Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 480† Moritzkirche vor 1639 (?)

Beschreibung

Porträt des Lukas Rudolphi, „über selbigem“ und „zun Seiten“ Bibelverse (A–C). Darunter eine umfangreiche Versinschrift mit biographischen Angaben (D).1) Das Gemälde heute verloren; die Schriftform der vermutlich gemalten Inschriften nicht überliefert.

Nach Olearius 1674.

  1. A

    Offenb. 3. Sey getreu (et)c.a)2)

  2. B

    1. Joh. 1. das Blut J(esu) C(hristi)3)

  3. C

    Phil. 1. Ich begehre aufgelöst zu seyn (et)c.a)4)

  4. D

    Haec facies Lucae Rudolphi est: corporis umbraPicta est: ingenium pingere nemo potest.Halla dedit cunas, instillavitq(ve) per annosPrimos ipsi artes cum pietate bonas.5)Egressum patria suscepit Jena, MagistriExcultum studiis nomine nobilitans.Primum Arterensem Lutheri Patria MystamElegit, Pastor post Gehovensis erat.Ob dotes animi revocavit patria, eumq(ve)AEDesb) Pastorem Mauritiana petit.Nunc Senior coelum vitae pertaesus anhelatAtq(ve) tuum adventum, Christe, beandus avet.

Übersetzung:

D Das ist das Antlitz des Lukas Rudolphi; das Abbild (seines) Leibes ist gemalt. Niemand (aber) vermag (seinen) Geist zu malen. Halle gab (ihm) die Wiege und flößte ihm in den ersten Jahren mit Frömmigkeit die schönen Künste ein. Den aus der Vaterstadt Hinausgegangenen nahm Jena auf, indem es (ihn), den durch Studien gebildeten, mit dem Titel eines Magisters rühmte. Erst wählte er das Priesteramt von Artern in der Heimat Luthers und war danach Pfarrer in Gehofen. Wegen (seiner) Geistesgaben rief (ihn) das Vaterland zurück und begehrte ihn die Moritzkirche als Pfarrer. Nun lechzt der des (irdischen) Lebens überdrüssige Greis nach dem Himmel und verlangt freudig nach deiner Ankunft, Christus.

Versmaß: Sechs elegische Distichen (D).

Kommentar

Nach theologischen Studien in Jena wirkte Lukas Rudolphi zunächst fünf Jahre als Dekan in Artern, dann zwanzig Jahre als Pfarrer in Gehofen. Da beide Orte in Nord- und nicht in Westthüringen liegen, wo die Familie Luthers gelebt hatte, kann mit Lutheri Patria nur Thüringen in seiner Gesamtheit gemeint sein. Seit 1617 war Rudolphi Pfarrer an St. Moritz in Halle, bis ihn 1634 ein Schlaganfall traf. Fortan konnte er nur mit Hilfe seiner städtischen Amtskollegen amtieren. Er starb 1639 im 76. Lebensjahr.6) Das Fehlen des Sterbedatums und das Tempus von anhelat (coelum) läßt vermuten, daß das Bildnis noch zu Lebzeiten Rudolphis entstand.

Die Formulierung ingenium pingere nemo potest reflektiert die sogenannte Zweibilderlehre des Humanismus, wonach geistige Größe in der äußeren Erscheinung, facies, nicht zu fassen sei.7) Vergleichbare Formulierungen finden sich auf zeitgenössischen Bildnissen großer Gelehrter wie Luther, Pirckheimer und Melanchthon.8) Dem Geist aber (ingenium, eigentl. Sinnesart, Charakter, im 1. Vers) gebührt der Vorrang, er ist auch der Ort der Gotteserfahrung.9) Die außerordentlichen Geistesgaben (dotes animi im 9. Vers) rühmt Jahrzehnte später noch Gottfried Olearius, der Lukas Rudolphi zu den „Gelehrten und berühmten Leuten, so zu Halla gebohren“, rechnet.10)

Textkritischer Apparat

  1. etc.] Olearius 1674: et-Ligatur und c.
  2. AEDes] AEdis Schubart, Olearius 1667.

Anmerkungen

  1. Olearius 1674, S. 174.
  2. Sic! Tatsächlich Off 2,10.
  3. 1 Jh 1,7.
  4. Phl 1,23.
  5. Die Junktur artes bonas nach Ovid, Ars Amatoria 1, 459.
  6. Schubart 1662, fol. F2v; Olearius 1667, S. 100; Dreyhaupt 1, 1749, S. 1086. Zu L. Rudolphi s. auch Nr. 81.
  7. Vgl. Schuster 1983, S. 19 f., 25 (Anm. 11); Preimesberger 1999, S. 220–227 (zum Porträt Melanchthons von Dürer).
  8. Vgl. Katalog Hamburg 1983, S. 110–113 (Nr. 40 f.; Eckhard Schaar), 158 f. (Nr. 64; Eckhard Schaar), insbesondere aber S. 162 f. (Nr. 66; Eckhard Schaar): „Viventis potuit Durerius ora Philippi / mentem non potuit pingere docta manus.“
  9. Vgl. die Erläuterungen zum Pirckheimerporträt bei Wuttke 1982.
  10. Olearius 1667, S. 100.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 5, o. S.
  2. Schubart 1662, fol. F2v (D).
  3. Olearius 1667, S. 100 (D).
  4. Olearius 1674, S. 174.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 480† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0048001.