Inschriftenkatalog: Hohenlohekreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 73: Hohenlohekreis (2008)

Nr. 484 Öhringen, Friedhofskapelle St. Anna vor 1595, 1597, 1599

Beschreibung

Epitaph des Pfarrers Kaspar Zinn und seiner Frau Lukretia geb. Hohenbucher. Im Chor, an der nördlichen Chorbogenwand. Ädikula aus rotem Sandstein auf hohem Postament. Als Bekrönung reliefiertes Brustbild Gottvaters in ovalem Medaillon, umrahmt von Roll- und Beschlagwerk; im Rollwerk über dem Medaillon drei Initialen (A); im Bildfeld zu beiden Seiten des Kopfs Bibelstellenangabe (B). Im von Rundsäulen flankierten niedrigen Hauptfeld zwei Vollwappen, darüber zwei Bibelsprüche (C). Im hohen Sockel eine annähernd quadratische Tafel mit Roll- und Beschlagwerkrahmen; auf der Tafel zwei Sterbevermerke (D, E) und eine Versinschrift (F); auf der seitlichen Rahmung ganz unten zu beiden Seiten der Verse die zugehörigen Bibelstellenangaben (G1, G2); auf zwei eingerollten Teilen des unteren Rahmens jeweils drei Initialen (H), auf weiteren Rahmenteilen links, dazwischen und rechts davon der Spruch (I); auf einer unteren Rahmenleiste des Sockels nochmals ein Bibelspruch (K). Auf dem Postament eine Anrede an den Leser (L) und darunter ein Mahnspruch (M). Alle Zeilen mit Hilfslinien vorgeritzt. Geringe Stoßschäden; Postament durch aufsteigende Feuchtigkeit vor allem rechts unten verwittert.

Maße: H. 249, B. 94, Bu. 1,1 (A), 2,5 (B), 3,5 (C), 3,4 (D, E), 3,2 (F), 1,7 (G1), 1,3 (G2), 2,3 (H), 1,0–1,3 (I), 3,0 (K), 4,0 (L), 2,5 cm (M). Kapitalis (A–G, I–L), Kapitalis und griechische Majuskel (H), Humanistische Minuskel (M).

Schriftart(en): Kapitalis (A–G, I–L), Kapitalis und griechische Majuskel (H), Humanistische Minuskel (M).

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/7]

  1. A

    I · H · V ·a)

  2. B

    EZE : // 33 ·1)

  3. C

    HIC EST FILIVSb) MEVSc) DILECTVS2) · MATH · 3 · 17 · / DOMINE IESV SVSCIPE SPIRITVMd) MEVM3) · / ACTe) · 7 ·

  4. D

    REVERENDVS · ET · DOCTVS · VIR · M(AGISTER) · CASPAR / ZINNIVS OSTHEMIVS · ECCLESIAE · ORINGENSIS / PASTOR · FIDELIS MVLTIS FORTVNAE · PROCEL=/LISf) · LABORIBVSQ(VE) EXANTLATIS · IN · ARDEN=/TI · FILII · DEI · INVOCATIONE · PLACIDE · OB=/DORMIVIT · ANNO · GRATIAE 〈· M · D · XCIX · / VIII · APRIL ·〉 AETATIS · SVAE 〈LXV ·〉

  5. E

    DIE · ERBARE · FRAW LVCRETIA · ZINNIN GEBORNE / HOENBVCHERIN · OBGEMELTS · ERN PFARRERS / EHLICHE · HAVSFRAV IST IN CHRISTO · SELIGLICHb) / ENTSCHLAFEN · ANNO · 〈1597 · 6 · IVNIJ · / IHRES ALTERS LVI ·〉g)

  6. F

    VIVO · TIBIh) MORIORQ(VE) · TIBI · DVLCISSIME IESV4) :CHRISTE · MIHI · VITA ES MORS · MIHI · DVLCEi) LVCRVM5)

  7. G1

    ROM · 14

  8. G2

    PHILIb) · I

  9. H

    V · V · V · // Σ(EBOMAI) · T(ON) · Θ(EON)k)6)

  10. I

    LIVOR // P(OST) FATA // QVIESCAT7)

  11. K

    FVNDAMENTVMl) · ALIVD · PONI · NON POTEST · PRAETER · ID8) · I · CORI ·

  12. L

    VALETE SVPERSTITES

  13. M

    Quod sumus hoc eritis fuimus Quan/doque quod estis9) ·

Übersetzung:

