Inschriftenkatalog: Die Inschriften der Stadt Halle an der Saale

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 85: Halle/Saale (2012)

Nr. 337 Reideburg, Gertraudenkirche 1604

Beschreibung

Epitaph für Rudolf von Rauchhaupt, aus Sandstein gehauen, an der südlichen Innenwand der Kirche angebracht. Eingeschossiger Aufbau mit Unterhang, Sockel, Seitenhängen und Auszug. Am Unterhang, der mit Beschlagwerk konturiert ist, drei Kartuschen: auf den seitlichen Bibelzitate (D, E), auf der mittleren ein geflügelter Totenkopf mit Sanduhr als Vanitassymbol. Neben dem Unterhang Löwenkopfkonsolen. Durch ein Gesims abgesetzt die Sockelzone mit Sterbevermerk (B) und Bibelzitat (C) zwischen zwei Postamenten, die Kartuschen mit Köpfchen zieren. Darüber Pilaster mit Gebälk, die eine bogenförmige Blendnische mit eingeschlossenem Relief umschließen. Seitenhänge aus geschuppten Voluten, über denen sich nackte Frauenleiber erheben (Allegorien?). Auf dem Hauptrelief der Verstorbene in Rüstung mit gegürtetem Schwert kniend, den Gekreuzigten anbetend; am oberen Kreuzbalken der Kreuztitulus (A). Vor ihm und dem Kreuz der Helm abgelegt. Im Hintergrund Landschaft mit monumentalen Bauwerken. Die Pfeiler der Nischeneinfassung mit Beschlagwerk, die Bogenzwickel mit geflügelten Engelsköpfchen besetzt. An Gebälk und Pilastern die Vollwappen einer fast durchgängig mit Wappenbeischriften versehenen Ahnenprobe, auf der Mittelachse beginnend und sich nach links unten (FA: väterliche Linie) bzw. rechts unten (FB: mütterliche Linie) fortsetzend. Die Wappenbeischriften über und neben die Helmzierden geschrieben. Den Auszug bilden zwei Meerjungfrauen, die eine Kartusche mit der Auferstehung Christi halten. Fast alle Kartuschen aus Rollwerk, nur die mittlere des Unterhangs aus Knorpelwerk gebildet. Den Auszug beschließt eine weibliche Allegorie, die mosaischen Gesetzestafeln haltend. Inschrift A erhaben, Inschriften B–FB eingehauen. Das Epitaph an einzelnen Stellen beschädigt, besonders aber am unteren Rand des Mittelbildes, wo zwei Löcher zur Einsetzung von Balken einer (heute wieder beseitigten) Empore ausgehauen wurden.

Maße: H.: ca. 420 cm; B.: ca. 265 cm; Bu.: 1,8 cm (A), 2,5 cm (B, C), 1,5–2,5 cm (D, E), 2 cm (F, Gebälk), 2–3 cm (F, Pilaster).

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Markus Scholz) [1/2]

  1. A

    I(HESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDAEORVM)1)

  2. B

    A(NN)O : 1604 AM TAGE MARTINI ZWISCHEN 6 VND 7 VHR NACH / MITTAGE · IST DER EDLE VND EHRENVESTE RVDOLF RAVC=/HEVPTa) WEILANT ERBSAS ZV SAGESDORF IN GOTT SELIGHEb) / ENTSCHLAFEN SEINES ALTERS 43 IHAR

  3. C

    CORINTH · AM 4 · / WIR WISSEN DAS DER SO DEN HERRN IHESVM HAT AVFERWECKc) / WIRT VNS AVCH AVFERWECKEN DVRCH IHESVM VND WIRT / VNS DARSTELLEN SAMPT EVCH2)

  4. D

    EZECH · 33d) / ICH WIL EVER GREBERe) / AVFTHVN VND WIL / MEIN VOLCK AVS DEN / SELBIGEN HERAVS / HOLEN3)

  5. E

    IOHANN : I · / DAS BLVT IHESV / CHRISTI REINI=/GET VNS VON / ALLE SVNDE4)

  6. FA

    D(ER) V(ON) RAVCHEVPT : D(ER) V(ON) POSSEN : // D(ER) V(ON) PELVGEf) / D(ER) V(ON)// WIN/CKELg) / D(ER) V(ON) GRIFVO/GELh) / D(ER) V(ON) // AM=/MEN // DORF / D(ER) V(ON) POEL

  7. FB

    D(ER) V(ON) WINCKEL D(ER) V(ON) HOPGARTE(N)i) // D(ER) V(ON) WITZ=/LE/BENj) / D(ER) V(ON) LO//SER / D(ER) V(ON) // WER/TRE(N)k) / D(ER) V(ON) // LIS/TE / D(ER) V(ON) ENDE

Übersetzung:

A Jesus von Nazareth, König der Juden.

Datum: 1604 November 11.

Wappen:
Rauchhaupt5)aus dem Winckel6)
Bose7)Hopfgarten8)
unkenntlichunbekannt9)
Pflug10)Witzleben11)
aus dem WinckelLöser12)
Greifvogel (?)13)Werthern14)
Ammendorf15)List16)
Poel17)Ende18)

Kommentar

Die Buchstaben zeichnen ausgeprägte, serifenähnliche Sporen aus. M hat gerade Hasten und einen bis zur Mittellinie herabgezogenen Mittelteil. R weist entweder eine geschwungene oder eine stachelförmige Cauda auf. Die Sporen am T-Balken sind rechts- bzw. linksschräg abwärts geführt. Haar- und Schattenstriche wurden nicht differenziert; es tritt eine geringfügige Bogenschwellung auf. Die Worttrenner und Satzzeichen haben die Form von Dreiecken oder Quadrangeln. Die den Initialen von FA und FB nachgestellten Dreiecke wurden als Kürzungszeichen aufgefaßt und in der Edition nicht berücksichtigt. Die Wortabstände sind unregelmäßig; das Bibelzitat in der Sockelzone (C) ist zentriert.

