Inschriftenkatalog: Stadt Ingolstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 99: Stadt Ingolstadt (2017)

Nr. 70 Pfk. Zur Schönen Unserer Lieben Frau 1497

Beschreibung

Gedenkinschrift für Johannes Spendle am unteren Rand des Bildfensters Hl. Paulus und Hl. Thomas von Aquin. Südseite in der ersten Kapelle von Westen (s VIII) (Thomasscheibe), bzw. Südostseite des Chorumgangs (S II) (Paulusscheibe). Ehemals in der Chorhochwand über der Sakramentskapelle (Ostermair); in der Chorhochwandverglasung im ersten Fenster an der Nordseite (Holm-Hammer); ursprünglich angebracht in der ersten nördlichen Chorumgangskapelle, einzige Scheiben dieser Verglasungsperiode, deren ursprünglicher Standort bekannt ist; heute in unterschiedliche Fenster der neuen Verglasung integriert. Zwei ursprünglich zusammengehörige, hochrechteckige Scheiben. Unten jeweils Inschrift in zwei Zeilen, oben auf einer Scheibe der Hl. Paulus auf einem Fliesenboden stehend, die Rechte auf das Schwert gestützt, in der Linken ein Buch, unter einem mit Weinlaub verzierten Bogen in einer damastizierten Nische stehend. Auf der zweiten Scheibe der Hl. Thomas in Dominikanertracht vor identischem Hintergrund, in der Linken eine Lilie, in der Rechten ein aufgeschlagenes Buch.

Maße: H. 140 cm, H. (Schriftband) 13 cm, B. 67 cm, Bu. 3,9 cm1).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

© BAdW München, Inschriftenprojekt [1/2]

  1. Johannesa) / Spendle / doctor zins(e)rb) // · heiligenc) · ge/schrift · Pfarerd) / · czv · vnsere) // · lieben / und schonen / frawenf) · // · Ann(o)c) · dom/inig) · 1 · 4 / · 9 · 7h) ·

Kommentar

Die Fenster sind mehrfach überarbeitet und erneuert. Sicher ergänzt sind bei beiden Fenstern die Köpfe der Dargestellten2). Knappe hält auch die gesamte Bildunterschrift unter dem Hl. Paulus für ergänzt3). Auffällig sind die Versalien beim Namen Spendles, die denen auf der Adorfscheibe (vgl. Nr. 90) ähneln und im Widerspruch zur versalienlosen restlichen Inschrift stehen. Deutliche Abweichungen im Schriftcharakter zeigt vor allem die Inschrift der mittleren Scheibe der Paulusscheibe. Für die Annahme Knappes spricht die sicherlich verderbte Lesung des letzten Wortes der ersten Zeile: z, drei Schäfte mit Kürzungsstrich, sr mit Kürzungsstrich. Knappe bietet die alternative und sicherlich inhaltlich korrekte Lesung der. Auffällig ist auch die Folge von zwei Worttrennern in der zweiten Zeile. Auf der Paulusscheibe befindet sich ein Worttrenner nach frawen. Auf der Thomasscheibe zu Beginn der zweiten Zeile sind am linken Rand noch abgeschnittene Reste eines Worttrenners sichtbar.