Dies ist mein geliebter Sohn. Herr Jesus, empfange meinen Geist! (C) – Der ehrwürdige und gelehrte Mann Magister Kaspar Zinn aus Ostheim, pflichtbewußter Öhringer Pfarrer, ist, nachdem er zahlreiche Schicksalsschläge und Mühen ausgehalten hatte, in inbrünstiger Anrufung des Gottessohnes sanft entschlafen im Jahr der Gnade 1599 am 8. April, seines Alters 65. (D) – Ich lebe dir und ich sterbe dir, süßester Jesus. Christus, du bist für mich das Leben, und der Tod ist für mich der süße Gewinn. (F) – Ich fürchte Gott. (H) – Die Mißgunst möge nach dem Tod zur Ruhe kommen. (I) – Ein anderer Grund kann nicht gelegt werden als der. (K) – Lebt wohl, ihr Fortlebenden. (L) – Was wir sind, das werdet ihr sein, und wir sind einst gewesen, was ihr seid. (M)

Versmaß: Elegisches Distichon (F), Hexameter (M).

Datum: 18. April 1599 n. St., 16. Juni 1597 n. St.

Wappen:
Zinn10, Hohenbucher.

Kommentar

Die Kapitalis hat überwiegend schmale Proportionen. Die Schäfte sind nicht immer streng senkrecht ausgerichtet, wodurch das Schriftbild sehr unruhig wirkt. Bemerkenswert ist die Häufung von Nexus litterarum und von eingeschriebenen Buchstaben. An Fremdformen fällt das unziale Q mit kleinem Bogen auf. Derselbe Steinmetz hat nach Ausweis der weitgehend identischen Schriftformen 1588 ein weiteres Öhringer Epitaph (nr. 434) geschaffen. Die Sterbedaten sind dagegen mit deutlich breiterer und tieferer Kerbe erst nachträglich eingefügt worden, das Grabmal wurde also noch zu Lebzeiten des Ehepaars angefertigt. Beide Nachträge stammen wohl von derselben Hand. Ob sie gleichzeitig ausgeführt wurden oder im Abstand von zwei Jahren 1597 bzw. 1599, läßt sich nicht mehr entscheiden. Die Proportionen sind breiter als bei der ursprünglichen Schrift, und die geschwungene Cauda des R ist wesentlich steiler gestellt. Dieselbe Hand hat, wie aus den identischen Schriftformen zu schließen ist, auch die Inschrift (L) und somit sicherlich auch den zugehörigen, in Humanistischer Minuskel ausgeführten Vers (M) geschaffen, so daß das Postament samt Inschriften möglicherweise erst eine nachträgliche Zutat ist. Von demselben Steinmetzen, der die Nachträge ausführte, wurde wahrscheinlich auch 1593 das Epitaph für Johann Killinger (nr. 471) gefertigt.

Die beiden Bibelzitate der Inschrift (C) lassen eigentlich die Darstellung Christi erwarten: Gottvater, der darüber bildlich dargestellt ist, weist auf Christus hin, und auch der Verstorbene, der durch sein Wappen darunter repräsentiert ist, wendet sich mit seiner Anrufung an den Heiland. Fast scheint es, als ob in einer früheren Konzeption des Epitaphs eine zentrale Darstellung des Gekreuzigten vorgesehen war, die dann zugunsten der zahlreichen Inschriften aufgegeben wurde. Bezeichnend ist die Ausführung sämtlicher Inschriften in lateinischer Sprache mit der einzigen Ausnahme des Sterbevermerks für die Ehefrau des Geistlichen.

Kaspar Zinn stammt aus Ostheim vor der Rhön (Lkr. Rhön-Grabfeld)11. Er studierte in Straßburg (imm. 1552) und Wittenberg (imm. 1558), wo er 1560 seinen Magistergrad erlangte, sowie ab 1562 erneut in Straßburg. Seine erste Pfarrstelle bekleidete er von 1557 bis 1558 in Wittenweier (Gde. Schwanau, Ortenaukreis)12. Eine Berufung ans Ulmer Münster scheiterte an der zu leisen Stimme Zinns. Er erhielt dann zu Beginn der 60er Jahre die ulmische Pfarrei Altenstadt (Geislingen an der Steige, Lkr. Göppingen) und wechselte 1565 als Archidiakon nach Öhringen, wo er 1584 Stadtpfarrer und 1595 schließlich Stiftsprediger und Superintendent wurde. In seiner Öhringer Zeit wirkte er unter anderem an der hohenlohischen Schulordnung von 1571 und am Entwurf zur Kirchenordnung von 1577 mit13. Seine Frau Lukretia war eine Tochter des Stadtschreibers Alexander Hohenbucher († 1570), unter dessen Grabplatte (nr. 344) auch drei früh verstorbene Kinder von Kaspar und Lukretia Zinn beigesetzt wurden. Aus der Ehe gingen fünf weitere Kinder hervor, darunter auch der spätere gräflich hohenlohische Leibarzt Johann Konrad († 1636). Nach Lukretias Tod heiratete Zinn 1598 in zweiter Ehe die vierfach verwitwete Katharina Erkenbrecht14. Da Zinn in den Inschriften (B) und (C) noch als Pfarrer und noch nicht als Stiftsprediger und Superintendent bezeichnet wird, ist das Epitaph vermutlich vor seiner Beförderung (Amtseinsetzung am 23. Juni 1595) entstanden.

