H.
Unklar bleibt die Auflösung der Initialen am Ende von Inschrift I. DiB schlägt die Auflösung H(ans) V(ischer) vor und die Identifizierung als Künstlersignatur. Ein Bildschnitzer Hans Vischer ist jedoch weiter nicht belegt. Zu überlegen wäre auch, ob h v eine nähere Bezeichnung des Amtes sein kann, das die vier Fischer innegehabt haben, das v stünde dann für Fischer.
Die Figuren der Apostel auf der Christusstange sind heute wegen der bis auf Judas Thaddäus fehlenden Attribute nicht sicher identifizierbar, Müller gibt eine Anordnung an, für die vermutlich weitere, heute unzugängliche Anordnungsvermerke (s. II.) die Grundlage bilden: unterer Tabernakel: Judas Thaddäus, Simon, Thomas, oberer Tabernakel: Jacobus Maior, Matthias, Bartholomäus. Laut Müller wurde der zu Matthias gehörende Nimbus versehentlich mit der Figur des Bartholomäus verbunden.
Die beiden Prozessionsstangen wurden auf Grund ihrer Erwerbung zusammen mit einem von dort stammenden Altarretabel immer der Ingolstädter Spitalkirche zugeordnet. Schon Wipfler wies jedoch darauf hin, dass diese Zuordnung keineswegs als gesichert gelten kann, eine Zuordnung an eine der Hauptkirchen scheint auf Grund der Höhe der Stangen als wahrscheinlicher4). Die Quellenlage lässt keine nähere Zuordnung zu. Gesichert erscheint jedoch die Ingolstädter Provenienz, die auf Grund der Namen der auf den Stangen genannten Mitglieder der Fischerbruderschaft und ihrer Übereinstimmung mit nachgewiesenen Namen von Mitgliedsfamilien belegt werden kann5). Eine Zuweisung der Stangen an einen bestimmten Bildschnitzer gelang bisher nicht6).