Die Scheiben stammen aus der ersten Verglasungsperiode des Münsters, von einem jüngeren Mitarbeiter der Werkstatt Veit der Ältere Hirsvogel in Nürnberg, der in diesen Scheiben zum ersten Mal fassbar wird4). Die Vorzeichnung weist die neuere Forschung Albrecht Dürer zu5). Die Scheibe wurde für den ersten Münsterpfarrer Johannes Spendle (1416-1417) von Johannes Permetter (vgl. Nr. 87), dem damaligen Münsterpfarrer, gestiftet6). Laut Ostermair befand sich das Fenster über der Corporis-Christi-Kapelle. Er bezeichnet den Dominikanerheiligen als Dominikus. Holm-Hammer wies darauf hin, dass die Zusammengehörigkeit von Schriftband und bildlicher Darstellung keineswegs als sicher anzusehen ist; sie vermutet, dass für Johannes Spendle, das ebenfalls aus der älteren Verglasungsperiode vorhandene Bildfenster seines Patrons, des Hl. Johannes des Evangelisten, vorgesehen war7). Eine andere Auffassung vertritt Fitz. Sie ordnet die Darstellungen der Hll. Paulus und Thomas dezidiert dem Spendlefenster zu. Johannes Permetter habe die beiden Vertreter theologischer Gelehrsamkeit gewählt, vermutlich um seinen Amtsvorgänger Spendle über die Tradition der Universität hinaus als Doyen theologischer Gelehrsamkeit in Ingolstadt darzustellen oder um ihn als Vertreter der von Permetter vertretenen Via antiqua zu kennzeichnen8). Umstritten war auch das Entstehungsdatum der Scheiben, während die neuesten Forschungen im Zusammenhang mit der Zuweisung der Vorzeichnung an Dürer einhellig für die Richtigkeit des Entstehungsdatums 1497 plädieren, wollte Winkler, der die Vorzeichnung Hans von Kulmbach zuschreibt, ein Entstehungsdatum nach 15009) ansetzen.

Johannes Spendle (Spenlin) war der zweite Pfarrer der Pfarrei Zur Schönen Unserer Lieben Frau (1416–1424)10). Spendle war Leibarzt Herzog Ludwigs des Bärtigen.

Textkritischer Apparat

  1. / geben hier Bleistege an.
  2. Lesung unsicher, sicher z, dann drei Schäfte, dann langes s dann r mit Kürzungsstrich, lies zu unser (?); es folgt der Wechsel zur Thomasscheibe.
  3. Angeschnittener Worttrenner vor dem Wort.
  4. Sic!
  5. Es folgt der Wechsel zur zweiten Zeile der Paulusscheibe.
  6. Es folgt der Wechsel zur zweiten Zeile der Thomasscheibe.
  7. Vom m nur zwei Schäfte sichtbar, dritter Schaft unter dem Bleisteg.
  8. Schlingenförmiger Vierer, Ziffern durch Punkte auf der Zeilenmitte abgetrennt.

Anmerkungen

  1. Alle Maßangaben an der Thomasscheibe gemessen.
  2. Der Kopf des Hl. Paulus wurde 1849 nach dem Vorbild des ausgeschiedenen Originals ergänzt. Vgl. Scholz, Albrecht Dürer 8.
  3. Knappe, Albrecht Dürer 54, Anm. 222.
  4. Scholz, Albrecht Dürer 19.
  5. Scholz, Entwurf 49-51.
  6. Scholz, Albrecht Dürer, Anm. 29, weist darauf hin, dass Conrad Celtis oder Sixtus Tucher, die beide zu dieser Zeit in Ingolstadt tätig waren, den Auftrag des Stifters an Dürer und die Hirsvogelwerkstatt vermittelt haben könnten.
  7. Holm-Hammer, Glasgemälde 40.
  8. Vgl. Fitz in Brandl, Liebfrauenmünster 158ff.
  9. Winkler, Kulmbach, passim.
  10. Zu Spendle s. Straub, Johann Spenlin, passim. Vgl. Greving, Pfarrbuch 188, dort belegt Johannes Eck Spendle als zweiten Münsterpfarrer.

Nachweise

  1. Ostermair, Stadtpfarrkirche 23; Wagner, Stadtpfarrkirche 10; Holm-Hammer, Glasgemälde 39f.; Ingolstadt I 376f.; DiB I.1 (Ingolstadt) CXLIII (Abb.); Fitz in: Brandl, Liebfrauenmünster Abb. 109, 110.

Zitierhinweis:
DI 99, Stadt Ingolstadt, Nr. 70 (Christine Steininger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di099m018k0007007.