Rudolf von Rauchhaupt war ein Vetter des erzstiftisch-magdeburgischen Landrats Christoff aus dem Winckel (s. Nr. 469). Nach Rudolfs erbenlosem Tod ging sein Gut in Sagisdorf, das sich seit dem 15. Jh. in Familienbesitz befand,19) an die Höhnstedter Linie derer von Rauchhaupt über, die von Rudolfs Neffen Hans Heinrich Timo (um 1590–1638) begründet worden war.20) Da Sagisdorf keine eigene Kirche hatte (und hat), wurde Rudolf im benachbarten Reideburg beigesetzt.

Das Epitaph drückt durch Bilder und Schriftzitate die evangelische Heilsgewißheit aus, daß jeder wie Christus auferstehen und des ewigen Heils teilhaftig wird, sofern er an die Rechtfertigung durch Christi Opfertod glaubt.21) Der Verstorbene selbst wurde als Glaubender ins Bild gesetzt, der Erlösung erwarten darf. Die ansprechende künstlerische Qualität des Epitaphs ist mehrfach gewürdigt worden;22) der Schöpfer ist bislang unbekannt.

Textkritischer Apparat

  1. HEVPT] Buchstaben paarweise in Nexus litterarum.
  2. SELIGHE] Über dem letzten Buchstaben ein Kürzungsstrich; Auflösung unklar.
  3. AVFERWECK] Sic!
  4. 33] Sic! Vgl. Anm. 3.
  5. GREBER] Der letzte Buchstabe in kleinerem Schriftgrad.
  6. PELVGE] Sic!
  7. WINCKEL] Der letzte Buchstabe in kleinerem Schriftgrad auf die Mittellinie gestellt.
  8. GRIFVOGEL] Die drei letzten Buchstaben in kleinerem Schriftgrad.
  9. HOPGARTEN] Sic! Kein Kürzungszeichen.
  10. LEBEN] Die drei letzten Buchstaben in kleinerem Schriftgrad.
  11. WERTREN] Sic!

Anmerkungen

  1. Io 19,19.
  2. 2 Ko 4,14.
  3. Hes 37,12.
  4. 1 Jh 1,7.
  5. Siebmacher 1605, S. 174; Dreyhaupt 2, 1750, Taf. XLII.
  6. Dreyhaupt 2, 1750, Taf. XLII; Siebmacher II, 3, Taf. 61; ebd. VI, 11, Taf. 39.
  7. Siebmacher 1605, S. 175; hier abweichend eine sonst nicht belegte Helmzier (sechs Hahnenfedern).
  8. Ebd., S. 161; hier abweichend eine sonst nicht belegte Helmzier (drei Straußenfedern).
  9. Ein Fuchs?
  10. Siebmacher 1605, S. 173.
  11. Siebmacher II, 3, Taf. 17, 61; ebd. III, 1, Taf. 21; ebd. III, 2, 2, 2, Taf. 21.
  12. Siebmacher VI, 6, Taf. 65; ebd. III, 2, Taf. 295.
  13. Siebmacher 1605, S. 183: geviert; 1/4. Rosenblüte, 2/3. Rosenblüte von wechselnden Farben. Hier nur drei Rosenblüten, eine rechts, zwei links übereinander angeordnet, und eine andere Helmzier (Büffelhörner), was alles in allem eher dem Wappen Schleinitz gleicht; vgl. Siebmacher 1605, S. 174.
  14. Siebmacher 1605, S. 168.
  15. Siebmacher VI, 6, Taf. 3; ebd. VI, 11, Taf. 1. Hier abweichend der Rumpf des Wappenbildes und die Helmzier frontal wiedergegeben.
  16. Siebmacher 1605, S. 73; Siebmacher VI, 6, Taf. 64. Hier abweichend zwei schrägrechte Pfähle von wechselnden Farben.
  17. Balken, mit einem Fisch belegt.
  18. Siebmacher 1605, S. 174; Dreyhaupt 2, 1750, Taf. XLII.
  19. Widersprüchliche Angaben zum Jahr der Erwerbung bei Dreyhaupt 2, 1750, S. 953 und Beylage B, S. 216 („Geschlechts-Register derer von Rauchhaupt“): 1476; Hausen 1892, S. 381: 1486 und Rauchhaupt 1955, S. 60: 1446.
  20. Zur Verwandtschaft Rudolfs v. R. und zur Vererbung des Gutes s. Dreyhaupt 2, 1750, Beylage B, S. 216 f. („Geschlechts-Register derer von Rauchhaupt“), 220 („Geschlechts-Register derer aus dem Winckel“); bei GHdA 87, 1985, S. 299 f. Rudolf nicht erwähnt.
  21. Vgl. auch Einleitung, S. XLI f.
  22. Vgl. BKD Prov. Sachsen NF 1, S. 570; Reideburg 2006, S. 211.

Nachweise

  1. Reideburg 2006, S. 211 (B unvollständig).

Zitierhinweis:
DI 85, Halle/Saale, Nr. 337 (Franz Jäger), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di085l004k0033705.