Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 474† Stadtgottesacker 1636

Beschreibung

Grabmal aus Stein für Valentin Händel mit den Tugendallegorien von Fides, Caritas und Spes, denen Bibelzitate (E–G) und ein Memento mori (D) zugeordnet waren. Die Verteilung der übrigen umfangreichen Inschriften ist unbekannt: Bibelzitat (A) und Memento mori (B), Sterbevermerk mit biographischen Angaben, Grabbezeugung und Segenswunsch (C), ein Kirchenväterzitat (H) und religiöse Spruchdichtung (I). Die Schriftform und die Art der Schriftausführung auf dem heute verschollenen Grabmal ist nicht überliefert.

Nach Olearius.

  1. A

    Christus ist mein Leben sterben ist mein Gewinn.1)

  2. B

    O Mensch mach dich zum Tod bereit. /Und denck, vielleicht sterb ich noch heut.a)

  3. C

    Hier liegt begraben Herr Valentin Händel von Breßlau, Weiland des Raths=Schmiedemeister und Kupferschmidt allhier, so in H(eiligem) Ehstand mit H(err)n Samuel Beichlings auch Weiland des Raths und Kupferschmids in Eisleben nachgelassenen Tochter Fr(au) Annen, 28. Jahr gelebet, in demselben durch GOttes Seegen 5. Söhn gezeuget, als Valentinum Christoph(orum) Samuel(em) GOttfried und Georgen, davon 2. am Leben, samt 1. Tochter Fr(au) Barbara, so mit H(err)n Johann Schweiskern verheirathet, ist in GOtt selig verschieden den 20. Aug(usti) 1636. im 54. Jahr seines Alters. GOtt verleihe (et)c.b)a)

  4. D

    Fürm Tod kein Kraut (et)c.b)2)

  5. E

    Joh 11. wer an mich gleubt, der wird leben.a)3)

  6. F

    1. Cor. 15. Hoffen wir allein in diesem Leben (et)c.b)4)

  7. G

    1. Cor. 13. Nun aber bleibet Glaube (et)c.b)5)

  8. H

    Augustin(us) Qvid est diu vivere, qvam diu torqveri.6) / Was heist und ist, lange leben, anders, dann lange geqvehlet werden?a)

  9. I

    Auf deinen Fried HErr JEsu CHrist /Verlangt uns sehr zu dieser frist, /Es wird doch nimmer besser werden, /So lange wir leben auf dieser Erden. /Drum komm ja bald, führ uns zugleich /Jn dein Himlisches Königreich /Da ist recht Fried und Herrligkeit /Da hört auf Steurc) und aller Streit.a)7)

Übersetzung:

H Augustinus. Was ist lange leben (anderes), als lange gequält zu werden. (...)

Versmaß: Zwei (B) bzw. acht Reimverse (I).

Kommentar

Die Skulpturen verbildlichen die Aussage von 1 Ko 13,13: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Gemeint ist hier die rechtfertigende Liebe Gottes, die durch den Opfertod Christi wirksam ist und auf die sich die Hoffnung des jenseitigen, ewigen Lebens gründet (1 Ko 15,19). Der Glaube an den Opfertod Christi gewährt Anteil an der Liebe Gottes, wie es der Evangelist Johannes (E) verheißt. Dieselbe Zusammenstellung von theologischen Tugenden und Bibelstellen findet sich bereits an Epitaphien aus den Jahren 1632 und 1636 (Nr. 452, 466). Die Inschriften E bis G erläutern quasi das Zitat aus dem Philipperbrief, wie es in A wiedergegeben ist.8)

Valentin Händel (1582–1636) hatte 1608 Anna Beichling (1586–1670) geheiratet und war seit 1632 Ratsmitglied.9) Valentin und Anna Händel wurden die Großeltern und Georg, einer ihrer überlebenden Söhne (vgl. C), der Vater des Komponisten Georg Friedrich Händel (1685–1759). Georg Händel (1622–1697) wurde 1643 Bürger und Barbier auf dem Neumarkt bei Halle, bevor er 1645 eine Bestallung als Amtschirurg in Giebichenstein erhielt. Von 1660 an war Händel Geheimer Kammerdiener und Leibchirurg des Administrators August von Sachsen. 1666 erwarb er das hallische Bürgerrecht und erhielt 1688 eine Bestallung als Leibchirurg Herzog Johann Adolfs I. von Sachsen-Weißenfels.10)

Textkritischer Apparat

  1. Schrägstriche bei Olearius wurden durch Kommata ersetzt.
  2. etc.] Olearius: et-Ligatur und c.
  3. Steur] Die Bedeutung des Wortes ist in dem gegebenen Zusammenhang unklar. Es kann sich um „Steuern geben“ handeln (DWB 10, 2, 2, 1960, Sp. 2648–2650) oder darum, das Schicksal zu steuern als übertragene Anwendung von „ein Schiff lenken“ (ebd., Sp. 2653 f.), oder um „abwehren“, „etwas Einhalt gebieten“ um des Selbstschutzes willen (ebd., Sp. 2654–2659).

Anmerkungen

  1. Phl 1,21.
  2. Kirchenlied von Johannes Leon oder ein Sprichwort; vgl. Wackernagel 4, 1874, S. 519 (Nr. 712, Strophe 5) bzw. Wander 4, 1867, Sp. 1237 f. (Nr. 268, 269).
  3. Jh 11,25.
  4. 1 Ko 15,19.
  5. 1 Ko 13,13.
  6. Augustinus, Sermo 84 de verbis evangelii Matthei 19, 17, col. 520.
  7. Wackernagel 1, 1864, S. 802, hier aber eine andere Fassung der ersten Zeile und der beiden letzten Zeilen.
  8. Vgl. auch Einleitung, S. XLI–XLIV.
  9. StAH H B 2, S. 118 f.; Förstemann 1844, Taf. 1.
  10. Förstemann 1844, Taf. 2; Hünicken/Serauky 1935, S. 5 f. (W. Serauky); Pahncke 1935, S. 131 f.; Hofestädt 2008; Thiele 2011, S. 193.

Nachweise

  1. MBH Ms 319, 3, o. S. (C).
  2. Olearius 1674, S. 152 f.

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 474† (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0047403.