Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 306 Stadtgottesacker 1598

Beschreibung

Epitaph aus Sandstein für Klara Kress und zwei ihrer Kinder, an der Rückwand der Bogenkammer 18 aufgestellt. Auf einem Sockel mit Rollwerkkartusche und Spruchdichtung als Memento mori (G) eine flache reliefierte Stele mit Weiheformel (B), Sterbevermerk und Grabbezeugung (C) sowie Stiftervermerk (D) im Binnenfeld. Am unteren Ende derselben eine Kartusche mit zwei Vollwappen und Initialen, die gegeneinander höhenversetzt neben den Helmzierden stehen (E), sowie ein Schriftfeld mit einer Spruchdichtung (F). Das Binnenfeld seitlich von breiten Leisten mit Rankenwerk und oben von einem Gebälk mit weit vorspringendem Gesims und Fries mit Inschrift A eingefaßt. A eingehauen, alle übrigen Inschriften erhaben; G verwittert. Das Epitaph restauriert.

Maße: H.: 273 cm; B.: 121,5 cm; Bu.: 4,5 cm (A), 3,5 bzw. 4 cm (B–D), 2,5–3 cm (E), 3–3,5 cm (F, G).

Schriftart(en): Kapitalis (A–E), Fraktur (F, G).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/1]

  1. A

    ALLE HER NACH1)

  2. B

    CHRIST(O) S(ALVATORI) S(ACRVM)

  3. C

    CASPARIS HIC CRESSIa) PIA / CONIVX CLARA SEBERI /FILIA CVM BINA PROLE SEPVLTA / IACET /HAEC VBI TERDENOS VITAE COM=/PLEVERAT ANNOS /HAVD DVBIA VITAE SPE MELIORIS / OBITb) /

  4. D

    VXORI DESIDERATISS(IMAE) LVE / EPIDEMIA AN(NO) SAL(VTIS) HV(MANAE) M. D / IIC. MORTALITATI EXEMPTAE / MAR(ITVS) M(AESTISSMVS) H(OC) M(ONVMENTVM) P(ONI) C(VRAVIT)

  5. E

    [- - -]c) // W M. V / E · I · / S · // K · F · / D ·

  6. F

    Dieses lebens ausgangist des / ewgen anfang2)

  7. G

    Hin gedt die zeitt her kompt de[r t]odt3) /O mens[c]h [t]h[u] recht und fürchte gott

Übersetzung:

B Christus, dem Erlöser, geweiht.

C Hier liegt die fromme Klara, des Kaspar Kress Ehefrau (und) des Seber Tochter, mit zwei Kindern begraben. Sobald diese dreißig Jahre des Lebens vollendet hatte, starb sie, nicht zweifelnd in der Hoffnung auf das bessere Leben.

D Der sehr vermißten Ehefrau, die im 1598. Jahr des menschlichen Heils durch eine Pestseuche der Sterblichkeit entrückt wurde, ließ der sehr betrübte Ehemann dieses Grabmal setzen.

Versmaß: Zwei elegische Distichen mit einsilbig leoninisch gereimten Hexametern (C), vier Reimverse (F, G).

Wappen:
Kress4)Seber (?)5)

Kommentar

Die Buchstaben der Kapitalis zeichnen sich durch eine schmale Proportionierung und eine unregelmäßige Sporenbildung aus. An den Schäften sind zumeist keine Sporen oder nur sehr schwache Verbreiterungen der Endungen zu bemerken, die Balken hingegen weisen mitunter sogar auffällige Sporen auf. Die Distichen (C) wurden durch einen größeren Schriftgrad hervorgehoben. Als Kürzungszeichen stehen Dreiecke auf der Grundlinie.

„Allhernach“ ist schon seit dem frühen 16. Jh. auf Grabmälern als Teil eines Memento mori zu finden, dem als Bild hinzugefügt wird, was den Leser und Betrachter des Grabmals „hernach“ erwartet: Tod und Verwesung.6) Diese Deutung wird auch durch weitere Inschriften auf denselben Grabmälern bekräftigt: „Wie Jhr seyd, waren wir auf Erden, wie wir seynd, werdet ihr auch werden.“7) Während bei manchen dieser Beispiele aber „all“ als Vorsilbe und Verstärkung des Pronominalpartikels „hernach“ gedacht zu sein scheint,8) meint das vorliegende Beispiel vermutlich ALLE Menschen, an deren Sterblichkeit erinnert wird.

Klara Seber (1568–1598) hatte 1592 den aus einem Nürnberger Patriziergeschlecht stammenden Kaspar Kress geheiratet,9) wurde aber nach ihrem frühen Tod zusammen mit ihren Kindern im elterlichen Familiengrab beigesetzt (s. Anhang 1, Nr. 18). Die einzelstehenden Initialen S und D in Inschrift E sind wahrscheinlich die Familiennamen ihrer Eltern, Seber und Drachstedt.

In D wird das einzige Mal eine Seuche inschriftlich erwähnt, die möglicherweise 1598 Halle heimsuchte, wie die verhältnismäßig große Zahl aus diesem Jahr überlieferter Grabmäler anzuzeigen scheint.10) Auch für den am 6. September verstorbenen Kaspar Barth d. J. ist der Tod während einer Epidemie explizit überliefert (s. Nr. 302) – allerdings nicht inschriftlich.

Textkritischer Apparat

  1. CASPARIS HIC CRESSI] Die Versalien des Namens und das dritte I überhöht.
  2. OBIT] Sic! Für OBIIT.
  3. [- - -] Hier befindliche Initialen waren möglicherweise zerstört, bevor diese Stelle so ausgebessert wurde, wie sie heute zu sehen ist.

Anmerkungen

  1. Wander 1, 1867, Sp. 44 („Alle“, Nr. 10).
  2. Vgl. Wander 2, 1867, Sp. 1838 („Leben“, Nr. 72).
  3. Wander 5, 1867, Sp. 529 („Zeit“, Nr. 129).
  4. Siebmacher 1605, S. 225.
  5. Drei Papageien 2 : 1; Hz.: Pfauenstoß, davor ein Papagei.
  6. Ortmayr 1952, passim.
  7. Zitiert nach Nr. 479H.
  8. Ortmayr 1952, S. 20.
  9. Dreyhaupt 2, 1750, Beylage B, S. 83 („Geschlechts-Register derer Kressen“), 151 („Geschlechts-Register der Seber“).
  10. Eine Verdichtung überlieferter Todesfälle ist Ende August/Anfang September festzustellen; vgl. Nr. 300303.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 2, o. S. (Nr. 18; A–D, F, G).
  2. Olearius 1674, S. 21 (A–D, F, G).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 306 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0030600.