Textkritischer Apparat

  1. Vermutlich nach dem Vorschlag Maischs als I(E)H(O)V(A) aufzulösen und somit als Beischrift zu dem Brustbild Gottvaters aufzufassen.
  2. Das zweite I verkleinert über den Balken des L gestellt.
  3. Das S verkleinert in das V eingestellt.
  4. Das V verkleinert unter den Balken des T gerückt.
  5. Dritte Zeile zentriert zwischen den beiden Helmzierden.
  6. Das E verkleinert in den Bogen des C eingestellt.
  7. Wibel überliefert die Inschrift mit etwas abweichendem Wortlaut: Die erbare Frau Lucretia Zinnin, geborne Hoenbucherin, obgemelts Herrn Predigers und Superintendenten ehliche Hausfrau, ist in Christo selig entschlaffen im Iahr der seligmachenden Geburt Christi 1597. 6. Brachmonats, ihres Alters 56. Iar. P. A. D. A. Die Bedeutung der letzten vier Initialen ist unklar. Möglicherweise handelt es sich hierbei um ein zweites (hölzernes?) Epitaph, das erst nach der Ernennung Zinns zum Stiftsprediger und Superintendenten 1595 zusätzlich zu dem bereits vorhandenen angefertigt wurde.
  8. Das erste I verkleinert unter den Balken des T gestellt.
  9. Das C verkleinert über den Balken des L gesetzt.
  10. Unter der Buchstabengruppe ein kleines griechisches Kreuz. Auflösung der Siglen nach Maisch, Aus dem Werk früherer Heimatforscher (KrAHK) 68, der die Devise ausgeschrieben in der Unterschrift Zinns unter einem Aktenstück nachweisen kann. Dieselbe Buchstabenfolge auch auf Zinns Siegel, das in einem Abdruck von 1578 überliefert ist. Die Bedeutung der ersten drei Initialen – vermutlich einer weiteren Devise – ist dagegen bislang nicht gelungen.
  11. Das erste N verkleinert in das V eingestellt.

Anmerkungen

  1. Es ist unklar, auf welche konkrete Bibelstelle sich die Angabe bezieht. In dem Kapitel geht es unter anderem um die Verantwortung des Predigers gegenüber seinem Volk und gegenüber dem Einzelnen, ihn rechtzeitig zu warnen und zur Abkehr vom gottlosen Leben zu bewegen und somit seine Seele zu erretten.
  2. Mt 3,17.
  3. Act 7,58.
  4. Nach Rm 14,8.
  5. Nach Phil 1,21.
  6. Nach Act 18,13?
  7. Nach Ovid, Am. 1, 15.
  8. Nach I Cor 3,11.
  9. Mahnender Gruß der Toten an die Lebenden, der so oder variiert vielfach inschriftlich auf Grabmälern bezeugt ist.
  10. Zweistöckiger Turm mit doppeltem Zinnenkranz auf Dreiberg; Helmzier: zwei Büffelhörner.
  11. Alle biographischen Angaben nach Pfarrerbuch Württ. Franken 2, 526 Nr. 3058; vgl. ferner ausführlich Maisch, Aus dem Werk früherer Heimatforscher (KrAHK) 70–75.
  12. Ritterschaftlicher Ort unter der Ortsherrschaft des Rats der Stadt Straßburg und der Herren von Böcklin; vgl. Neu, Bad. Pfarrerbuch 1, 164f. Nr. 204.
  13. Vgl. dazu auch Franz, Kirchenleitung 76–81.
  14. Vgl. Pfarrerbuch Württ. Franken 2, 526 Nr. 3058.

Nachweise

  1. Wibel, Hohenloh. Kyrchen- u. Reformations-Historie IV, 185 (nur E).
  2. Maisch, Aus dem Werk früherer Heimatforscher (KrAHK) 66–69.
  3. Ders., St. Anna-Kirche (m. Abb.).
  4. Birkenstock 41–43 Nr. 41.
  5. Erdmann, Diareihe St. Anna-Kapelle 17 (D und F nur in dt. Übersetzung).
  6. Franz, Vom Chorherrenstift 66 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 73, Hohenlohekreis, Nr. 484 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di073h016k0048403.